Ein Aufstand, den Rudi Dutschke diesmal nicht zu verantworten hat
In Berlin-Kreuzberg gibt es bereits eine Rudi-Dutschke-Straße - jedenfalls im neuesten Falk-Stadtplan für die Hauptstadt. In dem Plan ist ein Teil der Kochstraße als Dutschke-Straße ausgewiesen. Tatsächlich ist der Straßenabschnitt noch nicht umbenannt.
Im September hatte das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg ein Bürgerbegehren gegen die geplante Umbenennung angenommen, wofür über 9300 Unterschriften gesammelt worden waren. Nun soll es bis zum 21. Januar einen Bürgerentscheid über die Umbenennung eines Teils der Kochstraße geben, in der auch die Verlage Axel Springer und der taz mit ihrem Rudi-Dutschke-Haus liegen. Der im April 1968 bei einem Attentat auf dem Kurfürstendamm schwer verletzte Dutschke gehörte zu den Protagonisten der Studentenrevolte, die sich unter anderem auch gegen den Medieneinfluss des Axel-Springer-Verlags richtete. Dutschke erlag Heiligabend 1979 im Alter von 39 Jahren den Spätfolgen des Attentats.
Hans-Christian Ströbele: "Ich will das nicht überbewerten, aber es wäre schon ein Signal auch in die Gesellschaft rein, weit über das hinaus, was an Auseinandersetzung gelaufen ist etwa um den ehemaligen Außenminister Fischer, APO und Leute, die jetzt in der etablierten Politik angekommen waren, weit darüber hinaus, wenn man jetzt sagen würde, (eines der ersten Opfer der Gewalthetze gegen die Studenten wird dadurch hervorgehoben, dadurch geehrt, dass man eine Straße nach ihm benennt, nämlich Rudi Dutschke."
Gerd Langguth: "Ich bin nur bereit, ein kraftvolles JA zu einer Straßenumbenennung zu sagen, wenn mir nachgewiesen würde, dass Dutschke wirklich ein Demokrat im Sinne unseres Grundgesetzes gewesen wäre, wenn er wirklich die liberalen Freiheitsrechte gewollt hätte, und wenn man heute alle Quellen sieht, die man von ihm kennt, dann wird man dem nicht zustimmen können, dass er eine liberale pluralistische Demokratie wollte."
Anruf beim MairDumont-Verlag in Ostfildern bei Stuttgart. Hier werden die Mütter aller deutschen Stadtpläne produziert: die Faltpläne von Falk. Ganze Generationen von Autofahrern sind an ihrer Falttechnik schon gescheitert.
Im Herbst vergangenen Jahres sorgte die Redaktion bundesweit für Aufsehen. Die Bezirksverordnetenversammlung des Berliner Stadtteils Friedrichshain-Kreuzberg hatte 2005 beschlossen, einen Teil der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße umzubenennen, also korrigierte Kartograph Bernd Schreiber den Straßennamen in der 69. Auflage des Berliner Falk-Stadtplans. Als der dann in die Läden kam, war die Aufregung groß. Was der gute Mann noch nicht wusste: eine von der CDU angeführte Bürgerinitiative hatte Unterschriften gegen die Rudi-Dutschke-Straße und für einen Bürgerentscheid gesammelt. Mit Erfolg: übermorgen sind 182.592 Einwohner aufgerufen, zur Wahlurne zu gehen und endgültig darüber zu entscheiden, ob ein Teil der Kochstraße zur Rudi-Dutschke-Straße wird oder nicht.
"Wir wollen eben immer hochaktuell sein", entschuldigt sich Bernd Schreiber vom MairDumont-Verlag. Außerdem, gibt er zu, sei man sich im fernen Stuttgart nicht ganz der Brisanz der Situation bewusst gewesen, wenn in Berlin die Axel-Springer- auf die Rudi-Dutschke-Straße trifft.
Anwohnerin: "Vergessen Sie das! Machen wir gleich ein ‚Nein’ draus. – Warum denn? – Weil Kochstraße ist Kochstraße. Ich hasse dieses ewig Umbenennen, für mich ist das ‚Leute schikanieren’, weiter gar nicht. Weil: allet, wat hier kreucht und fleucht und wohnt und ein bisschen sich hat uffjebaut, fängt dann an mit neue Briefköpfe und haste nich jesehen. Ganz Berlin weiß: das ist die Kochstraße, und das möchte sie doch bitte auch bleiben."
Anwohnerin: "Das ist schon auch richtig: das Umbenennen ist immer mit Arbeit verbunden, aber ich fände es nicht schlecht, seiner hier zu gedenken."
Die Kreuzung Axel-Springer-Straße/Kochstraße ist eine Ampelkreuzung wie Tausend andere in Berlin. Obwohl der Bezirksamtsbeschluss gilt, ist hier noch kein Straßenschild ausgetauscht worden. Man darf es getrost als Ironie der Geschichte bezeichnen, wenn hier bald die Axel-Springer- auf die Rudi-Dutschke-Straße stößt. Vor 38 Jahren eskalierte hier der Straßenkampf der rebellierenden Studenten gegen das etablierte System.
Rudi Dutschke: "Die Revolutionierung der Revolutionäre ist die entscheidende Voraussetzung für die Revolutionierung der Massen. Es lebe die Weltrevolution und die daraus entstehende freie Gesellschaft der ganzen Welt und nicht nur eines Dorfes."
Kämpferische Aussagen wie diese auf dem Internationalen Vietnam-Kongress im Februar 1968 in West-Berlin machen Rudi Dutschke zur Symbolfigur der Außerparlamentarischen Oppositionsbewegung in der Bundesrepublik Deutschland. Dutschke provoziert und zieht den Hass des politischen Gegners auf sich. "Vergast Dutschke" pinselt jemand an den Flur des Hauses, in dem der Studentenführer wohnt. Auf einer Großkundgebung im Anschluss an den Vietnam-Kongress verschaffen sich die APO-Gegner Gehör.
Reporter: "Der Ruf ‚Dutschke raus’, der bereits vorher des Öfteren erklang, wurde immer lauter und lauter. Ein Mann im blauen Mantel, der wohl meinte, dort vorne seien Gegendemonstranten, äußerte: ‚umlegen muss man die, einfach umlegen’. Auf meine Frage, ob er das im Ernst meine, antwortete er: ‚da hilft nur umlegen, sage ich’, ein älterer Mann zu seiner Begleiterin: ‚das sollten sie mal uns Frontsoldaten überlassen, kurzen Prozess, und wir hätten aufgeräumt’."
Vor allem die Springer-Presse heizt die Atmosphäre an. BILD veröffentlicht auf der Titelseite Fotos, auf denen Rudi Dutschke mit einem weißen Kreuz markiert ist. Rudis Bruder Helmut.
Helmut Dutschke: "Die Berliner sollen selber mitmachen, diese Unruhe zu beseitigen, sollen der Polizei nicht die Drecksarbeit überlassen und den Wasserwerfern. Und zwei Monate später gab es dann einen wie den Josef Bachmann, der diese Drecksarbeit erledigt hat. Springer, die BILD-Zeitung hat den ersten Schuss mit abgegeben."
Am 11. April 1968 schießt der Berliner Lagerarbeiter Josef Bachmann auf Rudi Dutschke, Dutschke überlebt schwer verletzt. Am selben Abend ziehen Hunderte von Studenten vor das Springer-Verlagshaus an der Kochstraße und blockieren die Auslieferung der Zeitungen. Mit dabei Hans-Christian Ströbele.
Hans-Christian Ströbele: "Es war eine sehr große Demonstration, die dann die Kochstraße hochkam zum Axel-Springer-Haus, das war ja damals noch neu das Gebäude, die unten an der Glaswand, an der Glastür dann endete und viele versuchten rein zu kommen, ich glaube einzelne sind sogar rein gekommen, aber nur ganz unten in den Flur, und wir waren so aufgebracht, dass wir sagten: ‚man muss dem Springer-Verlag das Handwerk legen, man muss die Produktion dieser Art von Meinungsmache unterbinden’."
Hans-Werner Kock, Reporter: "”Es ist jetzt 23.35 Uhr: die Situation hier in Kreuzberg vor dem Axel-Springer-Verlagshaus hat sich in vielen Etappen abgespielt und sich jetzt derart zugespitzt, dass ein Wagen im Unterstellpark, in dem die kleinen Lieferwagen des Ullstein-Verlages stehen, in Brand gesteckt wurde. Die Feuerwehr ist jetzt mit einigen Löschzügen angerückt und versucht den Brand zu löschen. Die Demonstranten haben sich auf die dem Verlagshaus gegenüber liegenden Grundstücke zurückgezogen. Es hat Verletzte gegeben während der letzten Stunden. Verletzte durch Steinwürfe, denn immer wieder prasselten die Steine gegen die Fassade und gegen die Fenster des Verlagshauses Axel Springer.""
Der "Marsch auf Springer" ist bis heute ein Ereignis von hoher Symbolkraft in der Geschichte der APO. Die Zahl derjenigen, die an gleicher Stelle eine Rudi-Dutschke-Straße befürworten, wächst.
Hans-Christian Ströbele – der Rechtsanwalt und heutige Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen war damals Kampfgefährte Dutschkes.
Hans-Christian Ströbele: "Am Anfang war ich gar nicht mal so Feuer und Flamme für diesen Vorschlag, weil ich mir überlegt habe: würde Rudi Dutschke, den ich ja gut gekannt habe, das eigentlich gut gefunden haben, dass eine Straße nach ihm benannt werden soll? Nachdem das Ganze aber zu einer politischen Auseinandersetzung geworden ist mit Axel Springer, mit dem Springer-Verlag und dem taz-Verlag wurde ich immer sicherer, dass jetzt Rudi Dutschke sehr dafür gewesen wäre und sich an die Spitze eines solchen Kampfes gestellt hätte. Und seitdem sich auch noch die CDU eingeschaltet hat und das zu einem echten Politikum macht und versucht, das zu einer Abrechnung zu machen mit der 68er-Bewegung, seitdem unterstütze ich das mit meinen Kräften und mit wachsender Begeisterung."
Links wie rechts: die alten Frontlinien brechen wieder auf. Gerd Langguth, Anfang der 70er Jahre Bundesvorsitzender des konservativen RCDS, heute Politikprofessor an der Universität Bonn, ist einer der wenigen Intellektuellen in der Republik, der klar gegen die Rudi-Dutschke-Straße in der Öffentlichkeit Position bezieht.
Gerd Langguth: "Ich will ja den Springer-Konzern und insbesondere die BILD-Zeitung gar nicht frei sprechen, es war damals eine sehr polarisierte Zeit: aber ich kann doch nicht eine Straßenbenennung aufrechnen dadurch, dass ich sage: ‚die eine Seite hat so agiert und die andere so und deshalb muss man jetzt der Gerechtigkeit halber ein ausgleichendes Gewicht hier schaffen’. Das halte ich für absolut unhistorisch. Der Dutschke hatte viele Facetten in seinem Leben – aber: eine seiner wesentlichen Facetten war, dass er eine Geringschätzung der liberalen Demokratie vorgenommen hat, eine Relativierung der Erfordernisse eines Rechtsstaates, und deswegen glaube ich nicht, dass er als Vorbild dient und bin deswegen der Meinung, es wäre gut, wenn es nicht zu einer Umbenennung käme."
"Wir reden von der Revolution. Was ist aus der Revolution geworden? Es sind T-Shirts daraus geworden. Es sind Gesichter auf T-Shirts geworden, ein Che Guevara auf dem T-Shirt, ein Rudi auf dem T-Shirt, ein Rudi als Straße: ist das die Revolution von heute? – Hoch die Internationale Solidarität."
"From Disco to Dutschke" – beim so genannten Rudi-Impro-Slam, einer Wahlparty für die Rudi-Dutschke-Straße, versuchten sich Kreuzberger Bürger vor einer Woche als Dutschke-Nachahmer. Veranstalter: die taz, die linksalternative Tageszeitung.
Ihre Macher fordern schon seit langem eine Rudi-Dutschke-Straße. 1993 gab die taz ihrem Verlagsgebäude in der Kochstraße den Namen Dutschkes, vor zwei Jahren begann sie mit der Kampagne zur Straßenumbenennung.
Thilo Knott: "Ja, wir wollten natürlich die ganze Straße, von Anfang an, …"
Thilo Knott, Redakteur für besondere Aufgaben.
Thilo Knott: "… sind aber auch mit dem Teilstück zufrieden, weil das ja immerhin länger ist als die Axel-Springer-Straße, und es ist natürlich auch die Vorfahrtstraße. Das heißt wenn man an die Kreuzung fährt, dann hat die Rudi-Dutschke-Straße immer Vorfahrt vor der Axel-Springer-Straße."
Die parlamentarische Linke im Bezirk fand die Idee der taz gut und brachte einen entsprechenden Antrag in die Bezirksverordnetenversammlung ein. Im August 2005 beschloss die BVV mit den Stimmen von PDS, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, wenigstens einen Teil der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße umzubenennen.
Thilo Knott: "Wenn die Schulklasse aus Schwaben hier andockt mit ihrem Bus, wird sie hier auf relativ kleinem Gebiet bundesrepublikanische Geschichte erleben. Zwei wichtige Daten, die die Bundesrepublik verändert haben, sind 1968 und 1989. Sie können, wenn sie zuerst zum Checkpoint Charlie gehen, die Geschichte des geteilten Deutschlands nachempfinden und natürlich der Vereinigung, und sie können 500 Meter weiter laufen, und der Gemeinschaftskundelehrer kann ihnen hier das zweite wichtige Datum der Bundesrepublik Deutschland erklären, nämlich 1968. Insofern muss man den Blick weiten. Insofern ist die Dutschkestraße auch ein Ding, das letzten Endes auch Leute, die von Baden-Württemberg hierher kommen, berührt."
"Eine Straße für diesen Koch, die bleibt uns doch immer noch. Du Rudi aber wirst mal geehrt, und das ist gar nicht verkehrt, wenn man auf deiner Straße gehen kann bis an Springers Straße ran, dass auch die größten Deppen verstehen, hey anders kann es gar nicht gehen, dass man Kriege irgendwann lässt, deshalb ist deine Straße ein Test, wie wir Wunden am Ende heilen, auch wenn das Springer und Co. nicht teilen, genug, ich will nicht langweilen und darf nicht verweilen, nur dies: wir brauchen eine krasse, Rudi-Dutschke-Straße."
Anwohner: "Dat wär Quatsch, wirklich Quatsch. Und die hier wohnen, die müssen dann wieder die Adresse umändern lassen bei der Polizei, das ist doch nicht normal. Wenn jetzt hier Touristen kommen und zur Kochstraße wollen, dann ist nüscht zu machen, die wissen doch gar nicht Bescheid. Dann sollen sie mal lieber die Kochstraße lassen."
"”Rudi Dutschke, you know his name? – Rudi Dutschki? – It was a person, who wanted the revolution in West-Germany, and this street will get his name. What do you think about it? – Notting.– Rudi Dutschke. Conoces a Rudi Dutschke o alguien de Ustedes? – No, no lo conosciamo. No lo só.""
CDU verteilt Flugblätter: "Darf ich Ihnen das mitgeben zur Kochstraße/Dutschkestraße? – Danke, habe ich schon."
Kurt Wansner, CDU-Kreisvorsitzender in Friedrichshain-Kreuzberg will die Dutschke-Straße verhindern. Seit einer Woche macht er Straßenwahlkampf und verteilt Flugblätter im Kiez:‚ ‚Stimmen Sie mit JA für die Kochstraße!’ Die Resonanz ist dürftig. Die CDU hat im Bezirk nicht mehr allzu viele Anhänger – bei den letzten Wahlen knapp über zehn Prozent.
Kurt Wansner: "Sogar der Springer-Verlag hat nicht gewagt, die Kochstraße umzubenennen, eine Straße, die für Demokratie steht, die auch für Pressefreiheit bei den Nazis steht, umzubenennen in Rudi-Dutschke-Straße ist für mich schon ein ungeheuerliches Stück."
Immerhin haben es Kurt Wansner und seine Parteifreunde im vergangenen Jahr geschafft, fast 10.000 Unterschriften zu sammeln, damit es zum Bürgerentscheid über die Straßenumbenennung kommt. Der ist am kommenden Sonntag und wird den Bezirkshaushalt mit etwa 250.000 Euro belasten. War das nötig? Hätte man den demokratischen Entscheidungsprozess in der BVV nicht akzeptieren können?
Kurt Wansner: "Weiß jetzt nicht, was Demokratie ist. Wenn irgendwelche Bezirksvorsitzenden in der BVV entscheiden, auf Anraten der taz die Kochstraße in Dutschkestraße umzubenennen, das heißt sich zum verlängerten Arm einer noch nicht einmal sehr stark gelesenen Tageszeitung zu begeben, ich weiß nicht, ob das Demokratie ist. Demokratie ist dann, und das ist allerdings auch notwendig gewesen, wäre notwendig gewesen, die Menschen hier vor Ort zu befragen, und das hat man erstaunlicherweise nicht gemacht, gerade in einem Bezirk, wo man sich angeblich rühmt, eine gewisse Bürgernähe zu haben, hat man hier Angst vor der Bürgernähe gehabt."
"Aber wer war denn Rudi Dutschke? – Det war ein Terrorist. – Na, wat anderet war det nicht in meinen Augen. War doch ein Terrorist. – Darüber haben wir uns unterhalten. – Na, det meine ick. Schönen Tag noch. – Sehen Sie, das ist die Meinung der Menschen vor Ort."
Anwohnerin: "Ich bin dafür, dass die Straßen alle Blumennamen haben: Fliederstraße oder Buchweizengrütze oder was weiß ich, ja. Ich bin in der Nazi-Zeit aufgewachsen, ich wurde in der Bahnhofstraße geboren, und am anderen Morgen war es die Adolf-Hitler-Straße."
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hat sich vor einem Jahr gegen die Straßenumbenennung ausgesprochen. Begründung: man solle es im traditionellen Zeitungsviertel bei den alten Straßennamen belassen. Allerdings sei die Umbenennung nicht Angelegenheit des Senats, sondern des Bezirks.
Etwa 27.000 Menschen aus Friedrichshain-Kreuzberg müssen am Sonntag den Weg zu den Wahllokalen finden, damit der Bürgerentscheid überhaupt rechtsgültig ist. Sollte das klappen, reicht die einfache Mehrheit für Koch- oder Dutschke-Straße.
Entschieden ist damit aber noch lange nichts. Neue Adressen, neue Visitenkarten, neue Kopfbögen – eine teure Angelegenheit, beschweren sich die Gewerbetreibenden aus der Kochstraße. 28 von ihnen, darunter auch der mächtige Axel-Springer-Verlag, haben vor dem Verwaltungsgericht gegen die Straßenumbenennung geklagt.
Raimund Körner: "Es geht einmal um die rechtlich ganz interessante Vorfrage: ist denn eigentlich ein Anlieger, der von der Umbenennung einer Straße betroffen ist, überhaupt Klage befugt? Das heißt: kann er sich eigentlich dagegen wenden, oder ist das nur die Umbenennung einer öffentlichen Sache, die ihn gar nichts angeht?"
Raimund Körner vertritt die Klage der Gewerbetreibenden.
Raimund Körner: "Wenn man diese Hürde genommen hat und man sagt: ‚jawohl der Anlieger darf, hat ein Recht auf die gerichtliche Nachprüfung’, dann stellt sich die Frage: war das hier Ermessensfehlerfrei, was das Bezirksamt gemacht hat? Und da sehen wir recht gute Aussichten, weil es eine Verwaltungsvorschrift gibt, das ist die so genannte Allgemeine Verwaltungsvorschrift AV ‚Benennung’, und da steht nun ausdrücklich drin, dass eine Umbenennung einer Straße im zentralen Bereich Berlins – und das ist die Kochstraße hier – nur unter dem Vorbehalt eines expliziten Senatsbeschlusses erfolgen darf. Das hat das Bezirksamt hier nicht eingehalten, und deshalb halten wir das für rechtswidrig."
Das Verwaltungsgerichtsverfahren kann sich ein paar Jahre hinziehen. Es scheint, der Falk-Stadtplan wird noch eine Zeit lang ohne die Rudi-Dutschke-Straße auskommen müssen. Sollte die Entscheidung zur Umbenennung der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße jedoch rechtsgültig werden, weiß zumindest einer, was er dann machen wird. Dietmar Polster von der Ampere AG, einem Unternehmen, das mit Strom handelt.
Dietmar Polster: "Wir sitzen direkt an der Ecke Kochstraße/Charlottenstraße, und die Möglichkeit wäre ganz einfach, unter Charlottenstraße 2 zu firmieren, wenn wir den Aufwand treiben müssten, unser Briefpapier, unsere Visitenkarten, all dieses umdrucken zu müssen."
Hans-Christian Ströbele: "Ich will das nicht überbewerten, aber es wäre schon ein Signal auch in die Gesellschaft rein, weit über das hinaus, was an Auseinandersetzung gelaufen ist etwa um den ehemaligen Außenminister Fischer, APO und Leute, die jetzt in der etablierten Politik angekommen waren, weit darüber hinaus, wenn man jetzt sagen würde, (eines der ersten Opfer der Gewalthetze gegen die Studenten wird dadurch hervorgehoben, dadurch geehrt, dass man eine Straße nach ihm benennt, nämlich Rudi Dutschke."
Gerd Langguth: "Ich bin nur bereit, ein kraftvolles JA zu einer Straßenumbenennung zu sagen, wenn mir nachgewiesen würde, dass Dutschke wirklich ein Demokrat im Sinne unseres Grundgesetzes gewesen wäre, wenn er wirklich die liberalen Freiheitsrechte gewollt hätte, und wenn man heute alle Quellen sieht, die man von ihm kennt, dann wird man dem nicht zustimmen können, dass er eine liberale pluralistische Demokratie wollte."
Anruf beim MairDumont-Verlag in Ostfildern bei Stuttgart. Hier werden die Mütter aller deutschen Stadtpläne produziert: die Faltpläne von Falk. Ganze Generationen von Autofahrern sind an ihrer Falttechnik schon gescheitert.
Im Herbst vergangenen Jahres sorgte die Redaktion bundesweit für Aufsehen. Die Bezirksverordnetenversammlung des Berliner Stadtteils Friedrichshain-Kreuzberg hatte 2005 beschlossen, einen Teil der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße umzubenennen, also korrigierte Kartograph Bernd Schreiber den Straßennamen in der 69. Auflage des Berliner Falk-Stadtplans. Als der dann in die Läden kam, war die Aufregung groß. Was der gute Mann noch nicht wusste: eine von der CDU angeführte Bürgerinitiative hatte Unterschriften gegen die Rudi-Dutschke-Straße und für einen Bürgerentscheid gesammelt. Mit Erfolg: übermorgen sind 182.592 Einwohner aufgerufen, zur Wahlurne zu gehen und endgültig darüber zu entscheiden, ob ein Teil der Kochstraße zur Rudi-Dutschke-Straße wird oder nicht.
"Wir wollen eben immer hochaktuell sein", entschuldigt sich Bernd Schreiber vom MairDumont-Verlag. Außerdem, gibt er zu, sei man sich im fernen Stuttgart nicht ganz der Brisanz der Situation bewusst gewesen, wenn in Berlin die Axel-Springer- auf die Rudi-Dutschke-Straße trifft.
Anwohnerin: "Vergessen Sie das! Machen wir gleich ein ‚Nein’ draus. – Warum denn? – Weil Kochstraße ist Kochstraße. Ich hasse dieses ewig Umbenennen, für mich ist das ‚Leute schikanieren’, weiter gar nicht. Weil: allet, wat hier kreucht und fleucht und wohnt und ein bisschen sich hat uffjebaut, fängt dann an mit neue Briefköpfe und haste nich jesehen. Ganz Berlin weiß: das ist die Kochstraße, und das möchte sie doch bitte auch bleiben."
Anwohnerin: "Das ist schon auch richtig: das Umbenennen ist immer mit Arbeit verbunden, aber ich fände es nicht schlecht, seiner hier zu gedenken."
Die Kreuzung Axel-Springer-Straße/Kochstraße ist eine Ampelkreuzung wie Tausend andere in Berlin. Obwohl der Bezirksamtsbeschluss gilt, ist hier noch kein Straßenschild ausgetauscht worden. Man darf es getrost als Ironie der Geschichte bezeichnen, wenn hier bald die Axel-Springer- auf die Rudi-Dutschke-Straße stößt. Vor 38 Jahren eskalierte hier der Straßenkampf der rebellierenden Studenten gegen das etablierte System.
Rudi Dutschke: "Die Revolutionierung der Revolutionäre ist die entscheidende Voraussetzung für die Revolutionierung der Massen. Es lebe die Weltrevolution und die daraus entstehende freie Gesellschaft der ganzen Welt und nicht nur eines Dorfes."
Kämpferische Aussagen wie diese auf dem Internationalen Vietnam-Kongress im Februar 1968 in West-Berlin machen Rudi Dutschke zur Symbolfigur der Außerparlamentarischen Oppositionsbewegung in der Bundesrepublik Deutschland. Dutschke provoziert und zieht den Hass des politischen Gegners auf sich. "Vergast Dutschke" pinselt jemand an den Flur des Hauses, in dem der Studentenführer wohnt. Auf einer Großkundgebung im Anschluss an den Vietnam-Kongress verschaffen sich die APO-Gegner Gehör.
Reporter: "Der Ruf ‚Dutschke raus’, der bereits vorher des Öfteren erklang, wurde immer lauter und lauter. Ein Mann im blauen Mantel, der wohl meinte, dort vorne seien Gegendemonstranten, äußerte: ‚umlegen muss man die, einfach umlegen’. Auf meine Frage, ob er das im Ernst meine, antwortete er: ‚da hilft nur umlegen, sage ich’, ein älterer Mann zu seiner Begleiterin: ‚das sollten sie mal uns Frontsoldaten überlassen, kurzen Prozess, und wir hätten aufgeräumt’."
Vor allem die Springer-Presse heizt die Atmosphäre an. BILD veröffentlicht auf der Titelseite Fotos, auf denen Rudi Dutschke mit einem weißen Kreuz markiert ist. Rudis Bruder Helmut.
Helmut Dutschke: "Die Berliner sollen selber mitmachen, diese Unruhe zu beseitigen, sollen der Polizei nicht die Drecksarbeit überlassen und den Wasserwerfern. Und zwei Monate später gab es dann einen wie den Josef Bachmann, der diese Drecksarbeit erledigt hat. Springer, die BILD-Zeitung hat den ersten Schuss mit abgegeben."
Am 11. April 1968 schießt der Berliner Lagerarbeiter Josef Bachmann auf Rudi Dutschke, Dutschke überlebt schwer verletzt. Am selben Abend ziehen Hunderte von Studenten vor das Springer-Verlagshaus an der Kochstraße und blockieren die Auslieferung der Zeitungen. Mit dabei Hans-Christian Ströbele.
Hans-Christian Ströbele: "Es war eine sehr große Demonstration, die dann die Kochstraße hochkam zum Axel-Springer-Haus, das war ja damals noch neu das Gebäude, die unten an der Glaswand, an der Glastür dann endete und viele versuchten rein zu kommen, ich glaube einzelne sind sogar rein gekommen, aber nur ganz unten in den Flur, und wir waren so aufgebracht, dass wir sagten: ‚man muss dem Springer-Verlag das Handwerk legen, man muss die Produktion dieser Art von Meinungsmache unterbinden’."
Hans-Werner Kock, Reporter: "”Es ist jetzt 23.35 Uhr: die Situation hier in Kreuzberg vor dem Axel-Springer-Verlagshaus hat sich in vielen Etappen abgespielt und sich jetzt derart zugespitzt, dass ein Wagen im Unterstellpark, in dem die kleinen Lieferwagen des Ullstein-Verlages stehen, in Brand gesteckt wurde. Die Feuerwehr ist jetzt mit einigen Löschzügen angerückt und versucht den Brand zu löschen. Die Demonstranten haben sich auf die dem Verlagshaus gegenüber liegenden Grundstücke zurückgezogen. Es hat Verletzte gegeben während der letzten Stunden. Verletzte durch Steinwürfe, denn immer wieder prasselten die Steine gegen die Fassade und gegen die Fenster des Verlagshauses Axel Springer.""
Der "Marsch auf Springer" ist bis heute ein Ereignis von hoher Symbolkraft in der Geschichte der APO. Die Zahl derjenigen, die an gleicher Stelle eine Rudi-Dutschke-Straße befürworten, wächst.
Hans-Christian Ströbele – der Rechtsanwalt und heutige Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen war damals Kampfgefährte Dutschkes.
Hans-Christian Ströbele: "Am Anfang war ich gar nicht mal so Feuer und Flamme für diesen Vorschlag, weil ich mir überlegt habe: würde Rudi Dutschke, den ich ja gut gekannt habe, das eigentlich gut gefunden haben, dass eine Straße nach ihm benannt werden soll? Nachdem das Ganze aber zu einer politischen Auseinandersetzung geworden ist mit Axel Springer, mit dem Springer-Verlag und dem taz-Verlag wurde ich immer sicherer, dass jetzt Rudi Dutschke sehr dafür gewesen wäre und sich an die Spitze eines solchen Kampfes gestellt hätte. Und seitdem sich auch noch die CDU eingeschaltet hat und das zu einem echten Politikum macht und versucht, das zu einer Abrechnung zu machen mit der 68er-Bewegung, seitdem unterstütze ich das mit meinen Kräften und mit wachsender Begeisterung."
Links wie rechts: die alten Frontlinien brechen wieder auf. Gerd Langguth, Anfang der 70er Jahre Bundesvorsitzender des konservativen RCDS, heute Politikprofessor an der Universität Bonn, ist einer der wenigen Intellektuellen in der Republik, der klar gegen die Rudi-Dutschke-Straße in der Öffentlichkeit Position bezieht.
Gerd Langguth: "Ich will ja den Springer-Konzern und insbesondere die BILD-Zeitung gar nicht frei sprechen, es war damals eine sehr polarisierte Zeit: aber ich kann doch nicht eine Straßenbenennung aufrechnen dadurch, dass ich sage: ‚die eine Seite hat so agiert und die andere so und deshalb muss man jetzt der Gerechtigkeit halber ein ausgleichendes Gewicht hier schaffen’. Das halte ich für absolut unhistorisch. Der Dutschke hatte viele Facetten in seinem Leben – aber: eine seiner wesentlichen Facetten war, dass er eine Geringschätzung der liberalen Demokratie vorgenommen hat, eine Relativierung der Erfordernisse eines Rechtsstaates, und deswegen glaube ich nicht, dass er als Vorbild dient und bin deswegen der Meinung, es wäre gut, wenn es nicht zu einer Umbenennung käme."
"Wir reden von der Revolution. Was ist aus der Revolution geworden? Es sind T-Shirts daraus geworden. Es sind Gesichter auf T-Shirts geworden, ein Che Guevara auf dem T-Shirt, ein Rudi auf dem T-Shirt, ein Rudi als Straße: ist das die Revolution von heute? – Hoch die Internationale Solidarität."
"From Disco to Dutschke" – beim so genannten Rudi-Impro-Slam, einer Wahlparty für die Rudi-Dutschke-Straße, versuchten sich Kreuzberger Bürger vor einer Woche als Dutschke-Nachahmer. Veranstalter: die taz, die linksalternative Tageszeitung.
Ihre Macher fordern schon seit langem eine Rudi-Dutschke-Straße. 1993 gab die taz ihrem Verlagsgebäude in der Kochstraße den Namen Dutschkes, vor zwei Jahren begann sie mit der Kampagne zur Straßenumbenennung.
Thilo Knott: "Ja, wir wollten natürlich die ganze Straße, von Anfang an, …"
Thilo Knott, Redakteur für besondere Aufgaben.
Thilo Knott: "… sind aber auch mit dem Teilstück zufrieden, weil das ja immerhin länger ist als die Axel-Springer-Straße, und es ist natürlich auch die Vorfahrtstraße. Das heißt wenn man an die Kreuzung fährt, dann hat die Rudi-Dutschke-Straße immer Vorfahrt vor der Axel-Springer-Straße."
Die parlamentarische Linke im Bezirk fand die Idee der taz gut und brachte einen entsprechenden Antrag in die Bezirksverordnetenversammlung ein. Im August 2005 beschloss die BVV mit den Stimmen von PDS, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, wenigstens einen Teil der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße umzubenennen.
Thilo Knott: "Wenn die Schulklasse aus Schwaben hier andockt mit ihrem Bus, wird sie hier auf relativ kleinem Gebiet bundesrepublikanische Geschichte erleben. Zwei wichtige Daten, die die Bundesrepublik verändert haben, sind 1968 und 1989. Sie können, wenn sie zuerst zum Checkpoint Charlie gehen, die Geschichte des geteilten Deutschlands nachempfinden und natürlich der Vereinigung, und sie können 500 Meter weiter laufen, und der Gemeinschaftskundelehrer kann ihnen hier das zweite wichtige Datum der Bundesrepublik Deutschland erklären, nämlich 1968. Insofern muss man den Blick weiten. Insofern ist die Dutschkestraße auch ein Ding, das letzten Endes auch Leute, die von Baden-Württemberg hierher kommen, berührt."
"Eine Straße für diesen Koch, die bleibt uns doch immer noch. Du Rudi aber wirst mal geehrt, und das ist gar nicht verkehrt, wenn man auf deiner Straße gehen kann bis an Springers Straße ran, dass auch die größten Deppen verstehen, hey anders kann es gar nicht gehen, dass man Kriege irgendwann lässt, deshalb ist deine Straße ein Test, wie wir Wunden am Ende heilen, auch wenn das Springer und Co. nicht teilen, genug, ich will nicht langweilen und darf nicht verweilen, nur dies: wir brauchen eine krasse, Rudi-Dutschke-Straße."
Anwohner: "Dat wär Quatsch, wirklich Quatsch. Und die hier wohnen, die müssen dann wieder die Adresse umändern lassen bei der Polizei, das ist doch nicht normal. Wenn jetzt hier Touristen kommen und zur Kochstraße wollen, dann ist nüscht zu machen, die wissen doch gar nicht Bescheid. Dann sollen sie mal lieber die Kochstraße lassen."
"”Rudi Dutschke, you know his name? – Rudi Dutschki? – It was a person, who wanted the revolution in West-Germany, and this street will get his name. What do you think about it? – Notting.– Rudi Dutschke. Conoces a Rudi Dutschke o alguien de Ustedes? – No, no lo conosciamo. No lo só.""
CDU verteilt Flugblätter: "Darf ich Ihnen das mitgeben zur Kochstraße/Dutschkestraße? – Danke, habe ich schon."
Kurt Wansner, CDU-Kreisvorsitzender in Friedrichshain-Kreuzberg will die Dutschke-Straße verhindern. Seit einer Woche macht er Straßenwahlkampf und verteilt Flugblätter im Kiez:‚ ‚Stimmen Sie mit JA für die Kochstraße!’ Die Resonanz ist dürftig. Die CDU hat im Bezirk nicht mehr allzu viele Anhänger – bei den letzten Wahlen knapp über zehn Prozent.
Kurt Wansner: "Sogar der Springer-Verlag hat nicht gewagt, die Kochstraße umzubenennen, eine Straße, die für Demokratie steht, die auch für Pressefreiheit bei den Nazis steht, umzubenennen in Rudi-Dutschke-Straße ist für mich schon ein ungeheuerliches Stück."
Immerhin haben es Kurt Wansner und seine Parteifreunde im vergangenen Jahr geschafft, fast 10.000 Unterschriften zu sammeln, damit es zum Bürgerentscheid über die Straßenumbenennung kommt. Der ist am kommenden Sonntag und wird den Bezirkshaushalt mit etwa 250.000 Euro belasten. War das nötig? Hätte man den demokratischen Entscheidungsprozess in der BVV nicht akzeptieren können?
Kurt Wansner: "Weiß jetzt nicht, was Demokratie ist. Wenn irgendwelche Bezirksvorsitzenden in der BVV entscheiden, auf Anraten der taz die Kochstraße in Dutschkestraße umzubenennen, das heißt sich zum verlängerten Arm einer noch nicht einmal sehr stark gelesenen Tageszeitung zu begeben, ich weiß nicht, ob das Demokratie ist. Demokratie ist dann, und das ist allerdings auch notwendig gewesen, wäre notwendig gewesen, die Menschen hier vor Ort zu befragen, und das hat man erstaunlicherweise nicht gemacht, gerade in einem Bezirk, wo man sich angeblich rühmt, eine gewisse Bürgernähe zu haben, hat man hier Angst vor der Bürgernähe gehabt."
"Aber wer war denn Rudi Dutschke? – Det war ein Terrorist. – Na, wat anderet war det nicht in meinen Augen. War doch ein Terrorist. – Darüber haben wir uns unterhalten. – Na, det meine ick. Schönen Tag noch. – Sehen Sie, das ist die Meinung der Menschen vor Ort."
Anwohnerin: "Ich bin dafür, dass die Straßen alle Blumennamen haben: Fliederstraße oder Buchweizengrütze oder was weiß ich, ja. Ich bin in der Nazi-Zeit aufgewachsen, ich wurde in der Bahnhofstraße geboren, und am anderen Morgen war es die Adolf-Hitler-Straße."
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hat sich vor einem Jahr gegen die Straßenumbenennung ausgesprochen. Begründung: man solle es im traditionellen Zeitungsviertel bei den alten Straßennamen belassen. Allerdings sei die Umbenennung nicht Angelegenheit des Senats, sondern des Bezirks.
Etwa 27.000 Menschen aus Friedrichshain-Kreuzberg müssen am Sonntag den Weg zu den Wahllokalen finden, damit der Bürgerentscheid überhaupt rechtsgültig ist. Sollte das klappen, reicht die einfache Mehrheit für Koch- oder Dutschke-Straße.
Entschieden ist damit aber noch lange nichts. Neue Adressen, neue Visitenkarten, neue Kopfbögen – eine teure Angelegenheit, beschweren sich die Gewerbetreibenden aus der Kochstraße. 28 von ihnen, darunter auch der mächtige Axel-Springer-Verlag, haben vor dem Verwaltungsgericht gegen die Straßenumbenennung geklagt.
Raimund Körner: "Es geht einmal um die rechtlich ganz interessante Vorfrage: ist denn eigentlich ein Anlieger, der von der Umbenennung einer Straße betroffen ist, überhaupt Klage befugt? Das heißt: kann er sich eigentlich dagegen wenden, oder ist das nur die Umbenennung einer öffentlichen Sache, die ihn gar nichts angeht?"
Raimund Körner vertritt die Klage der Gewerbetreibenden.
Raimund Körner: "Wenn man diese Hürde genommen hat und man sagt: ‚jawohl der Anlieger darf, hat ein Recht auf die gerichtliche Nachprüfung’, dann stellt sich die Frage: war das hier Ermessensfehlerfrei, was das Bezirksamt gemacht hat? Und da sehen wir recht gute Aussichten, weil es eine Verwaltungsvorschrift gibt, das ist die so genannte Allgemeine Verwaltungsvorschrift AV ‚Benennung’, und da steht nun ausdrücklich drin, dass eine Umbenennung einer Straße im zentralen Bereich Berlins – und das ist die Kochstraße hier – nur unter dem Vorbehalt eines expliziten Senatsbeschlusses erfolgen darf. Das hat das Bezirksamt hier nicht eingehalten, und deshalb halten wir das für rechtswidrig."
Das Verwaltungsgerichtsverfahren kann sich ein paar Jahre hinziehen. Es scheint, der Falk-Stadtplan wird noch eine Zeit lang ohne die Rudi-Dutschke-Straße auskommen müssen. Sollte die Entscheidung zur Umbenennung der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße jedoch rechtsgültig werden, weiß zumindest einer, was er dann machen wird. Dietmar Polster von der Ampere AG, einem Unternehmen, das mit Strom handelt.
Dietmar Polster: "Wir sitzen direkt an der Ecke Kochstraße/Charlottenstraße, und die Möglichkeit wäre ganz einfach, unter Charlottenstraße 2 zu firmieren, wenn wir den Aufwand treiben müssten, unser Briefpapier, unsere Visitenkarten, all dieses umdrucken zu müssen."