Partnerschaft

Jetzt mal ehrlich

Eine Grafik als Symbol für die Verbindung zwischen zwei Menschen. Zwei Gesichter blicken sich an.
Sich die Wahrheit sagen, auch wenn es manchmal unangenehm ist: Paartherapeutin Johanna Degen plädiert für Ehrlichkeit in Beziehungen. © Imago / Ikon Images / Roy Scott
Viele Paare tun sich schwer damit, über unbequeme Wahrheiten zu sprechen. Eine vertane Chance. Denn Ehrlichkeit ist nicht nur in Beziehungen wichtig.
Ehrlichkeit gilt als tragende Säule einer funktionierenden Partnerschaft. Doch es stellt sich die Frage, wie viel Wahrheit einer Beziehung guttut: Lieber auch mal was für sich behalten, um den Partner oder die Partnerin nicht zu verletzen? Oder doch lieber alles sagen, auch wenn es unbequem wird?

Warum ist Ehrlichkeit in Beziehungen wichtig?

Zu den Verfechterinnen von mehr Ehrlichkeit in Beziehungen gehört Sozialpsychologin Johanna Degen. Kriselnden Paaren rät sie: Redet über das, wovon ihr meint, wenn ich das jetzt ausspreche, ist es das Ende der Beziehung.
In ihrer Praxis blicke sie danach meist in panische Gesichter. So ehrlich zu sein, sind viele Menschen nicht gewohnt. Es lohnt sich aber, ist die Paartherapeutin überzeugt. Wenn man es richtig macht.
Degen plädiert für "radikale Ehrlichkeit" in Beziehungen. Sie meint damit, die unbequemen Wahrheiten, die jeder und jede hat, wahrzunehmen und darüber in den Austausch zu treten.
Ein Beispiel: Der Partner oder die Partnerin braucht morgens Zeit für sich. Doch aus Angst vor dem Konflikt wird dieser Wunsch für sich behalten, statt das Gespräch über mehr Raum am Morgen zu suchen.

Offen sprechen, statt im Trüben fischen

Das ist ein Fehler, meint Degen: "Wir wissen sowieso, wenn etwas im Busch ist." Die Folge seien "allerlei diffuse Dynamiken". Man weiß, irgendetwas ist nicht ganz richtig, die Situation fühlt sich ein bisschen verschoben an. "Wir rudern dann in halbunsicherem Gewässer und wüssten eigentlich, was es unsererseits bedürfte, damit es richtig cool wird."
Das ehrliche Gespräch über die eigenen Bedürfnisse könne deshalb eine befreiende Erfahrung sein. Es schaffe Raum für "echte Begegnungen" - also das, was viele in Beziehungen suchten, so Degen, die an der Universität Flensburg unter anderem zu Liebe, Dating und Sexualität in digitalen Zeiten forscht.

Wie gelingt ein ehrliches Gespräch?

Ehrlichkeit bedeutet nicht, „dass man ungefiltert gemein zu Leuten ist und sie verletzt“, betont Psychologin Johanna Degen. Damit eine ehrliche Kommunikation zwischen Paaren gelingt, gelte es ein paar Punkte zu beachten.
Wichtig sei vor allem das richtige Timing. „Wir tendieren dazu, Taktiken anzuwenden, die wir uns schon lange antrainiert haben“, so Degen. Zum Beispiel: Draufhauen, Wegrennen oder Mauern. Man könne sich bewusst für eine andere Reaktion entscheiden.
Manchmal sei es besser, ein Thema zunächst wegzupacken und später wieder hervorzuholen. Etwa wenn etwas am Partner einen triggere, also eine starke emotionale Reaktion hervorrufe, er aber in dem Moment nicht bereit für ein Beziehungsgespräch ist.

Räume schaffen und Metaziele formulieren

Bevor es ins Gespräch geht, sollte man sich zunächst Konsens einholen, rät die Paartherapeutin. Etwa mit Sätzen wie: „Ich möchte etwas mit dir besprechen. Wann hast du dafür Kapazität? Bist du generell interessiert daran, mit mir in den Austausch zu gehen?"
Auch sei es hilfreich, bei sich selbst anzufangen. Zum Beispiel, indem man kommuniziert: „Mich triggert etwas bei dir. Ich gehe jetzt gar nicht davon aus, dass du etwas ändern musst. Aber ich würde gern darüber reden, wie wir gemeinsam damit umgehen.“ Das mache es möglich, „zu navigieren, wo ich Ablehnung fühle, ohne dass ich es auf den anderen projiziere“.
Degen empfiehlt zudem, vorab noch ein Metaziel zu formulieren. Beispielsweise, indem man seine Liebe und den Wunsch nach einer dauerhaften Zukunft bekräftigt, bevor man zur unbequemen Wahrheit kommt. „Dann ist man schon mal in einem richtig guten Fahrwasser.“

Was bedeutet Ehrlichkeit mit sich selbst?

Ehrlichkeit ist laut Johanna Degen nicht nur in Paarbeziehungen wichtig, sondern auch in der Familie, auf der Arbeit und vor allem in der Beziehung zu sich selbst. Wer gesteht sich schon gern ein, dass er oder sie neidisch, rachsüchtig oder ungerecht ist?
Statt sich mit der "eigenen Hässlichkeit“, wie Degen es nennt, auseinanderzusetzen, scheine es leichter, sich etwas vorzugaukeln. So zu tun, als wäre man innerlich so, wie man von anderen gern gesehen werden möchte.

Mit Ehrlichkeit gegen negative Einstellungen

Je mehr man jedoch die unbequeme Wahrheit über sich selbst verdränge, desto größer werde sie, warnt Degen. Umgekehrt sei eine ehrliche Beziehung zu sich selbst eine Erlösung. Neid und Rachsucht etwa nähmen ab, wenn man ehrlich mit ihnen umginge.
Ähnlich sieht das der buddhistische Mönch Tenzin Peljor. Er ist überzeugt: Nur wenn man sich seiner eigenen Realität bewusst sei, etwa negative Gefühle wie Hass oder Schadenfreude gegenüber einer anderen Person erkenne, könne man an ihnen arbeiten und sich von ihnen befreien.

Wie entlarvt man Selbsttäuschungen?

Um Selbsttäuschungen zu entlarven, plädiert die Psychologin Johanna Degen dafür, den Blick gezielt nach innen zu richten und sich selbst aufmerksam zu beobachten. Dafür wirbt auch der buddistische Mönch Tenzin Peljor: „Ich glaube, man braucht eine grundsätzliche Offenheit, sich zu hinterfragen und zu korrigieren.“
Einerseits durch Rückmeldungen von außen, andererseits durch ein bewusstes Nach-Innen-Horchen. Das lässt sich laut Peljor zum Beispiel durch Meditation trainieren.

In Kontakt mit der eigenen Realität

Es gehe darum, sich selbst kennenzulernen und in Kontakt mit der eigenen Realität zu kommen, so Peljor. Ein ehrlicher Umgang mit sich selbst, mit den eigenen unbequemen Wahrheiten, zahle sich wiederum auch in der Beziehung mit anderen Menschen aus.
"Dein Gegenüber merkt", erläutert der buddistische Mönch, "dass du ehrlich bist. Dadurch entsteht Vertrauen." Das befördere die Beziehung und inspiriere zudem die andere Person zu mehr Ehrlichkeit.

irs
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