Eigenleben der Bilder
"Das Leben der Bilder" nennt der amerikanische Kunsthistoriker W. J. T. Mitchell seine "Theorie der visuellen Kultur". Nun ist der Band auf Deutsch erschienen - ein Buch, mit dem Mitchell an sein 1994 erschienenes Standardwerk "Bildtheorie" anknüpft.
Folgt man der Auffassung von W. J. T. Mitchell in seinem Buch "Das Leben der Bilder", dann gibt es neben dem Wunsch, Bilder zu besitzen, auch ein Begehren der Bilder. Muss man sich in Ausstellungen also aufdringlicher Bilder erwehren, und wenn ja wie? Natürlich glaubt Mitchell nicht daran, dass Bilder etwas wollen, aber ihn interessiert, warum Menschen manchmal so handeln, "als würden sie daran glauben."
Eine Antwort auf diese Frage formuliert Mitchell in seinem Buch, das 2005 unter dem Titel "What do picture want?" erschienen ist, und das jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt: "Was Bilder also eigentlich wollen, ist, einfach danach gefragt zu werden, was sie wollen – unter der Voraussetzung, dass die Antwort sehr wohl lauten mag: überhaupt nichts." Das ist eine Einladung zum Dialog mit einem magisch aufgeladenen Objekt. Während die Frage: Was will uns der Maler sagen, verpönt ist, wird die Frage: Was wollen die Bilder? durch den Fragenden geadelt. Der Verfasser des Buches ist Professor für Anglistik und Kunstgeschichte an der Universität von Chicago und Begründer des "pictorial turn". Mitchell sprach nach dem "linguistic turn" als einer der ersten von der "Wendung zum Visuellen."
Dass Bildern ein bestimmtes Wollen eingeschrieben sein kann, belegt Mitchell, indem er u.a. James Montgomery Flaggs Bild "Uncle Sam" anführt. Diese Bild wendet sich mit seiner unmissverständlichen Aufforderung "I want you for U.S. Army" an Männer im wehpflichtigen Alter zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Eindeutig formuliert das Bild gegenüber seinem Betrachter ein Begehren, wenn er zu der intendierten Zielgruppe gehört. Dass es sich bei diesem Bild – zahlreiche andere ließen sich diesem Beispiel an die Seite stellen – um Propaganda handelt, klammert Mitchell aus. Er untersucht nicht die Absicht, die sich schließlich im Bild manifestiert, sondern betrachtet das Bild als Objekt. Als Objekt beansprucht es einen bestimmten Raum, ein Medium, um leben zu können. Diesen drei Momenten – Bild, Objekt und Medium – gilt Mitchells Aufmerksamkeit. Dabei ist auffällig, dass ihn zwar die Betrachter, aber weniger die Künstler interessieren. Seine Belebung des Bildes – Bilder stellen so etwas wie "Lebensformen" dar, "die durch Begierden, Sehnsüchte angetrieben werden" – geht einher mit einer Negierung des Künstlers.
Das vorliegende Buch "Das Leben der Bilder", bei dem es sich um eine Fortsetzung seines Buches "Picture Theory" von 1994 handelt, ist auf der Grundlage von verschiedenen Aufsätzen entstanden, die Mitchell in den letzten zehn Jahren zu diesem Thema geschrieben hat. Leider merkt man das dem Buch an, in dem es zahlreiche Wiederholungen und manchmal unpassende Vergleiche gibt. So geht Mitchell davon aus, dass das Geschlecht der Bilder weiblich sei und Bilder mit Schwarzen zu vergleichen sind ("Wenn Bilder nun Personen sind, dann sind sie farbige bzw. gezeichnete Personen"). Mitchell zieht hier eine konsequente, sich aus seiner Theorie herleitende Parallele, die dennoch fragwürdig erscheint. Überzeugend ist Mitchell in jenen Passagen des Buches, in denen er Symbole – er zeigt es an den Twintowers und am Bild des geklonten Schafes Dolly – einer Interpretation unterzieht und danach fragt, welche Formen von Wut, Hass und Aggression diese Symbole auszulösen in der Lage sind.
Ein Buch, das man mit eher zwiespältigen Gefühlen aus der Hand legt, weil sich der Autor zu sehr mit anderen Theorien auseinandersetzt und dabei die überzeugende Absicherung und Begründung seiner eigenen vernachlässigt.
Rezensiert von Michael Opitz
W. J. T. Mitchell: Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur
Mit einem Vorwort von Hans Belting
Aus dem Englischen von Achim Eschbach, Anna-Victoria Eschbach und Mark Halawa
Verlag C.H. Beck, München 2008, 262 Seiten, 16,95 Euro
Eine Antwort auf diese Frage formuliert Mitchell in seinem Buch, das 2005 unter dem Titel "What do picture want?" erschienen ist, und das jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt: "Was Bilder also eigentlich wollen, ist, einfach danach gefragt zu werden, was sie wollen – unter der Voraussetzung, dass die Antwort sehr wohl lauten mag: überhaupt nichts." Das ist eine Einladung zum Dialog mit einem magisch aufgeladenen Objekt. Während die Frage: Was will uns der Maler sagen, verpönt ist, wird die Frage: Was wollen die Bilder? durch den Fragenden geadelt. Der Verfasser des Buches ist Professor für Anglistik und Kunstgeschichte an der Universität von Chicago und Begründer des "pictorial turn". Mitchell sprach nach dem "linguistic turn" als einer der ersten von der "Wendung zum Visuellen."
Dass Bildern ein bestimmtes Wollen eingeschrieben sein kann, belegt Mitchell, indem er u.a. James Montgomery Flaggs Bild "Uncle Sam" anführt. Diese Bild wendet sich mit seiner unmissverständlichen Aufforderung "I want you for U.S. Army" an Männer im wehpflichtigen Alter zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Eindeutig formuliert das Bild gegenüber seinem Betrachter ein Begehren, wenn er zu der intendierten Zielgruppe gehört. Dass es sich bei diesem Bild – zahlreiche andere ließen sich diesem Beispiel an die Seite stellen – um Propaganda handelt, klammert Mitchell aus. Er untersucht nicht die Absicht, die sich schließlich im Bild manifestiert, sondern betrachtet das Bild als Objekt. Als Objekt beansprucht es einen bestimmten Raum, ein Medium, um leben zu können. Diesen drei Momenten – Bild, Objekt und Medium – gilt Mitchells Aufmerksamkeit. Dabei ist auffällig, dass ihn zwar die Betrachter, aber weniger die Künstler interessieren. Seine Belebung des Bildes – Bilder stellen so etwas wie "Lebensformen" dar, "die durch Begierden, Sehnsüchte angetrieben werden" – geht einher mit einer Negierung des Künstlers.
Das vorliegende Buch "Das Leben der Bilder", bei dem es sich um eine Fortsetzung seines Buches "Picture Theory" von 1994 handelt, ist auf der Grundlage von verschiedenen Aufsätzen entstanden, die Mitchell in den letzten zehn Jahren zu diesem Thema geschrieben hat. Leider merkt man das dem Buch an, in dem es zahlreiche Wiederholungen und manchmal unpassende Vergleiche gibt. So geht Mitchell davon aus, dass das Geschlecht der Bilder weiblich sei und Bilder mit Schwarzen zu vergleichen sind ("Wenn Bilder nun Personen sind, dann sind sie farbige bzw. gezeichnete Personen"). Mitchell zieht hier eine konsequente, sich aus seiner Theorie herleitende Parallele, die dennoch fragwürdig erscheint. Überzeugend ist Mitchell in jenen Passagen des Buches, in denen er Symbole – er zeigt es an den Twintowers und am Bild des geklonten Schafes Dolly – einer Interpretation unterzieht und danach fragt, welche Formen von Wut, Hass und Aggression diese Symbole auszulösen in der Lage sind.
Ein Buch, das man mit eher zwiespältigen Gefühlen aus der Hand legt, weil sich der Autor zu sehr mit anderen Theorien auseinandersetzt und dabei die überzeugende Absicherung und Begründung seiner eigenen vernachlässigt.
Rezensiert von Michael Opitz
W. J. T. Mitchell: Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur
Mit einem Vorwort von Hans Belting
Aus dem Englischen von Achim Eschbach, Anna-Victoria Eschbach und Mark Halawa
Verlag C.H. Beck, München 2008, 262 Seiten, 16,95 Euro