Eigenständige Neuinterpretation eines Thrillers
Stieg Larssons "Milennium"-Trilogie war überaus erfolgreich. Nach den Verfilmungen erscheint jetzt die Hörspielfassung des ersten Romans. Sie verdichtet das 700-Seiten-Werk und bietet eine spannende eigenständige Fassung des Thrillers um einen Serienmörder.
Eine Frau ist verschwunden. Jahrzehnte ist das her.
"Es wiederholte sich Jahr für Jahr an seinem Geburtstag.
- Hallo! -
So auch an seinem 82.
- Ist angekommen. -
So wie das Päckchen bei ihm angekommen war, griff der Empfänger zum Telefonhörer ...
- Kein Brief dabei! -
und wählte die Nummer eines ehemaligen Kriminalkommissars, der sich nach seiner Pensionierung am Cilian-See niedergelassen hatte.
- Nur die Blumen, sonst nichts."
Der alte Patriarch heuert einen Journalisten an, um ein dunkles Familiengeheimnis zu klären. Stammen die Blumen von seiner tot geglaubten Nichte? So fängt Mikael Blomkvist an, in den Gewölben des Industriellen-Clans zu graben. Mikael Blomkvist ist ein Teil eines erstaunlichen Ermittlerteams. Der zweite Teil: eine junge Frau, Computerhackerin.
"Guten Morgen, Frau Salander, darf ich reinkommen? - Stop, stop, Sie können hier nicht reinstiefeln, als würden Sie hier wohnen, verdammt noch mal. Wir kennen uns ja nicht mal. - Falsch! Sie kennen mich besser als die meisten anderen Menschen. - Ich habe nur meinen Job gemacht."
Michael Blomkvist, im dreiteiligen Hörspiel gespielt von Sylvester Groth, ist moralisch integrer Journalist. Lisbeth Salander - Anna Thalbach -, ist ganz anders. Aber – eben - Gegensätze ziehen sich an.
"Heimlich musterte Mikael das große Tatoo auf ihrem Rücken. - Fünf plus drei. Fünf Fälle von Harriets Liste und drei Fälle, die meiner Meinung nach auch auf dieser Liste hätten stehen müssen."
Wenn Michael Blomkvist in "Verblendung" häufig "Kalle" genannt wird nach Astrid Lindgrens "Kalle Blomkvist", dann ist eine entscheidende Spur gelegt - auch für den Charakter der Lisbeth Salander.
"Sie war eigentlich rothaarig, färbte ihr Haar jedoch pechschwarz. Sie war 24, sah aber aus wie 14. Heute trug sie einen schwarzen Rock mit ausgefranstem Saum, eine kurze, schwarze, abgewetzte Lederjacke, einen Nietengürtel, klobige Doc-Martens-Stiefel und Kniestrümpfe mit rotgrünen Querstreifen."
Das Anarchische, auch Gewalttätige und Gerechtigkeitsbesessene der punkigen Hackerin, der bei ihren Recherchen moralische Bedenken vollkommen fremd sind, das ist die Verlängerung dessen, was Astrid Lindgren in Pippi Langstrumpf angelegt hat.
"Das also ist das Fräulein Salander, die den Bericht verfasst hat.
- Lassen Sie sich von ihrer Jugend nicht täuschen, sie ist unbestritten unsere beste Ermittlerin.
- Diese Aussage war nicht übertrieben."
Einen entscheidenden Unterschied gibt es allerdings zu Astrid Lindgren: Larssons Pippi-Version ist aus dem (Kinder)Märchen in die kalte Realität gefallen. In "Verblendung" geht es um einen Serienkiller, der Frauen mordet.
"Martin Vanger hatte ein Todesbuch geführt. In seinem Laptop hatte er eine Datenbank angelegt, in der Hunderte von Frauen gespeichert waren. Er hatte seine Opfer sorgfältig katalogisiert und benotet. Er hatte die Leiden seiner Opfer kommentiert und beschrieben."
Wenn Walter Adler jetzt "Verblendung" als Hörspiel inszeniert hat, liegt die Frage nahe, wie diese unterm Strich knapp bemessenen drei Stunden Hörzeit gegenüber der Buchvorlage Bestand haben sollen? Die verblüffende Antwort: wirklich sehr gut!
Stieg Larssons Thriller ist spannend, aber nicht gerade brillant geschrieben. Da wird noch eine Recherche und eine weitere beschrieben, und Mikael Bloomkvist und Lisbeth Salander folgen einer Fährte, dann noch einer. Die 700 Seiten des Romans in 160, 170 Seiten Hörspielmanuskript zu verdichten, so etwas bedeutet in der Regel Verlust. Hier allerdings ist das Gegenteil der Fall. Das schwedische Original von "Verblendung" bedeutet übersetzt "Männer, die Frauen hassen".
"Mikael: "Er hat niemals einen Mann angefasst, außer seinem Vater. Deshalb nehme ich an, dass sein Vater ihn vergewaltigt hat. Er wurde von seinem Vater sozusagen 'gemacht'."
Lisbeth: "Blödsinn. Martin hatte wie alle anderen auch eine Chance sich zu wehren. Er hat seine Wahl getroffen. Er hat gemordet und vergewaltigt, weil es ihm gefiel."
"Martin war ein eingeschüchterter Junge und wurde von seinem Vater geprägt, so wie Gottfried von seinem Nazivater jahrelang grün und blau geschlagen wurde."
"Gottfried ist nicht das einzige Kind, das jemals misshandelt wurde. Es gibt ihm keinen Freibrief, Frauen zu ermorden. Diese Wahl hat er selbst getroffen. Und für Martin gilt genau dasselbe."
"Lisbeth, bitte. Lass uns nicht streiten."
"Ich streite nicht, ich finde es nur übel, dass Dreckschweine immer jemand haben sollen, dem sie die Schuld in die Schuhe schieben können.""
Die Linie des Frauenhasses, die Stieg Larsson von schwedischen Nazi-Rassehygienikern zu einer pervertierten Industriellenfamilie anlegt, wird im Hörspiel von Walter Adler deutlich heraus gearbeitet. In einer dichten Montage aus Dialogen, Soundtrack und Geräuschen, die "Otherland"- oder "Orientzyklus"-Regisseur Walter Adler hier einmal mehr brillant vorlegt. Und wenn man denn tatsächlich den Roman oder die Verfilmungen der Millenium-Trilogie mit diesem Hörspiel vergleicht, dann ist "Verblendung" - das Hörspiel das beste, was es hatte werden können: eine eigenständige und ungemein spannende Version des Stoffes.
Besprochen von Hartwig Tegeler
"Verblendung" - Hörspiel nach dem Roman von Stieg Larsson
3 CDs. Random House Audio
Regie: Walter Adler - Produktion: WDR - mit: Ulrich Matthes, Sylvester Groth, Anna Thalach, Jürgen Hentsch und Felix von Manteuffel u.v.a.
"Es wiederholte sich Jahr für Jahr an seinem Geburtstag.
- Hallo! -
So auch an seinem 82.
- Ist angekommen. -
So wie das Päckchen bei ihm angekommen war, griff der Empfänger zum Telefonhörer ...
- Kein Brief dabei! -
und wählte die Nummer eines ehemaligen Kriminalkommissars, der sich nach seiner Pensionierung am Cilian-See niedergelassen hatte.
- Nur die Blumen, sonst nichts."
Der alte Patriarch heuert einen Journalisten an, um ein dunkles Familiengeheimnis zu klären. Stammen die Blumen von seiner tot geglaubten Nichte? So fängt Mikael Blomkvist an, in den Gewölben des Industriellen-Clans zu graben. Mikael Blomkvist ist ein Teil eines erstaunlichen Ermittlerteams. Der zweite Teil: eine junge Frau, Computerhackerin.
"Guten Morgen, Frau Salander, darf ich reinkommen? - Stop, stop, Sie können hier nicht reinstiefeln, als würden Sie hier wohnen, verdammt noch mal. Wir kennen uns ja nicht mal. - Falsch! Sie kennen mich besser als die meisten anderen Menschen. - Ich habe nur meinen Job gemacht."
Michael Blomkvist, im dreiteiligen Hörspiel gespielt von Sylvester Groth, ist moralisch integrer Journalist. Lisbeth Salander - Anna Thalbach -, ist ganz anders. Aber – eben - Gegensätze ziehen sich an.
"Heimlich musterte Mikael das große Tatoo auf ihrem Rücken. - Fünf plus drei. Fünf Fälle von Harriets Liste und drei Fälle, die meiner Meinung nach auch auf dieser Liste hätten stehen müssen."
Wenn Michael Blomkvist in "Verblendung" häufig "Kalle" genannt wird nach Astrid Lindgrens "Kalle Blomkvist", dann ist eine entscheidende Spur gelegt - auch für den Charakter der Lisbeth Salander.
"Sie war eigentlich rothaarig, färbte ihr Haar jedoch pechschwarz. Sie war 24, sah aber aus wie 14. Heute trug sie einen schwarzen Rock mit ausgefranstem Saum, eine kurze, schwarze, abgewetzte Lederjacke, einen Nietengürtel, klobige Doc-Martens-Stiefel und Kniestrümpfe mit rotgrünen Querstreifen."
Das Anarchische, auch Gewalttätige und Gerechtigkeitsbesessene der punkigen Hackerin, der bei ihren Recherchen moralische Bedenken vollkommen fremd sind, das ist die Verlängerung dessen, was Astrid Lindgren in Pippi Langstrumpf angelegt hat.
"Das also ist das Fräulein Salander, die den Bericht verfasst hat.
- Lassen Sie sich von ihrer Jugend nicht täuschen, sie ist unbestritten unsere beste Ermittlerin.
- Diese Aussage war nicht übertrieben."
Einen entscheidenden Unterschied gibt es allerdings zu Astrid Lindgren: Larssons Pippi-Version ist aus dem (Kinder)Märchen in die kalte Realität gefallen. In "Verblendung" geht es um einen Serienkiller, der Frauen mordet.
"Martin Vanger hatte ein Todesbuch geführt. In seinem Laptop hatte er eine Datenbank angelegt, in der Hunderte von Frauen gespeichert waren. Er hatte seine Opfer sorgfältig katalogisiert und benotet. Er hatte die Leiden seiner Opfer kommentiert und beschrieben."
Wenn Walter Adler jetzt "Verblendung" als Hörspiel inszeniert hat, liegt die Frage nahe, wie diese unterm Strich knapp bemessenen drei Stunden Hörzeit gegenüber der Buchvorlage Bestand haben sollen? Die verblüffende Antwort: wirklich sehr gut!
Stieg Larssons Thriller ist spannend, aber nicht gerade brillant geschrieben. Da wird noch eine Recherche und eine weitere beschrieben, und Mikael Bloomkvist und Lisbeth Salander folgen einer Fährte, dann noch einer. Die 700 Seiten des Romans in 160, 170 Seiten Hörspielmanuskript zu verdichten, so etwas bedeutet in der Regel Verlust. Hier allerdings ist das Gegenteil der Fall. Das schwedische Original von "Verblendung" bedeutet übersetzt "Männer, die Frauen hassen".
"Mikael: "Er hat niemals einen Mann angefasst, außer seinem Vater. Deshalb nehme ich an, dass sein Vater ihn vergewaltigt hat. Er wurde von seinem Vater sozusagen 'gemacht'."
Lisbeth: "Blödsinn. Martin hatte wie alle anderen auch eine Chance sich zu wehren. Er hat seine Wahl getroffen. Er hat gemordet und vergewaltigt, weil es ihm gefiel."
"Martin war ein eingeschüchterter Junge und wurde von seinem Vater geprägt, so wie Gottfried von seinem Nazivater jahrelang grün und blau geschlagen wurde."
"Gottfried ist nicht das einzige Kind, das jemals misshandelt wurde. Es gibt ihm keinen Freibrief, Frauen zu ermorden. Diese Wahl hat er selbst getroffen. Und für Martin gilt genau dasselbe."
"Lisbeth, bitte. Lass uns nicht streiten."
"Ich streite nicht, ich finde es nur übel, dass Dreckschweine immer jemand haben sollen, dem sie die Schuld in die Schuhe schieben können.""
Die Linie des Frauenhasses, die Stieg Larsson von schwedischen Nazi-Rassehygienikern zu einer pervertierten Industriellenfamilie anlegt, wird im Hörspiel von Walter Adler deutlich heraus gearbeitet. In einer dichten Montage aus Dialogen, Soundtrack und Geräuschen, die "Otherland"- oder "Orientzyklus"-Regisseur Walter Adler hier einmal mehr brillant vorlegt. Und wenn man denn tatsächlich den Roman oder die Verfilmungen der Millenium-Trilogie mit diesem Hörspiel vergleicht, dann ist "Verblendung" - das Hörspiel das beste, was es hatte werden können: eine eigenständige und ungemein spannende Version des Stoffes.
Besprochen von Hartwig Tegeler
"Verblendung" - Hörspiel nach dem Roman von Stieg Larsson
3 CDs. Random House Audio
Regie: Walter Adler - Produktion: WDR - mit: Ulrich Matthes, Sylvester Groth, Anna Thalach, Jürgen Hentsch und Felix von Manteuffel u.v.a.