"Ein Aufruf zum Durchhalten"

Jens Schröter im Gespräch mit Frank Meyer |
Die poetische Untergangsprophezeiung der Johannesoffenbarung versteht der Theologe Jens Schröter als Ermutigung, Stärkung und Trost für die Gemeinde. Nach dem drastisch geschilderten Weltende werde "eine neue Welt, ein neuer Himmel und eine neue Erde" kommen.
Frank Meyer: Am Freitag sollte ja laut ursprünglicher Planung die Welt untergehen. Ein alter Maya-Kalender sollte das angekündigt haben, was sich aber als falsch herausstellte. Aber diese Falschmeldung hat die Weltuntergangsfantasien, die Lust am Untergang ordentlich angeheizt. Und mit dieser Lust befassen wir uns hier im "Radiofeuilleton" in einer Reihe von Gesprächen. Heute geht es da um einen der berühmtesten apokalyptischen Texte überhaupt, um die "Offenbarung des Johannes" aus dem Neuen Testament. Hier ein Ausschnitt: Da werden Heuschreckenscharen mit Skorpionstacheln auf die sündigen Menschen losgeschickt, um sie fünf Monate lang zu quälen:

6 Und in jenen Tagen werden die Menschen den Tod suchen und nicht finden, sie werden begehren zu sterben und der Tod wird von ihnen fliehen.
7 Und die Heuschrecken sahen aus wie Rosse, die zum Krieg gerüstet sind, und auf ihren Köpfen war etwas wie goldene Kronen, und ihr Antlitz glich der Menschen Antlitz;
8 und sie hatten Haar wie Frauenhaar und Zähne wie Löwenzähne
9 und hatten Panzer wie eiserne Panzer, und das Rasseln ihrer Flügel war wie das Rasseln der Wagen vieler Rosse, die in den Krieg laufen,
10 und hatten Schwänze wie Skorpione und hatten Stacheln, und in ihren Schwänzen war ihre Kraft, Schaden zu tun den Menschen fünf Monate lang. (Auszug: Neues Testament, Offenbarung des Johannes, Abschnitt "Die große Schar aus allen Völkern")


Ein Stück aus der "Offenbarung des Johannes". Bei uns im Studio ist jetzt ein Theologe, der sich viel auch mit diesem Text aus dem Neuen Testament befasst hat, Professor Jens Schröter von der Humboldt-Universität Berlin. Seien Sie herzlich willkommen!

Jens Schröter: Schönen guten Tag!

Meyer: Das ist ja ein sehr kraftvoller, sehr bilderreicher, auch sehr beängstigender Text zum Teil. Kann man heute rekonstruieren, mit welcher Absicht dieser Text damals vor etwa 2000 Jahren geschrieben wurde?

Schröter: Ja, man kann das relativ gut sagen, warum er verfasst wurde. Also, er gehört an das Ende des ersten Jahrhunderts, und von daher zu den späteren Schriften des Neuen Testamentes. Die Absicht dieser Art von Literatur ist in erster Linie die der Ermutigung, der Stärkung und des Trostes, also ein Aufruf zum Durchhalten, zum Festhalten an der eigenen Überzeugung. Das ist die Funktion dieser Literatur, die wir im Judentum auch haben und dann eben hier auch im frühen Christentum.

Meyer: Wobei, wenn Sie Trost sagen, was wir auch gerade gehört haben, und davon gibt es ja viele Beispiele, ist ja eher die Bedrohung der Ungläubigen, die Drohung mit dem schmerzlichsten Tod überhaupt hier, fünf Monate lang Qualen von Skorpionstacheln. Wie steht das zum Trost, diese Drohung?

Schröter: Ja, also, die Frage, die sich diese Literatur stellt, ist: Wo ist Gerechtigkeit und wer wird am Ende den Sieg behalten? Und diese Art von Literatur spricht denjenigen, die in einer Situation der Unterdrückung und Verfolgung leben, die Gewissheit zu, dass das Unrecht und die Verfolgung, unter der sie gegenwärtig zu leiden haben, am Ende nicht den Sieg davontragen wird, sondern dass es einen Ausgleich für diejenigen geben wird, die sich jetzt zu ihrem Bekenntnis stellen und daran festhalten. Diese Drohszenarien, diese sehr kraftvollen in dieser Literatur, richten sich natürlich immer an diejenigen, die jetzt die Unterdrücker und Verfolger sind!

Meyer: Dieser Text war ursprünglich, soweit ich weiß, an fünf christliche Gemeinden im asiatischen oder vorderasiatischen Raum gerichtet. Waren die in einer solchen Lage, dass sie so als kleine Inseln des frühen Christentums in einer übermächtigen Umgebung standen?

Schröter: Also, es sind sieben Gemeinden, die da genannt werden. In den ersten Kapiteln, also dem zweiten und dritten Kapitel der Johannesoffenbarung, und man kann vermuten, dass sie für christliche Gemeinden in diesem kleinasiatischen Raum – also, heute ist das die westliche Türkei – stehen. Und der Verfasser der Johannesoffenbarung bestimmt die Situation des Christentums so, dass sie zu dieser Zeit unter Bedrückungen und Anfeindungen vonseiten des Römischen Reiches zu leiden haben, vor allem deshalb, weil sie sich an dem, was üblich war im Rahmen der Religionen des Römischen Reiches, nicht beteiligt haben.

Das war der Konflikt: Muss man sich an anderen Formen der Ausübung von Religion beteiligen oder kann man sich dem verweigern, weil man sich nur zu dem einen Gott bekennt? Das ist offenbar der Konflikt. Und hier ruft der Verfasser der Offenbarung dazu auf, daran zu glauben, dass Gott den Sieg über die Geschichte am Ende haben wird und man deshalb in der gegenwärtigen Situation der Verfolgung standhaft bleiben soll.

Meyer: Der Verfasser, sagen Sie. Weiß man, wer das ist, der Verfasser?

Schröter: Also, man weiß es nicht genau. Es ist im Unterschied zu anderer jüdischer apokalyptischer Literatur auffällig, dass er sich mit Namen nennt. Er nennt seinen Namen, Johannes, an ein paar Stellen in der Schrift. Wir wissen über ihn nichts Genaues. Er wurde dann später in der kirchlichen Tradition mit dem Verfasser auch des Johannesevangeliums und der Johannesbriefe identifiziert, das ist aber historisch sicher nicht richtig, das gehört in eine andere Art von Literatur.

Also, man kann so viel sagen, dass er offenbar den Namen Johannes trug und ein Prophet war – er nennt sich an ein paar Stellen selber als Prophet – und offenbar jemand eben, der in dieser Situation im kleinasiatischen Christentum eine wichtige Rolle gespielt haben muss. Das kann man daraus entnehmen, dass er sich mit einem solchen kraftvollen Text an die Gemeinden im kleinasiatischen Raum wendet. Wer er genau war, können wir darüber hinaus nicht sagen.

Meyer: Und Sie haben gerade ja schon die römische Herrschaft dieser Zeit angesprochen: Der Text steckt ja voller sehr kraftvoller Symbole und Allegorien, es gibt die berühmte Hure Babylon da, es gibt einen roten Drachen mit sieben Häuptern und zehn Hörnern. Sind das dann Anspielungen auf konkrete Mächte dieser Zeit, eben auf die Macht Rom?

Schröter: Ja, also, die Bezeichnung der Hure Babylon ist ganz sicher ein Hinweis auf Rom, das ist auch nicht singulär, dieser Deckname Babylon kommt in der antiken Literatur häufiger für Rom vor. Eben in der jüdischen Literatur und dann auch in der frühchristlichen Literatur, eben als Bezeichnung für die Gegenmacht, für die gottfeindliche Macht. Das ist eine Anspielung. Es gibt darüber hinaus noch einige weitere, der Verfasser ordnet seine Schrift historisch dadurch ein, dass er von einer bestimmten Reihe von Königen spricht, das sind sieben Könige.

Und da hat er offenbar eine Vorstellung davon, in welcher Zeit er jetzt selber lebt, das rechnet man irgendwie mit Beginn der römischen Kaiser. Und von daher kann man auch annehmen, dass es an das Ende des ersten Jahrhunderts gehört, also die Regierungszeit Domitians, der von 81 bis 96 römischer Kaiser war. Das ist so etwa der Zeitraum, in dem die Offenbarung entsteht. Und diese Anspielungen eben auf diese sieben Häupter etwa bezieht sich auch darauf, dass hier eben diese sieben Könige gemeint sind oder eben dann die römischen Kaiser, die mit den Königen da bezeichnet werden.

Meyer: Worüber ich jetzt beim Wiederlesen immer wieder gestolpert bin, das ist die große Drastik dieses Textes. Es gibt zum Beispiel eine Stelle, da geht es offenbar um die Sünder, die in einem Kelter zertreten werden, und da heißt es dann: Und das Blut ging von der Kelter bis an die Zäume der Pferde, 1600 Stadien weit. Also ein tiefes Meer voller Blut. Ist das typisch für die Zeit oder ist das ein besonderes Merkmal gerade dieses Textes, diese Drastik?

Schröter: Also, diese Art von sehr plastischer und auch eben sehr gewalttätiger Visionen finden wir in vergleichbaren Texten der jüdischen apokalyptischen Literatur auch. Die beginnt so mit dem Buch Daniel, also um das Jahr 200 vor Christus, und hat dann immer mal solche sehr starken Visionsschilderungen. Also, die Idee ist, dass der Seher, der Prophet selber vom Ende der Geschichte her den Geschichtsverlauf überblicken kann und sieht, wie in solchen großartigen Szenarien die jetzt bestehende Welt, für die man keine Hoffnung mehr hat, untergeht und eine neue Welt, ein neuer Himmel und eine neue Erde an dessen Stelle tritt.

Das wird hier in der Offenbarung des Johannes in sehr plastischen, verstörenden, kann man sagen, Bildern ausgemalt. Verstörend deshalb, weil sie in der Tat sehr gewalttätig sind gegenüber denjenigen, die man jetzt als die Gegner, also als diejenigen, die eben die Christen unterdrücken und verfolgen, betrachtet. Und das muss man halt sehen, man muss es in dieses Spektrum einordnen. Also, man kann sagen, eben Literatur von Unterdrückten, die durch diese Art von Ermutigung eben aufgerufen werden sollen, daran zu glauben, dass es einen Sieg über das Unrecht geben wird.

Meyer: Man kann ja, glaube ich, sagen, dass dieser Text, die Offenbarung des Johannes, die folgenreichste Apokalypse im christlichen Raum auf jeden Fall geworden ist, oder der apokalyptische Text. Was meinen Sie, woran das liegt? Hat der Text eine besondere Qualität, die eben auch Nichtchristen, Schriftsteller angeregt hat, sich auf diesen Text zu beziehen?

Schröter: Ja, natürlich ist es in erster Linie dem geschuldet, dass wir hier eine ganz außerordentlich kraftvolle, bildreiche, visionenreiche Sprache haben. Das ist ja auffällig innerhalb des Spektrums der frühchristlichen Literatur, das gibt es ja in dieser Weise ansonsten im frühen Christentum nicht. Das inspiriert natürlich, darüber nachzudenken, was ist mit diesen Bildern gemeint. Und es gibt ja dann auch unterschiedliche Interpretationen: Steht uns das alles noch bevor?

Wenn man es wörtlich nimmt, haben wir hier irgendwie wörtliche Schilderungen des Weltendes vor uns. Und das ist sicher der Grund dafür, dass die Johannesoffenbarung" so eine ganz außerordentliche Wirkungsgeschichte gerade zum Beispiel in der Kunst auch hervorgerufen hat. Das ist sicher dieser spezifischen Art von kraftvoller, bildreicher Sprache geschuldet. Man muss aber immer aufpassen, dass man sie nicht falsch interpretiert und sie jetzt nicht als einen Anlass nimmt, irgendwelche Berechnungen über das Weltende anzustellen oder so. Das wäre sicher ganz falsch verstanden!

Meyer: Die "Offenbarung des Johannes", für uns interpretiert von Jens Schröter, Professor für neutestamentliche Theologie an der Humboldt-Universität Berlin. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Schröter: Ja, ich danke Ihnen, gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Programmhinweis:

Apokalypse Now - Der Maya-Kalender und die Lust am Untergang
Reihe im Radiofeuilleton

Passend zum erwarteten Weltuntergang senden wir am 21.12.12 ein Konzert zum Ende der Zeit, ab 22.30 Uhr.