Ein anderer Zugang zur Wirklichkeit
Manche christliche Gemeinden haben Elemente des japanischen Zen-Buddhismus in ihre Lehre integriert und bieten Meditationskurse an. Das ist umstritten und provoziert oft Konflikte. Die Zen-Lehrerin Karin Henkel in Göttingen hat das erlebt.
Einfach nur Sitzen. Idealerweise in der Körperhaltung, die Buddha bei seiner Erleuchtung innehatte: Im Lotussitz, die Füße auf den Oberschenkeln, die Knie berühren den Boden. Der Rücken ist gerade, die Hände liegen ineinander, die Augen sind geöffnet.
Einfach in Stille sitzen und atmen. Das ist Zazen – und gar nicht so einfach. Wer den Lotussitz nicht beherrscht – wie die meisten Europäer – nimmt ein Bänkchen oder ein Kissen zur Hilfe. Diese Form des Sitzens kommt ursprünglich aus dem japanischen Zen-Buddhismus. Sie findet sich heute aber auch vielerorts in Deutschland. Neben Buddhisten bieten auch christliche Gemeinden Zazen oder Zen-Meditation an – die Begriffe werden hierzulande meist synonym verwendet.
"Es ist durchaus auch möglich, dass jemand sich zunächst, wenn er einen solchen Weg geht, erstmal distanziert, weil er merkt, die Dogmen der Institution tragen nicht mehr auf dieser Ebene."
Karin Henkel leitet eine Zen-Meditationsgruppe in der katholischen Gemeinde St. Michael in der Universitätsstadt Göttingen. Sie stellt immer wieder fest, dass sich Teilnehmer zunächst von ihrem christlichen Glauben abwenden.
"Aber auch häufig erlebe ich es so, im Gespräch, in Auseinandersetzungen mit Schülern und Schülerinnen, dass eher so eine tiefere, so eine tiefere Fundierung des eigenen Glaubens kommt. Einfach auch eine ganz klare Haltung: Ich verlasse nicht meinen Glauben."
Der Gemeindepfarrer Manfred Hösl beschreibt St. Michael als eine liberale Gemeinde, "Citykirche" nennt sie sich. Verschiedene religiöse Gruppen haben hier eine Heimat gefunden. Aber: Es gibt auch Widerstände, berichtet Zen-Lehrerin Karin Henkel:
"Es gibt schon auch Gruppen oder Einzelne, denen das hier missfällt. Immer wieder wird unser Aushang abgenommen unten, der in der Kirche hängt. Letztens habe ich eine Mail bekommen von einem Teilnehmer, der hier eine Veranstaltung besucht hat und der hat mir dann eine Mail geschrieben, dass er den Aushang abgenommen hat, weil Zen sich nicht vereinbaren lässt mit dem katholischen Glauben und ich soll das bitte lassen."
Solche Widerstände kommen nicht zwangsläufig von älteren Gläubigen, erklärt Pfarrer Manfred Hösl. In seiner Gemeinde trifft ein "Volkskatholizismus" – wie er ihn nennt – aus dem benachbarten Eichsfeld auf den tief verwurzelten Glauben von Menschen aus Schlesien, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Göttingen kamen. Hinzu kommen junge Gläubige von der Universität. Bei einigen Jüngeren erkennt Manfred Hösl extreme Tendenzen:
"Das kann dann dazu führen, dass eben ein junger Mensch sagt, so, das ist die wahre Religion und das muss auch eingefordert werden. Und alles, was diese wahre Religion verletzt oder bedroht, das bekämpfe ich, indem ich zum Beispiel auch einen Zettel, wenn der in der Kirche drin steht von einer Zen-Gruppe, dass ich den runterreiße, weil ich sage, das ist nicht christlich."
Solche Konflikte gibt es nicht nur in der Göttinger Gemeinde. Sie spielten und spielen sich auch auf den höchsten Ebenen der Katholischen Kirche ab. So sieht die Kongregation für die Glaubenslehre des Vatikans die Reinheit des christlichen Glaubens durch die Zen-Meditation gefährdet. In einem Brief an die katholischen Bischöfe aus dem Jahr 1989 schreiben die obersten Hüter der katholischen Lehre:
"Bei der heutigen Verbreitung östlicher Meditationsformen im Raum des Christentums und in kirchlichen Gemeinschaften erleben wir erneut den ernsthaften Versuch, die christliche Meditation mit der nichtchristlichen zu verschmelzen, was nicht ohne Risiken und Irrtümer abgeht. Die Vorschläge in dieser Richtung sind zahlreich und mehr oder weniger radikal. […] [Sie] müssen ständig genau nach Gehalt und Methode überprüft werden, will man nicht in einen verderblichen Synkretismus verfallen."
Vorsitzender der Glaubenskongregation ist damals Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. Im Jahr 2002 versucht er, dem heute bekanntesten katholischen Zen-Meister in Deutschland, dem Benediktiner Willigis Jäger, ein Rede-, Schreib- und Auftrittsverbot zu erteilen.
Zur Begründung heißt es, Jäger stelle persönliche Erfahrungen über kirchliche Wahrheiten. In seiner Lehre werde der christliche Gottesbegriff verfälscht, indem die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch aufgehoben werde. Harte Vorwürfe. Für die Zen-Lehrerin Karin Henkel, eine Schülerin Willigis Jägers, sind die Widerstände der Kirche gegen die Zen-Meditation auch Ausdruck der Furcht vor einem Machtverlust:
"Jeder Mensch hat den Zugang zu dieser Ebene, unabhängig von einem religiösen System. Und ich glaube, das ist das, was die christliche Kirche – das ist die Angst der christlichen Kirche. Ja, diese Offenheit, diese Weite plötzlich, den Menschen wirklich in die Eigenverantwortung zu lassen, entmächtigt sie ja auch ein Stück weit als Institution."
Denn christliche Zen-Meditation ist ein individueller Weg: In der Stille sitzt man allein mit seinem Körper und seinem Geist. Einige finden dabei zu Gott, andere die Erleuchtung, für manche ist es nur Entspannung. Häufig ist die Meditation eine mal längere, mal kürzere Episode der individuellen religiösen Suche. So war es auch bei Karin Henkel: Als Katholikin geboren konvertierte sie später zum evangelischen Glauben und fand danach außerdem zum Zen. Damit einher ging bei der Meditationslehrerin ein Erkenntnisprozess:
"Diese Haltung einfach, dass die Religionen nur Wege auf den Gipfel des gleichen Berges sind, nur eben sozusagen an unterschiedlichen Stellen des Berges wird dieser Hang bestiegen. Aber das, was letztlich auf dem Gipfel ist, ist bei allen Religionen das Gleiche."
Deshalb führt Karin Henkel in ihrem Zen-Unterricht auch verschiedene religiöse Traditionen zusammen. Im Anschluss an zweimal 30 Minuten Zen-Meditation in einem schlichten Gemeinderaum rezitiert sie gemeinsam mit ihren Schülerinnen und Schülern Texte – unter anderen von christlichen Mystikerinnen und Mystikern wie Hildegard von Bingen oder Meister Eckhart. Bei diesem heißt es Anfang des 14. Jahrhunderts:
"Ich will sitzen und schweigen und hören, was Gott in mir rede."
Schweigend sitzen also, wie beim Zazen. Karin Henkel erkennt große Gemeinsamkeiten in den mystischen Traditionen verschiedener Religionen. Natürlich kommen bei ihr auch Texte aus dem Zen-Buddhismus zum Einsatz. Ihre Favoriten sind aber die Verse des persisch-muslimischen Mystikers Rumi aus dem 13. Jahrhundert:
"Ich habe die ganze Welt auf der Suche nach Gott durchwandert und Ihn nirgendwo gefunden. Als ich wieder nach Hause kam, sah ich Ihn an der Türe meines Herzens stehen und Er sagte, ‚Hier warte ich auf Dich seit Ewigkeiten.’ Da bin ich mit Ihm ins Haus gegangen."
Einen Weg in das Haus Gottes – viele Christinnen und Christen haben ihn in der Zen-Meditation gefunden. Aber wie konnte dieses christliche Zen gerade in Deutschland so populär werden?
Ein Blick zurück in das Jahr 1929. Der junge deutsche Jesuit Hugo Lassalle macht sich als katholischer Missionar auf den Weg nach Japan. Um seinen Missionserfolg zu vergrößern, beschließt Lassalle, das japanische Denken besser kennenzulernen. Er beginnt, den Zen-Buddhismus in Theorie und Praxis zu studieren. Bald ist der Jesuit so fasziniert vom Zen, dass er sich zum Meister ausbilden lässt. Im ersten seiner zahlreichen Zen-Bücher empfiehlt Lassalle den Christen:
"Natürlich kommt es nun darauf an, die Zen-Meditation im christlichen Sinne richtig umzugestalten. Technisch braucht deswegen nichts geändert zu werden, wohl aber inhaltlich. Das betrifft vor allem das 'Nichts'. […] In der buddhistischen Meditation liegt ihm meistens der Sinn zugrunde, daß die ganze Erscheinungswelt nichts anderes ist als eine Illusion, die keine Realität hat. […] Das ist buddhistische und nicht christliche Auffassung und kann in der christlichen Meditation nicht verwendet werden."
Christen sollten sich in der Meditation statt auf das buddhistische Nichts auf den christlichen Gott hin ausrichten, rät Hugo Lassalle. Zurück in Deutschland ruft er Zen-Zentren ins Leben und bildet Zen-Lehrer aus. Als er 1990 im Alter von 91 Jahren stirbt, hat Hugo Lassalle eine christliche Zen-Tradition begründet – mit der Unterstützung anderer Missionare mit ähnlichen Biographien. Zen ist in Lassalles Orden, den Jesuiten, heute zwar nicht unumstritten, berichtet der Göttinger Pfarrer Manfred Hösl, der selbst Jesuit ist. Die Zen-Tradition lebt aber dennoch weiter:
"Wir Jesuiten sind glaube ich etwas kopflastig intellektuell ausgerichtet. Das ist auch unsere Stärke. Wir haben sehr viele Schulen, wir haben sehr viele Universitäten. Und gleichzeitig gibt es aber ein Gegengewicht. Das sind die Exerzitien. Das ist dieses geistliche Leben. Der Versuch, mit Gott in Kontakt zu treten, das Göttliche zu erfahren, zu erspüren. Und da hat eben Zen-Meditation oder das Herzensgebet, gerade, weil sie eben so nicht intellektuell sind, weil es ein nicht-intellektueller Zugang ist, auch eine hohe Akzeptanz gefunden. Weil es eben ein anderer Zugang zur Wirklichkeit ist."
Gut 60 Jahre, nachdem die christliche Zen-Meditation erstmals mit Missionaren nach Deutschland kam, hat sie sich deshalb – trotz erheblicher Widerstände – in vielen christlichen Gemeinden etabliert.
Einfach in Stille sitzen und atmen. Das ist Zazen – und gar nicht so einfach. Wer den Lotussitz nicht beherrscht – wie die meisten Europäer – nimmt ein Bänkchen oder ein Kissen zur Hilfe. Diese Form des Sitzens kommt ursprünglich aus dem japanischen Zen-Buddhismus. Sie findet sich heute aber auch vielerorts in Deutschland. Neben Buddhisten bieten auch christliche Gemeinden Zazen oder Zen-Meditation an – die Begriffe werden hierzulande meist synonym verwendet.
"Es ist durchaus auch möglich, dass jemand sich zunächst, wenn er einen solchen Weg geht, erstmal distanziert, weil er merkt, die Dogmen der Institution tragen nicht mehr auf dieser Ebene."
Karin Henkel leitet eine Zen-Meditationsgruppe in der katholischen Gemeinde St. Michael in der Universitätsstadt Göttingen. Sie stellt immer wieder fest, dass sich Teilnehmer zunächst von ihrem christlichen Glauben abwenden.
"Aber auch häufig erlebe ich es so, im Gespräch, in Auseinandersetzungen mit Schülern und Schülerinnen, dass eher so eine tiefere, so eine tiefere Fundierung des eigenen Glaubens kommt. Einfach auch eine ganz klare Haltung: Ich verlasse nicht meinen Glauben."
Der Gemeindepfarrer Manfred Hösl beschreibt St. Michael als eine liberale Gemeinde, "Citykirche" nennt sie sich. Verschiedene religiöse Gruppen haben hier eine Heimat gefunden. Aber: Es gibt auch Widerstände, berichtet Zen-Lehrerin Karin Henkel:
"Es gibt schon auch Gruppen oder Einzelne, denen das hier missfällt. Immer wieder wird unser Aushang abgenommen unten, der in der Kirche hängt. Letztens habe ich eine Mail bekommen von einem Teilnehmer, der hier eine Veranstaltung besucht hat und der hat mir dann eine Mail geschrieben, dass er den Aushang abgenommen hat, weil Zen sich nicht vereinbaren lässt mit dem katholischen Glauben und ich soll das bitte lassen."
Solche Widerstände kommen nicht zwangsläufig von älteren Gläubigen, erklärt Pfarrer Manfred Hösl. In seiner Gemeinde trifft ein "Volkskatholizismus" – wie er ihn nennt – aus dem benachbarten Eichsfeld auf den tief verwurzelten Glauben von Menschen aus Schlesien, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Göttingen kamen. Hinzu kommen junge Gläubige von der Universität. Bei einigen Jüngeren erkennt Manfred Hösl extreme Tendenzen:
"Das kann dann dazu führen, dass eben ein junger Mensch sagt, so, das ist die wahre Religion und das muss auch eingefordert werden. Und alles, was diese wahre Religion verletzt oder bedroht, das bekämpfe ich, indem ich zum Beispiel auch einen Zettel, wenn der in der Kirche drin steht von einer Zen-Gruppe, dass ich den runterreiße, weil ich sage, das ist nicht christlich."
Solche Konflikte gibt es nicht nur in der Göttinger Gemeinde. Sie spielten und spielen sich auch auf den höchsten Ebenen der Katholischen Kirche ab. So sieht die Kongregation für die Glaubenslehre des Vatikans die Reinheit des christlichen Glaubens durch die Zen-Meditation gefährdet. In einem Brief an die katholischen Bischöfe aus dem Jahr 1989 schreiben die obersten Hüter der katholischen Lehre:
"Bei der heutigen Verbreitung östlicher Meditationsformen im Raum des Christentums und in kirchlichen Gemeinschaften erleben wir erneut den ernsthaften Versuch, die christliche Meditation mit der nichtchristlichen zu verschmelzen, was nicht ohne Risiken und Irrtümer abgeht. Die Vorschläge in dieser Richtung sind zahlreich und mehr oder weniger radikal. […] [Sie] müssen ständig genau nach Gehalt und Methode überprüft werden, will man nicht in einen verderblichen Synkretismus verfallen."
Vorsitzender der Glaubenskongregation ist damals Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. Im Jahr 2002 versucht er, dem heute bekanntesten katholischen Zen-Meister in Deutschland, dem Benediktiner Willigis Jäger, ein Rede-, Schreib- und Auftrittsverbot zu erteilen.
Zur Begründung heißt es, Jäger stelle persönliche Erfahrungen über kirchliche Wahrheiten. In seiner Lehre werde der christliche Gottesbegriff verfälscht, indem die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch aufgehoben werde. Harte Vorwürfe. Für die Zen-Lehrerin Karin Henkel, eine Schülerin Willigis Jägers, sind die Widerstände der Kirche gegen die Zen-Meditation auch Ausdruck der Furcht vor einem Machtverlust:
"Jeder Mensch hat den Zugang zu dieser Ebene, unabhängig von einem religiösen System. Und ich glaube, das ist das, was die christliche Kirche – das ist die Angst der christlichen Kirche. Ja, diese Offenheit, diese Weite plötzlich, den Menschen wirklich in die Eigenverantwortung zu lassen, entmächtigt sie ja auch ein Stück weit als Institution."
Denn christliche Zen-Meditation ist ein individueller Weg: In der Stille sitzt man allein mit seinem Körper und seinem Geist. Einige finden dabei zu Gott, andere die Erleuchtung, für manche ist es nur Entspannung. Häufig ist die Meditation eine mal längere, mal kürzere Episode der individuellen religiösen Suche. So war es auch bei Karin Henkel: Als Katholikin geboren konvertierte sie später zum evangelischen Glauben und fand danach außerdem zum Zen. Damit einher ging bei der Meditationslehrerin ein Erkenntnisprozess:
"Diese Haltung einfach, dass die Religionen nur Wege auf den Gipfel des gleichen Berges sind, nur eben sozusagen an unterschiedlichen Stellen des Berges wird dieser Hang bestiegen. Aber das, was letztlich auf dem Gipfel ist, ist bei allen Religionen das Gleiche."
Deshalb führt Karin Henkel in ihrem Zen-Unterricht auch verschiedene religiöse Traditionen zusammen. Im Anschluss an zweimal 30 Minuten Zen-Meditation in einem schlichten Gemeinderaum rezitiert sie gemeinsam mit ihren Schülerinnen und Schülern Texte – unter anderen von christlichen Mystikerinnen und Mystikern wie Hildegard von Bingen oder Meister Eckhart. Bei diesem heißt es Anfang des 14. Jahrhunderts:
"Ich will sitzen und schweigen und hören, was Gott in mir rede."
Schweigend sitzen also, wie beim Zazen. Karin Henkel erkennt große Gemeinsamkeiten in den mystischen Traditionen verschiedener Religionen. Natürlich kommen bei ihr auch Texte aus dem Zen-Buddhismus zum Einsatz. Ihre Favoriten sind aber die Verse des persisch-muslimischen Mystikers Rumi aus dem 13. Jahrhundert:
"Ich habe die ganze Welt auf der Suche nach Gott durchwandert und Ihn nirgendwo gefunden. Als ich wieder nach Hause kam, sah ich Ihn an der Türe meines Herzens stehen und Er sagte, ‚Hier warte ich auf Dich seit Ewigkeiten.’ Da bin ich mit Ihm ins Haus gegangen."
Einen Weg in das Haus Gottes – viele Christinnen und Christen haben ihn in der Zen-Meditation gefunden. Aber wie konnte dieses christliche Zen gerade in Deutschland so populär werden?
Ein Blick zurück in das Jahr 1929. Der junge deutsche Jesuit Hugo Lassalle macht sich als katholischer Missionar auf den Weg nach Japan. Um seinen Missionserfolg zu vergrößern, beschließt Lassalle, das japanische Denken besser kennenzulernen. Er beginnt, den Zen-Buddhismus in Theorie und Praxis zu studieren. Bald ist der Jesuit so fasziniert vom Zen, dass er sich zum Meister ausbilden lässt. Im ersten seiner zahlreichen Zen-Bücher empfiehlt Lassalle den Christen:
"Natürlich kommt es nun darauf an, die Zen-Meditation im christlichen Sinne richtig umzugestalten. Technisch braucht deswegen nichts geändert zu werden, wohl aber inhaltlich. Das betrifft vor allem das 'Nichts'. […] In der buddhistischen Meditation liegt ihm meistens der Sinn zugrunde, daß die ganze Erscheinungswelt nichts anderes ist als eine Illusion, die keine Realität hat. […] Das ist buddhistische und nicht christliche Auffassung und kann in der christlichen Meditation nicht verwendet werden."
Christen sollten sich in der Meditation statt auf das buddhistische Nichts auf den christlichen Gott hin ausrichten, rät Hugo Lassalle. Zurück in Deutschland ruft er Zen-Zentren ins Leben und bildet Zen-Lehrer aus. Als er 1990 im Alter von 91 Jahren stirbt, hat Hugo Lassalle eine christliche Zen-Tradition begründet – mit der Unterstützung anderer Missionare mit ähnlichen Biographien. Zen ist in Lassalles Orden, den Jesuiten, heute zwar nicht unumstritten, berichtet der Göttinger Pfarrer Manfred Hösl, der selbst Jesuit ist. Die Zen-Tradition lebt aber dennoch weiter:
"Wir Jesuiten sind glaube ich etwas kopflastig intellektuell ausgerichtet. Das ist auch unsere Stärke. Wir haben sehr viele Schulen, wir haben sehr viele Universitäten. Und gleichzeitig gibt es aber ein Gegengewicht. Das sind die Exerzitien. Das ist dieses geistliche Leben. Der Versuch, mit Gott in Kontakt zu treten, das Göttliche zu erfahren, zu erspüren. Und da hat eben Zen-Meditation oder das Herzensgebet, gerade, weil sie eben so nicht intellektuell sind, weil es ein nicht-intellektueller Zugang ist, auch eine hohe Akzeptanz gefunden. Weil es eben ein anderer Zugang zur Wirklichkeit ist."
Gut 60 Jahre, nachdem die christliche Zen-Meditation erstmals mit Missionaren nach Deutschland kam, hat sie sich deshalb – trotz erheblicher Widerstände – in vielen christlichen Gemeinden etabliert.