Ein Appell für das Gute in der Natur
Gegenseitige Anteilnahme und Hilfe gehören zum Tierreich - und damit auch zum biologischen Erbe des Menschen, schreibt Frans de Waal in dieser Streitschrift gegen neoliberale Naturdeutungen.
Nichts scheint die Darwin’sche Theorie besser auf den Punkt zu bringen als das Motto "Survival of the fittest". Dabei wurde es nicht einmal von Darwin selbst geprägt, erinnert der Primatologe Frans de Waal, sondern von dessen Zeitgenosse Herbert Spencer. Leider sei die Vorstellung, dass das Leben einen ständigen Konkurrenzkampf jedes gegen jeden bedeute, der Stimmung im England der Industriellen Revolution zupass gekommen, und bis heute habe sich diese Interpretation der Natur gehalten. In seinem neuesten Buch kritisiert de Waal diese ideologische Verkürzung aufs entschiedenste: Konservative Politiker und Wirtschaftswissenschaftler missbrauchen die Biologie für ihre Zwecke, indem sie das Bild einer unsolidarischen Gesellschaft naturalisieren und zementieren.
Tatsächlich aber, meint de Waal, gehören nicht nur Konkurrenz und gelegentliche Aggression, sondern vor allem auch gegenseitige Anteilnahme und Hilfe zum biologischen Erbe des Menschen. Empathie, Trost und ein basales Gerechtigkeitsempfinden finden sich auch im Tierreich. Möglicherweise sind diese Fähigkeiten in allen Säugetieren angelegt, gelangen dann aber unterschiedlich stark zur Ausprägung. Besonders interessant ist dabei der Hinweis des Autors, dass es offenbar vielen Spezies an spontaner Gefühlsansteckung und Empathie nicht mangelt – wohl aber an den kognitiven Fähigkeiten, die nötig sind um zu erkennen, wie dem Anderen aus seiner Notlage herauszuhelfen wäre. Nicht jedes Tier ist so schlau wie jener Bonobo-Affe, der einen verletzten Vogel auf die Spitze seines Klettergerüsts trug und ihm die Flügel spreizte.
Solche Erfahrungsberichte machen das Gros des Buches aus. Wir lesen von Elefanten, die ihre sterbenden Artgenossen zu füttern versuchen, von einer Robbe, die einen alten Hund ans Ufer schiebt, von dem Buckelwal, der sich nach seiner Rettung bei dem Taucherteam bedankt und von einer Elefantenkuh, die einen verletzten Menschen behütet. All das sind schöne, manchmal berührende, manchmal erheiternde Geschichten, die die Grundthese des Buchs sicher stützen. Leider können sie den Charakter des Anekdotischen nicht abstreifen. Eine Zoo-Begebenheit reiht sich an die andere, und irgendwann fragt man sich, wann das Geschichtenerzählen zum Ende gelangt und es mit dem wissenschaftlichen Sachbuch weitergeht.
Dessen Thesen aber bleiben spärlich. Über die eingangs formulierte Absicht kommt das Buch bis zum Ende nicht hinaus: Die Interpretation der Natur soll dem alleinigen Zugriff neoliberaler Politiker entrissen werden. Jene werfen "wie Zauberkünstler ihre ideologischen Überzeugungen in den Hut der Natur und ziehen sie anschließend an den Ohren wieder heraus". Schön gesagt. Doch macht die Wissenschaft der Biologie es völlig anders? De Waals Ansinnen mag äußerst sympathisch sein, und es ist sicher eine tröstliche Vorstellung, dass ein Mensch dem anderen nicht zwangsläufig Wolf sein muss. Für solche Appelle an das Gute und Menschheits-Verbindende mögen sich die hier versammelten Berichte daher eignen. Doch eines gibt es sicher trotzdem nicht: eine gänzlich ideologiefreie Biologie.
Besprochen von Hilal Sezgin
Frans de Waal: Das Prinzip Empathie. Was wir von der Natur für eine bessere Gesellschaft lernen können
Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober
Carl Hanser Verlag, München 2011
352 Seiten
Tatsächlich aber, meint de Waal, gehören nicht nur Konkurrenz und gelegentliche Aggression, sondern vor allem auch gegenseitige Anteilnahme und Hilfe zum biologischen Erbe des Menschen. Empathie, Trost und ein basales Gerechtigkeitsempfinden finden sich auch im Tierreich. Möglicherweise sind diese Fähigkeiten in allen Säugetieren angelegt, gelangen dann aber unterschiedlich stark zur Ausprägung. Besonders interessant ist dabei der Hinweis des Autors, dass es offenbar vielen Spezies an spontaner Gefühlsansteckung und Empathie nicht mangelt – wohl aber an den kognitiven Fähigkeiten, die nötig sind um zu erkennen, wie dem Anderen aus seiner Notlage herauszuhelfen wäre. Nicht jedes Tier ist so schlau wie jener Bonobo-Affe, der einen verletzten Vogel auf die Spitze seines Klettergerüsts trug und ihm die Flügel spreizte.
Solche Erfahrungsberichte machen das Gros des Buches aus. Wir lesen von Elefanten, die ihre sterbenden Artgenossen zu füttern versuchen, von einer Robbe, die einen alten Hund ans Ufer schiebt, von dem Buckelwal, der sich nach seiner Rettung bei dem Taucherteam bedankt und von einer Elefantenkuh, die einen verletzten Menschen behütet. All das sind schöne, manchmal berührende, manchmal erheiternde Geschichten, die die Grundthese des Buchs sicher stützen. Leider können sie den Charakter des Anekdotischen nicht abstreifen. Eine Zoo-Begebenheit reiht sich an die andere, und irgendwann fragt man sich, wann das Geschichtenerzählen zum Ende gelangt und es mit dem wissenschaftlichen Sachbuch weitergeht.
Dessen Thesen aber bleiben spärlich. Über die eingangs formulierte Absicht kommt das Buch bis zum Ende nicht hinaus: Die Interpretation der Natur soll dem alleinigen Zugriff neoliberaler Politiker entrissen werden. Jene werfen "wie Zauberkünstler ihre ideologischen Überzeugungen in den Hut der Natur und ziehen sie anschließend an den Ohren wieder heraus". Schön gesagt. Doch macht die Wissenschaft der Biologie es völlig anders? De Waals Ansinnen mag äußerst sympathisch sein, und es ist sicher eine tröstliche Vorstellung, dass ein Mensch dem anderen nicht zwangsläufig Wolf sein muss. Für solche Appelle an das Gute und Menschheits-Verbindende mögen sich die hier versammelten Berichte daher eignen. Doch eines gibt es sicher trotzdem nicht: eine gänzlich ideologiefreie Biologie.
Besprochen von Hilal Sezgin
Frans de Waal: Das Prinzip Empathie. Was wir von der Natur für eine bessere Gesellschaft lernen können
Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober
Carl Hanser Verlag, München 2011
352 Seiten