Ein Abgang mit Stil

Von Jochen Stöckmann |
Hochkarätige Werke des Impressionismus und der Klassischen Moderne: Mit der Ausstellung "Visions of Modernity" verabschiedet sich die Deutsche Guggenheim aus Berlin - und erinnert noch einmal an den ganzen Reichtum ihrer Sammlung.
Der zarte Glanz von Cezannes Stillleben schimmert neben van Goghs Farblandschaften, daneben ein Gemälde des Dogenpalasts, von Monet aus venezianisch milchigem Licht als fragiles Monument herauspräpariert. Um "visions of modernity", um die Imaginationskraft von Klassikern der Moderne geht es der Deutschen Guggenheim in ihrer letzen Ausstellung - und um mehr als die bloße Aneinanderreihung von Meisterwerken. Deshalb folgt entgegen jeder stilfixierten Chronologie auf Picassos "Karaffe mit Obstschale", einem formal aufregenden kubistischen Stillleben, sein Gemälde "Moulin de la Galette", mit dem der Wegbereiter des Kubismus 1900 in expressionistischem Überschwang die Farbenpracht einer Ballgesellschaft im Kerzenlicht feierte, ganz in der Manier eines Ernst Ludwig Kirchner. Das macht diese von Kuratorin Megan Fontanella gewählte Konstellation für Berlin interessant – und dementiert das Vorurteil, "die Guggenheim" lasse ihre zugegeben fulminanten Ausstellungs-Pakete fantasielos zwischen Filialen wie Bilbao oder Berlin rotieren.

"Als Kuratorin möchte ich frische, noch nicht gesehene Kunst zeigen - und wir verfügen über Werke, die seit Langem nicht in Berlin zu sehen waren. Wichtig ist aber auch, Erinnerungsmomente zu beschwören an Bilder, die genau hier zu sehen waren in den zurückliegenden 15 Jahren Deutsche Guggenheim."

Nicht der Rückblick auf ein Programm mit zumeist zeitgenössischen Künstlern, inspiriert durch Peggy Guggenheims Devise der "radikalen Experimentierlust", steht bei diesem Berliner Finale auf der Agenda, sondern der Versuch, mit kaum mehr als drei Dutzend ausgewählter Werke eine in Jahrzehnten von durchaus widerstrebenden Geistern zusammengetragene Kollektion zu porträtieren: Den "Spirit" von Sammlern und Galeristen wie Hilla Rebay, Katherine Dreier, Justin Thannhauser oder Karl Nierendorf will Kuratorin Megan Fontanella vor Augen führen, als durchaus aktuelles Vorbild.

"Das 21. Jahrhundert verlangt ein neues Modell für den Aufbau von Museumssammlungen: Künstlerkarrieren zu unterstützen und Risiken einzugehen - das schaffen nicht alle. Aber Privatsammler können sich diese Leidenschaft für ganz verschiedene Künstler erlauben."

Kein einzelner Sammler, sondern ein "Advisory Board" wird künftig beim bisherigen Partner Deutsche Bank die Geschicke von deren "Kunsthalle" bestimmen. Fraglich, ob solch ein Gremium zustande bringt, was in dieser letzten Guggenheim-Ausstellung ins Auge sticht, nämlich Vielfalt und Facettenreichtum, den nur Sammelleidenschaft und Kunstverstand bewirken können: Auf der einen Seite der Expressionismus von Chagall bis hin zu Franz Marc, an der gegenüberliegenden Wand die Pariser Schule – auf Delauneys in bläulich schimmernder Transparenz aufgelösten Kathedralen-Architektur folgen zarte Gemälde von Gleizes und Modigliani, Auftrumpfendes von Leger. Anschließend treffen geometrische Sachlichkeit und surrealistische Phantasmagorien aufeinander, eine Hommage an Peggy Guggenheim:

"Das war eine Art 'kritische Masse', nicht nur mit den Surrealisten, sondern auch wegen der Förderung damals junger Künstler wie Jackson Pollock oder Robert Motherwell. Als Peggys Sammlung mit der ihres Onkels Solomon vereinigt wurde, war das ein wundervoller Moment für die Guggenheim Foundation. Und genau in diesem Geist hat dann die Deutsche Guggenheim die Kunst von morgen gesammelt."

Wie deren Präsentation in – sagen wir: 80 Jahren aussehen könnte, das lässt die letzte Abteilung ahnen mit einer kleinen Mobile-Skulptur von Alexander Calder als Schlüssel- und Angelpunkt. Über diese Verkörperung fragiler Balance hinweg wird der Blick gelenkt auf die Gegenüberstellung der Avantgarde der 20er- und 30er-Jahre mit Gemälden zwischen explodierender Farbigkeit und dem zarten Kreisen um eine konzentrierte Leere, von Joan Miro und Jean Hélion bis hin zu El Lissitzky oder Moholy-Nagy. Das sind mehr als nur Respekt heischende sogenannte "Inkunabeln" der Moderne, wie Kuratorin Megan Fontanella 2009 in der Kandinsky-Retrospektive der Guggenheim in New York erfuhr:

"Es war da wirklich erstaunlich, von arrivierten Künstlern zu hören, wie sie zu Beginn ihrer Karriere angeregt wurden von Kandinsky. Viele Künstler aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts waren ihre Vorbilder. Vielleicht kündigt sich da eine Rückkehr der Malerei an - wer weiß?"

Das ist, in den Räumen der Deutschen Bank, keine schlechte Botschaft: Erfolg in der Kunst lässt sich weder kalkulieren noch in Euro oder Dollar beziffern.
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