Ein Asyl für alte Bilder
Die 33-Jährige Anke Heelemann betreibt in Weimar die "Fotothek", ein kleines, feines Fachgeschäft. Dort stellt sie in ihrem Laden alte Privatfotografien aus, die sie seit Jahren sammelt. Besucher können die Bilder in die Hand nehmen oder sogar für ein paar Tage ausleihen.
"Es muss gar nicht viel passieren. Das Bild muss da sein und einfach wie so ein Funke überspringen. Es muss ein überraschendes Motiv sein - vielleicht gar nicht mal so überraschend im Sinne von: Da springt jemand aus dem Fenster, um Gottes willen. Sondern einfach auch wie ein Großelternpaar, das in einem Gewächshaus steht. Das aber so herrlich koloriert ist einfach, wo man fünf Stunden davor stehen kann und mit eingesogen wird oder eintaucht in das Bild."
Der Funke ist bei Anke Heelemann ziemlich oft übergesprungen: Die junge Frau mit dem kurzen dunklen Haar und dem strahlenden Lächeln teilt sich ihr unsaniertes Ladenlokal in der Weimarer Innenstadt mit etwa 75.000 Bildern. Gefunden hat sie sie auf Flohmärkten oder bei Internetauktionen. In der "Fotothek", ihrem "Fachgeschäft für vergessene Privatfotografien", archiviert sie diese Urlaubsschnappschüsse, Familienporträts oder Hochzeitsfotos aus der Zeit zwischen 1920 und 1980. Die "Fotothek" ist ein sehr nahbares Langzeit-Kunstprojekt: Besucher dürfen hier nach Herzenslust in den alten Fotos wühlen.
"Gleichzeitig wird deutlich, wie auch die Leute mit diesen Bildern umgehen und darauf reagieren, schon, dass da so ein Gefühl ist, dass dieses analoge Erleben von Bildern, wirklich dieses Haptische: Ich hab ein Bild in der Hand, und das erzählt mir was, was ganz Anderes ist. Und auch was ganz Anderes auslöst als die 200, 300 Bilder, die ich von meinem Sommerurlaub auf meinem Rechner hab, plus die 20.000 anderen Bilder, die sich da tummeln."
Neben dem Suchen und Sammeln besteht Anke Heelemanns Hauptaufgabe darin, die Bilder zu sortieren. Zunächst nur nach Zeitpunkt und Ort ihres Fundes. Später ordnet sie die Fotos nach thematischen oder formalen Gesichtspunkten, um sie in Karteikästen in der "Fotothek" präsentieren zu können - und um selbst irgendwie den Überblick zu behalten.
"Da wäre zum Beispiel einmal die Eisbär-Kategorie. Scheinbar war es gang und gäbe in Zoos, dass dort ein Eisbär, ein Mensch, verkleidet als Eisbär, durch die Gegend lief und sie sich mit den jeweiligen Besuchern des Zoos in Pose bringen konnten. Und davon gibt es auch noch ein paar mehr. Es gibt auch kleine Jungen in roten Latzhosen mit lilanen Gummistiefeln, die mindestens einen doppelt kindskopfgroßen Pilz in der Hand halten. Oder ganz romantisch die zwei Elefanten, die ihre Rüssel verknoten."
Geboren ist Anke Heelemann 1979 in Hoyerswerda und in Cottbus aufgewachsen. Sie hat erst in Leipzig und dann in Weimar studiert, genau wie ihre Eltern, wie sie lachend erzählt. Während die zwar kulturinteressiert waren, aber eine stadtplanerische Ausbildung absolvierten, hat sich Anke Heelemann für Mediengestaltung entschieden. Die "Fotothek" war ihre Abschlussarbeit an der Bauhaus-Universität Weimar.
"Das war meine Diplomarbeit und natürlich auch ein Experiment, ganz klar. Diesen Laden einzurichten, ihn zu führen und gleichzeitig seine Diplomarbeit zu schreiben, um das zu reflektieren: Was tut man hier jetzt eigentlich. Und wie läuft's eigentlich. Was eine sehr spannende Zeit war."
"Um dann zu merken: Okay, es funktioniert, und es macht Sinn, dass es weiterläuft. Um dabei zu bleiben oder sich den Rahmen zu setzen und darauf aufzubauen und Dinge weiterzuentwickeln."
Sobald man die lachenden, feiernden, ungeschickt dastehenden Menschen auf den Bildern in der "Fotothek" betrachtet, beginnt man fast automatisch, Mutmaßungen über diese Unbekannten anzustellen. Das macht den Reiz des Projekts aus - gerade, weil es eben keine Antworten auf die Fragen nach den Leben hinter den Bildern gibt.
"Es wäre, glaube ich, ein Drama, all diese Geschichten zu kennen. Es wäre einfach zuviel. Weil ja die Bilder schon eine Art Gefühl vermitteln, nicht nur das einzelne Bild, sondern vielleicht auch der Karton, den man da findet, ein Gefühl vermittelt von: Hm, eher ungut, oder eher: Oh Gott, das hat wahrscheinlich doch kein schönes Ende genommen, was natürlich alles nur spekulativ ist, ganz klar. Aber wo man denkt: Okay, ich will's anonym haben und ich brauche diese Fremdheit, um neu lesen zu können und neu deuten zu können."
Die "Fotothek" ist nicht zuletzt ein Asyl für Fotos, die niemand mehr will. Anke Heelemann erweckt sie zu neuem Leben. Regelmäßig gibt es in ihrem Laden Veranstaltungen, die sich ganz konkret den Privatfotografien widmen. Etwa Diaabende mit zufällig aufeinanderfolgenden Bildern, zu denen Gäste Geschichten improvisieren. Man merkt Anke Heelemann eine gewisse Sorgfaltspflicht für die verwaisten Fotos an, diese altmodischen, fremden Leben in Schwarzweiß und verblassenden Farben. Obwohl die Menge der archivierten Fotos fast unüberschaubar groß ist, streift sie nach wie vor über Flohmärkte und hält Ausschau nach Schutzbedürftigem.
"Ich habe ein großes Bild, wie es hier im Laden hängt, ein Großelternpaar auf einem Abzug von, weiß ich nicht, 80 mal 60 oder so was, gefunden, schon etwas in Mitleidenschaft gezogen, und am Ende des Tages halte ich ein Bild in der Hand, ein gerahmtes ovales Hochzeitsbild aus der gleichen Zeit, aber eben besser erhalten, gefühlt: Das Paar noch mal in Jung. Wahnsinn! Und dann gibt es sozusagen das Bild von mir, wie ich mit zwei Riesenbildern diesen Flohmarkt verlasse. Als das, was möglich ist zu finden. Der Anfang und das Ende."
Vergessene Fotos
Der Funke ist bei Anke Heelemann ziemlich oft übergesprungen: Die junge Frau mit dem kurzen dunklen Haar und dem strahlenden Lächeln teilt sich ihr unsaniertes Ladenlokal in der Weimarer Innenstadt mit etwa 75.000 Bildern. Gefunden hat sie sie auf Flohmärkten oder bei Internetauktionen. In der "Fotothek", ihrem "Fachgeschäft für vergessene Privatfotografien", archiviert sie diese Urlaubsschnappschüsse, Familienporträts oder Hochzeitsfotos aus der Zeit zwischen 1920 und 1980. Die "Fotothek" ist ein sehr nahbares Langzeit-Kunstprojekt: Besucher dürfen hier nach Herzenslust in den alten Fotos wühlen.
"Gleichzeitig wird deutlich, wie auch die Leute mit diesen Bildern umgehen und darauf reagieren, schon, dass da so ein Gefühl ist, dass dieses analoge Erleben von Bildern, wirklich dieses Haptische: Ich hab ein Bild in der Hand, und das erzählt mir was, was ganz Anderes ist. Und auch was ganz Anderes auslöst als die 200, 300 Bilder, die ich von meinem Sommerurlaub auf meinem Rechner hab, plus die 20.000 anderen Bilder, die sich da tummeln."
Neben dem Suchen und Sammeln besteht Anke Heelemanns Hauptaufgabe darin, die Bilder zu sortieren. Zunächst nur nach Zeitpunkt und Ort ihres Fundes. Später ordnet sie die Fotos nach thematischen oder formalen Gesichtspunkten, um sie in Karteikästen in der "Fotothek" präsentieren zu können - und um selbst irgendwie den Überblick zu behalten.
"Da wäre zum Beispiel einmal die Eisbär-Kategorie. Scheinbar war es gang und gäbe in Zoos, dass dort ein Eisbär, ein Mensch, verkleidet als Eisbär, durch die Gegend lief und sie sich mit den jeweiligen Besuchern des Zoos in Pose bringen konnten. Und davon gibt es auch noch ein paar mehr. Es gibt auch kleine Jungen in roten Latzhosen mit lilanen Gummistiefeln, die mindestens einen doppelt kindskopfgroßen Pilz in der Hand halten. Oder ganz romantisch die zwei Elefanten, die ihre Rüssel verknoten."
Geboren ist Anke Heelemann 1979 in Hoyerswerda und in Cottbus aufgewachsen. Sie hat erst in Leipzig und dann in Weimar studiert, genau wie ihre Eltern, wie sie lachend erzählt. Während die zwar kulturinteressiert waren, aber eine stadtplanerische Ausbildung absolvierten, hat sich Anke Heelemann für Mediengestaltung entschieden. Die "Fotothek" war ihre Abschlussarbeit an der Bauhaus-Universität Weimar.
"Das war meine Diplomarbeit und natürlich auch ein Experiment, ganz klar. Diesen Laden einzurichten, ihn zu führen und gleichzeitig seine Diplomarbeit zu schreiben, um das zu reflektieren: Was tut man hier jetzt eigentlich. Und wie läuft's eigentlich. Was eine sehr spannende Zeit war."
"Um dann zu merken: Okay, es funktioniert, und es macht Sinn, dass es weiterläuft. Um dabei zu bleiben oder sich den Rahmen zu setzen und darauf aufzubauen und Dinge weiterzuentwickeln."
Sobald man die lachenden, feiernden, ungeschickt dastehenden Menschen auf den Bildern in der "Fotothek" betrachtet, beginnt man fast automatisch, Mutmaßungen über diese Unbekannten anzustellen. Das macht den Reiz des Projekts aus - gerade, weil es eben keine Antworten auf die Fragen nach den Leben hinter den Bildern gibt.
"Es wäre, glaube ich, ein Drama, all diese Geschichten zu kennen. Es wäre einfach zuviel. Weil ja die Bilder schon eine Art Gefühl vermitteln, nicht nur das einzelne Bild, sondern vielleicht auch der Karton, den man da findet, ein Gefühl vermittelt von: Hm, eher ungut, oder eher: Oh Gott, das hat wahrscheinlich doch kein schönes Ende genommen, was natürlich alles nur spekulativ ist, ganz klar. Aber wo man denkt: Okay, ich will's anonym haben und ich brauche diese Fremdheit, um neu lesen zu können und neu deuten zu können."
Die "Fotothek" ist nicht zuletzt ein Asyl für Fotos, die niemand mehr will. Anke Heelemann erweckt sie zu neuem Leben. Regelmäßig gibt es in ihrem Laden Veranstaltungen, die sich ganz konkret den Privatfotografien widmen. Etwa Diaabende mit zufällig aufeinanderfolgenden Bildern, zu denen Gäste Geschichten improvisieren. Man merkt Anke Heelemann eine gewisse Sorgfaltspflicht für die verwaisten Fotos an, diese altmodischen, fremden Leben in Schwarzweiß und verblassenden Farben. Obwohl die Menge der archivierten Fotos fast unüberschaubar groß ist, streift sie nach wie vor über Flohmärkte und hält Ausschau nach Schutzbedürftigem.
"Ich habe ein großes Bild, wie es hier im Laden hängt, ein Großelternpaar auf einem Abzug von, weiß ich nicht, 80 mal 60 oder so was, gefunden, schon etwas in Mitleidenschaft gezogen, und am Ende des Tages halte ich ein Bild in der Hand, ein gerahmtes ovales Hochzeitsbild aus der gleichen Zeit, aber eben besser erhalten, gefühlt: Das Paar noch mal in Jung. Wahnsinn! Und dann gibt es sozusagen das Bild von mir, wie ich mit zwei Riesenbildern diesen Flohmarkt verlasse. Als das, was möglich ist zu finden. Der Anfang und das Ende."
Vergessene Fotos

In Leipzig gibt es eine Außenstelle der Fotothek.© Fotothek Weimar