Ein afrikanischer Kreidekreis
Ende Januar hat der Bundestag das Sorgerecht neu geregelt. Sind Mutter und Vater nicht verheiratet oder leben sie getrennt voneinander, überträgt ihnen das Gesetz nun gleichwohl gemeinsam das Sorgerecht. Leben die Erwachsenen allerdings in bösem Streit, hilft die neue Regelung ebenso wenig weiter wie die alte. Der Schriftsteller Hans Christoph Buch schildert ein trauriges Beispiel.
Ich werde ihnen die Geschichte eines achtjährigen Mädchens und ihres zwölfjährigen Bruders erzählen. Nennen wir sie Renée und Jean. Ihre Eltern stammen aus Brazzaville, der Hauptstadt der Republik Kongo, und haben sich nach Streit und bösen Worten erst getrennt und schließlich scheiden lassen.
Um den Schaden zu begrenzen, werden Psychologen und Pädagogen, Jugendämter und Familienhelfer eingeschaltet. Je mehr Gutachter und Experten sich des Falls annehmen, desto verworrener wird die Situation. - Nicht mit Absicht, sondern aus Gleichgültigkeit.
Angefangen mit der Anordnung, die Kinder jeweils eine Woche bei Mutter und Vater verbringen zu lassen. Der lebt mit einer anderen Frau zusammen und macht die Mutter schlecht im Beisein der Kinder.
Kein Wunder, dass die Kinder Schulprobleme bekommen: Konzentrationsstörungen werden zu Lernschwierigkeiten, sie bleiben sitzen und werden zum Therapeuten geschickt, der sie ruhig stellt mit der Wunderdroge Ritalin. Jean, der Junge, reagiert brav und angepasst, während Renée, das Mädchen, aufmüpfig ist und den Unterricht "stört".
Sie wird als "nicht beschulbar" eingestuft - ein Begriff aus dem Wörterbuch des Unmenschen, und in die Kinderpsychiatrie eingewiesen, die eine Überdosierung von Ritalin feststellt. Auf Betreiben der Mutter erhält sie Einzelunterricht an einer anderen Schule, wo die Lehrer gut mit ihr klarkommen. Sie wirkt munter und aufgeweckt.
Um den Schaden zu begrenzen, werden Psychologen und Pädagogen, Jugendämter und Familienhelfer eingeschaltet. Je mehr Gutachter und Experten sich des Falls annehmen, desto verworrener wird die Situation. - Nicht mit Absicht, sondern aus Gleichgültigkeit.
Angefangen mit der Anordnung, die Kinder jeweils eine Woche bei Mutter und Vater verbringen zu lassen. Der lebt mit einer anderen Frau zusammen und macht die Mutter schlecht im Beisein der Kinder.
Kein Wunder, dass die Kinder Schulprobleme bekommen: Konzentrationsstörungen werden zu Lernschwierigkeiten, sie bleiben sitzen und werden zum Therapeuten geschickt, der sie ruhig stellt mit der Wunderdroge Ritalin. Jean, der Junge, reagiert brav und angepasst, während Renée, das Mädchen, aufmüpfig ist und den Unterricht "stört".
Sie wird als "nicht beschulbar" eingestuft - ein Begriff aus dem Wörterbuch des Unmenschen, und in die Kinderpsychiatrie eingewiesen, die eine Überdosierung von Ritalin feststellt. Auf Betreiben der Mutter erhält sie Einzelunterricht an einer anderen Schule, wo die Lehrer gut mit ihr klarkommen. Sie wirkt munter und aufgeweckt.
Das Kind als Streitobjekt
Obwohl ihr Ex-Mann sich weigert, seine Tochter bei sich aufzunehmen, gelingt es ihm, den Behörden seine Sicht der Dinge zu vermitteln und die Mutter als unverantwortlich hinzustellen. Das Jugendamt wirft ihr danach vor, nicht rund um die Uhr für das Kind da zu sein, weil sie eine vom Jobcenter angebotene Tätigkeit annimmt, und entzieht ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht.
Gegen den Willen der Mutter und auch gegen ihren eigenen Willen wird Renée in eine Einrichtung gesteckt, die sich 65 Kilometer entfernt befindet - weit weg von ihrem bisherigen Zuhause.
In Brechts Stück "Der kaukasische Kreidekreis", derzeit mit Erfolg vom Berliner Ensemble aufgeführt, gibt Grusche, die Mutter des zum Streitobjekt gewordenen Kindes, lieber nach, als ihren Sohn zu zerreißen, und daran erkennt der weise Richter, dass sie eine gute Mutter ist, der das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als ein Rechthaben um jeden Preis.
So auch hier, wo die Mutter bereit ist, auf Renée zu verzichten, um ihr zusätzliches Leid zu ersparen.
Mag sein, dass der Ehestreit eines afrikanischen Paares, der mit harten Bandagen ausgetragen wird, für deutsche Behörden schwer zu beurteilen ist. Doch das ist kein Grund, sich auf die Seite des Stärkeren zu schlagen und die geschiedene Ehefrau zu diskriminieren, die, durch den Bürgerkrieg im Kongo traumatisiert, ihre Interessen nicht wirkungsvoll vertreten kann, noch dazu die deutsche Sprache nur schlecht beherrscht.
Trennung oder Scheidung sind für einen kongolesischen Ehemann ehrenrührig ist, ein Gesichtsverlust, den er mit allen Mitteln zu verhindern sucht, weil die patriarchalische Familienstruktur, sprich die Vorherrschaft des Mannes, weder angetastet noch kritisch hinterfragt werden darf.
Doch Jugendamt und Familienrichter durchschauen den Konflikt nicht und rücken das Kindeswohl - statt in den Mittelpunkt - an den Rand ihrer Überlegungen.
Hans Christoph Buch lebt, wenn er nicht auf Reisen ist, in Berlin. Sein Roman "Baron Samstag oder das Leben nach dem Tod" erschien kürzlich in der Frankfurter Verlagsanstalt.
Gegen den Willen der Mutter und auch gegen ihren eigenen Willen wird Renée in eine Einrichtung gesteckt, die sich 65 Kilometer entfernt befindet - weit weg von ihrem bisherigen Zuhause.
In Brechts Stück "Der kaukasische Kreidekreis", derzeit mit Erfolg vom Berliner Ensemble aufgeführt, gibt Grusche, die Mutter des zum Streitobjekt gewordenen Kindes, lieber nach, als ihren Sohn zu zerreißen, und daran erkennt der weise Richter, dass sie eine gute Mutter ist, der das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als ein Rechthaben um jeden Preis.
So auch hier, wo die Mutter bereit ist, auf Renée zu verzichten, um ihr zusätzliches Leid zu ersparen.
Mag sein, dass der Ehestreit eines afrikanischen Paares, der mit harten Bandagen ausgetragen wird, für deutsche Behörden schwer zu beurteilen ist. Doch das ist kein Grund, sich auf die Seite des Stärkeren zu schlagen und die geschiedene Ehefrau zu diskriminieren, die, durch den Bürgerkrieg im Kongo traumatisiert, ihre Interessen nicht wirkungsvoll vertreten kann, noch dazu die deutsche Sprache nur schlecht beherrscht.
Trennung oder Scheidung sind für einen kongolesischen Ehemann ehrenrührig ist, ein Gesichtsverlust, den er mit allen Mitteln zu verhindern sucht, weil die patriarchalische Familienstruktur, sprich die Vorherrschaft des Mannes, weder angetastet noch kritisch hinterfragt werden darf.
Doch Jugendamt und Familienrichter durchschauen den Konflikt nicht und rücken das Kindeswohl - statt in den Mittelpunkt - an den Rand ihrer Überlegungen.
Hans Christoph Buch lebt, wenn er nicht auf Reisen ist, in Berlin. Sein Roman "Baron Samstag oder das Leben nach dem Tod" erschien kürzlich in der Frankfurter Verlagsanstalt.