Ein autoritäres Elternhaus und die Folgen

Der Roman beginnt mit dem Selbstmord der Malerin Paula Trousseau. Der Autor beschreibt einen Lebensweg in der DDR, der mit der Maueröffnung endet. Dabei werden Grundmotive deutlich, die in vielen Texten Heins existieren: ein begangener Verrat, der als Trauma lebenslang zurückbleibt, und eine schmerzhafte Sehnsucht nach dem geliebten Menschen, die nicht ausgesprochen wird.
Christoph Hein veröffentlichte 1985 seinen Roman "Horns Ende", in dem ein Historiker namens Horn im Sommer 1957 ums Leben kommt. Im Text geht es um die Rekonstruktion der Ereignisse, die Thomas, damals noch ein Kind, leisten soll. Alle Kapitel beginnen mit der rigiden Forderung: "erinnere dich" und "erinnere dich an das Ungesehene".

Auch Heins Novelle "Der fremde Freund" von 1982 beginnt mit einem Vorspann, in dem eine Landschaft beschrieben wird, die wie im Traum ein fernes Erinnern enthält. Es geht um die "Wiederherstellung eines Vorgangs", denn Henry, der fremde Freund, ist von Jugendlichen grundlos erschlagen worden. Dabei entsteht ein Bild, das "unerreichbar, letztlich unverständlich", doch vorhanden ist. Hein, der sich gern als Chronist bezeichnet, bevorzugt diese literarische Methode rückwärts gewandten Erzählens, in der Erinnern und Vergessen auf spannende Weise miteinander verschränkt werden.

Auch das Thema seines neuen Romans lässt sich in diesem Konfliktfeld ansiedeln. Allerdings gibt es einen grundlegenden Unterschied. Während in den genannten Büchern die jeweils Überlebenden den Toten nachdenken, hinterlässt die Malerin Paula Trousseau, mit deren Selbstmord der Roman beginnt, ihren eigenen Erinnerungstext.

Da ihre Hoffnung auf menschliche Nähe nie sonderlich groß war, misstraut sie den Erinnerungen anderer. Geprägt durch ein autoritäres, kaltes Elternhaus, wo die harte Hand des Vaters stets locker sitzt, ist sie kaum in der Lage, für Beziehungen offen zu sein und diese zu leben. Hein erzählt auf zwei zeitlichen Ebenen, die sich nur anhand weniger Details historisch und räumlich verorten lassen.

Dennoch wird klar, dass es um einen Lebensweg in der DDR geht, der mit der Maueröffnung endet. Auf der einen Ebene wird Paulas familiäres Umfeld und ihr Erwachsenwerden skizziert und somit das Psychogramm der Person erstellt. Auf der anderen Ebene versucht Hein durch Paulas Handlungen die Resultate solcher Erziehungs- und Züchtigungsmethode zu beschreiben.

Der Autor will die Protagonistin dadurch nicht entlasten. Als Chronist geht es ihm darum, Fakten zu sammeln. Dabei werden Grundmotive deutlich, die in vielen Texten Heins existieren: ein begangener Verrat, der als Trauma lebenslang zurück bleibt, eine schmerzhafte Sehnsucht nach dem geliebten Menschen, die nicht ausgesprochen wird und das Erkalten der Seele, an dem die Figuren zugrunde gehen.

Christoph Hein vermag die Vielzahl der aufgerufenen Details und Handlungsstränge in scharf umrissenen Bildern zu bündeln. In "Frau Paula Trousseau" ist es die Metapher vom weißen Bild, die das Handlungsgeschehen begleitet. Paulas Versuch, mit dieser Winterlandschaft eine Welt hinter der Welt zu skizzieren, ist inhaltlich und erzähltechnisch brisant.

Einerseits wird auf verbotene Kunstformen angespielt, so dass Paula das Bild zwanzig Jahre vor der Öffentlichkeit und sich selbst verstecken muss. Andererseits wird auf einen kritischen Subtext verwiesen, der im Roman enthalten ist. Vielleicht versucht Paula mit ihrem Selbstmord eine verzweifelte Antwort auf all jene Fragen zu geben, die der Roman aufwirft.


Rezensiert von Carola Wiemers

Christoph Hein: Frau Paula Trousseau
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007
537 Seiten, 22,80 Euro