Ein alter Roman und das neue Ägypten
Anne Françoise Weber hat den frankofonen ägyptischen Schriftsteller Albert Cossery wiederentdeckt. In seinen Büchern stieß sie auf hochaktuelle Parallelen zur heutigen Lage Ägyptens. Schon 1964 ging es bei Cossery um Widerstand gegen korrupte Politiker, weniger mit Gewalt, als unter Einsatz befreienden Gelächters.
Am 3. November, also übermorgen, wäre der ägyptische Schriftsteller Albert Cossery 100 Jahre alt geworden. Vermutlich hätte er auch diesen Geburtstag in dem Pariser Hotel gefeiert, in dem er über 50 Jahre lang, bis zu seinem Tod 2008, lebte. Cossery war mit Albert Camus befreundet - und gerade mal vier Tage älter als dieser. Nicht nur ihr Geburtsmonat verband die beiden - auch Cossery war in Nordafrika aufgewachsen und als junger Mann nach Paris gekommen. Und wie Camus, noch extremer als dieser, schrieb er auf Französisch über sein Geburtsland.
Das Ägypten seiner Romane ist bevölkert von korrupten Politikern, unmenschlichen Reichen und lebensfrohen, schlauen Armen - Frauen allerdings kommen bei Cossery immer schlecht weg. Abgesehen davon sind diese Bücher allesamt heute noch sehr lesenswert - und in vielem auch nicht weit von der aktuellen Lage Ägyptens entfernt.
Das Ägypten seiner Romane ist bevölkert von korrupten Politikern, unmenschlichen Reichen und lebensfrohen, schlauen Armen - Frauen allerdings kommen bei Cossery immer schlecht weg. Abgesehen davon sind diese Bücher allesamt heute noch sehr lesenswert - und in vielem auch nicht weit von der aktuellen Lage Ägyptens entfernt.
Ein genialer Plan: keine Gewalt
Besonders gut gefällt mir Cosserys fünfter Roman, "Gewalt und Gelächter", aus dem Jahr 1964. Darin hecken die Hauptpersonen Heykal und Karim einen genialen Plan aus, um den unfähigen Gouverneur ihrer Stadt zu sabotieren. Sie versuchen es nicht mit Gewalt, auch nicht mit einer politischen Kampagne, nein, sie treiben einfach die unsägliche Propagandasprache über die Wohltaten des Gouverneurs auf die Spitze.
Zunächst in anonymen Leserbriefen an Zeitungen, die eifrig diese Lobhudeleien abdrucken, dann in Plakaten mit seinem Abbild und einer wahnwitzigen Huldigung darunter und schließlich mit einer Spendensammlung zur Errichtung einer Statue des Gouverneurs.
Eine Schlüsselszene des Romans erzählt, wie der Berufsrevolutionär Taher, Kommunist und früherer Freund Karims, die Verschwörer aufsucht und sie für ihre Kampagne zur Rede stellt: Wie sie sich so amüsieren könnten und ob sie das Leid der armen Bevölkerung vergessen hätten? Auf diese Weise jedenfalls sei kein Umsturz anzuzetteln. Taher hat Unrecht, denn der Regierung werden die Lobeskampagnen zu bunt, der Gouverneur soll seinen Rücktritt einreichen. Noch bevor er das tut, wird er ermordet - von Taher, der weiterhin nur an die Gewalt als Waffe glaubt.
"Heykal", mit diesen Sätzen endet der Roman, "Heykal war entsetzt über diese nutzlose Gewalttat. Der Gouverneur hatte praktisch schon verspielt, und nun erhob Taher ihn zum Märtyrer. Aus einem Henker hatte er ein Opfer gemacht, ein leuchtendes Beispiel des Bürgersinns und des Opfermuts für kommende Generationen. Der Betrug setzt sich ewig fort."
Auch im Jahr 2013 scheinen viele Ägypter wie Taher überzeugt zu sein, dass Gewalt das einzig wirksame Mittel der Politik ist. Im August löste die Regierung die Protestlager der Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi gewaltsam auf, über tausend Menschen wurden dabei getötet. Und seither kommen wöchentlich Nachrichten von neuen Zusammenstößen und Anschlägen.
Zugleich sind die Lobreden auf den neuen starken Mann, General Abdel Fatah al-Sisi, allgegenwärtig. Kleine Jungs tragen T-Shirts mit seinem Konterfei, geziert mit dem Slogan: "Das Volk und die Armee gemeinsam gegen den Terrorismus". Die Gegenseite schreibt auf alle erreichbaren Wände die Worte: "Sisi Verräter" und "Sisi Mörder", und hält bei Demonstrationen Bilder des gestürzten Präsidenten Mursi hoch. Dessen Prozessbeginn am kommenden Montag könnte erneut blutige Zusammenstöße auslösen.
Die Ägypter sind eigentlich für ihren Humor bekannt, doch zurzeit scheint er vielen abhandengekommen zu sein. Zum Glück ist der beliebte Kabarettist Bassem Jussuf wieder auf Sendung. Er machte sich in seiner Show am vergangenen Freitag über Islamisten ebenso lustig wie über die Anhänger des Generals. Schon am nächsten Tag wurden Dutzende Anzeigen gegen ihn erstattet. Und sein Fernsehsender ging gleich nach dieser ersten Folge der neuen Staffel auf Distanz zu seinem Star. Man unterstütze das Nationalgefühl, erklärte die Direktion, und man werde keine Szenen verwenden, die Staatsikonen ins Lächerliche ziehen würden.
Schade eigentlich. Vielleicht sollte endlich mal jemand den fast fünfzig 50 Jahre alten Roman "Gewalt und Gelächter" von Albert Cossery ins Arabische übersetzen und auf den ägyptischen Buchmarkt bringen - ohne Zensur.
Anne Françoise Weber lebt und arbeitet als freie Journalistin in Kairo. Sie hat evangelische Theologie, Sozial- und Islamwissenschaften in Marburg, Berlin und Tunis studiert und über muslimisch-christliche Beziehungen im Libanon promoviert. Nach einer Ausbildung an der Berliner Journalisten-Schule, mehreren Jahren im Libanon und Stationen bei Radio France Internationale und dem Evangelischen Pressedienst war sie als Redakteurin für Religion und Gesellschaft bei Deutschlandradio Kultur in Berlin tätig, bevor sie erneut in die arabische Welt zog.
Zunächst in anonymen Leserbriefen an Zeitungen, die eifrig diese Lobhudeleien abdrucken, dann in Plakaten mit seinem Abbild und einer wahnwitzigen Huldigung darunter und schließlich mit einer Spendensammlung zur Errichtung einer Statue des Gouverneurs.
Eine Schlüsselszene des Romans erzählt, wie der Berufsrevolutionär Taher, Kommunist und früherer Freund Karims, die Verschwörer aufsucht und sie für ihre Kampagne zur Rede stellt: Wie sie sich so amüsieren könnten und ob sie das Leid der armen Bevölkerung vergessen hätten? Auf diese Weise jedenfalls sei kein Umsturz anzuzetteln. Taher hat Unrecht, denn der Regierung werden die Lobeskampagnen zu bunt, der Gouverneur soll seinen Rücktritt einreichen. Noch bevor er das tut, wird er ermordet - von Taher, der weiterhin nur an die Gewalt als Waffe glaubt.
"Heykal", mit diesen Sätzen endet der Roman, "Heykal war entsetzt über diese nutzlose Gewalttat. Der Gouverneur hatte praktisch schon verspielt, und nun erhob Taher ihn zum Märtyrer. Aus einem Henker hatte er ein Opfer gemacht, ein leuchtendes Beispiel des Bürgersinns und des Opfermuts für kommende Generationen. Der Betrug setzt sich ewig fort."
Auch im Jahr 2013 scheinen viele Ägypter wie Taher überzeugt zu sein, dass Gewalt das einzig wirksame Mittel der Politik ist. Im August löste die Regierung die Protestlager der Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi gewaltsam auf, über tausend Menschen wurden dabei getötet. Und seither kommen wöchentlich Nachrichten von neuen Zusammenstößen und Anschlägen.
Zugleich sind die Lobreden auf den neuen starken Mann, General Abdel Fatah al-Sisi, allgegenwärtig. Kleine Jungs tragen T-Shirts mit seinem Konterfei, geziert mit dem Slogan: "Das Volk und die Armee gemeinsam gegen den Terrorismus". Die Gegenseite schreibt auf alle erreichbaren Wände die Worte: "Sisi Verräter" und "Sisi Mörder", und hält bei Demonstrationen Bilder des gestürzten Präsidenten Mursi hoch. Dessen Prozessbeginn am kommenden Montag könnte erneut blutige Zusammenstöße auslösen.
Die Ägypter sind eigentlich für ihren Humor bekannt, doch zurzeit scheint er vielen abhandengekommen zu sein. Zum Glück ist der beliebte Kabarettist Bassem Jussuf wieder auf Sendung. Er machte sich in seiner Show am vergangenen Freitag über Islamisten ebenso lustig wie über die Anhänger des Generals. Schon am nächsten Tag wurden Dutzende Anzeigen gegen ihn erstattet. Und sein Fernsehsender ging gleich nach dieser ersten Folge der neuen Staffel auf Distanz zu seinem Star. Man unterstütze das Nationalgefühl, erklärte die Direktion, und man werde keine Szenen verwenden, die Staatsikonen ins Lächerliche ziehen würden.
Schade eigentlich. Vielleicht sollte endlich mal jemand den fast fünfzig 50 Jahre alten Roman "Gewalt und Gelächter" von Albert Cossery ins Arabische übersetzen und auf den ägyptischen Buchmarkt bringen - ohne Zensur.
Anne Françoise Weber lebt und arbeitet als freie Journalistin in Kairo. Sie hat evangelische Theologie, Sozial- und Islamwissenschaften in Marburg, Berlin und Tunis studiert und über muslimisch-christliche Beziehungen im Libanon promoviert. Nach einer Ausbildung an der Berliner Journalisten-Schule, mehreren Jahren im Libanon und Stationen bei Radio France Internationale und dem Evangelischen Pressedienst war sie als Redakteurin für Religion und Gesellschaft bei Deutschlandradio Kultur in Berlin tätig, bevor sie erneut in die arabische Welt zog.