Eile ist bei der Endlager-Suche "nicht angemessen"
Die Grünen-Politikerin Rebecca Harms lobt den erzielten Kompromiss zur Atommüllendlager-Suche als "vernünftige Entscheidung". Es gehe darum, die Chancen einer "plural besetzten" Enquête-Kommission zu nutzen.
Gabi Wuttke: Das Endlagersuchgesetz - es nimmt Gestalt an. Stefan Maas berichtete. Und am Telefon ist um 7.49 Uhr Rebecca Harms: Vor 35 Jahren gehörte Sie zu den Gründerinnen der Bürgerinitiative gegen ein Atommüllendlager in Gorleben, heute ist sie die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Schönen guten Morgen, Frau Harms!
Rebecca Harms: Guten Morgen!
Wuttke: Für Ihren Parteikollegen Jürgen Trittin – wir haben es gerade gehört – ist der Kompromiss, diese Vereinbarung, der gestern getroffen wurde, ein großer Erfolg der Anti-Atom-Bewegung. Für Sie nicht?
Harms: Also ich sehe das eher als eine vernünftige Entscheidung, diese Enquête-Kommission jetzt einzusetzen, eine Entscheidung, die allerdings seit langer Zeit überfällig ist. Jürgen Trittin wird sich ja selber auch erinnern, wie schwierig das war nach dem Ak End, also dem Arbeitskreis Endlagerung, den er eingesetzt hatte, ein Endlagersuchgesetz auf den Weg zu bringen. Er ist daran gescheitert. Dieses ist jetzt ein neuer Versuch mit der Enquête-Kommission, für einen vernünftigen Neuanfang zu sorgen. Garantiert, dass am Ende ein besserer Weg beschritten wird, ist damit aber noch nicht.
Wuttke: Kann denn ein besserer Weg beschritten werden? Sie sind ja immer dafür gewesen, dass sich alle Seiten beim Atomausstieg gütlich miteinander einigen. Wenn es jetzt im Bundesumweltministerium nachzulesen ist, dass die Kommission aus 24 Personen bestehen soll, Abgeordnete, Vertreter und Vertreterinnen von Umweltverbänden, Religionsgemeinschaften, Wissenschaft, Wirtschaft und Gewerkschaften - und die AKW-Betreiber sind nicht dabei?
Harms: Ehrlich gesagt, ich weiß noch nicht, wer für diese Positionen, die Sie da genannt haben, dann ins Rennen geschickt wird. Wenn da steht, Wirtschaft, dann kann das natürlich auch die Atomindustrie sein. Ich würde das nicht ausschließen, im Gegenteil, ich würde sogar denken, dass es Sinn macht, alle zu beteiligen.
Allerdings ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg dieser Kommission, dass alle Beteiligten ein Stück weit auch dem anderen am Tisch mit so einer Art neuem Vertrauen begegnen. Das heißt: Wir müssen tatsächlich zusammen gewährleisten, dass ein besseres Verfahren zur Suche nach einem wirklich geeigneten Endlager für diesen wahnsinnig gefährlichen Müll garantiert wird.
Wuttke: Inwiefern gab es denn in der Vergangenheit für Sie kein Vertrauen?
Harms: Das ganze Verfahren zu Gorleben: Die Gorleben-Geschichte ist doch eine Geschichte, die, ja, kurz zusammengefasst, nichts anderes gemacht hat als das Vertrauen zwischen Bürgern und Staat und Bürgern und Industrie zerstört hat. In Gorleben ist es so gewesen, dass ohne tatsächlichen Vergleich von Standorten die Entscheidung für den Salzstock getroffen worden ist.
Man hat Kriterien verkündet Mitte der 70er-Jahre, die Eignungskriterien sein sollten. Als klar war, die werden nicht erfüllt, hat man sich drüber hinweggesetzt und den Begriff der Eignungshöffigkeit erfunden. Mit dem Begriff, der nur für Gorleben geschaffen wurde, wird noch heute an dem Standort festgehalten.
Wuttke: Kommen wir doch noch mal auf Gorleben zu sprechen. Sie sagen, das ist eine realistische Vereinbarung. Richtig glücklich wirken Sie dabei nicht. Kann man aber jetzt schon mal positiv festhalten: Gorleben verdankt den Grünen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein für Jahrzehnte Ruhe vor Castortransporten?
Harms: Die Transporte, die noch nach Gorleben gehen sollen, das sind zwischen 20 und 30 Behältern. Es ist gut, dass diese Behälter aus Großbritannien und aus Frankreich jetzt nicht noch zusätzlich in Gorleben eine Vorfestlegung auf die Endlagerung schaffen. Es ist gut, dass mit dieser neuen Lastenteilung signalisiert wird, dass auch Wege von Gorleben wegführen.
Aber das ist natürlich nur eine Sache, die für neues Vertrauen auch in der Region Gorleben auf einen Neuanfang schaffen kann. Eigentlich geht es darum, wie man einen ungeeigneten Standort - und auch Peter Altmaier sagt, zu 95 Prozent steht fest, dass Gorleben ausscheidet -, eigentlich geht es immer noch um diese Frage, wie man einen solchen ungeeigneten Standort in diesem Verfahren behandeln soll, das doch dafür gemacht wird, den besten Standort zu finden. Das ist tatsächlich eine Belastung für den Neuanfang.
Wuttke: Den besten Standort zu finden, dafür sind jetzt zwei Milliarden Euro im Gespräch, eine Summe, die unwidersprochen auch vom Bundesumweltministerium weitergetragen wird. Halten Sie diese Summe für realistisch?
Harms: Ich kann mir schon vorstellen, dass es darauf hinausläuft, wenn man das macht, was notwendig ist, nämlich am Ende mehrere Standorte tatsächlich tief zu erkunden. Dazu muss man nicht Bergwerke bauen, die Endlagerbergwerk-fähig sind wie in Gorleben, aber man muss da schon investieren. Man muss auch in Forschung und Bewertung noch erheblich investieren. Aber ich finde das auch nicht zu viel.
Also, ich habe in Niedersachsen mich auch seit den 90er-Jahren mit der Asse beschäftigt. Jetzt am Ende sind viel zu spät die Konsequenzen aus diesem falschen Vorgehen in der Asse gezogen worden. Alleine die Sanierung der Asse wird mindestens drei Milliarden kosten, und in der Asse lagert, sagen wir mal, über den Daumen ein Hundertstel des radioaktiven Inventars, das in einem Castorbehälter steckt.
Wuttke: Das muss man sich vorstellen. Wir sind ja nun in den Zeiten des Bundestagswahlkampfs. Noch bis zum September soll das Suchgesetz stehen. Ist das genügend Zeit, um die Vertrauensbasis zu schaffen, die Sie in der Vergangenheit vermisst haben, oder ist das hier ein wahlkämpferischer Schweinsgalopp?
Harms: Also ich betone in den letzten Tagen, seit ich die Entwicklung um den Kompromiss kenne, immer wieder, dass ich richtig finde, wenn die Enquête-Kommission einen guten Auftrag bekommt - und das sieht im Moment wirklich ja gut aus - und plural besetzt wird, dass man diese Chance der Enquête-Kommission nutzen muss. Was ich nach wie vor als schwierig ansehe, ist, dass die Enquête-Kommission arbeitet und das Gesetz vorher schon in vielen Details ausformuliert wird.
Viel vernünftiger wäre es gewesen, ein Rahmengesetz zu machen und nach der Enquête-Kommission dann dieses Gesetz vernünftig auszugestalten. Dafür gibt es in der deutschen Politik – weder auf der Ebene der Bundesländer noch im Bundestag – im Moment Mehrheiten, dafür gibt es nicht die Bereitschaft. Man sagt, man hat dafür keine Zeit.
Und also eilige Entscheidungen, diese Entscheidungen im berühmten Berliner Galopp, die sind eigentlich der Sache nicht angemessen. Ich hoffe, dass es der Enquête-Kommission auch gelingt, genügend Ruhe für diese schwierigen Entscheidungen, die da anstehen, aufzubringen.
Wuttke: Sagt Rebecca Harms, die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Ich danke Ihnen! Schönen Tag!
Harms: Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Rebecca Harms: Guten Morgen!
Wuttke: Für Ihren Parteikollegen Jürgen Trittin – wir haben es gerade gehört – ist der Kompromiss, diese Vereinbarung, der gestern getroffen wurde, ein großer Erfolg der Anti-Atom-Bewegung. Für Sie nicht?
Harms: Also ich sehe das eher als eine vernünftige Entscheidung, diese Enquête-Kommission jetzt einzusetzen, eine Entscheidung, die allerdings seit langer Zeit überfällig ist. Jürgen Trittin wird sich ja selber auch erinnern, wie schwierig das war nach dem Ak End, also dem Arbeitskreis Endlagerung, den er eingesetzt hatte, ein Endlagersuchgesetz auf den Weg zu bringen. Er ist daran gescheitert. Dieses ist jetzt ein neuer Versuch mit der Enquête-Kommission, für einen vernünftigen Neuanfang zu sorgen. Garantiert, dass am Ende ein besserer Weg beschritten wird, ist damit aber noch nicht.
Wuttke: Kann denn ein besserer Weg beschritten werden? Sie sind ja immer dafür gewesen, dass sich alle Seiten beim Atomausstieg gütlich miteinander einigen. Wenn es jetzt im Bundesumweltministerium nachzulesen ist, dass die Kommission aus 24 Personen bestehen soll, Abgeordnete, Vertreter und Vertreterinnen von Umweltverbänden, Religionsgemeinschaften, Wissenschaft, Wirtschaft und Gewerkschaften - und die AKW-Betreiber sind nicht dabei?
Harms: Ehrlich gesagt, ich weiß noch nicht, wer für diese Positionen, die Sie da genannt haben, dann ins Rennen geschickt wird. Wenn da steht, Wirtschaft, dann kann das natürlich auch die Atomindustrie sein. Ich würde das nicht ausschließen, im Gegenteil, ich würde sogar denken, dass es Sinn macht, alle zu beteiligen.
Allerdings ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg dieser Kommission, dass alle Beteiligten ein Stück weit auch dem anderen am Tisch mit so einer Art neuem Vertrauen begegnen. Das heißt: Wir müssen tatsächlich zusammen gewährleisten, dass ein besseres Verfahren zur Suche nach einem wirklich geeigneten Endlager für diesen wahnsinnig gefährlichen Müll garantiert wird.
Wuttke: Inwiefern gab es denn in der Vergangenheit für Sie kein Vertrauen?
Harms: Das ganze Verfahren zu Gorleben: Die Gorleben-Geschichte ist doch eine Geschichte, die, ja, kurz zusammengefasst, nichts anderes gemacht hat als das Vertrauen zwischen Bürgern und Staat und Bürgern und Industrie zerstört hat. In Gorleben ist es so gewesen, dass ohne tatsächlichen Vergleich von Standorten die Entscheidung für den Salzstock getroffen worden ist.
Man hat Kriterien verkündet Mitte der 70er-Jahre, die Eignungskriterien sein sollten. Als klar war, die werden nicht erfüllt, hat man sich drüber hinweggesetzt und den Begriff der Eignungshöffigkeit erfunden. Mit dem Begriff, der nur für Gorleben geschaffen wurde, wird noch heute an dem Standort festgehalten.
Wuttke: Kommen wir doch noch mal auf Gorleben zu sprechen. Sie sagen, das ist eine realistische Vereinbarung. Richtig glücklich wirken Sie dabei nicht. Kann man aber jetzt schon mal positiv festhalten: Gorleben verdankt den Grünen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein für Jahrzehnte Ruhe vor Castortransporten?
Harms: Die Transporte, die noch nach Gorleben gehen sollen, das sind zwischen 20 und 30 Behältern. Es ist gut, dass diese Behälter aus Großbritannien und aus Frankreich jetzt nicht noch zusätzlich in Gorleben eine Vorfestlegung auf die Endlagerung schaffen. Es ist gut, dass mit dieser neuen Lastenteilung signalisiert wird, dass auch Wege von Gorleben wegführen.
Aber das ist natürlich nur eine Sache, die für neues Vertrauen auch in der Region Gorleben auf einen Neuanfang schaffen kann. Eigentlich geht es darum, wie man einen ungeeigneten Standort - und auch Peter Altmaier sagt, zu 95 Prozent steht fest, dass Gorleben ausscheidet -, eigentlich geht es immer noch um diese Frage, wie man einen solchen ungeeigneten Standort in diesem Verfahren behandeln soll, das doch dafür gemacht wird, den besten Standort zu finden. Das ist tatsächlich eine Belastung für den Neuanfang.
Wuttke: Den besten Standort zu finden, dafür sind jetzt zwei Milliarden Euro im Gespräch, eine Summe, die unwidersprochen auch vom Bundesumweltministerium weitergetragen wird. Halten Sie diese Summe für realistisch?
Harms: Ich kann mir schon vorstellen, dass es darauf hinausläuft, wenn man das macht, was notwendig ist, nämlich am Ende mehrere Standorte tatsächlich tief zu erkunden. Dazu muss man nicht Bergwerke bauen, die Endlagerbergwerk-fähig sind wie in Gorleben, aber man muss da schon investieren. Man muss auch in Forschung und Bewertung noch erheblich investieren. Aber ich finde das auch nicht zu viel.
Also, ich habe in Niedersachsen mich auch seit den 90er-Jahren mit der Asse beschäftigt. Jetzt am Ende sind viel zu spät die Konsequenzen aus diesem falschen Vorgehen in der Asse gezogen worden. Alleine die Sanierung der Asse wird mindestens drei Milliarden kosten, und in der Asse lagert, sagen wir mal, über den Daumen ein Hundertstel des radioaktiven Inventars, das in einem Castorbehälter steckt.
Wuttke: Das muss man sich vorstellen. Wir sind ja nun in den Zeiten des Bundestagswahlkampfs. Noch bis zum September soll das Suchgesetz stehen. Ist das genügend Zeit, um die Vertrauensbasis zu schaffen, die Sie in der Vergangenheit vermisst haben, oder ist das hier ein wahlkämpferischer Schweinsgalopp?
Harms: Also ich betone in den letzten Tagen, seit ich die Entwicklung um den Kompromiss kenne, immer wieder, dass ich richtig finde, wenn die Enquête-Kommission einen guten Auftrag bekommt - und das sieht im Moment wirklich ja gut aus - und plural besetzt wird, dass man diese Chance der Enquête-Kommission nutzen muss. Was ich nach wie vor als schwierig ansehe, ist, dass die Enquête-Kommission arbeitet und das Gesetz vorher schon in vielen Details ausformuliert wird.
Viel vernünftiger wäre es gewesen, ein Rahmengesetz zu machen und nach der Enquête-Kommission dann dieses Gesetz vernünftig auszugestalten. Dafür gibt es in der deutschen Politik – weder auf der Ebene der Bundesländer noch im Bundestag – im Moment Mehrheiten, dafür gibt es nicht die Bereitschaft. Man sagt, man hat dafür keine Zeit.
Und also eilige Entscheidungen, diese Entscheidungen im berühmten Berliner Galopp, die sind eigentlich der Sache nicht angemessen. Ich hoffe, dass es der Enquête-Kommission auch gelingt, genügend Ruhe für diese schwierigen Entscheidungen, die da anstehen, aufzubringen.
Wuttke: Sagt Rebecca Harms, die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Ich danke Ihnen! Schönen Tag!
Harms: Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.