Eichinger war "Maniac im positiven Sinn"

Dieter Kosslick im Gespräch mit Vladimir Balzer · 25.01.2011
Für Dieter Kosslick hat Deutschland mit Bernd Eichinger "einen der wichtigsten Leute, die in Deutschland Filme gemacht haben", verloren. Er sei "ein toller Typ" gewesen, der "wirklich einen Riecher für den Kommerz" hatte.
Vladimir Balzer: Von "Christiane F." über "Der Name der Rose", die "Unendliche Geschichte" bis hin zu "Manta, Manta" und auch den "Baader Meinhof Komplex" - Oscar-nominiert, preisüberschüttet - Bernd Eichinger; aber von der Kritik oft genug als jemand gescholten, der allzu sehr auf den Kommerz schaut und weniger auf das künstlerische Profil. In jedem Fall der wichtigste Produzent, den das deutsche Nachkriegskino auch international hatte. Und verbunden war Eichinger immer mit München, dort war seine Produktionsfirma Constantin, dort spielten auch Filme wie "Rossini". Und er war, tja, so eine Art oberster Repräsentant der Münchner Filmsociety.

Ein Mann, der durchaus, wie gesagt, auch umstritten war, weil er eben auf den kommerziellen Erfolg großen Wert legte. Kritiker bescheinigten ihm seinen Arbeiten oft zu geringes künstlerisches Profil. Am Telefon ist jetzt Dieter Kosslick, der Chef der Berlinale, die ja demnächst wieder beginnt. Wen verliert der Film mit Bernd Eichinger?

Kosslick: Na ja, also schon einen der wichtigsten Leute, die in Deutschland Filme gemacht haben. Wenn Sie sagen umstritten, ja, Bernd Eichinger war umstritten, weil der war irgendwie so speziell und der war irgendwie alles, der war so normal. Es war so ein Kumpel, der war Hollywood, der ist irgendwie geflogen, erster Klasse, der hatte einen extra Platz, wie wir wissen, im Rossini, diesem berühmten Lokal in München, wo immer freigehalten worden ist am Tisch. Daneben saß Dietl, dort haben sie jahrelang zelebriert, es war auch ein Meister des Zelebrierens.

Übrigens, ganz interessant: Ich war da mal aus Versehen auf seinem Platz gesessen in München im Rossini – ich kannte dieses Lokal, weil ich dort studiert habe –, und da war gleich die Hölle los. Und als dann Eichinger kam, hat er mich mal kurz vom Platz weggedrückt an einen anderen Tisch, aber hat dann die teuerste Flasche Champagner an den Tisch stellen lassen. Also er war … ich finde nicht, dass er widersprüchlich war, sondern das war so jemand, der wirklich jede Linie des Lebens ausgelebt hat.

Balzer: Es fällt auf, dass Sie jetzt gleich zu Beginn des Gesprächs eher auf die Person Eichinger zu sprechen kommen, auf seine Rolle, ich sag mal in der Filmsociety, und gar nicht sozusagen seine Filmverdienste gleich in den Vordergrund stellen.

Kosslick: Na ja, seine Filmverdienste, die sind ja klar. Ich meine, wer hatte sich schon getraut, "Das Parfum" zu machen, wer hatte sich schon getraut, "Frau Smilla und der Schnee" zu machen, wer hatte sich schon getraut, diese ganzen Filme zu machen, die Eichinger berühmt gemacht haben, "Der Untergang", Oscar-nominiert. Also ich meine, er war wirklich der Risikomensch. Er war ja so undeutsch deutsch, muss man sagen. Er hat das alles, diese ganzen Hollywood-Geschichten, antizipiert und hat es gelebt und hat das System Eichinger gelebt, was ein großzügiges System übrigens war.

Und ich weiß nicht, mir ist vorhin nur eingefallen, als ich da drüber nachgedacht habe, als ich das gar nicht glauben konnte, weil der ist ein Jahr jünger als ich, ja – mir ist nur eingefallen, das ist so der legitimen Nachfolger des neuen deutschen Films von Horst Wendlandt, das waren solche Typen, die da irgendwie saßen, die irgendwie auch archaische Entscheidungen getroffen haben, und er, auch Bücher geschrieben, Bücher redigiert, dann auch noch Regie geführt, richtige Tycoone könnte man sagen. Das war bestimmt ein deutscher Tycoon und vielleicht unser letzter. Ich weiß gar nicht, wer so was überhaupt noch machen soll, wir haben so was nicht.

Balzer: Sie haben vom System Eichinger gesprochen, was genau meinen Sie damit?

Kosslick: Na ja, das war schon etwas, wo das große Rad gedreht worden ist. Also um große Filme zu machen, muss man ja auch nicht nur ein großes Herz haben, sondern auch eine große Organisationsform haben. Sie können nicht einfach die Weltstars für einen Film vereinigen und sagen dann, na ja, das war sehr nett und vielen Dank und wir machen jetzt noch eine kleine Party. Also, ich mein, da müssen Sie schon einen großen Atem haben, eine Vision haben, Sie müssen vom Drehbuch überzeugt sein, was übrigens auch etwas war, was Eichinger war, vom Drehbuch überzeugt. Er war ein Drehbuchleser, ein Drehbuchfresser – ich mag diesen Ausdruck nicht, aber das war er –, und das war ein richtiger Produzent, aber nicht in diesem alten Sinne, sondern in diesem mittelmodernen Sinne. Das war so jemand, der, ja, so eine andere Form drauf hatte.

Wenn man mit ihm zusammen war, was ich nicht so oft, aber ab und zu mal war, sehr freundlich, sehr "du bist mein Freund", und ja, der hat es irgendwie gemocht, auch wenn andere Leute Erfolg hatten, und er hat es gehasst, wenn er keinen hatte. Und ich finde, dass es sehr symptomatisch war, wie sehr er sich gefreut hat, als er den Ehrenpreis des Deutschen Filmpreises bekam …

Balzer: Im letzten Jahr.

Kosslick: Ja, im letzten Jahr … wo man wirklich gesehen hat, er ist auch in dieser Szene hier verankert und er braucht diese Anerkennung, obwohl er viel größer war als jeder Schuh, der da rumstand, aber er brauchte diese Anerkennung. Er wollte … ich war an diesem Abend dabei, als er nicht den ersten Preis bekommen hat für Tom Tykwers "Parfum", also als Produzent, und wie enttäuscht er da war. Also er wollte auch Teil dieses Systems, dieses deutschen Systems sein und nicht nur der Hollywood-Fredis, wo er sowieso seinen Teil geliefert hat.

Balzer: War das denn im letzten Jahr, dieser Ehrenpreis, war das auch eine Art Versöhnung mit der deutschen Filmszene?

Kosslick: Ja.

Balzer: Denn ich meine, das Verhältnis war ja eher gespalten. Der große, der kommerziell Erfolgreiche, der Großproduzent, der internationale Megaproduzent, und dennoch, die Kritik sagte ihm nach, beim Künstlerischen hat es oft gemangelt.

Kosslick: Ach ja, das ist natürlich alles auch Hin und Her und Her und Hin, ja. Das war ein großartiger Typ, der hat großartige Geschichten gemacht, und dann werden Sie halt nicht belohnt. Er hat mitgeholfen und war einer der treibenden Kräfte für den Deutschen Filmpreis, und dann, ein-, zweimal ging es gut, dass er nichts bekommen hat, aber bei "Parfum", das hat er, glaube ich, überhaupt gar nicht verstanden.

Und dann war das, wie Sie sagen, schon eine Art von Versöhnung, dass es dann jetzt geklappt hat, ihm das zu geben.

Wissen Sie, was ein Maniac ist? Ein Maniac ist jemand, der das unbedingt machen will, was er denkt, und das war ein Maniac im positiven Sinn. Also das war ein toller Typ, der einfach Filme machen wollte. Und er hatte auch – und das darf man nicht vergessen – er hatte wirklich einen Riecher für den Kommerz, also dass die Leute ins Kino gehen. Und ich glaube, er war eine stabile Säule der deutschen Filmindustrie. Er hat es wirklich auch als Industrie gesehen, und da muss man Geld verdienen, da muss man viel Geld verdienen, und er hat extrem viel Geld verdient, nicht nur für sich, sondern auch für die Firma.

Balzer: Vor allem auch so in den 90er Jahren mit deutschen Großkomödien, die man vorher so in der Form noch gar nicht gesehen hatte. "Manta, Manta", "Der bewegte Mann", "Werner – Beinhart!" – das war, ich sag mal so deutsches Popcorn-Kino, Unterhaltungsfilm, groß produziert, aber es gab immer noch kulturelle Vorbehalte gegenüber Bernd Eichinger.

Kosslick: Ja, das ist halt so. Ich meine, Sie wissen, dass die Deutschen den Humor zwar nicht erfunden haben, wir versuchen zurückzuholen, was geht, ja, aber so einfach ist es nicht. Er hat auch "Christiane F." gemacht. Ich möchte mal da dran erinnern, die Szene am Bahnhof Zoo, so hieß ja auch der Film, das hervorzuholen, hervorzuholen, was da eigentlich abläuft in Berlin, und auf die soziologischen Hintergründe … das war eine Geschichte von Kai Hermann, von diesem "konkret"-Journalisten, was er schon recherchiert hatte. Eichinger war nicht nur einer, der jetzt "ey du und so", wie man ihn dann so teilweise eingeschätzt hat. Das war auch schon einer, der wusste, wo es längs ging, aber der wusste auch, dass man nicht nur das Problem der Fixer aufzeigt, sondern dass man das Problem auch kommerziell im besten Sinne aufzeigt, dass viele Leute da reingehen und es sehen und dieses Schicksal, dieses Mädchen sehen und überhaupt diese Szene sehen.

Also, den kann man nicht reduzieren auf wir machen mal schnell einen witzigen Film und das war’s und wir sind kommerziell. Der wusste ja auch schon ganz genau, wie die soziologischen Daten oder wie sag ich mal, wie unser Deutschland funktioniert, und hat da draus Filme gemacht. Und für mich ist immer noch "Rossini" eigentlich der beste Film, weil der ja auch übers Filmgeschäft geht, und da kann ja einer, hat man ja gesehen, dass er auch Humor hat, dass er über sich selbst lachen konnte, weil ohne, dass er es wirklich wusste, war er natürlich auch ein Hauptdarsteller dieses Films. Natürlich wusste er das, aber ohne dass man das so gesehen hat, war er ein Hauptdarsteller dieses Films. Meiner Meinung nach immer noch in der Szene, wo die drei Bankbeamten von der Regionalbank im Hunsrück im Rossini vorm Tisch standen, und der sagte zu ihm: "Was wollt ihr eigentlich, gib mir noch ein paar Millionen, und dann läuft die Kiste, und dann schert euch hier weg, sonst lass ich euch gar nicht an meinen Tisch." Das war auch sein Leben. Ich meine, diese kleinen Kriecher, ich meine, wenn ich das große Rad drehe, dann kann ich jetzt nicht nur aufpassen, ob noch ein Bedenkenträger in der Gegend steht.

Balzer: Sie haben "Christiane F." erwähnt, "Die Kinder vom Bahnhof Zoo", dieser Film. Es geht ja noch weiter zurück in den 70er Jahren, er hat doch früher Filme von Wim Wenders produziert und für Edgar Reitz, Alexander Kluge. Sollte ihm der deutsche Autorenfilm vielleicht auch noch dankbarer sein, als er es eigentlich war?

Kosslick: Na, ich glaube, die, die Sie jetzt gerade erwähnt haben, die sind dem Eichinger dankbar. Der Eichinger war die kommerzielle Ausprägung des deutschen Films, ja, oder dieser Szene, die Sie gerade schildern, das war ja in den 70er, 80er Jahren. Und ich erinnere mich noch, ich hab in München studiert, ich lebte in der Blütenstraße, gegenüber war der kleine Bungalow, wo Wim Wenders geflippert hat und diese ganzen Leute, und Eichinger war immer so der, der es irgendwie macht.

Und ja, das war die kommerzielle Ausprägung, aber kommerziell nicht in diesem negativen Sinn verstanden, wie wir das immer verstehen, sondern er wusste, er hatte diesen berühmten Riecher, wie man aus Filmstoffen nicht nur tolle Filme machen konnte, sondern auch Geld. Und viele Leute sagen ja, das wäre nichts Schlimmes. Ich sage auch, das ist nichts Schlimmes.

Balzer: Das Verhältnis von Bernd Eichinger zur Berlinale – und das betrifft ja Sie auch ganz konkret, Dieter Kosslick als der Chef der Berlinale – war ja auch nie so ganz einfach. Wenn man mal zurückschaut, gab es mal einen Silbernen Bären 1993 für "Der Zementgarten", der Film "Elementarteilchen" war mal auf der Berlinale vertreten.

Kosslick: Noch zu meiner Zeit, ja.

Balzer: Aber sonst, in den letzten 30, 40 Jahren, wo Bernd Eichinger ja aktiv war für den deutschen Film, ist das Verhältnis Berlinale – Eichinger eher gebrochen, oder?

Kosslick: Ja, ich kann das nicht beurteilen vor meiner Zeit, das sind ja jetzt zehn Jahre, wo ich bei der Berlinale bin. Ich hatte immer ein sehr gutes Verhältnis mit ihm, und zwar auch ein angenehmes Verhältnis. Wir haben uns auch gemailt, das waren zwar extrem kurze Mails: "Hey du, vielen Dank und großartig und super". Mir hat er mal gesagt, dass er das supergut findet, wie die Berlinale jetzt läuft, weil es hat ja auch damit zu tun, dass sehr viele von den Leuten, mit denen er zusammengearbeitet hat, jetzt bei der Berlinale waren, ich meine Jeremy Thomas und all diese großen Produzenten.

Ich sag’s mal so, wie es ist: Wir hatten eigentlich auch ausgemacht, dass er mal Jury-Präsident wird noch zu meiner Zeit, das ist ihm ja jetzt vergönnt geblieben, und jetzt finde ich es auch, dass ich es ein bisschen zu spät entschieden habe. Wir hatten ein gutes Verhältnis und er mochte die Berlinale und er war auch immer da.

Balzer: Sie wollten ihn gern als Jury-Präsident haben? Es war eine Frage der Zeit.

Kosslick: Ja, wie man so redet. Wir haben gesagt, das machen wir dann auch irgendwann mal, wie das halt so ist. Das sind ja lange Planungen. Aber dass er jedes Jahr da war, das fand ich sowieso schon super, weil ich wusste – was Sie gerade auch gesagt haben –, dass es ein bisschen, sag ich mal, ein kleines Spannungsverhältnis gab mit der Berlinale. Das hängt auch damit zusammen, dass er natürlich extreme Dinge gefordert hat, wie so was aussehen soll. Jeder hat da so eine Vorstellung, es muss natürlich groß international sein, wir müssen mit Hollywood, aber auch klein und so – na ja, diese ganzen Ansprüche, die an so eine Berlinale ja auch da sind. Und da hat er auch seine Ansprüche gehabt, und er war ja auch dann sehr eigen. Wenn sie nicht erfüllt worden sind, dann hat er halt gesagt, gehör ich nicht mehr dazu.

Balzer: Haben Sie was vor bei der Berlinale, eine Retrospektive?

Kosslick: Ich glaube, wir werden einen Film zeigen zu Ehren von Bernd Eichinger. Ich meine, natürlich muss das sein, dass wir einen Film zu seinen Ehren zeigen. Das überlege ich mir noch welchen, aber ich glaube, morgen früh weiß ich das.

Balzer: Das wollte ich nämlich noch wissen, welchen Film.

Kosslick: "Rossini" wäre mein Lieblingsfilm, den ich gerne zeigen würde, weil er das Filmgeschäft so reflektiert, wo er so drin war, aber ich würde eigentlich ganz gerne noch mal "Christiane F." zeigen und so, weil das so ein kerzengerader Film ist über ein Problem, was heute nach wie vor da ist – nicht am Bahnhof Zoo, aber außerhalb des Bahnhof Zoo in der ganzen Welt –, und wo man einfach noch mal sehen kann, wie verlassen diese Menschen dann am Ende sind und welche Schicksale die erleiden.

Morgen früh muss ich mal gucken, ob ich noch das Gleiche denke. Jetzt war ich erst mal … muss ich sagen, am Tag der Oscar-Nominierung, eines seiner ganz großen Zeiten, in Hollywood, ja, am Tag der Oscar-Nominierung stirbt Bernd Eichinger. Ich weiß nicht, ob es Jesus Christus gibt, der über irgendwelche Symbole wacht, aber wenn er über irgendwelche Symbole wacht, dann hat er einen Symboltag genommen, wo Bernd Eichinger sterben sollte, denn das war ja auch eins seiner großen Ziele, den Oscar zu bekommen.