Ein Berliner Musiker

Von Jürgen Stratmann |
Rico Dießner ist zehn Jahre lang als Straßenmusiker um die Welt gezogen, um dann, schwer mit den Schätzen des Orients beladen, in Berlin als Theatermusiker wieder sesshaft zu werden. Aus der Kombination digitaler Technik und handgespielter Straßenmusik hat er dann einen Stil entwickelt, wie man ihn in dieser Konsequenz noch nicht kannte: One-Man-Jam - tanzbar improvisierte Techno-Straßenmusik, die er nun auch als DVD vorstellte.
Ein vertrautes Bild: An einer Straßenecke steht ein bezopfter Endzwanziger mit Bärtchen und Flickenjeans und klampft ohne übertriebene Begeisterung Hippie-nostalgisches für Vorrübergehende – Großstadtfolklore- das stört keinen, netter Kerl - und 50 Cent sind immer drin...

Ein paar Ecken weiter, am Rande eines Trödelmarkts, noch ein Straßenmusikant - aber etwas ist anders...

Gut 200 Leute stehen im großen Halbkreis im Schatten alter Parkbäume um einen schlaksigen Kerl mit wirren Haaren herum,

"wir wollen Rico hör'n..."

Vor ihm auf dem Boden liegen Gitarren, ein kleines Keyboard, Trommeln, Blasinstrumente. Er selbst kauert auf einer kleinen Lautsprecherbox, er wirkt verkrampft, patscht linkisch, fast kindlich die Handflächen zusammen und redet beruhigend auf sich ein.

"Gut, ich lass mich einfach mal gehen, und schau mal, was da heute so bei mir rauskommt, man weiß ja nie..."

...dann trinkt er noch'n Schluck, und - ach ja - klingt doch auch – und schon geht's los...

E r pustet in die Flasche wie in eine Panflöte, mit einer Hand hält er ein Mikrofon an die Öffnung, sein Oberkörper zappelt im Rhythmus, seine Füße bearbeiten währenddessen einen flachen Apparat mit Pedalen, Knöpfen und Kabeln...

Rico Loop nennt sich der Mann, Rico ist sein Name, Loops nennt man das, was er mit dem Apparat zu seinen Füßen produziert: Er nimmt die ersten Töne auf, speichert die Sequenz, und lässt sie weiterlaufen...

…dann trinkt er noch einen Schluck, die Tonhöhe verändert sich, ...

" ...und denn kann ich durch ´n wiederholtes ´rauftreten das noch darüber aufnehmen, und dann hab´ ich plötzlich diesen Rhythmus, ...und dann kann ich irgendwie gucken, und des probieren und dann..."

...springt er auf, umfasst das Mikro mit beiden Händen und gibt die Beatbox...

"...das ist der Punkt, wo du nichts mehr zu verlieren hast,"

...immer mehr Instrumente, mehr Stimmen kommen zusammen, und das Publikum geht voll mit in diesem furiosen Crescendo, und wenn alles komplett ist...

..ist es auch schon vorbei...

" ...danke, danke,"

One man Jam nennt er seine Art, Musik zu machen...

"...weil, ich jamme eigentlich mit mir, wie als würde ich jemanden auf der Straße treffen der Umm- te- app- Te – ing, ing macht, ja? .- und ich sage, hey, weißt du was, dazu paßt zicke-zicke-zick und stell mich neben ihn, und wir fangen zusammen an, irgendwie, ..."

... das Ganze ist eine Art musikalischer Extrem-Sport...
" ...so 'ne Art surfen eigentlich schon fast, ja? Du weißt nicht, wie die Welle heute ist, du weißt, die Wellen sind heut´ groß, aber du weißt nicht wie der Wind ist, die Strömung und die Steine unten drunter - deswegen ist auch so schön, dem Publikum zu zeigen: Ey, ich könnte hier verkacken, es könnte aber auch das genialste sein, was ich je gemacht habe..".

Bei aller Chaos-Liebe, aller kreativen Tollheit, - der Mann funktioniert wie ein Uhrwerk - oder ein Computer...

"Ich muss tight sein bei der Maschine, sobald ich ´ne Milisekunde zu spät drauf drücke..."

...kann er von vorne anfangen...

"Ich bin, glaub ich, 'ne Schnittstelle, gerade zur analogen und digitalen Welt, zwischen den Songwritern, die zu Hause sitzen und Hippie-Songs singen und den Leuten, die zu Hause sitzen und an Ihrem Computer unz, unz, unz, produzieren ja..."

Handgemachte Live-Musik unter freiem Himmel, erzeugt mit originären Techno- Methoden, aufgebaut aus Samples, aus Loops und straighten Beats, spontane Einfälle digital festgehalten und sofort zu vertrackten Song-Strukturen versponnen - da fügt einer musikalische Welten zusammen.

...und er durchreist mit seinen Stücken musikalische Welten. 10 Jahre war er als Straßenmusiker in aller Herren Länder unterwegs, ...
"... ich war damals in der Wüste, und ich lauf noch mal diesen Trail da hoch zu dieser Wüstendüne, und ich seh da noch mal die Kamele in der Ferne, und wenn ich mir das vorstelle, während ich anfange, ´n arabisches Riff zu spielen, glaube ich, wird auch ´n Bild transportiert zum Publikum..."

Der eigenwillige Musiker war in letzter Zeit auf vielen großen Festivals zu Gast, auf elektro-lastigen Tanzfesten genauso wie auf renommierten Jazz-Veranstaltungen, trotzdem:

"Ich bin ´n leidenschaftlicher Straßenmusiker, ich werd´ so weiter machen, vielleicht hab´ ich in zwei, drei Jahren ja schon soviel Leute inspiriert, ich glaube, darum geht's auch, es geht als Künstler darum, das du andere Leute inspirierst..."

Ganz klar, der Mann hat eine Mission, und es ist absolut logisch, dass er sich mit einer DVD präsentiert. Denn es ist nicht das Ergebnis, was bei Rico Dießners Projekt "Rico Loop" im Vordergrund steht, sondern es geht um das sichtbare Ereignis, darum, zu sehen, wie Musik entsteht, wie Musik sich durch einen Musiker entfaltet, ...

"Der sitzt da, der zappelt da rum, ich wunder mich, warum die Leute nicht den Krankenwagen holen,"

...und man ahnt, was es heißen kann, Musik zu machen...

"...du gibt's dich hin, die Musik nimmt dich, und du wirst beschenkt..."

Song: "...abfahr'n ! Energie will sich entfalten, wie 'n fetter heißer Stra –ha – hand, gib 'ne Schaufel und 'n Eimer, dann grab´ich uns ein Land, Energie kann nichts behalten, ich bin der Sand in meiner Hand, ich bin der Sand in meiner Hand, ich bin der Sand..."