Ein bibliophiler Schatz aus dem Hause Windsor

Nicola Stuart im Gespräch mit Susanne Führer |
1922 schuf der englische Künstler Fougasse ein Miniaturbüchlein für das Puppenhaus von Queen Mary, der Großmutter der amtierenden Königin. Aus Anlass des 60. Thronjubiläums von König Elizabeth II. wurde dieses Miniaturbuch nun als reguläre Ausgabe veröffentlicht - mit riesigem Erfolg auf der Insel.
Susanne Führer: Am Wochenende beginnen die großen Feierlichkeiten zum 60. Thronjubiläum von Königen Elizabeth II. Zu diesem Ereignis wurde ein kleiner Buchschatz aus dem Hause Windsor gehoben, "Ein Elf in London". Das Buch erzählt in Bildern und in Reimen die Geschichte eines Elfs, der nach London geweht wird und wieder zu seiner Familie möchte.

Was das nun mit den Royals zu tun hat? Das buchstäblich kleine Buch war Bestandteil der Bibliothek des berühmten Puppenhauses, das in den 20er-Jahren für Queen Mary, das ist die Großmutter der heutigen Königin, gebaut wurde. Auf Deutsch ist es soeben im Verlag Jacoby & Stuart erschienen, und hier im Studio erschienen ist jetzt die Verlegerin Nicola Stuart. Schön, dass Sie da sind, Frau Stuart!

Nicola Stuart: Ja, ich freue mich!

Führer: Fangen wir mal ganz vorne an: Was ist das für ein Puppenhaus?

Stuart: Das Puppenhaus von Queen Mary ist ein Puppenhaus, das in de 20er-Jahren in London gebaut worden ist. Es geht auf eine Idee zurück von einer Cousine von Queen Mary, nämlich von Marie Louise, die wusste, dass Queen Mary kleine Kunstgegenstände sammelt und so was alles und auf die Idee gekommen ist, dass der damals berühmteste Architekt von England ein Puppenhaus für die Königin bauen könnte.

Es hat eine Weile gedauert, bis sie den Architekten überredet hat, aber dann hat er dem zugestimmt, und dann haben sie gesagt, dies soll ein Geschenk des britischen Volks an ihre Königin sein und haben die besten und die modernsten Waren und Einrichtungsgegenstände der Epoche zusammengesucht, haben das Haus bauen lassen, haben es ausgestattet mit Autos – es gibt ein Souterrain, wo Autos stehen. Die Modelle sind damals gekommen von Daimler, von Rolls Royce, von Vauxhall oder Sunbeam. Sie haben zum Beispiel einen Weinkeller eingebaut, der auch im Souterrain ist, wo noch heute 200 Weinflaschen lagern, die gefüllt sind mit Château Lafite des Jahrgangs 1875. Weiterhin ...

Führer: Wie groß ist denn das ganze Haus überhaupt, das klingt so riesig, was Sie gerade erzählen.

Stuart: Also das Haus in sich, der Innenteil des Hauses ist ungefähr einen Meter hoch, dann ist noch der Souterrain da drunter, und dann kann man die Außenhülle des Hauses nach oben ziehen, die dann mit den Dachaufbauten und so weiter noch einmal 1,20 Meter ist. Also, wenn man daneben steht, ist es ungefähr 2,20 Meter hoch.

Führer: Ich hab mal so ein Bild gesehen, das sieht so richtig schön aus wie so ein englisches Herrenhaus Ende des 19. Jahrhunderts mit allen Möbeln und Teppichen und alten Kaminen und so weiter. Aber Sie haben gerade die Automodelle angesprochen. Es war ja auch ansonsten technisch auf dem neuesten Stand, oder?

Stuart: Ja, da waren Lifts drin, die funktionierten, es hatte eine funktionierende Wasserspülung, die auch heute noch funktioniert. Es hatte Strom, es hatte eine funktionierende Küche. Es ist quasi eigentlich ein Modell gewesen, um der Welt zu zeigen, das ist das, was ein modernes britisches Empire-Haus in den 20er-Jahren ist. Es ist ja später auch auf diese British-Empire-Ausstellung gekommen, die 1924/25 stattgefunden hat.

Die größte Ausstellung der Welt, da ist das Puppenhaus vorgestellt worden. Es waren 27 Millionen Besucher da, und das war eigentlich so – das Empire wollte sich vor der Welt darstellen. Also, es war einerseits ein Geschenk an Queen Mary, andererseits war es, der Welt zu zeigen, wir sind die großen, die modernsten, wir haben die schönsten Häuser, das schönste Porzellan. Selbst die Küche funktioniert übrigens noch heute.

Führer: Und in diesem Puppenhaus gibt es auch eine Bibliothek, und zwar mit 200 Büchern. Wie groß sind diese Bücher, und sind das nur Kinderbücher für ein Puppenhaus, oder ...

Stuart: Nein. Es ist absolut anders. Jeder Bereich, die Bücher sind ungefähr zwischen 4x3,5 Zentimeter groß, manche sind einen Tuck größer, die anderen einen Tuck kleiner. Es sind 170 Autoren, die für diese Bücher geschrieben haben und insgesamt knapp über 200 Bücher, wie Sie gesagt haben. Diese Prinzessin Marie Louise, von der wir vorhin schon gesprochen haben, die hat Miniaturbildbände anfertigen lassen und hat diese Miniaturbildbände an die größten Schriftsteller und Lyriker der Zeit geschickt.

So wie an Arthur Conan Doyle, der hat eine kleine Kriminalgeschichte geschrieben, oder Kipling, der nicht nur Gedichte geschickt hat, sondern auch noch teilweise von eigener Hand diese Gedichte illustriert hat. Ebenso haben Thomas Hardy und Robert Graves Gedichte geschickt. Aldous Huxley oder Somerset Maugham haben Geschichten beigesteuert. Die Größten der Zeit außer Virginia Woolf und George Bernhard Shaw, die haben sich geweigert, die haben nicht teilgenommen im Gegensatz zu allen anderen.

Führer: Die Verlegerin Nicola Stuart ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur, und jetzt, Frau Stuart, kommen wir endlich zu dem Buch "Ein Elf in London" von Fougasse, also das ist ein Künstlername. Fougasse hat das eigens für diese Bibliothek geschrieben und gezeichnet, im Original ist es also streichholzschachtelgroß eben, so 4x3,5 Zentimeter groß beziehungsweise klein. Wie hat er das eigentlich geschafft, das in dieser kleinen Größe zu zeichnen und zu schreiben?

Stuart: Er hat das mit einer Lupe gemacht. Er hat von Hand, also es ist selbst gelettert, das ganze Buch, und er hat direkt in dieses kleine Büchlein, in diesen Miniaturblindband, den er zugeschickt bekommen hatte, reingezeichnet und reingeschrieben. Das muss Stunden und Tage gedauert haben, wir wissen leider nicht genau, wie lange, aber er hat das alles mit der Lupe gemacht. Und wenn man sich dieses vergrößerte Büchlein anguckt, was ja auch nicht sehr groß ist, das ist ja auch nur 10x13 Zentimeter, dann sieht man, wie detailreich das Ganze ist und was für ein guter Künstler er einfach war. Es ist ein Juwel.

Führer: Lettern, Frau Stuart, was ist das, Lettern?

Stuart: Ja, Lettern ist, wenn von Hand eine Schrift geschrieben wird. Also keine gedruckte Schrift, sondern von Hand geschrieben. Und der Fachausdruck ist einfach "Lettern" dafür. Und für uns war das relativ kompliziert, weil das ist ja die Schrift von Fougasse, also die englische Schrift, die zum Beispiel keine Umlaute hat. Wir mussten dann also die Umlaute noch einmal selbst hinterher machen und es waren nicht alle Großbuchstaben da. Im Deutschen werden ja viel mehr Großbuchstaben benötigt als im Englischen, und da musste unser Hersteller auch noch mal ran und musste sehen, dass er auch das erst von Hand lettert und das dann hinterher wiederum digitalisiert.

Führer: Also wenn man das Buch ansieht, dann wirkt es wie handgeschrieben, um das noch mal zu erläutern. Kommen wir mal zur Geschichte. Das ist die Geschichte eines Elfen, der wird nach London verweht durch so einen Sturm, und er will unbedingt dringend wieder nach Hause zu seiner Familie. Das klingt nach einer netten, reizenden Kindergeschichte.

Stuart: Ja, es ist eine Kindergeschichte, das Ganze reimt sich, also es sind Reime, die sind auch im Deutschen gereimt, das heißt, es ist nachgedichtet. Und es eignet sich sehr gut, um es Kindern vorzulesen. Es ist so ein bisschen albern in sich. Kinder finden es also total komisch. Auf der anderen Seite ist es eigentlich auch, finde ich jedenfalls, so eine ganz versteckte Zeitkritik, weil der Fougasse bekrittelt eigentlich so ein bisschen den Neid der Menschen.

Dieser Elf, der auftreten will und der wunderschön tanzen kann und dann plötzlich zum Star wird in London und alle finden sein Tanzen gut, bis die neidischen Kollegen kommen, und die sagen, der ist doch ganz schlecht und was der macht, das kann doch jeder. Und, Zack, hat er keinen Erfolg mehr, weil auch die Presse anfängt, schlecht über ihn zu schreiben, und so was alles. Und so geht es weiter, nicht nur mit dem Tanzen, sondern auch mit Singen und mit Malen. Jedes Mal hat er am Ende keinen Erfolg, weil die Menschen eigentlich missgünstig sind.

Trotzdem gibt es auch ein paar gute Menschen, die ihm am Ende dabei helfen, wieder in sein Elfenreich zurückzukommen. Also, es ist für Erwachsene einfach köstlich, und für Kinder total lustig.

Führer: Also eine frühe Kritik der Yellow Press finde ich da ...

Stuart: Ja, irgendwie schon, ganz stark sogar, aber versteckt dabei.

Führer: Nun wird also dieses Buch zum Thronjubiläum herausgebracht, zum ersten Mal eigentlich, denn es war ja damals in keinem Verlag erschienen, also auf Englisch und bei Ihnen, Frau Stuart, auf Deutsch. Das Buch ist gewachsen, Sie haben das gerade schon gesagt, auf 10x13 Zentimeter, warum eigentlich?

Stuart: Weil es, in der Buchhandlung könnte es so gar nicht stehen. Es ist ja so klein, das würde verloren gehen und wahrscheinlich ...

Führer: Ich muss mal sagen, dass Sie jetzt gerade die Originalgröße in der Hand haben, das sind so wirklich diese drei Zentimeterchen.

Stuart: Es würde wahrscheinlich auch geklaut werden. Also man wüsste eigentlich – eigentlich wüsste die Buchhändlerin doch gar nicht, wo sie das hinstellen sollte. Zum anderen ist es natürlich schwer, das heutzutage so zu fertigen, dies war ja nur ein handaufgebundenes Exemplar für die Bibliothek von Queen Mary. Insofern haben wir es größer gemacht. Also wir haben das mit dem englischen Verlag Walker zusammen gemacht, die das über die Royal Collection bekommen hat.

Führer: Die königliche Sammlung.

Stuart: Genau, die königliche Sammlung. Man sollte vielleicht auch noch wissen, dass die Jacky Colles-Harvey, die Verlegerin der Royal Collection, jeden Schritt dieses Machens des Buches mit Queen Elizabeth selbst besprochen hat. Das heißt, sie ist, nachdem das Buch gefunden worden ist in der Bibliothek, mussten sie erst mal das Einverständnis haben von der Queen, dass es überhaupt veröffentlicht werden darf, sie muss ihr Einverständnis geben, dass es vergrößert werden darf, und die Jacky ist also, sie hat uns das erzählt, sie ist vier oder fünfmal bei der Queen gewesen, und sie haben das alles genau besprochen, und die hat alles abgesegnet. Also die Vergrößerung, den Einband, den wunderschönen geprägten Goldstempel darauf, alles.

Führer: Also die deutsche Fassung entspricht bis auf die Sprache der englischen. Sie haben gerade gesagt, als das Buch gefunden wurde – war es denn weg, oder was meinen Sie mit gefunden?

Stuart: Ungefähr vor drei Jahren, im Zuge der ganzen Vorbereitungen für das diamantene Kronjubiläum wurde alles gesichtet, was im Puppenhaus ist. Und die meisten Bände waren bekannt, aber dieses Buch ist sozusagen in Vergessenheit geraten. Es ist ein absoluter Schatz, es wurde wiedergefunden, nicht nur die Queen hat sich darüber gefreut, sondern alle natürlich, und deshalb wurde dieses Buch ausgewählt und jetzt zum Thronjubiläum veröffentlicht.

Führer: Haben Sie eigentlich mal gesehen, liegt das jetzt in London schon überall in den Buchhandlungen herum, ist das ein Erfolg?

Stuart: Eine Kollegin aus London von Walker hat mir gestern zufälligerweise gerade geschrieben, dass sie in London an fünf Schaufenstern vorbeigegangen ist auf dem Weg zur Arbeit, die komplett dekoriert sind mit dem Buch. Also in England ist es ein rasender Erfolg.

Führer: Sagt die Verlegerin Nicola Stuart vom Verlag Jacoby & Stuart, und dort ist gerade das wirklich wunderschöne Buch "Ein Elf in London" erschienen mit Goldschnitt, Textilbezug und Lesebändchen. Und es kostet 16,95 Euro und ich danke Ihnen für Ihren Besuch im Studio, Frau Stuart.

Stuart: Gerne, danke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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