Ein bayrischer Krimi

Von Michael Watzke |
Gustl Mollath sitzt seit sieben Jahren in der geschlossenen Psychiatrie in Bayreuth, weil er seine Ex-Frau angegriffen haben soll. Er streitet das ab. Brisant ist, dass Mollath seine Frau beschuldigt, in Schwarzgeldgeschäfte verwickelt gewesen zu sein. Seit Jahren kämpft er für ein Wiederaufnahmeverfahren. Dem ist er jetzt ein Stück näher gekommen.
Ein weißer, kahler Raum. Von der Decke strahlt trübes Neonlicht. Vor der verschlossenen Zimmertür in einer Ecke des Raumes steht - im dunkelgrauen Pullover - ein Mann:

"Heute ist der 7.11., wir befinden uns im BKH, Bezirkskrankenhaus Bayreuth, auf der forensisch-psychiatrischen Station Nummer 6."

Der Mann auf Station Nummer 6 ist Gustl Ferdinand Mollath. 56 Jahre alt. Von Beruf Ingenieur. Seit mehr als sieben Jahren hält ihn der Freistaat Bayern gegen seinen Willen in der Psychiatrie fest.

"In meinem Fall ist es absolut unbegründet, denn es gäbe bei mir keine Fluchtversuche und keine Ausbruchsversuche, es gibt keine Übergriffe. Es gibt keine Gewalt, die von mir ausgeht, es gibt nichts. Trotzdem wird mir unterstellt, ich wäre eine Gefahr für die Allgemeinheit."

Gustl Mollath hat seinen Hilferuf aus der Psychiatrie heimlich mit einer kleinen Videokamera aufgenommen. Dann hat er das Band Freunden übergeben, die es aus der Anstalt schmuggelten und ins Internet stellten. Auf den eigens eingerichteten Kanal "Gustl for help".

"Viele kennen bestimmt den Film 'Einer flog übers Kuckucksnest' mit Jack Nicholson, dem danach berühmt gewordenen Schauspieler. der die Psychiatrie-Situation der USA der 70er-Jahre beschreibt. In diesem Film gibt es einen Lautsprecher in der Anstalt. Den haben wir auch – nur in einer härteren Form. Im Film gab’s meistens Musik über den Lautsprecher. Und relativ freundliche Durchsagen. Das hört sich bei uns anders an."

Im Bezirkskrankenhaus Bayreuth, so erklärt Gustl Mollath, würden über den Lautsprecher in barschem Ton Anweisungen gegeben. Jede Nacht werde er alle zwei Stunden geweckt – angeblich, damit er sich nicht das Leben nehme. Doch davon sei er weit entfernt, sagt der Mann mit den schütteren grauen Haaren und dem akkurat gestutzten Schnurrbart. Er zitiert einen altgriechischen Helden.

"Schon Perikles, in der ersten Hochkultur im alten Athen, der ersten Demokratie, meinte: ‚Die Mutter der Freiheit ist der Mut.’"

Hoffnung auf Wiederaufnahme des Verfahrens
Seit einigen Wochen ist Gustl Mollath guten Mutes. Der Grund für seine Zuversicht liegt auf einem mächtigen Schreibtisch in der feinen Neustadt in Hamburg. Hier, am Holstenwall, mit Blick auf den Park Planten un Blomen, residiert die Anwaltskanzlei Strate und Ventzke. Auf dem Schreibtisch von Dr. iur. h.c. Gerhard Strate liegt ein dickes Papier-Konvolut, 140 Seiten stark. Der Titel: "Wiederaufnahmegesuch des Gustl Ferdinand Mollath gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg".

"Das stützt sich auf neue Tatsachen, aber auch auf vergangene Geschehnisse, nämlich Amtspflichtverletzungen durch den vorsitzenden Richter, der damals zuständigen Strafkammer. Ich gehe sicher davon aus, dass Herr Mollath rehabilitiert wird. Ich denke, dass die Unterbringung beendet wird und festgestellt wird, dass es nie die verfahrensmäßigen Voraussetzungen für diese Unterbringung gegeben hat."

Rechtsanwalt Dr. Gerhard Strate ist durch und durch Hanseat. Vornehm distanziert, kühl bis zu den Manschettenknöpfen seines Anzugs, auf denen das Emblem des amerikanischen Geheimdienstes CIA blitzt. In trockener Juristensprache feuert Strate eine Salve nach der anderen gegen die bayerische Justiz ab. Fast ein Dutzend Amtspflichtverletzungen wirft er dem Nürnberger Richter Otto Brixner vor, jenem Vorsitzenden der 7.Strafkammer, die Gustl Mollath in die Psychiatrie einweisen ließ. Brixner habe Rechtsbeugungen begangen, also Straftaten.

"Rechtsbeugungen sind dann gegeben nach Paragraph 339 StGB, wenn jemand bei der Entscheidung einer Sache als Richter mit Absicht zum Nachteil einer anderen Person entscheidet. Derartige Rechtsbeugungen haben wir in insgesamt zehn Fällen aufgelistet in diesem Wiederaufnahmegesuch."

Im Jahr 2006 stand Gustl Mollath als Angeklagter vor dem Landgericht Nürnberg. Der Vorwurf lautete: Misshandlung seiner Ehefrau, Petra Mollath. Der Vorsitzende Richter Otto Brixner verurteilte Mollath nicht zu einer Haftstrafe, sondern stellte stattdessen die Schuldunfähigkeit des Angeklagten fest. So landete Mollath in der Psychiatrie. Brixner, der seit vier Jahren pensioniert ist, äußert sich nicht zu dem Fall. Er hatte das Urteil gegen Gustl Mollath auch damit begründet, dass der Angeklagte ständig von einem ominösen Schwarzgeldring berichtete. Niemand im Gericht schenkte Mollath damals Glauben, bemängelt Heinz Westenrieder, der beim Prozess vor sieben Jahren als Schöffe neben Richter Brixner saß.

"Ich bewerte das Urteil aus heutiger Sicht als Fehlurteil. Wesentliche Punkte, die in der Hauptverhandlung nicht zur Sprache kamen, waren zum Beispiel die detaillierte Beschreibung von Gustl Mollath über Geldwäscheaktionen seiner Frau und anderer. Da wurde also auf Fragen geantwortet: Die Strafanträge des Gustl Mollath seien zu ungenau. Es seien keine Daten benannt, es seien keine Personen benannt. Heute weiß ich, dass diese Daten und Personen sehr wohl benannt wurden."

Rosenkrieg und Geldwäsche
Der Angeklagte Mollath benannte die Personen und ihre Schweizer Kontodaten so genau, dass die betroffene Hypo-Vereinsbank in einem internen Prüfbericht feststellte, "Alle nachprüfbaren Vorwürfe des Herrn Mollath stellten sich als wahr heraus." Vor allem die Vorwürfe gegen Gustl Mollaths damalige Ehefrau Petra, eine Mitarbeiterin der Hypo-Vereinsbank Nürnberg, trafen exakt zu. Gustl Mollath führte einen Rosenkrieg gegen seine Gattin – und er besaß Informationen aus erster Hand.

Petra Mollath hatte mit ihrem Auto heimlich große Geldsummen von Kunden der Hypo-Vereinsbank in die Schweiz gefahren. Mutmaßlich, um das Geld im Auftrag der Kunden vor der Steuer zu verbergen. Die Hypo-Vereinsbank entließ Frau Mollath, die klagte gegen die Kündigung, schließlich einigte man sich außergerichtlich auf eine Trennung. Dann verklagte Frau Mollath ihren Ex-Mann wegen Körperverletzung – mit einem ärztlichen Attest, das erst lange nach den behaupteten Misshandlungen ausgestellt wurde, sagt Gustl Mollath.

"In dem Prozess ging es darum, dass meine frühere Frau angeblich von mir misshandelt wurde. Was ich bis heute vehement bestreite. Es ging auch um irgendwelche Reifen, die ich zerstochen haben sollte. Mit diesem Vorwurf wurde ich erst unmittelbar vor der Verhandlung konfrontiert."

Gustl Mollath brachte die Schwarzgeld-Vorwürfe gegen seine Frau im Prozess zur Sprache. Doch Richter Otto Brixner ignorierte die Vorwürfe. Mehr noch: Er nahm sie als Beleg für Mollaths Unzurechnungsfähigkeit. Brixner hatte Mollath schon zwei Jahre zuvor als unzurechnungsfähig bezeichnet – in einem Anruf bei den Steuerbehörden. Der Richter gab den Finanzbeamten zu verstehen, sie müssten die Schwarzgeld-Anzeige, die Gustl Mollath beim Amtsgericht eingereicht hatte, nicht ernst nehmen. Der Mann sei nicht ganz klar im Kopf. Dabei gab es zu diesem Zeitpunkt noch gar kein Gutachten über Mollaths Geisteszustand. Warum engagierte sich Richter Brixner derart heftig gegen Mollath? Diese Frage will Rechtsanwalt Strate mit seinem Wiederaufnahmegesuch klären.

"Also es gibt in dem schriftlichen Urteil regelrechte Sachverhaltsverfälschungen, die katastrophal sind. Beispielsweise dass Herr Mollath sich in einem Wahn befände, sei daran festzumachen, dass er immer neue Personen in seine Behauptung einbezieht, sie seien in ein Schwarzgeld-Verschiebesystem eingebunden. Da wurde dann der Psychiater genannt, mit dem Herr Mollath als Erstem zu tun gehabt hat."

Zweifelhaftes Gutachten
Dieser Psychiater, Dr. Michael Wörthmüller, sollte Gustl Mollaths Geisteszustand im Jahr 2006 begutachten. Er erklärte sich jedoch selbst für befangen, weil er Gustl Mollath nach eigener Angabe bereits kannte. Die nachfolgenden Gutachter, kritisiert der Nürnberger Psychiater Rudolf Sponsel, hätten bei der Untersuchung Gustl Mollaths eklatante Fehler gemacht.

"Also der erste, grundlegende, nicht akzeptable Fehler ist, dass jemand begutachtet wird, ohne dass er persönlich untersucht wird. Das widerspricht allen Gutachterregeln, auch den Mindestanforderungen für Schuldfähigkeitsgutachten, die ja veröffentlicht sind und die jeder einsehen kann."

Das Problem sei, sagt Psychiater Sponsel, dass sich alle nachfolgenden Gutachten über Gustl Mollaths Gesundheitszustand auf das erste Gutachten stützten.

"Meines Erachtens ist es eine falsche Diagnose. Die Schuldunfähigkeit ist zu Unrecht festgestellt worden. Die wird hier als wahr unterstellt und gar nicht mehr hinterfragt."

In Hamburg sitzt Gustl Mollaths Anwalt Gerhard Strate in seinem Büro vor einem mächtigen Ölgemälde. Es zeigt den englischen Lordprotektor Oliver Cromwell, der Mitte des 17. Jahrhunderts gegen den britischen König Karl I. kämpfte. In Großbritannien ist Oliver Cromwell bis heute umstritten. Manche Historiker sehen in ihm einen Königsmörder, andere nennen ihn einen Freiheitshelden. Strate tendiert eher zur zweiten Sichtweise. Er bewundert Cromwells Mut, der in den Augen hinter dem Sehschlitz der Ritterrüstung aufblitzt. Strate legt die Hände auf den 140-seitigen Wiederaufnahmeantrag. Sollte das Landgericht Regensburg diesem Antrag stattgeben – oder einem ähnlichen Antrag der Staatsanwaltschaft Regensburg – dann müsste das Bezirkskrankenhaus Bayreuth Gustl Mollath sofort entlassen. Das könnte schon in wenigen Wochen passieren. Strate erhebt schwere Vorwürfe gegen die bayerische Psychiatrie:

"Sie darf nicht dazu benutzt werden, um Personen, die sich rührig zeigen, die anderer Auffassung sind, die möglicherweise auch Protest führen, als Querulanten abzustempeln und per psychiatrischer Diagnose ins Krankenhaus zu bringen."

Ist Gustl Ferdinand Mollath ein solcher Fall? Sitzt der 56-Jährige tatsächlich zu Unrecht auf Station 6 des Bezirkskrankenhauses Bayreuth? Sind die Vorwürfe seiner Ex-Frau, er habe sie geschlagen, gewürgt und schwer misshandelt, frei erfunden? Petra Mollath, die inzwischen einen anderen Nachnamen trägt, verweigert seit Jahren jedes Interview. Käme es zu einem Wiederaufnahmeverfahren, müsste sie als Zeugin vor Gericht erscheinen. Sie müsste sich zum Vorwurf äußern, sie habe ihren Exmann nur beschuldigt, um ihn mundtot zu machen. Damit er ihr mit seinen Schwarzgeld-Vorwürfen nicht mehr schaden kann. Und sie müsste möglicherweise aufdecken, wer jene ominöse Nürnberger Prominente ist, in deren Auftrag Petra Mollath Schwarzgeld in die Schweiz verschoben haben soll. Diese prominente Persönlichkeit wird im Prüfbericht der Hypo-Vereinsbank erwähnt. Anonym. Wer versteckt sich hinter dieser Person? Das fragt sich Florian Streibl, Abgeordneter der Freien Wähler im bayerischen Landtag, seit er den Prüfbericht der Hypovereinsbank gelesen hat.

"Wir haben leider auch keine Hinweise, wer das jetzt sein könnte. Ob es eine natürliche Person ist oder eine juristische Person. Das ist also weiterhin spannend. Und das wäre natürlich auch eine Aufgabe für einen Untersuchungsausschuss: herauszufinden, wer diese Person ist. Das könnte vielleicht das ganze Verhalten erklären."

Verwürfe gegen Justizministerin
Ist es vielleicht eine Person aus der Politik? Hat sie gar Einfluss auf die Justiz genommen? Dafür gesorgt, dass die bayerischen Steuerbehörden keine Ermittlungen gegen den vermeintlichen Nürnberger Schwarzgeldring einleiteten? Obwohl Gustl Mollath in einer Strafanzeige und zahllosen Briefen detaillierte Hinweise gab? Obwohl er Namen, Daten, sogar Kontonummern aufschrieb? Florian Streibl, der sich wie kein anderer Abgeordneter in Bayern für die Freilassung Gustl Mollaths einsetzt, fordert den Rücktritt der bayerischen Justizministerin Beate Merk. Sie habe im Fall Mollath das Parlament belogen, behauptet er, weil sie den Abgeordneten wichtige Inhalte des Prüfberichtes der Hypo-Vereinsbank verschwieg. Dieser Bericht hätte nicht nur Gustl Mollath entlastet, sondern den Steuerbehörden möglicherweise Millioneneinnahmen beschert. Diese Einnahmen fließen nun mit Verspätung in die Staatskasse.

"Aus diesem Bericht und dem Konglomerat des Wissens, das Mollath hervorgebracht hat, sind 19 Ermittlungsverfahren generiert worden. Einige Selbstanzeigen sind generiert worden. Von Leuten, die nur gehört haben, dass also hier in Sachen Mollath das Ganze wieder aufgerollt wird. Die Angst bekommen haben. Und da muss man sagen: Da steckt ja doch einiges dahinter. Von daher hätte die Ministerin im Ausschuss letztes Jahr auch deutlich sagen können, dass hier Ermittlungsansätze da sind. Da fragt man sich schon, warum sie das nicht getan hat."

Justizministerin Beate Merk gibt mittlerweile keine Interviews mehr zum Fall Mollath. Ursprünglich hatte sie in einer Pressekonferenz jede Einflussnahme auf die bayerische Justiz abgelehnt und gesagt:

"Die Vorwürfe im Fall Mollath sind absurd. Fakt ist: Die höchstrichterlich bestätigte Unterbringung des Herrn Mollath erfolgte nicht, weil Herr Mollath eine Strafanzeige erstattet hat. Sie erfolgte, weil er schwere Straftaten begangen hat. Weil er krank und für die Allgemeinheit gefährlich war."

Doch als der mediale Druck immer größer wurde, schaltete sich schließlich Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer persönlich in den Fall Mollath ein. Schließlich wird in Bayern im September ein neuer Landtag gewählt, und der Fall Mollath drohte für die CSU zu einer Belastung im Wahlkampf zu werden.

"Diese Regierung möchte nichts vertuschen. Sie hat ein Interesse, das rechtsstaatlich einwandfrei überprüft wird, ob Herr Mollath zu Recht in der Unterbringung sitzt. Wir haben auch ein Interesse daran, dass das Verfahren überprüft wird."

Widerwillig beugte sich Beate Merk ihrem Partei- und Regierungschef und wies die Staatsanwaltschaft Regensburg an, ein Wiederaufnahme-Verfahren im Fall Mollath zu prüfen.

"Das Gericht entscheidet auch hier. Das heißt, wir können wirklich nur den Antrag stellen. Aber wir haben jetzt wenigstens einen Grund, um einen solchen Antrag zustellen."

Wird ein Verfahren neu aufgerollt, ist es üblich, dass eine benachbarte Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird. Regensburg ist die Nachbarstadt von Nürnberg – und die Regensburger lieferten prompt. Seit einigen Tagen liegt ihr Antrag dem Landgericht Regensburg zur Prüfung vor. Unter Juristen gilt es als hochwahrscheinlich, dass die Richter diesen oder den Antrag von Mollaths Rechtsanwalt Strate annehmen. Öffentlich äußern dürfen sich die Regensburger derzeit nicht.

Der Nürnberger Generalstaatsanwalt Hasso Nerlich hat die gesamte Öffentlichkeitsarbeit an sich gezogen. Was nicht heißt, dass Nerlich Interviews gäbe: Eine Anfrage von Deutschlandradio Kultur lehnte er ab. Äußern muss er sich nur vor dem Rechtsausschuss des bayerischen Landtages. Die Freien Wähler und die Grünen werfen Nerlich Befangenheit vor, weil er in seiner Zeit als Nürnberger Amtsgerichtspräsident mit der Causa Mollath befasst war. Nerlich reagiert im Ausschuss darauf mit maximaler Entspanntheit:

Ist der Generalstaatsanwalt befangen?
"Mit Verlaub finde ich die Argumentation, dass das mich befangen macht, etwas kühn. Um nicht zu sagen: nicht nachvollziehbar."

Mollaths Rechtsanwalt Gerhard Strate sieht das anders. Er findet, dass Generalstaatsanwalt Nerlich Mitverantwortung dafür trage, dass die ursprüngliche Schwarzgeld-Strafanzeige von Gustl Mollath nicht ausreichend geprüft wurde. Angeblich, weil kein hinreichender Anfangsverdacht bestand. Ein Verdacht, den die Hypo-Vereinsbank sehr wohl erkannte.

"Der Generalstaatsanwalt Nerlich hat sich insofern missverständlich geäußert, als er klar erklärt hat, dass der Revisionsbericht der Hypo-Vereinsbank aus dem Jahr 2003, der dann erst acht Jahre später bekannt wurde, für die steuerstrafrechtlichen Ermittlungen keinerlei Bedeutung gehabt hat. Auch dies war eine falsche Begründung. Von der Sache her musste er das auch am letzten Donnerstag zurücknehmen. Insofern weiß ich nicht, was diese hohen Beamten sich gedacht haben, dem Parlament zunächst etwas Falsches zu erzählen."

In Bayreuth, auf Station 6 des örtlichen Bezirkskrankenhauses, sitzt derweil Gustl Mollath. Persönliche Interviews mit ihm sind nur ohne Tonbandgerät möglich – die Anstaltsleitung erlaubt keine Audiorekorder auf der Station. Allerdings kann man mit Gustl Mollath telefonieren. Der Nürnberger Ingenieur hofft auf ein baldiges Wiederaufnahmeverfahren…

"… wo dann eindeutig rechtsstaatlich festgestellt wird, erstens: Die vorgeworfenen Straftaten hab’ ich nicht gemacht. Zweitens: Eine psychische Erkrankung hat nie vorgelegen. Und drittens: Die Wahrheit, wie diese ganzen Fehler zustande gekommen sind, werden aufgedeckt und aufgeklärt."

Harsche Vorwürfe von Mollath
Diese Forderungen klingen selbstbewusst und aufgeklärt. So gar nicht wie die eines Insassen einer Psychiatrie. Wer sich allerdings die Mühe macht, auf dem Youtube-Kanal "Gustl for Help" alle Videos anzuschauen, die Mollath aus der Psychiatrie aufgenommen hat, der begegnet auch einem anderen Mollath. Einem deutlich aggressiveren – in Wortwahl und Mimik. Dem Staatsanwalt aus seinem Strafverfahren vor sieben Jahren wirft er NS-Methoden vor:

"Es war ein Plädoyer, das passt zu einem Nazi-Staatsanwalt!"

Was mir passiert, ist Holocaust 2, sagt Mollath am Telefon und fordert einen Aufstand im ganzen Land, um die angeblich flächendeckenden Ungerechtigkeiten in deutschen Psychiatrien zu beenden.

"Wir haben Listen, Todeslisten. Solche Zustände vermutet man vielleicht eher im frühen Südamerika der 50er-Jahre. Das, was mir passiert ist, kann jedem anderen auch passieren."

Wer länger mit Gustl Mollath spricht, den kann ein unangenehmes Gefühl des Zweifels beschleichen. Ist dieser Mann tatsächlich so beherrscht und friedlich, wie er sich gibt? Mollaths Rechtsanwalt Gerhard Strate hat sich dreimal persönlich mit seinem Mandanten getroffen und unzählige Male telefoniert.

"Also, Mollath ist im Kopf glasklar. Er ist sicherlich ein eigenwilliger Charakter. Aber davon gibt es in Bayern und vor allem in Franken sehr, sehr viele. Ich habe eigentlich immer großes Vergnügen, wenn ich mit ihm kommuniziere. Weil er – trotz aller Belastungen durch die Einsperrung seit sieben Jahren – immer noch seinen Humor behalten hat, der manchmal ein schwarzer Humor ist. Nichtsdestotrotz zeigt das, dass der Mann das Herz auf dem rechten Fleck hat."

In Mollaths Herz werden die Richter bei einem möglichen Wiederaufnahmeverfahren nicht blicken können. Nicht mal in seinen Kopf. Aber sollte Gustl Ferdinand Mollath bald erneut auf der Anklagebank eines Gerichtssaales Platz nehmen, dann hat er gute Chancen, dem weißen Gefängnis – wie er das Bezirkskrankenhaus nennt – auf Dauer zu entkommen. Jeder normale Straftäter kann damit rechnen, dass er nach Verbüßung seiner Haftstrafe wieder frei leben darf. Gustl Mollath, der seit sieben Jahren in der Psychiatrie sitzt, hatte diese Hoffnung lange Zeit nicht. Bis jetzt.


Anmerkung der Onlineredaktion

Der Autor hat dieses Manuskript nach einem Gespräch mit Psychiater Dr. Michael Wörthmüller in Bezug auf Wörthmüllers Rolle bei der nicht erfolgten Begutachtung Gustl Mollaths geändert. Das Gespräch mit Dr. Wörthmüller war erst nach Ausstrahlung des Beitrages möglich.
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