Eigenwillige Autoren, neue Sehweisen und ungewohnte Erzählrhythmen

Von Wolfgang Martin Hamdorf |
Das Filmfestival "Cinema Jove" in Valencia war eine wichtige Station auf dem Weg vieler internationaler und spanischer Regisseure. Zum 25-jährigen Bestehen widmete sich das auf den jungen Film spezialisierte Fest daher neben den Debütanten auch den gestandenen Filmemachern.
Der Film beginnt harmlos. Schulmädchen kaufen ein und unterhalten sich dabei über Männer. Aber für Konsum, Glanz und Glamour, für Handys, Schuhe und Kleider sind sie bereit alles zu tun. Das Debüt der 30-jährigen polnischen Regisseurin Kasia Roslaniec hat eine heftige gesellschaftliche Debatte in Polen ausgelöst: In "Galeriank" ("Mädchen im Kaufhaus") erzählt sie von jungen 14- bis 16-jährigen Oberschülerinnen, die sich in den neuen modernen Einkaufszentren prostituieren.

Kasia Roslaniec: "Das ist eine wirklich wichtige Geschichte. Nach der Premiere meines Films waren Leute einfach geschockt, dass es so etwas überhaupt gibt - junge Mädchen, die sich in den Shopping-Centern prostituieren, und plötzlich war das Thema in allen Medien, in den Fernsehkanälen und in den Tageszeitungen und die Universität Warschau begann ein soziologisches Forschungsprojekt. Alle Welt weiß jetzt über das Thema Bescheid. Aber keiner weiß, was man jetzt machen kann, das ist das Problem."

Die polnische Regisseurin Kasia Roslaniec wurde von der internationalen Jury mit dem Hauptpreis, der "Luna de Valencia", dem Mond von Valencia, ausgezeichnet. Bei einem brisanten Thema ist die Bildsprache des polnischen Films eher konventionell.

Einen ganz anderen Weg gingen die beiden jungen argentinischen Regisseure Miguel Baratta und Patricio Pomares. Ihr gemeinsames Debüt "El fruto" ("Die Frucht") zeigt einen alten Mann in einer kleinen verlorenen Ortschaft mit 400 Einwohnern im Herzen Argentiniens, gedreht mit Laiendarstellern aus dem Dorf. Die Regisseure haben sich ganz bewusst für einen kontemplativen, atmosphärischen und für den Zuschauer ungewohnten Erzählrhythmus entschieden, erzählt Regisseur Miguel Baratta:

"Die besondere Schwierigkeit für den Zuschauer liegt darin, sich auf den Rhythmus einzulassen. Das waren die gleichen Schwierigkeiten, die wir als Filmemacher mit dem Rhythmus dieses kleinen Dorfes hatten. Aber wenn du das erst einmal geschafft hast, dann ist es wunderbar, dann kannst auch den Film wirklich genießen, so wie wir auch heute noch dieses Dorf genießen können."

Junge Filmemacher, die gesellschaftliche Reizthemen aufgreifen oder mit neuen Sehweisen experimentieren, entsprechen dem Profil, das "Cinema Jove" sucht. Neun Filme standen im Wettbewerb um die "Luna de Valencia" - dunkle
Familiendramen, oft mit bissigem Humor aus Finnland, Dänemark, Kanada und Irland, eine skurrile Tragikomödie aus Georgien und ein französischer Film über das "enfant terrible" des Chansons, den Sänger Serge Gainsbourg, der vor knapp 20 Jahren starb.

Das Festival blickt auch zurück in die Filmgeschichte, auf besonders eigenwillige Autoren. Dieses Jahr war eine Retrospektive dem italienischen Regisseur Matteo Garrone gewidmet. Er präsentierte unter anderem seinen Film "Camorra" und wurde mit dem Ehrenpreis der Stadt Valencia ausgezeichnet.

Für den Filmhistoriker und ehemaligen Direktor des staatlichen spanischen Filminstituts Fernando Lara sind die Retrospektiven ganz eng mit der Grundidee des Festivals verbunden:

"Man könnte meinen, ein Festival, das sich dem jungen Film verschrieben hat, bräuchte keine Filme von Regisseuren zeigen, die längst nicht mehr arbeiten, oder den Höhepunkt ihrer Karriere bereits überschritten haben, aber ich glaube, es gibt einen roten Faden, der sich durch die Filmgeschichte zieht, dass die alten Filme, gewollt oder ungewollt, immer wieder auch jüngere Generationen beeinflussen. Solche Filmreihen zeigen auch Querverbindungen und Zusammenhänge, die immer wieder die weltweite Entwicklung des Films beeinflusst haben."

Ein anderer Schwerpunkt ist der Kurzfilm in allen Sparten: Fiktion, Animation, Dokumentar- und Experimentalfilm. Insgesamt waren es 67 dieses Jahr, aus 30 Ländern. Aber auch viele gestandene spanische Filmemacher kommen immer wieder nach Valencia, oft mit nostalgischen Gefühlen, erzählt der Filmkritiker und Filmemacher Antonio Llorens, einer der Gründer des Festivals:

"Viele dieser Filmemacher - wir haben ihnen dieses Jahr aus eine Retrospektive gewidmet -, etwa Alex de la Iglesia, haben nämlich hier ihre ersten Kurzfilme gezeigt und von Valencia aus ihre Karriere begonnen und das macht das Festival auch heute noch für die neuen Filmemacher interessant. Sie sehen in Valencia ein Sprungbrett für ihre Karriere."

In den 25 Jahren kamen zahlreiche Regisseure aus aller Welt zu internationaler Anerkennung und in Kontakt zu Kollegen aus ganz anderen Filmkulturen, erzählt der deutsche Filmemacher Hannes Stöhr, der dieses Jahr in einer Sonderreihe seine Berlin-Trilogie zeigte:

"Ich war hier mit meinem ersten Film 'Berlin is in Germany', damals war Raffi Pitts, der Iraner da, Andrew Dominik, der hatte den Film 'Chopper'. Der macht ja mittlerweile einen Hollywoodfilm. Sein letzter war der Western mit Brad Pitt. Dann 'los uruguayos', die aus Uruguay, Pablo Rebollo und Juan Carlos Stoll, die mit 'Whisky', ihr erster Film '25 watts', war hier, Ariel Rotter, der 2007 auf der Berlinale einen Preis gewonnen hat und die habe ich alle schon 2001 hier kennengelernt. Das heißt, man lernt sich kennen, bevor der eine berühmt oder weniger berühmt oder ein bisschen berühmt ... Das prägt einen natürlich."

Man lernt sich kennen und man tauscht sich aus und klagt sich gegenseitig sein Leid. In Podiumsdiskussionen wurde über Ausbildung, Förderung und die beruflichen und kreativen Perspektiven diskutiert, dabei schwankten die Einschätzungen zwischen Fatalismus und kreativem Optimismus:

Hannes Stöhr: "Ich will gar nicht mehr über die Krise reden, weil alle verstecken sich hinter der Krise. Aber es ist schon so, dass auch die Mittel begrenzt sind und es wird auch den kulturellen und den Kinobereich treffen. Andersrum muss ich sagen, das hat das Kino immer ausgezeichnet, dass man hier nichts geschenkt bekommt, und wenn man was zu erzählen hat, dann geht es auch weiter."