Eiermann und Henselmann
Als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmern lag, wurde grundsätzlich und reichlich verbissen über die Stadt der Zukunft gestritten. Beim Wiederaufbau gingen Ost- und Westdeutschland ganz unterschiedliche Wege. In der DDR prägten Egon Eiermann und Hermann Henselmann die architektonischen Linien.
Abends am Kurfürstendamm leuchten der Glockenturm und das Oktogon der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in einem magischen Blau. Etwas im Schatten steht der alte Turm der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.
Im Dezember 1961 wurde das Ensemble geweiht. Der Architekt war Egon Eiermann, der den kaputten Turm eigentlich gar nicht haben wollte, erzählt der Düsseldorfer Architekt Wolfgang Döring, der als junger Mann bei Egon Eiermann studiert und gearbeitet hat.
"Erst aufgrund wütender Proteste der Berliner, das alte Ding stehen zu lassen, als Erinnerung an den Krieg, ist das dann für viel Geld restauriert worden. Und dann hat er natürlich aus Jux gesagt 'Kinder lasst uns das noch ein bisschen begrünen noch, die Ruine sieht dann noch ein bisschen witziger aus'. Aber eigentlich war der Eiermann kein Architekt, der dazu angetreten ist, irgendwelche alte Dinge zu erhalten. "
Auf den ersten Zeichnungen steht der Kirchenneubau auf einer verkehrsumfluteten Insel. Doch die West-Berliner wollten keinen Neuanfang ohne Geschichte. Auf Druck einer öffentlichen Diskussion in den Medien musste Egon Eiermann seinen Bauplan revidieren.
Es war eine ganz ungewöhnliche Situation für einen Architekten, der sich sonst nur mit Auftraggebern und Bauherren streiten musste. Und so schrieb er in einem Brief an seinen Kollegen Otto Bartning.
" Wenn ich nachgegeben habe, dann deshalb, weil das Thema reizt und die Schwierigkeiten durch das Vorhandensein des alten Turmes die Aufgabe weiter erschweren. Zudem meine ich, dass ein Architekt auch die Verpflichtung hat, sich mit Forderungen auseinanderzusetzen, die vorher nicht da waren, und die er sich nie gewünscht hat. "
Solche Anmerkungen hätte sein Freund Hermann Henselmann reichlich oft machen können. Henselmann war Anfang der 60er Jahre Leiter von Architektenkollektiven in Ost-Berlin und musste sich ständig gegenüber seinem Auftrageber – den Volksvertretern der DDR und der gleichgeschalteten Presse – rechtfertigen.
Hermann Henselmann und Egon Eiermann haben beide ihre Karriere als Architekten in der Zwischenkriegszeit begonnen. Sie gehören zu der zweiten Generation der modernen Architekten, bestätigt Annemarie Jaeggi, Direktorin des Berliner Bauhaus-Archivs. Sie hat lange Zeit in Karlsruhe gelehrt, wo Egon Eiermann nach dem Zweiten Weltkrieg Professor war.
" Eiermann 1904, und ich glaube Henselmann ein Jahr später, 1905 geboren, sind natürlich in ganz anderen Selbstverständlichkeiten mit der Moderne groß geworden. Als Eiermann 20 Jahre alt war und schon im Studium der Architektur begriffen war, zeigten sich natürlich überall diese neuen Bauten, die plötzlich da waren, über die alle sprachen, die unglaublich revolutionär und modern wirkten in dieser Nachkriegszeit. Und er hat sich zum Beispiel ganz entschieden nicht dafür entschlossen, im Bauhaus zu studieren, was er ja gekonnt hätte. "
Egon Eiermann gehörte zu einer jungen Architektengeneration, die nicht blindlings ihren Lehrern folgten wollte.
" … das zeigt diese Grundhaltung, die nicht nur er hatte, sondern eine ganze Gruppe seiner Mitstudierenden. Und die haben sich ja dann zusammengetan zu einer kleinen Arbeitsgemeinschaft, und die sind von Atelier zu Atelier gegangen, bei den großen, damals großen Namen, die sind zu Erich Mendelsohn, zu Mies van der Rohe gegangen. Sie haben sich informiert aus erster Hand. Sie haben sich Bauten zeigen lassen von den Architekten und haben sehr kontrovers darüber diskutiert und fanden das zu dogmatisch. "
In den Zwischenkriegsjahren haben sich auch Egon Eiermann und Hermann Henselmann kennen gelernt. Es war eine Freundschaft zwischen zwei ungleichen Temperamenten, schreibt Irene Henselmann in ihren Lebenserinnerungen.
" Die gleiche Auffassung von Architektur war die Grundlage ihrer Freundschaft sowie ihr Alter. "
Die gleiche Auffassung von Architektur betraf die Moderne. Hermann Henselmann war von Le Corbusier fasziniert. Sein erster Bau ist eine Villa am Genfer See, die er im Stil des großen Vorbilds entwarf.
Und Egon Eiermann hatte ebenfalls ein großes Vorbild, sagt Wolfgang Döring.
" Ohne Mies gäbe es keinen Egon Eiermann, das ist einfach die Klarheit und die Liebe zum Detail, das hat er dort gesehen, und das hat er übernommen. Also noch mal: Ohne Mies keinen Eiermann und keine Fortführung einer klaren funktionalen, konstruktiv gut organisierten, gut detaillierten Architektur. "
Egon Eiermann hatte bei Hans Poelzig studiert. Gelehrt wurde solides Handwerk. Man diskutierte Grundrisse oder sprach von bequemen und unbequemen Treppen.
" Eiermann hat zuerst einmal in dem Büro eines großen Warenhauskonzerns gearbeitet und einer der ersten Bauten war eine Umspannstation, ein elektrisches Werk in Steglitz. Aber er hat danach mit seinem Kompagnon dann noch eine ganze Reihe von Einfamilienhäusern gebaut. Und es ist genau dieses Gebiet, einerseits Industriebau und andererseits Einfamilienhäuser, was dann durch die 30er Jahre hindurch weiter etablieren wird, wo er sich darauf spezialisiert. "
Dann kam das Dritte Reich, und die Architektur wurde zum Spielball politischer Ideologie. Flachdach, Fensterbänder und Dachterrassen waren plötzlich verpönt. Die Moderne geriet ins Abseits und wurde als bolschewistisch und undeutsch gebrandmarkt. In dieser Situation hielt sich Eiermann eher bedeckt.
" Ich würde Eiermann so charakterisieren, dass er bauen wollte und wollte seine Architektur bauen und wollte so wenige Kompromisse wie möglich eingehen. Es gibt durchaus mindestens ein Werk, was man nennen muss, wo er diese konkrete und sehr konsequente Linie aufgibt, das ist eine Kaserne in Rathenow, die er baut. Auf der anderen Seite hat er fulminant eine der großen Propagandaausstellungen "Gebt mir vier Jahre Zeit" – ein Zitat von Adolf Hitler – gestaltet und ist dadurch natürlich im Dienste, wenn man so will, der nationalsozialistischen Ideologie als Gestalter aufgetreten. "
Für Hermann Henselmann wurde die Situation nach 33 zunehmend schwierig, erzählt Bruno Flierl, der Henselmann seit den 50er Jahren kannte, als er Direktor des Instituts für Theorie und Geschichte der Baukunst war.
" Einmal war er wegen seiner – wie es damals hieß – rassischen Reinheit nicht integer und wie er mir erzählte deshalb nicht Mitglied in der Reichskulturkammer, und dann hatte man als Architekt also Schwierigkeiten selbstständig zu wirken. Und zweitens war er ja moderner Architekt und wollte sich aber nicht diesem üblichen nazistischen Stil anpassen. Er hat also zwei Aufgaben praktisch mitgemacht, einmal er war im Siedlungsbau, und er war aber auch im Industriebau, das heißt Industrie war damals Rüstung. Er hat also an Flugzeughallen, das weiß ich konkret, an einer Flugzeughalle in der Nähe von Prag mitgearbeitet. "
Während Egon Eiermann unter den Bedingungen des Nationalsozialismus seine Karriere fortsetzen konnte, stand Henselmann unter politischem Druck, damals hat er das Hakenschlagen gelernt.
" Er hat ihn immer benutzt, um deutlich zu machen, wenn er in der DDR mal Haken schlagen musste, dann sagte er, ich war das Hakenschlagen ja schon gewöhnt. Er war ein junger Architekt 1945, 40 Jahre, als die großen Dinge nach dem Krieg oder am Ende des Krieges auf Architekten zukamen. "
Hermann Henselmann wechselte nach Weimar, wo er im Sommer 1946 von der Thüringer Landesverwaltung mit der Reorganisation der Hochschule für Baukunst und Bildende Künste beauftragt wurde. Für Architekten war Weimar nach wie vor ein faszinierender Ort. Hier hatte Henry van der Velde gelehrt und Walter Gropius das Bauhaus gegründet, bis ihn der erzkonservative Paul Schulze-Naumburg abgelöst hatte, den nun Henselmann seinerseits beerben konnte.
" Ich bin der neue Direktor, und sie sind entlassen. "
… so kolportiert Bruno Flierl den Dienstbeginn. Bald darauf holte Henselmann zeitgenössische Künstler und ehemalige Bauhäusler an die Weimarer Hochschule, darunter auch Schüler von Johannes Itten, dem glatzköpfigen Guru aus Weimarer Bauhaus-Tagen.
" Man muss sich vorstellen, was das bedeutet 1946, wenn ein junger Professor den aus dem Krieg heimgekehrten jungen Deutschen, die gerne bauen wollten und Architektur studieren wollten, erzählt, wie das Leben sein könnte und wie es mal vor dem Krieg war, und dass nie wieder Krieg sein darf, also eine Verheißung vorgestellt zu bekommen, was Bauen heißt, nämlich auch Leben bauen, aufbauen, mit den Menschen zusammen, das war so seine Idee. "
Henselmann wollte das Bauhaus wieder beleben, doch schon bald wurde deutlich, dass die alte Gleichung aus den 20er Jahren in der DDR nichts mehr galt: Der Internationale Stil war nicht mehr identisch mit dem sozialen Fortschritt, wie das eine avantgardistische Architektenschaft in der Zwischenkriegszeit behauptet hatte. In der DDR wurde das Bauhaus zum Synonym für eine formale, imperialistische Architektur, die mit den großen Zielen des Sozialismus nicht mehr vereinbar war.
Egon Eiermann ging bald nach dem Krieg als Professor nach Karlsruhe. Sein Bedarf an politischer Auseinandersetzung war gedeckt, und er suchte sich einen unpolitischen Ort, vermutet Annemarie Jaeggi.
" Er hat eine Reihe von Rufen erhalten an Universitäten, und wenn mich nicht alles täuscht, war es Weimar, wo sich vor allem Henselmann sehr bemühte, ihn hinzuholen, es war Berlin, und ich bilde mir ein auch Hannover. Und er hat sich dann für Karlsruhe entschieden aus primär dem Grunde, dass er an die anderen Hochschulen nicht gehen wollte, weil es dort eine ganze Reihe von Altnazis gegeben hat und er ihnen nicht täglich begegnen wollte. "
Karlsruhe wurde zum Mekka für junge Architekturstudenten, die dem strengen, charismatischen Lehrer gern in den Hörsaal und sein Architekturbüro folgten, erzählt Wolfgang Döring.
" Und im Büro ging das eigentlich so weiter, das schloss sich nahtlos daran an. Er war natürlich auch dahinter her, dass man auch etwas tat. Der kam manchmal abends um zehn Uhr an auf Socken, damit wir nicht hörten, ob er kam und er hörte ob wir was taten oder quatschten. Und das ist auch Egon Eiermann. Aber es war trotzdem, er hat uns begeistert. Er hat jeden geduzt, war ganz schnell im Kopf, auch sehr schnell auch mit einem Witz dabei und konnte auch selber – und das war überzeugend – ein Detail eins zu eins an die Wand zeichnen. Und war auch ziemlich brutal in seiner Kritik, das war auch wichtig. Er hat einfach gesagt, das war gut oder das musst du in die Tonne tun Junge, übe noch mal. "
Während Eiermann in Karlsruhe seiner Arbeit nachging, sah sich
Henselmann mit politischen Forderungen konfrontiert, die seine Existenz als Architekt betrafen, erzählt Bruno Flierl.
"Es wurde in den Jahren 1950-51 eine große Kunstdiskussion in der DDR inszeniert und zwar nach sowjetischem Vorbild. Wir als neue Gesellschaft – dabei war die Gesellschaft noch gar nicht neu, sie wollte erst neu werden – könnten uns ja nicht genauso ästhetisch ausdrücken wie die andere alte Gesellschaft, die wir überholen und die fürs Kapital baut. Das muss doch anders aussehen, und wir sollen doch bekennen, dass wir hier in Deutschland bauen und in den zerstörten Städten, die in dem Krieg verloren gegangen sind, und der Verlust der alten Stadt, des Bildes der alten Stadt hat tiefe kulturelle Schäden, und wir sollten doch anknüpfen, und dieses Anknüpfen war natürlich immer so eine Sache. "
Als der Architekt Kurt Liebknecht aus der russischen Emigration zurück nach Ost-Berlin kam, wetterte er gegen das "kränkliche Bauhaus".
In der Sowjetunion wurde die Moderne schon in den 30er Jahren beiseite geschoben, als der Architekt Boris Jofan die ersten stalinistischen Häuser für Moskau entwarf. Stalin forderte von den Architekten, dass sie den Glanz und die Stärke der Sowjetmacht mit einer symbolischen, aufgeladenen Architektur feiern sollten. Damals entstanden die Hochhäuser im Zuckerbäckerstil, und es wurden die berühmten Metro-Stationen gebaut, die in barocker Prachtentfaltung mit Szenen aus dem "Großen Vaterländischen Krieg" ausgeschmückt wurden.
1950 ist eine hochrangige DDR-Delegation nach Moskau gefahren, um den sozialistischen Städtebau zu studieren. Noch im Hotel wurden Leitlinien für den künftigen Städtebau festgelegt, die am 27. Juli 1950 in Ostberlin verkündet wurden. Die "Sechzehn Grundsätze des Städtebaus" waren der sozialistische Gegenentwurf zur "Charta von Athen". Sie verpflichteten die Architekten auf die griffige Formel: Sozialistisch im Inhalt, national in der Form.
"Man muss natürlich sagen, dass dieser Druck, der auf Architekten, auf einen Architekten wie Henselmann, ausgeübt wurde, psychisch tief ging und der Entscheidungen von ihnen verlangte. Sollten sie es nicht doch versuchen, etwas Neues zu machen, das nicht aussieht wie die Vergangenheit, aber sich auch unterscheidet von dieser Modernität, die so als affektfreie Kiste ja auch nicht so emotional und inhaltlich ermutigend auf die Leute wirkt in dieser Ruinenlandschaft, muss man sich vorstellen, nach dem Krieg. Also wurde von den Architekten mit großen inneren Schmerzen und mit Schwierigkeiten der Weg versucht, eine historische Analogie zu pflegen und zu entwickeln, so dass die Kontinuität in der Stadt doch existiert. "
Bruno Flierl spricht von den Gewissensnöten der Architekten, die dem neuen Kurs bedingungslos folgen sollten. Hermann Henselmann hat die Situation damals so erlebt.
" Mir spendierte man eine ganze Seite 'Neues Deutschland': 'Professor Henselmann - der Baustil und der politische Stil', da wurde ich zur Sau gemacht. Die SED sagte: Wir bauen jetzt für die Arbeiterklasse und die Intellektuellen, nicht für das Bürgertum oder die Ausbeuter. So wütend wie ich war, meine Architekturauffassung ändern zu müssen, so begeisterte ich mich plötzlich beim 'Machen'. Jeder Mensch, der etwas erzeugt, kennt das. "
Die ersten Häuser im Nationalen Stil waren die Wohnungen an der Weberwiese. Henselmann hatte sich Schinkel als Vorbild genommen und die Berliner Bautradition mit den Forderungen des sozialistischen Wohnungsbaus zusammengebracht.
Gleich um die Ecke bauten Architekten wie Paul Ehrlich oder Richard Paulik an der neuen Stalinallee.
Marianne Wachtmann kann sich noch an das nationale Aufbauprogramm erinnern. Damals entstanden 3000 Wohnungen mit Lift, Müllschlucker und Gegensprechanlage. Paläste für die Arbeiterklasse, Luxus für die Gewinner der Aufbaulotterie und für verdiente Genossen. Und so ist die Stalinallee ihre Straße geblieben, auch wenn sie heute weit draußen in Marzahn wohnt.
" Der Baustil entsprach natürlich überhaupt nicht dem Baustil, der in Deutschland aktuell ist, sondern er kam aus der Sowjetunion damals. Und er hat also die Leute, die hier wohnten, auch etwas befremdet. Aber es war natürlich schön, dass was Neues gebaut worden ist. Und die, die hier wohnten und die schlechte Zeit mitgemacht haben, haben gedacht: Na jetzt geht's endlich aufwärts, und uns wird's auch besser gehen. "
Henselmann selbst baute erst später an der Stalinallee. Er, so erzählt Bruno Flierl, bekam den Auftrag, die beiden zentralen Plätze, den Strausberger Platz und das Frankfurter Tor zu gestalten.
" Und da hat er dann eine Architektur vorgeführt, die sich sehr unterscheidet von dem, was sonst in der Stalinallee als reiner klarer Klassizismus zu sehen war. Gar nicht sowjetisch, sondern eigentlich ein großbürgerlich-deutscher, städtischer Klassizismus, der auch im 19. Jahrhundert oder Ende des 19. Jahrhunderts hätte gebaut werden können, aber nun eben gebaut wurde als nachholende große Städtbau-Repräsentation der Gesellschaft. "
Am Frankfurter Tor setzte Henselmann mit dem Zitat der beiden Türme von Gontard am Gandarmenmarkt ein unübersehbares Zeichen.
" …, indem er also sagte, dieser Ort hier ist der Eingang in den zentralen Bereich der Stadt und da könne man ja mal ankünden, was in der Innenstadt noch alles sei, und in der Tat waren die beiden Türme auch im Krieg ausgebombt und ausgebrannt und noch nicht wieder aufgebaut, und nun standen sie als kleinere Analogie am Eingang des Zentrums und grüßten schon den Ankommenden in Berlin. "
Als Gegenmodell zur Stalinallee wurde in West-Berlin das Hansa-Viertel geplant. Auf der Internationalen Bauausstellung 1957 zeigten die Architekten der Moderne ihr Können. Walter Gropius, Alvar Aalto oder Le Corbusier haben im Berliner Tiergarten gebaut und natürlich auch Egon Eiermann.
" Eiermann ist so etwas geworden wie der Architekt des deutschen Wirtschaftswunders. Seine Art zu bauen entsprach natürlich der Vorstellung einer jungen, im Aufbau begriffenen Demokratie, die sich offen, leicht, transparent nach außen hin zeigte. Und die großen Konzerne, für die er gearbeitet hat, sind ja auch internationale Konzerne, IBM, Olivetti, die ein ganz starkes Bedürfnis nach Corporate Identity, nach guter Gestaltung und vor allem nach dem besten Architekten in den jeweiligen Ländern, wo sie sich etablieren wollten, Ausschau gehalten haben. Und ich glaube, es gab niemand besseres als Eiermann für diese Aufgabe. "
Annemarie Jaeggi erzählt von Eiermanns Nachkriegskarriere. Nach wie vor hatte er gut gefüllte Auftragsbücher, doch auch er musste auf seine Auftraggeber Rücksicht nehmen.
Etwas genervt schrieb Eiermann im Sommer 1958 an den Direktor Fritz Müller von der Merkur-Horten Warenhausgruppe.
" Wenn ich es mir so recht überlege, habe ich dort mit dem Bau des Deutschen Pavillons das gemacht, was ich für Sie nicht machen durfte, nämlich ein Warenhaus so zu bauen, wie ich es mir vorstelle: Das Ganze als große Vitrine aus Glas, als Schaufenster schlechthin. "
Doch es waren nicht nur die Bauten für die Industrie und Wirtschaft, Eiermann wurde mit seiner Architektur auch bald zum Botschafter der jungen Bundesrepublik. Im Konzert mit Kollegen wie Hans Schwippert oder Sep Ruf gab er in Bonn und im Ausland dem demokratischen Deutschland ein unverwechselbares Gesicht.
Der Pavillon für die Weltausstellung in Brüssel 1958 wurde weltweit beachtet. Und das neue Botschaftsgebäude in Washington warb als luftig-filigraner Bau für ein neues demokratisches Deutschland. Entsprechend stolz auf seinen Erfolg, schrieb Eiermann an einen Freund in London.
" Die Washingtoner wundern sich jetzt schon, was die Germanen da treiben. Denn der offizielle Stil, der da gehandhabt wird, unterscheidet sich von dem, was in Sowjetrussland passiert, nur um ganz wenige Grade. "
Aber, sagt Annemarie Jaeggi, Egon Eiermann hat stets ohne ideologischen Anspruch gebaut. Das galt auch für den "Langen Eugen", wo die Abgeordneten des Bonner Bundestags 1969 ein neues Zuhause fanden.
" Eine politische Absicht hatte er mit dieser Art zu bauen nicht. Ansonsten würde sich ja auch diese Kontinuität über die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus und die junge Demokratie der BRD, das würde sich sonst ja auch überhaupt nicht erklären. Ihm ging es in erster Linie um Architektur, und die so gut wie möglich zu machen. "
Und so war die Bauaufgabe Staatsbauten in Ost- und Westdeutschland denkbar verschieden. Es wurden jeweils ganz andere Anforderungen an den Architekten gestellt, erklärt Bruno Flierl.
" Der Zeitgeist des Bauens im Osten, im Sozialismus, Anfang der DDR, musste ja überhaupt erst gefunden, gesucht und erarbeitet werden, und das war besonders schwierig. Bei Eiermann war doch das ganz anders. Eiermann hatte in der deutschen Industrie einen seit den dreißiger Jahren schon bekannten Auftraggeber und das ging dann weiter nach dem Krieg. Und er konnte sogar jenseits der politischen Kämpfe und Institutionen Aufträge bekommen auf dem Markt der Industrie und des Bauens. Und als dann die große Aufgabe der Regierung kam, also des Bundes, ein großes Gebäudes für die Angestellten zu bauen, ja also diesen berühmten Langen Eugen, das war ja eine würdige Aufgabe, die ja unter Bürohaus und nicht unter Politik abgehandelt wurde. Während ein Regierungshochhaus für die DDR zu bauen eine politische Aufgabe war und außerdem und nebenbei auch noch eine Büroaufgabe und zum Glück hat die DDR nie Geld gehabt, das zu verwirklichen. Der Lange Eugen ist gebaut worden, das ist der Unterschied. "
Seine Vorliebe für die Moderne konnte Hermann Henselmann auf Dauer nicht verleugnen. Die Türme am Frankfurter Tor waren gerade bezogen, als der DDR-Chefarchitekt einen Vorschlag für die Bebauung der Berliner Innenstadt machte. In der Ausschreibung war ein Hochhaus für die Regierung gefordert, aber Henselmann setzte sich über die Vorgabe hinweg und schlug stattdessen einen Fernsehturm vor.
Damals kreiste der erste Sputnik im All, und Henselmann wollte ein zukunftsweisendes Zeichen setzen, das mit Fortschritt und nichts mit Parteipolitik und politischer Herrschaft zu tun hatte. Deshalb plante er einen Fernsehturm mit einer Kugel in luftiger Höhe, die an den Sputnik erinnern sollte und nannte sein provokantes Werk "Turm der Signale".
" Die Partei wollte aber keinen 'Turm der Signale', sondern ein Regierungshochhaus, und deshalb flog der Entwurf raus und wurde auch zwei Jahre lang nicht veröffentlicht, das muss man sich mal vorstellen. Das heißt, der hat richtig einen Widerstand geleistet gegen die völlig überholten Strukturen im Bauwesen und in der Ästhetik. Er hatte gerade seine Türme am Frankfurter Tor 57, 58 fertig gestellt, und sozusagen quasi als Rache, als Gegensatz hat er aus Daffke ein solches Bauwerk da inszeniert. "
" Wenn wir am Alexanderplatz sind, bauen wir wieder modern. "
…, hatte Henselmann prophezeit, und er sollte Recht behalten. Das "Haus des Lehrers" aus den frühen 60er Jahren entspricht mit seiner sachlich rationalen Eleganz schon wieder ganz den Ansprüchen einer soliden Moderne.
Und so blieb der Nationale Stil Episode. Das aufwändige Bauprogramm war auf Dauer nicht zu finanzieren. Und auch diesmal reagierte die DDR in Schlepptau der Sowjetunion, wo auf Drängen von Nikita Chruschtschow der industrielle Wohnungsbau zu Regel wurde. In der DDR überließ Henselmann den eher tristen Plattenbau seinen Kollegen und kümmerte sich selbst weiter um zeichenhafte Solitäre, die er als Signale an das Volk verstanden wissen wollte.
" Er hatte eine ganz hervorragende Art gehabt, sich immer in wichtige Aufgaben der städtebaulichen und Architekturunternehmungen der DDR einzumischen. Das wurde erleichtert dadurch, dass er in den späten 60er Jahren Chefarchitekt – die Bezeichnung musste schon bleiben – in der Bauakademie war. Und also gemäß der Funktion der Bauakademie Betreuungsaufgaben und Leitaufgaben auch in anderen DDR-Städten hatte. Realisiert wurden mit Veränderungen der große Universitätsturm in Leipzig und ein großer Wissenschaftsturm der Zeiss-Werke in Jena. Das waren zwei große Bauwerke als Stadtdominanten und waren nicht mehr Regierungshochhaus, aber auch kein Verwaltungshochhaus für Kapital- oder Wirtschaftsinstitutionen, sondern das waren Hochbauten und Zeichen der Wissenschaft. "
Doch nicht nur Hermann Henselmann, auch Egon Eiermann entwickelte einen späten Stil, der sich stark bildhaft äußerte, ohne dabei etwas Äußerliches symbolisieren zu wollen, sagt Annemarie Jaeggi.
" Seine Architektur bekommt etwas stärker als zuvor Körperliches. Das Leichte, das Elegante, das Transparente, was man immer so gerne mit seinen Bauten in Einklang bringt und sie charakterisiert, verbindet er mit einer starken großen Form. Und das sieht man vor allem bei den beiden Türmen von Olivetti in Frankfurt. Und ich weiß nicht, wie es mit Eiermann und seiner Architektur weitergegangen wäre, wenn er nicht so unvermittelt 1970 gestorben wäre, aber ich denke schon, dass er auch zu einer stärkeren Formensprache, zu einer bildhafteren Architektur gekommen wäre. "
Egon Eiermann starb früh, Hermann Henselmann ist 1995 mit 90 Jahren gestorben. Eiermann und Henselmann sind zwei deutsche Architekten, die ihre gemeinsamen Wurzeln in der Moderne der Zwischenkriegszeit haben. Sie kamen aus dem gleichen Umfeld und doch war ihr Lebensweg denkbar verschieden. Während Eiermann während der Nazidiktatur weiterbauen konnte, musste Henselmann sein eigenes Büro aufgeben und sich mit Hilfsarbeiten begnügen.
Nach dem Krieg wollte Henselmann nun endlich bauen, doch seine Überzeugung geriet in Konflikt mit der Forderung nach einer nationalen Architektur, denn die DDR hatte die Gleichung aus den 20er Jahren, die da hieß "Moderne gleich Fortschritt", aufgehoben. Die moderne Architektur sollte plötzlich reaktionär und fortschrittsfeindlich sein, weil der Staat als Bauherr das so wollte. Und eben in diesem Kontext sieht Bruno Flierl Hermann Henselmann.
"Die Frage, ob so ein Architekt wie Henselmann charakterlich gradlinig durchs Leben gekommen ist, da kann ich nur sagen, die Gradlinigkeit eines Architekten, der materiell abhängig ist von den Aufträgen und von den Realisierungsbedingungen seiner Ideen, kann überhaupt nur nach der Gradlinigkeit oder nach der Ungradlinigkeit des Auftraggebers oder der gesellschaftlichen Bedingung beurteilt werden. Und dann kommt es dann vor, dass Architekten, die das Hakenschlagen auf dem Markt oder unter staatssozialistischen usw. Bedingungen gelernt haben, natürlich sich selbst auch ironisieren und mit Zynismen in der Welt erklären. Architekten haben es nicht leicht unter Bedingungen, wo auch der Bauherr nicht emanzipiert ist, der private und der gesellschaftliche. "
In einem Brief an die Schriftstellerin Brigitte Reimann zieht Hermann Henselmann Mitte der 60er Jahre für sich selbst die Konsequenz.
" Für mich handelt es sich ganz einfach um die Erzeugung des neuen Bauherren. Der andere interessiert mich nicht mehr. "
Hermann Henselmann ist Zeit seines Lebens Sozialist geblieben, doch gerade deshalb musste er sich seinen politischen Auftraggebern fügen, die zeitweise eine ganz andere Architektur von ihm verlangten, als er eigentlich bauen wollte. Egon Eiermann blieb dieses Schicksal erspart, schon weil er stets Auftraggeber hatte, die seine moderne Architektur akzeptierten, aber auch, weil er mit seiner Architektur eine ganz andere Vorstellung von Gesellschaft und Ethik verband, die Annemarie Jaeggi so beschreibt.
"Er hatte nicht diese, ich nenn das mal eher diese plumpe Vorstellung, die ja sehr oft von Politikern und weniger oft von Architekten transportiert wird: Glas, die durchsichtig immaterielle Qualität, sei gleichzusetzen mit dem Offenlegen der Verhältnisse, mit Demokratie, so etwas finden sie bei Eiermann nicht. Wir finden aber andere Äußerungen, dass er sich Gedanken darüber macht, warum die Architektur in Skandinavien und in der Schweiz so unglaublich gute Qualitäten hat und insbesondere in der präzisen Ausarbeitung der Details, dass man sich kümmert vom Handgriff einer Tür bis zur Verarbeitung einer Leiste, damit beschäftigt er sich sehr stark, weil das sein Anspruch ist, und er meint, dass das etwas damit zu tun haben müsse, dass das Gesellschaftsformen sind, in denen die Demokratie schon lange Fuß gefasst hat und sich etabliert hat. Schwierig diese Interpretation, aber wir finden sie bei ihm, und ich denke, man kann daraus schließen, dass sein sorgfältiges Planen und Arbeiten dann auch demokratische Züge trägt. "
Im Dezember 1961 wurde das Ensemble geweiht. Der Architekt war Egon Eiermann, der den kaputten Turm eigentlich gar nicht haben wollte, erzählt der Düsseldorfer Architekt Wolfgang Döring, der als junger Mann bei Egon Eiermann studiert und gearbeitet hat.
"Erst aufgrund wütender Proteste der Berliner, das alte Ding stehen zu lassen, als Erinnerung an den Krieg, ist das dann für viel Geld restauriert worden. Und dann hat er natürlich aus Jux gesagt 'Kinder lasst uns das noch ein bisschen begrünen noch, die Ruine sieht dann noch ein bisschen witziger aus'. Aber eigentlich war der Eiermann kein Architekt, der dazu angetreten ist, irgendwelche alte Dinge zu erhalten. "
Auf den ersten Zeichnungen steht der Kirchenneubau auf einer verkehrsumfluteten Insel. Doch die West-Berliner wollten keinen Neuanfang ohne Geschichte. Auf Druck einer öffentlichen Diskussion in den Medien musste Egon Eiermann seinen Bauplan revidieren.
Es war eine ganz ungewöhnliche Situation für einen Architekten, der sich sonst nur mit Auftraggebern und Bauherren streiten musste. Und so schrieb er in einem Brief an seinen Kollegen Otto Bartning.
" Wenn ich nachgegeben habe, dann deshalb, weil das Thema reizt und die Schwierigkeiten durch das Vorhandensein des alten Turmes die Aufgabe weiter erschweren. Zudem meine ich, dass ein Architekt auch die Verpflichtung hat, sich mit Forderungen auseinanderzusetzen, die vorher nicht da waren, und die er sich nie gewünscht hat. "
Solche Anmerkungen hätte sein Freund Hermann Henselmann reichlich oft machen können. Henselmann war Anfang der 60er Jahre Leiter von Architektenkollektiven in Ost-Berlin und musste sich ständig gegenüber seinem Auftrageber – den Volksvertretern der DDR und der gleichgeschalteten Presse – rechtfertigen.
Hermann Henselmann und Egon Eiermann haben beide ihre Karriere als Architekten in der Zwischenkriegszeit begonnen. Sie gehören zu der zweiten Generation der modernen Architekten, bestätigt Annemarie Jaeggi, Direktorin des Berliner Bauhaus-Archivs. Sie hat lange Zeit in Karlsruhe gelehrt, wo Egon Eiermann nach dem Zweiten Weltkrieg Professor war.
" Eiermann 1904, und ich glaube Henselmann ein Jahr später, 1905 geboren, sind natürlich in ganz anderen Selbstverständlichkeiten mit der Moderne groß geworden. Als Eiermann 20 Jahre alt war und schon im Studium der Architektur begriffen war, zeigten sich natürlich überall diese neuen Bauten, die plötzlich da waren, über die alle sprachen, die unglaublich revolutionär und modern wirkten in dieser Nachkriegszeit. Und er hat sich zum Beispiel ganz entschieden nicht dafür entschlossen, im Bauhaus zu studieren, was er ja gekonnt hätte. "
Egon Eiermann gehörte zu einer jungen Architektengeneration, die nicht blindlings ihren Lehrern folgten wollte.
" … das zeigt diese Grundhaltung, die nicht nur er hatte, sondern eine ganze Gruppe seiner Mitstudierenden. Und die haben sich ja dann zusammengetan zu einer kleinen Arbeitsgemeinschaft, und die sind von Atelier zu Atelier gegangen, bei den großen, damals großen Namen, die sind zu Erich Mendelsohn, zu Mies van der Rohe gegangen. Sie haben sich informiert aus erster Hand. Sie haben sich Bauten zeigen lassen von den Architekten und haben sehr kontrovers darüber diskutiert und fanden das zu dogmatisch. "
In den Zwischenkriegsjahren haben sich auch Egon Eiermann und Hermann Henselmann kennen gelernt. Es war eine Freundschaft zwischen zwei ungleichen Temperamenten, schreibt Irene Henselmann in ihren Lebenserinnerungen.
" Die gleiche Auffassung von Architektur war die Grundlage ihrer Freundschaft sowie ihr Alter. "
Die gleiche Auffassung von Architektur betraf die Moderne. Hermann Henselmann war von Le Corbusier fasziniert. Sein erster Bau ist eine Villa am Genfer See, die er im Stil des großen Vorbilds entwarf.
Und Egon Eiermann hatte ebenfalls ein großes Vorbild, sagt Wolfgang Döring.
" Ohne Mies gäbe es keinen Egon Eiermann, das ist einfach die Klarheit und die Liebe zum Detail, das hat er dort gesehen, und das hat er übernommen. Also noch mal: Ohne Mies keinen Eiermann und keine Fortführung einer klaren funktionalen, konstruktiv gut organisierten, gut detaillierten Architektur. "
Egon Eiermann hatte bei Hans Poelzig studiert. Gelehrt wurde solides Handwerk. Man diskutierte Grundrisse oder sprach von bequemen und unbequemen Treppen.
" Eiermann hat zuerst einmal in dem Büro eines großen Warenhauskonzerns gearbeitet und einer der ersten Bauten war eine Umspannstation, ein elektrisches Werk in Steglitz. Aber er hat danach mit seinem Kompagnon dann noch eine ganze Reihe von Einfamilienhäusern gebaut. Und es ist genau dieses Gebiet, einerseits Industriebau und andererseits Einfamilienhäuser, was dann durch die 30er Jahre hindurch weiter etablieren wird, wo er sich darauf spezialisiert. "
Dann kam das Dritte Reich, und die Architektur wurde zum Spielball politischer Ideologie. Flachdach, Fensterbänder und Dachterrassen waren plötzlich verpönt. Die Moderne geriet ins Abseits und wurde als bolschewistisch und undeutsch gebrandmarkt. In dieser Situation hielt sich Eiermann eher bedeckt.
" Ich würde Eiermann so charakterisieren, dass er bauen wollte und wollte seine Architektur bauen und wollte so wenige Kompromisse wie möglich eingehen. Es gibt durchaus mindestens ein Werk, was man nennen muss, wo er diese konkrete und sehr konsequente Linie aufgibt, das ist eine Kaserne in Rathenow, die er baut. Auf der anderen Seite hat er fulminant eine der großen Propagandaausstellungen "Gebt mir vier Jahre Zeit" – ein Zitat von Adolf Hitler – gestaltet und ist dadurch natürlich im Dienste, wenn man so will, der nationalsozialistischen Ideologie als Gestalter aufgetreten. "
Für Hermann Henselmann wurde die Situation nach 33 zunehmend schwierig, erzählt Bruno Flierl, der Henselmann seit den 50er Jahren kannte, als er Direktor des Instituts für Theorie und Geschichte der Baukunst war.
" Einmal war er wegen seiner – wie es damals hieß – rassischen Reinheit nicht integer und wie er mir erzählte deshalb nicht Mitglied in der Reichskulturkammer, und dann hatte man als Architekt also Schwierigkeiten selbstständig zu wirken. Und zweitens war er ja moderner Architekt und wollte sich aber nicht diesem üblichen nazistischen Stil anpassen. Er hat also zwei Aufgaben praktisch mitgemacht, einmal er war im Siedlungsbau, und er war aber auch im Industriebau, das heißt Industrie war damals Rüstung. Er hat also an Flugzeughallen, das weiß ich konkret, an einer Flugzeughalle in der Nähe von Prag mitgearbeitet. "
Während Egon Eiermann unter den Bedingungen des Nationalsozialismus seine Karriere fortsetzen konnte, stand Henselmann unter politischem Druck, damals hat er das Hakenschlagen gelernt.
" Er hat ihn immer benutzt, um deutlich zu machen, wenn er in der DDR mal Haken schlagen musste, dann sagte er, ich war das Hakenschlagen ja schon gewöhnt. Er war ein junger Architekt 1945, 40 Jahre, als die großen Dinge nach dem Krieg oder am Ende des Krieges auf Architekten zukamen. "
Hermann Henselmann wechselte nach Weimar, wo er im Sommer 1946 von der Thüringer Landesverwaltung mit der Reorganisation der Hochschule für Baukunst und Bildende Künste beauftragt wurde. Für Architekten war Weimar nach wie vor ein faszinierender Ort. Hier hatte Henry van der Velde gelehrt und Walter Gropius das Bauhaus gegründet, bis ihn der erzkonservative Paul Schulze-Naumburg abgelöst hatte, den nun Henselmann seinerseits beerben konnte.
" Ich bin der neue Direktor, und sie sind entlassen. "
… so kolportiert Bruno Flierl den Dienstbeginn. Bald darauf holte Henselmann zeitgenössische Künstler und ehemalige Bauhäusler an die Weimarer Hochschule, darunter auch Schüler von Johannes Itten, dem glatzköpfigen Guru aus Weimarer Bauhaus-Tagen.
" Man muss sich vorstellen, was das bedeutet 1946, wenn ein junger Professor den aus dem Krieg heimgekehrten jungen Deutschen, die gerne bauen wollten und Architektur studieren wollten, erzählt, wie das Leben sein könnte und wie es mal vor dem Krieg war, und dass nie wieder Krieg sein darf, also eine Verheißung vorgestellt zu bekommen, was Bauen heißt, nämlich auch Leben bauen, aufbauen, mit den Menschen zusammen, das war so seine Idee. "
Henselmann wollte das Bauhaus wieder beleben, doch schon bald wurde deutlich, dass die alte Gleichung aus den 20er Jahren in der DDR nichts mehr galt: Der Internationale Stil war nicht mehr identisch mit dem sozialen Fortschritt, wie das eine avantgardistische Architektenschaft in der Zwischenkriegszeit behauptet hatte. In der DDR wurde das Bauhaus zum Synonym für eine formale, imperialistische Architektur, die mit den großen Zielen des Sozialismus nicht mehr vereinbar war.
Egon Eiermann ging bald nach dem Krieg als Professor nach Karlsruhe. Sein Bedarf an politischer Auseinandersetzung war gedeckt, und er suchte sich einen unpolitischen Ort, vermutet Annemarie Jaeggi.
" Er hat eine Reihe von Rufen erhalten an Universitäten, und wenn mich nicht alles täuscht, war es Weimar, wo sich vor allem Henselmann sehr bemühte, ihn hinzuholen, es war Berlin, und ich bilde mir ein auch Hannover. Und er hat sich dann für Karlsruhe entschieden aus primär dem Grunde, dass er an die anderen Hochschulen nicht gehen wollte, weil es dort eine ganze Reihe von Altnazis gegeben hat und er ihnen nicht täglich begegnen wollte. "
Karlsruhe wurde zum Mekka für junge Architekturstudenten, die dem strengen, charismatischen Lehrer gern in den Hörsaal und sein Architekturbüro folgten, erzählt Wolfgang Döring.
" Und im Büro ging das eigentlich so weiter, das schloss sich nahtlos daran an. Er war natürlich auch dahinter her, dass man auch etwas tat. Der kam manchmal abends um zehn Uhr an auf Socken, damit wir nicht hörten, ob er kam und er hörte ob wir was taten oder quatschten. Und das ist auch Egon Eiermann. Aber es war trotzdem, er hat uns begeistert. Er hat jeden geduzt, war ganz schnell im Kopf, auch sehr schnell auch mit einem Witz dabei und konnte auch selber – und das war überzeugend – ein Detail eins zu eins an die Wand zeichnen. Und war auch ziemlich brutal in seiner Kritik, das war auch wichtig. Er hat einfach gesagt, das war gut oder das musst du in die Tonne tun Junge, übe noch mal. "
Während Eiermann in Karlsruhe seiner Arbeit nachging, sah sich
Henselmann mit politischen Forderungen konfrontiert, die seine Existenz als Architekt betrafen, erzählt Bruno Flierl.
"Es wurde in den Jahren 1950-51 eine große Kunstdiskussion in der DDR inszeniert und zwar nach sowjetischem Vorbild. Wir als neue Gesellschaft – dabei war die Gesellschaft noch gar nicht neu, sie wollte erst neu werden – könnten uns ja nicht genauso ästhetisch ausdrücken wie die andere alte Gesellschaft, die wir überholen und die fürs Kapital baut. Das muss doch anders aussehen, und wir sollen doch bekennen, dass wir hier in Deutschland bauen und in den zerstörten Städten, die in dem Krieg verloren gegangen sind, und der Verlust der alten Stadt, des Bildes der alten Stadt hat tiefe kulturelle Schäden, und wir sollten doch anknüpfen, und dieses Anknüpfen war natürlich immer so eine Sache. "
Als der Architekt Kurt Liebknecht aus der russischen Emigration zurück nach Ost-Berlin kam, wetterte er gegen das "kränkliche Bauhaus".
In der Sowjetunion wurde die Moderne schon in den 30er Jahren beiseite geschoben, als der Architekt Boris Jofan die ersten stalinistischen Häuser für Moskau entwarf. Stalin forderte von den Architekten, dass sie den Glanz und die Stärke der Sowjetmacht mit einer symbolischen, aufgeladenen Architektur feiern sollten. Damals entstanden die Hochhäuser im Zuckerbäckerstil, und es wurden die berühmten Metro-Stationen gebaut, die in barocker Prachtentfaltung mit Szenen aus dem "Großen Vaterländischen Krieg" ausgeschmückt wurden.
1950 ist eine hochrangige DDR-Delegation nach Moskau gefahren, um den sozialistischen Städtebau zu studieren. Noch im Hotel wurden Leitlinien für den künftigen Städtebau festgelegt, die am 27. Juli 1950 in Ostberlin verkündet wurden. Die "Sechzehn Grundsätze des Städtebaus" waren der sozialistische Gegenentwurf zur "Charta von Athen". Sie verpflichteten die Architekten auf die griffige Formel: Sozialistisch im Inhalt, national in der Form.
"Man muss natürlich sagen, dass dieser Druck, der auf Architekten, auf einen Architekten wie Henselmann, ausgeübt wurde, psychisch tief ging und der Entscheidungen von ihnen verlangte. Sollten sie es nicht doch versuchen, etwas Neues zu machen, das nicht aussieht wie die Vergangenheit, aber sich auch unterscheidet von dieser Modernität, die so als affektfreie Kiste ja auch nicht so emotional und inhaltlich ermutigend auf die Leute wirkt in dieser Ruinenlandschaft, muss man sich vorstellen, nach dem Krieg. Also wurde von den Architekten mit großen inneren Schmerzen und mit Schwierigkeiten der Weg versucht, eine historische Analogie zu pflegen und zu entwickeln, so dass die Kontinuität in der Stadt doch existiert. "
Bruno Flierl spricht von den Gewissensnöten der Architekten, die dem neuen Kurs bedingungslos folgen sollten. Hermann Henselmann hat die Situation damals so erlebt.
" Mir spendierte man eine ganze Seite 'Neues Deutschland': 'Professor Henselmann - der Baustil und der politische Stil', da wurde ich zur Sau gemacht. Die SED sagte: Wir bauen jetzt für die Arbeiterklasse und die Intellektuellen, nicht für das Bürgertum oder die Ausbeuter. So wütend wie ich war, meine Architekturauffassung ändern zu müssen, so begeisterte ich mich plötzlich beim 'Machen'. Jeder Mensch, der etwas erzeugt, kennt das. "
Die ersten Häuser im Nationalen Stil waren die Wohnungen an der Weberwiese. Henselmann hatte sich Schinkel als Vorbild genommen und die Berliner Bautradition mit den Forderungen des sozialistischen Wohnungsbaus zusammengebracht.
Gleich um die Ecke bauten Architekten wie Paul Ehrlich oder Richard Paulik an der neuen Stalinallee.
Marianne Wachtmann kann sich noch an das nationale Aufbauprogramm erinnern. Damals entstanden 3000 Wohnungen mit Lift, Müllschlucker und Gegensprechanlage. Paläste für die Arbeiterklasse, Luxus für die Gewinner der Aufbaulotterie und für verdiente Genossen. Und so ist die Stalinallee ihre Straße geblieben, auch wenn sie heute weit draußen in Marzahn wohnt.
" Der Baustil entsprach natürlich überhaupt nicht dem Baustil, der in Deutschland aktuell ist, sondern er kam aus der Sowjetunion damals. Und er hat also die Leute, die hier wohnten, auch etwas befremdet. Aber es war natürlich schön, dass was Neues gebaut worden ist. Und die, die hier wohnten und die schlechte Zeit mitgemacht haben, haben gedacht: Na jetzt geht's endlich aufwärts, und uns wird's auch besser gehen. "
Henselmann selbst baute erst später an der Stalinallee. Er, so erzählt Bruno Flierl, bekam den Auftrag, die beiden zentralen Plätze, den Strausberger Platz und das Frankfurter Tor zu gestalten.
" Und da hat er dann eine Architektur vorgeführt, die sich sehr unterscheidet von dem, was sonst in der Stalinallee als reiner klarer Klassizismus zu sehen war. Gar nicht sowjetisch, sondern eigentlich ein großbürgerlich-deutscher, städtischer Klassizismus, der auch im 19. Jahrhundert oder Ende des 19. Jahrhunderts hätte gebaut werden können, aber nun eben gebaut wurde als nachholende große Städtbau-Repräsentation der Gesellschaft. "
Am Frankfurter Tor setzte Henselmann mit dem Zitat der beiden Türme von Gontard am Gandarmenmarkt ein unübersehbares Zeichen.
" …, indem er also sagte, dieser Ort hier ist der Eingang in den zentralen Bereich der Stadt und da könne man ja mal ankünden, was in der Innenstadt noch alles sei, und in der Tat waren die beiden Türme auch im Krieg ausgebombt und ausgebrannt und noch nicht wieder aufgebaut, und nun standen sie als kleinere Analogie am Eingang des Zentrums und grüßten schon den Ankommenden in Berlin. "
Als Gegenmodell zur Stalinallee wurde in West-Berlin das Hansa-Viertel geplant. Auf der Internationalen Bauausstellung 1957 zeigten die Architekten der Moderne ihr Können. Walter Gropius, Alvar Aalto oder Le Corbusier haben im Berliner Tiergarten gebaut und natürlich auch Egon Eiermann.
" Eiermann ist so etwas geworden wie der Architekt des deutschen Wirtschaftswunders. Seine Art zu bauen entsprach natürlich der Vorstellung einer jungen, im Aufbau begriffenen Demokratie, die sich offen, leicht, transparent nach außen hin zeigte. Und die großen Konzerne, für die er gearbeitet hat, sind ja auch internationale Konzerne, IBM, Olivetti, die ein ganz starkes Bedürfnis nach Corporate Identity, nach guter Gestaltung und vor allem nach dem besten Architekten in den jeweiligen Ländern, wo sie sich etablieren wollten, Ausschau gehalten haben. Und ich glaube, es gab niemand besseres als Eiermann für diese Aufgabe. "
Annemarie Jaeggi erzählt von Eiermanns Nachkriegskarriere. Nach wie vor hatte er gut gefüllte Auftragsbücher, doch auch er musste auf seine Auftraggeber Rücksicht nehmen.
Etwas genervt schrieb Eiermann im Sommer 1958 an den Direktor Fritz Müller von der Merkur-Horten Warenhausgruppe.
" Wenn ich es mir so recht überlege, habe ich dort mit dem Bau des Deutschen Pavillons das gemacht, was ich für Sie nicht machen durfte, nämlich ein Warenhaus so zu bauen, wie ich es mir vorstelle: Das Ganze als große Vitrine aus Glas, als Schaufenster schlechthin. "
Doch es waren nicht nur die Bauten für die Industrie und Wirtschaft, Eiermann wurde mit seiner Architektur auch bald zum Botschafter der jungen Bundesrepublik. Im Konzert mit Kollegen wie Hans Schwippert oder Sep Ruf gab er in Bonn und im Ausland dem demokratischen Deutschland ein unverwechselbares Gesicht.
Der Pavillon für die Weltausstellung in Brüssel 1958 wurde weltweit beachtet. Und das neue Botschaftsgebäude in Washington warb als luftig-filigraner Bau für ein neues demokratisches Deutschland. Entsprechend stolz auf seinen Erfolg, schrieb Eiermann an einen Freund in London.
" Die Washingtoner wundern sich jetzt schon, was die Germanen da treiben. Denn der offizielle Stil, der da gehandhabt wird, unterscheidet sich von dem, was in Sowjetrussland passiert, nur um ganz wenige Grade. "
Aber, sagt Annemarie Jaeggi, Egon Eiermann hat stets ohne ideologischen Anspruch gebaut. Das galt auch für den "Langen Eugen", wo die Abgeordneten des Bonner Bundestags 1969 ein neues Zuhause fanden.
" Eine politische Absicht hatte er mit dieser Art zu bauen nicht. Ansonsten würde sich ja auch diese Kontinuität über die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus und die junge Demokratie der BRD, das würde sich sonst ja auch überhaupt nicht erklären. Ihm ging es in erster Linie um Architektur, und die so gut wie möglich zu machen. "
Und so war die Bauaufgabe Staatsbauten in Ost- und Westdeutschland denkbar verschieden. Es wurden jeweils ganz andere Anforderungen an den Architekten gestellt, erklärt Bruno Flierl.
" Der Zeitgeist des Bauens im Osten, im Sozialismus, Anfang der DDR, musste ja überhaupt erst gefunden, gesucht und erarbeitet werden, und das war besonders schwierig. Bei Eiermann war doch das ganz anders. Eiermann hatte in der deutschen Industrie einen seit den dreißiger Jahren schon bekannten Auftraggeber und das ging dann weiter nach dem Krieg. Und er konnte sogar jenseits der politischen Kämpfe und Institutionen Aufträge bekommen auf dem Markt der Industrie und des Bauens. Und als dann die große Aufgabe der Regierung kam, also des Bundes, ein großes Gebäudes für die Angestellten zu bauen, ja also diesen berühmten Langen Eugen, das war ja eine würdige Aufgabe, die ja unter Bürohaus und nicht unter Politik abgehandelt wurde. Während ein Regierungshochhaus für die DDR zu bauen eine politische Aufgabe war und außerdem und nebenbei auch noch eine Büroaufgabe und zum Glück hat die DDR nie Geld gehabt, das zu verwirklichen. Der Lange Eugen ist gebaut worden, das ist der Unterschied. "
Seine Vorliebe für die Moderne konnte Hermann Henselmann auf Dauer nicht verleugnen. Die Türme am Frankfurter Tor waren gerade bezogen, als der DDR-Chefarchitekt einen Vorschlag für die Bebauung der Berliner Innenstadt machte. In der Ausschreibung war ein Hochhaus für die Regierung gefordert, aber Henselmann setzte sich über die Vorgabe hinweg und schlug stattdessen einen Fernsehturm vor.
Damals kreiste der erste Sputnik im All, und Henselmann wollte ein zukunftsweisendes Zeichen setzen, das mit Fortschritt und nichts mit Parteipolitik und politischer Herrschaft zu tun hatte. Deshalb plante er einen Fernsehturm mit einer Kugel in luftiger Höhe, die an den Sputnik erinnern sollte und nannte sein provokantes Werk "Turm der Signale".
" Die Partei wollte aber keinen 'Turm der Signale', sondern ein Regierungshochhaus, und deshalb flog der Entwurf raus und wurde auch zwei Jahre lang nicht veröffentlicht, das muss man sich mal vorstellen. Das heißt, der hat richtig einen Widerstand geleistet gegen die völlig überholten Strukturen im Bauwesen und in der Ästhetik. Er hatte gerade seine Türme am Frankfurter Tor 57, 58 fertig gestellt, und sozusagen quasi als Rache, als Gegensatz hat er aus Daffke ein solches Bauwerk da inszeniert. "
" Wenn wir am Alexanderplatz sind, bauen wir wieder modern. "
…, hatte Henselmann prophezeit, und er sollte Recht behalten. Das "Haus des Lehrers" aus den frühen 60er Jahren entspricht mit seiner sachlich rationalen Eleganz schon wieder ganz den Ansprüchen einer soliden Moderne.
Und so blieb der Nationale Stil Episode. Das aufwändige Bauprogramm war auf Dauer nicht zu finanzieren. Und auch diesmal reagierte die DDR in Schlepptau der Sowjetunion, wo auf Drängen von Nikita Chruschtschow der industrielle Wohnungsbau zu Regel wurde. In der DDR überließ Henselmann den eher tristen Plattenbau seinen Kollegen und kümmerte sich selbst weiter um zeichenhafte Solitäre, die er als Signale an das Volk verstanden wissen wollte.
" Er hatte eine ganz hervorragende Art gehabt, sich immer in wichtige Aufgaben der städtebaulichen und Architekturunternehmungen der DDR einzumischen. Das wurde erleichtert dadurch, dass er in den späten 60er Jahren Chefarchitekt – die Bezeichnung musste schon bleiben – in der Bauakademie war. Und also gemäß der Funktion der Bauakademie Betreuungsaufgaben und Leitaufgaben auch in anderen DDR-Städten hatte. Realisiert wurden mit Veränderungen der große Universitätsturm in Leipzig und ein großer Wissenschaftsturm der Zeiss-Werke in Jena. Das waren zwei große Bauwerke als Stadtdominanten und waren nicht mehr Regierungshochhaus, aber auch kein Verwaltungshochhaus für Kapital- oder Wirtschaftsinstitutionen, sondern das waren Hochbauten und Zeichen der Wissenschaft. "
Doch nicht nur Hermann Henselmann, auch Egon Eiermann entwickelte einen späten Stil, der sich stark bildhaft äußerte, ohne dabei etwas Äußerliches symbolisieren zu wollen, sagt Annemarie Jaeggi.
" Seine Architektur bekommt etwas stärker als zuvor Körperliches. Das Leichte, das Elegante, das Transparente, was man immer so gerne mit seinen Bauten in Einklang bringt und sie charakterisiert, verbindet er mit einer starken großen Form. Und das sieht man vor allem bei den beiden Türmen von Olivetti in Frankfurt. Und ich weiß nicht, wie es mit Eiermann und seiner Architektur weitergegangen wäre, wenn er nicht so unvermittelt 1970 gestorben wäre, aber ich denke schon, dass er auch zu einer stärkeren Formensprache, zu einer bildhafteren Architektur gekommen wäre. "
Egon Eiermann starb früh, Hermann Henselmann ist 1995 mit 90 Jahren gestorben. Eiermann und Henselmann sind zwei deutsche Architekten, die ihre gemeinsamen Wurzeln in der Moderne der Zwischenkriegszeit haben. Sie kamen aus dem gleichen Umfeld und doch war ihr Lebensweg denkbar verschieden. Während Eiermann während der Nazidiktatur weiterbauen konnte, musste Henselmann sein eigenes Büro aufgeben und sich mit Hilfsarbeiten begnügen.
Nach dem Krieg wollte Henselmann nun endlich bauen, doch seine Überzeugung geriet in Konflikt mit der Forderung nach einer nationalen Architektur, denn die DDR hatte die Gleichung aus den 20er Jahren, die da hieß "Moderne gleich Fortschritt", aufgehoben. Die moderne Architektur sollte plötzlich reaktionär und fortschrittsfeindlich sein, weil der Staat als Bauherr das so wollte. Und eben in diesem Kontext sieht Bruno Flierl Hermann Henselmann.
"Die Frage, ob so ein Architekt wie Henselmann charakterlich gradlinig durchs Leben gekommen ist, da kann ich nur sagen, die Gradlinigkeit eines Architekten, der materiell abhängig ist von den Aufträgen und von den Realisierungsbedingungen seiner Ideen, kann überhaupt nur nach der Gradlinigkeit oder nach der Ungradlinigkeit des Auftraggebers oder der gesellschaftlichen Bedingung beurteilt werden. Und dann kommt es dann vor, dass Architekten, die das Hakenschlagen auf dem Markt oder unter staatssozialistischen usw. Bedingungen gelernt haben, natürlich sich selbst auch ironisieren und mit Zynismen in der Welt erklären. Architekten haben es nicht leicht unter Bedingungen, wo auch der Bauherr nicht emanzipiert ist, der private und der gesellschaftliche. "
In einem Brief an die Schriftstellerin Brigitte Reimann zieht Hermann Henselmann Mitte der 60er Jahre für sich selbst die Konsequenz.
" Für mich handelt es sich ganz einfach um die Erzeugung des neuen Bauherren. Der andere interessiert mich nicht mehr. "
Hermann Henselmann ist Zeit seines Lebens Sozialist geblieben, doch gerade deshalb musste er sich seinen politischen Auftraggebern fügen, die zeitweise eine ganz andere Architektur von ihm verlangten, als er eigentlich bauen wollte. Egon Eiermann blieb dieses Schicksal erspart, schon weil er stets Auftraggeber hatte, die seine moderne Architektur akzeptierten, aber auch, weil er mit seiner Architektur eine ganz andere Vorstellung von Gesellschaft und Ethik verband, die Annemarie Jaeggi so beschreibt.
"Er hatte nicht diese, ich nenn das mal eher diese plumpe Vorstellung, die ja sehr oft von Politikern und weniger oft von Architekten transportiert wird: Glas, die durchsichtig immaterielle Qualität, sei gleichzusetzen mit dem Offenlegen der Verhältnisse, mit Demokratie, so etwas finden sie bei Eiermann nicht. Wir finden aber andere Äußerungen, dass er sich Gedanken darüber macht, warum die Architektur in Skandinavien und in der Schweiz so unglaublich gute Qualitäten hat und insbesondere in der präzisen Ausarbeitung der Details, dass man sich kümmert vom Handgriff einer Tür bis zur Verarbeitung einer Leiste, damit beschäftigt er sich sehr stark, weil das sein Anspruch ist, und er meint, dass das etwas damit zu tun haben müsse, dass das Gesellschaftsformen sind, in denen die Demokratie schon lange Fuß gefasst hat und sich etabliert hat. Schwierig diese Interpretation, aber wir finden sie bei ihm, und ich denke, man kann daraus schließen, dass sein sorgfältiges Planen und Arbeiten dann auch demokratische Züge trägt. "