Ein Aufklärungsstück

Von Hartmut Krug |
Es beginnt mit Jubelrufen: Ein Galgen wird errichtet. Er ist für Joseph Süß Oppenheimer bestimmt, dessen Leben in einer Rückblende vor dem wuchtigen Westchor des Wormser Doms nacherzählt wird.
Im zehnten Jahr der Nibelungen Festspiele hat sich Dieter Wedel gemeinsam mit dem Dramatiker Joshua Sobol einen weiteren, ideologisch von den Nazis missbrauchten Mythos vorgenommen. Der jüdische Geschäftsmann Oppenheimer, der zwischen 1732 und 1737 zum Finanzrat des neuen württembergischen Herrschers Herzog Karl Alexander aufstieg und den Agrarstaat wirtschaftlich zu reformieren suchte, sich aber mit neuen Steuern für jedermann die Landstände zu Feinden machte, wurde nach dem plötzlichen Tod des Herzogs vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Seine öffentliche Hinrichtung vor den Toren Stuttgarts machte Süss zur Legende.

Kupferstiche, Gedichte, Erzählungen, eine Novelle von Hauff, ein Theaterstück und ein Roman von Lion Feuchtwanger, ein expressionistischer Roman von Paul Kornfeld, eine moderne Oper von Detlev Glanert und vier Filme, darunter Veit Harlans nationalsozialistischer Hetzfilm, zeichnen ein sehr unterschiedliches Bild von ihm.

Wedel und Sobol erzählen mit ihrem Drama von politischen Intrigen, einem Justizskandal und von Antisemitismus. Ihr Oppenheimer ist ein assimilierter Jude, der Rechtssicherheit und Reformen erstrebte und den Staat entschulden wollte. Er ist zwar ehrgeizig und zielgerichtet, liebt die Frauen, Macht und Erfolg und erscheint dennoch als der einzig Redliche in einer Geschichte voller politischer Intrigen, sexueller Begierden und egoistischer Machtspiele. Dafür zitieren sie sowohl frühere Dramatisierungen des Stoffes wie auch historische Dokumente und Gerichtsakten. Herausgekommen ist ein widerspruchsfreies Lehr- und Aufklärungsstück, so schematisch wie holzschnittartig.

Eine von Treppen gegliederte Steh- und Spielfläche hoch oben, daneben zwei Projektionsflächen für (entbehrliche) Filmsequenzen, dazu unten eine Drehbühne mit marmornen Palasträumen und einem großen Brunnen: All das gibt viel Spielraum, verleitet den Regisseur aber leider auch zu vielen großen, überdeutlichen Arrangements. Durch die weiten Räume und das Sprechen mit Headsets wird das Kammerspiel zu einem künstlich-kühlen Geschehen, das als äußerliches Spektakel vom Zuschauer wegrückt.

Die Szenen wirken langwierig mit ihrem altbackenen Bedeutungsspiel und ihren Klischeefiguren in Kostümen des 18. Jahrhunderts. Kichernd, stets verführerisch bis erotisch willig und kaum unterscheidbar: die Frauenfiguren. Unterschiedlicher und unterscheidbarer: die Männer. Heftig chargierend und leicht sächselnd (André Eisermann, ein Landständler als mörderisch brutaler Vergewaltiger) oder dröhnend (Walter Plathe als General), schön verunsichert (Manfred Zapatka als Minister) oder souverän in der Figur ruhend (Peter Striebeck als alter Kaufmann Isaak Landauer). Rufus Beck spielt die Titelfigur mit klarer Diktion nicht als Klischee eines Ehrgeizlings und Machtbesessenen, sondern überzeugend als überlegen(d)en, etwas trocken eleganten Mann, der Erfolg und Einfluss haben will und den schönen Frauen nicht abgeneigt ist. Vom Tod seines Herrn und Freundes (Jürgen Tarrach bringt als lebens- und liebeslustiger Herzog eine schöne Beweglichkeit und heftige Sinnlichkeit ins Spiel) und den anschließenden antisemitischen Ausbrüchen gegen sich scheint er völlig überrascht.

Aktualisierungen unternehmen Wedel und Sobol kaum. Immerhin erinnert der Monolog eines Landständlers, der den von außen kommenden Oppenheimer als Fremden auszugrenzen sucht, durchaus an aktuelle Debatten. Und die Beharrungskräfte, mit denen sich im Stück gesellschaftliche Gruppen gegen Veränderungen wehren, kommen uns so bekannt vor wie der Vorgang, dass antisemitische Vorurteile gegen den erfolgreichen Jud Süss als politisches Mittel eingesetzt werden. Jud Süß war ein aufgeklärter, ehrlicher Staats- und Geschäftsmann, sagt die Wormser Version. Er wird zum Opfer eines Justizmordes, das ist die Botschaft einer Inszenierung, die mit Oppenheimers Erhängung und den Bildern der Urteilsverkündigung aus Veit Harlans Film mahnend endet.