"Ein Bild von der Welt"
Als Gerhard Richter 1961 die DDR verließ, hat er einen klaren Trennungsstrich gezogen. Auch später hat er sich jeder politisch-ideologischen Vereinnahmung verweigert. Richters früherer Assistent Dietmar Elger hält die kritische Distanz gegenüber jedweder Ideologie für ein wichtiges Merkmal seiner Kunst.
Britta Bürger: Nach der Tate Modern in London und vor dem Pariser Centre Pompidou würdigt die Neue Nationalgalerie in Berlin ab Sonntag einen der bedeutendsten Künstler unserer Zeit, den Maler Gerhard Richter, der heute vor 80 Jahren in Dresden geboren wurde – jener Stadt, in der er 1961 bei seiner Flucht in den Westen sein gesamtes Frühwerk zurückließ, um in Düsseldorf ein neues Malerleben zu beginnen.
Man könnte ihm viele Fragen dazu stellen, doch Gerhard Richter gibt so gut wie keine Interviews. Deshalb sprechen wir mit einem Mann, der Gerhard Richter seit über 30 Jahren kennt. Der Kunsthistoriker Dietmar Elger war in den 80er-Jahren Richters Assistent, hat Ausstellungen von ihm kuratiert, die wichtigste Biografie über ihn geschrieben, und leitet seit 2005 das Gerhard-Richter-Archiv der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, und dort begrüße ich ihn jetzt auch am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Elger!
Dietmar Elger: Guten Tag!
Bürger: Beim Namen Gerhard Richter, da fallen fünf verschiedenen Menschen möglicherweise fünf völlig verschiedene Werkgruppen ein: seine Seebilder, die unscharf verwischten Blumensträuße oder der Zyklus über die RAF, die monochromen Bilder in grau oder die sehr farbigen, abstrakten Gemälde, für die er dicke Farbschichten mit einem Riesenspatel über die Leinwand schabt – es gibt einfach nicht das eine Bild, das alle vor Augen haben. lässt sich dennoch sagen, Herr Elger, welche Bilder für Gerhard Richter selbst aus der heutigen Rückschau auf sein Werk am bedeutendsten sind?
Elger: Das, glaube ich, lässt sich nur schwer sagen, aber es gibt durchaus Werke, die er mehr oder weniger schätzt, wo sich vor allen Dingen seine eigene Einschätzung geändert hat. Zum Beispiel gab es Ende der 60er-Jahre eine Werkperiode, wo er so Fenster gemalt hat und so sehr geometrische Bilder gemalt hat – das ist etwas, wo er heute sagt, ja, das war ein Weg, den hätte ich vielleicht noch ein bisschen weitergehen können, da war noch was drin, wo noch mehr möglich gewesen wäre. Und es gibt andere Werkgruppen, die er weniger schätzt. Das sind so diese weichen, abstrakten, die er nach kleinen abstrakten Bildern vergrößert hat und dann fotorealistisch gemalt hat, eine Werkgruppe, die ich zum Beispiel sehr schätze, die aber nicht zu den Lieblingswerkgruppen von Herrn Richter gehört.
Bürger: Der permanente Stilbruch ist ja im Grunde zu Gerhard Richters Stilprinzip geworden. Er hat mal gesagt, er verfolge keine Absichten, kein System, keine Richtung, er habe kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen. Was macht ihn also für die Kunstwelt so einzigartig?
Elger: Ja, dieses Schlagwort, was es schon seit den 70er-Jahren gibt, Stilbruch als Stilprinzip, das mag er eigentlich nicht, weil es so ein bisschen flott ist und ihm vielleicht auch nicht gerecht wird, weil natürlich trotz aller Stilbrüche und trotz aller unterschiedlichen stilistischen Ansätze, die es in seinem Werk gibt, da doch irgendwo der rote Faden ist, und dass es doch von unterschiedlichen Positionen her immer um das Gleiche geht, immer darum geht, sich auf unterschiedliche Weise ein Bild von der Welt zu machen und dies sowohl in der figurativen Malerei wie auch in der abstrakten Malerei. Und letztlich haben beide Werkgruppen, die so sehr antipodisch auf den ersten Blick scheint, doch sehr viel miteinander zu tun im Werk von Richter.
Bürger: Gerhard Richter tut sich sehr schwer, über seine Bilder zu sprechen. Er will sich weder selbst festlegen noch festlegen lassen. Das war schon in den 60er-Jahren so.
Gerhard Richter: Über Malerei zu reden, ist ja nicht nur sehr schwierig, sondern vielleicht sogar sinnlos, weil man immer nur das in Worte fassen kann, was in Worte zu fassen geht, was mit der Sprache möglich ist. Und damit hat ja eigentlich Malerei nichts zu tun, da gehört vielleicht auch diese stereotype Phase dazu: Was haben Sie sich dabei gedacht? Man kann sich nichts dabei denken, denn Malen ist ja eine andere Form des Denkens.
Bürger: Gerhard Richter 1965, da war er 33 Jahre alt. Wie sehen Sie das, Dietmar Elger, würde Richter das heute noch genau so sagen, über Malerei zu reden, ist sinnlos?
Elger: Ja, zumindest weicht er ja immer sehr aus. Auf der anderen Seite: Es gibt die Schriften von Gerhard Richter, Briefe, vor allen Dingen auch Interviews, ein Werk, was über 500 Seiten dick ist, also es gibt durchaus eine Menge von Äußerungen des Künstlers zu seinem Werk, zu seinem Leben – ganz sprachlos gegenüber seinem eigenen Werk ist er auch nicht.
Bürger: Hat diese anhaltende Verweigerung, sich auf einen Stil festlegen zu lassen, möglicherweise auch was mit seiner DDR-Vergangenheit zu tun, damit, dass er sich von keiner Ideologie, von nichts und niemandem vereinnahmen lassen will?
Elger: Also, diese Ideologieferne spielt sicherlich eine Rolle, und es ist ja auch nicht nur die DDR gewesen, sondern er hat vorher auch als Kind unter dem Nationalsozialismus gelebt, und er hat immer ein kritisches Verhältnis gehabt zu Ideologien. Er hat auch eine gewisse Ferne gehalten zu den studentischen Unruhen in den späten 60er-Jahren, zu solchen Utopien. Er hat dann auch die Ideologien kritisch dargestellt ja in seinem Oktober-Zyklus, wo er Bilder gemalt hat, die eben weder positiv noch negativ in eine Richtung deuten. Und diese Ambivalenz der Ideologien in seinem Oktoberzyklus thematisiert.
Bürger: Er hat ja an der Staatlichen Kunsthochschule in Dresden Wandmalerei studiert, auch Auftragsarbeiten erledigt, von denen die DDR-Kulturbehörden mindestens drei große Wandgemälde haben übermalen lassen, eines davon im Dresdner Hygienemuseum. Richter ist dann eben 1961 in den Westen geflohen, kam an die Kunstakademie in Düsseldorf, wo Leute waren wie Sigmar Polke und Günther Uecker, Jörg Immendorff, Joseph Beuys – die Abstrakten kämpften gegen die Gegenständlichen und umgekehrt –, wie hat er sich dazwischen positioniert?
Elger: Zusammen mit einigen Freunden. Sie haben Sie ja zum Teil schon genannt: Sigmar Polke, Konrad Lueg – das war eine Gruppe, die sich zusammengefunden hat und die aus der gegenseitigen Bestätigung die Kraft gefunden hat, eben mit gegenständlichen Motiven zu arbeiten. Denn das war nicht normal, das war gegen den Strom damals, aber gegenseitig haben sie sich halt bestärkt, dass sie das Richtige machen, dass sie diejenigen sind, die in die Zukunft der Kunst weisen. Dafür braucht man dann Partner, man braucht Freunde, die einem auch den Mut geben, und einen unterstützen und sagen, dass das, was man macht, der richtige Weg ist.
Bürger: Am heutigen 80. Geburtstag des Malers Gerhard Richter sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Leipziger Kunsthistoriker Dietmar Elger, einem der besten Kenner des Werkes Gerhard Richters. Ich habe es eingangs schon angedeutet: Richter musste 1961 bei seiner Flucht aus der DDR sein gesamtes Frühwerk zurücklassen, er wollte damit aber später auch nichts mehr zu tun haben und hat klar entschieden, dass die Bilder, die in der DDR entstanden sind, nicht mehr zu seinem Werk gehören. Wie ist das zu interpretieren?
Elger: Das ist eine deutliche Entscheidung für einen Neuanfang. Er hat es dadurch ja auch bestätigt, dass er seinen Bildern Nummern gegeben hat, und das Bild "Tisch" von 1962 trägt die Nummer Eins. Nun muss man auch sagen, dass das Werk aus der DDR einen ganz anderen Charakter hat, eine ganz andere Thematik hat, ein ganz anderes Konzept hat. Das passt so auch nicht zu seinem späteren Werk, das ist auch richtig, dass er das unterscheidet und dass er da einen Trennstrich gezogen hat. Es gibt trotzdem Autoren, die sich damit beschäftigen, da hat Herr Richter auch nichts dagegen. Wir haben hier Material zu diesem Werk, das kann man bei uns auch sehen, das ist auch okay alles. Nur man muss eben, glaube ich, die Proportion sehen und auch die Wertigkeiten sehen, und dann ist das alles völlig okay.
Bürger: Sie gehören ja zu den wenigen Menschen außerhalb der Familie, die Gerhard Richter in seinem Atelier besuchen dürfen und durften. Woran arbeitet er zurzeit?
Elger: Es gibt neue Werkgruppen, das sind die sogenannten Strips, und es sind auch immer noch die Hinter-Glas-Bilder, die er schon etwas früher begonnen hat. Die Strips sind große Streifenbilder, die er aus einem anderen abstrakten Bild generiert. Das heißt, er benutzt sein eigenes Bild als Fundus, um daraus neue Bilder entstehen zu lassen. Beispiele dieser Werke werden auch in Berlin zu sehen sein, sodass man sich dann dort einen genauen Eindruck schaffen kann, wie diese neuen Werke von ihm aussehen.
Bürger: Ja, ist das Malerei oder technisch bearbeitet?
Elger: Nein, das ist aus dem Computer ausgedruckt und im Computer manipuliertes Bildmaterial.
Bürger: In einem ersten Bericht habe ich gelesen, dass der Betrachter angesichts dieser Bilder anfing zu frieren, und Richter sagte, ihm ginge es ganz ähnlich.
Elger: Das kenne ich nicht. Es ist eher verwirrend, und es ist eher für die Augen schwierig, weil es so flirrt vor den Augen aufgrund dieser vielen farbigen, sehr dünnen Linien, die da aneinander liegen.
Bürger: Gerhard Richter betrachtet auch die Ausstellung seiner Werke immer äußerst kritisch. Im Kölner Museum Ludwig hat er ganz kaltes Licht verlangt – die Zuschauer sollten sich nicht wohlfühlen dort –, und über einem Saal seiner Bilder im Rahmen der großen MoMA-Schau, die vor ein paar Jahren in Berlin gezeigt wurde, da hat er gesagt, das sei zu spektakulär inszeniert, wie billiges Theater. Ist er denn diesmal mit der Retrospektive zu seinem 80. Geburtstag zufrieden?
Elger: In der Tate war er es, das hat ihm sehr gut gefallen. In Berlin werden wir das noch sehen, es ist ja noch nicht eröffnet. Herr Richter ist zurzeit in Berlin, baut da noch auf, ändert auch noch Kleinigkeiten – Herr Richter legt das ja immer sehr gut fest an Modellen, aber vor Ort gibt es dann immer noch Korrekturen, das macht er zurzeit –, und dann wird man sehen, wie es aussieht, und man wird auch hören, wie er damit dann zufrieden ist.
Bürger: Was wünschen Sie, Herr Elger, Gerhard Richter zu seinem heutigen 80. Geburtstag?
Elger: Ich wünsche ihm natürlich alles Gute, ich wünsche ihm, dass er noch weiterhin so intensiv arbeiten kann, wie er das jetzt tut, aber vor allen Dingen wünsche ich ihm auch mehr Zeit, noch zu malen, denn er hat sehr viel zu tun im Atelier, sehr viele Dinge – auch andere Dinge – zu tun durch Besucher und ähnliches, durch Projekte, und er kommt nicht so viel zum Malen, wie er sich selber das wünscht. Und dass dieser Wunsch in Erfüllung geht, das vor allem wünsche ich ihm.
Bürger: Der Kunsthistoriker Dietmar Elger, ein Kenner und Freund des Malers Gerhard Richter. Ich danke Ihnen herzlich fürs Gespräch!
Elger: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Weitere Infos auf dradio.de:
Gerhard Richter zum 80. Geburtstag - Ausstellungen in Berlin und Dresden würdigen das über fünf Jahrzehnte umfassende Werk des Malers
Man könnte ihm viele Fragen dazu stellen, doch Gerhard Richter gibt so gut wie keine Interviews. Deshalb sprechen wir mit einem Mann, der Gerhard Richter seit über 30 Jahren kennt. Der Kunsthistoriker Dietmar Elger war in den 80er-Jahren Richters Assistent, hat Ausstellungen von ihm kuratiert, die wichtigste Biografie über ihn geschrieben, und leitet seit 2005 das Gerhard-Richter-Archiv der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, und dort begrüße ich ihn jetzt auch am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Elger!
Dietmar Elger: Guten Tag!
Bürger: Beim Namen Gerhard Richter, da fallen fünf verschiedenen Menschen möglicherweise fünf völlig verschiedene Werkgruppen ein: seine Seebilder, die unscharf verwischten Blumensträuße oder der Zyklus über die RAF, die monochromen Bilder in grau oder die sehr farbigen, abstrakten Gemälde, für die er dicke Farbschichten mit einem Riesenspatel über die Leinwand schabt – es gibt einfach nicht das eine Bild, das alle vor Augen haben. lässt sich dennoch sagen, Herr Elger, welche Bilder für Gerhard Richter selbst aus der heutigen Rückschau auf sein Werk am bedeutendsten sind?
Elger: Das, glaube ich, lässt sich nur schwer sagen, aber es gibt durchaus Werke, die er mehr oder weniger schätzt, wo sich vor allen Dingen seine eigene Einschätzung geändert hat. Zum Beispiel gab es Ende der 60er-Jahre eine Werkperiode, wo er so Fenster gemalt hat und so sehr geometrische Bilder gemalt hat – das ist etwas, wo er heute sagt, ja, das war ein Weg, den hätte ich vielleicht noch ein bisschen weitergehen können, da war noch was drin, wo noch mehr möglich gewesen wäre. Und es gibt andere Werkgruppen, die er weniger schätzt. Das sind so diese weichen, abstrakten, die er nach kleinen abstrakten Bildern vergrößert hat und dann fotorealistisch gemalt hat, eine Werkgruppe, die ich zum Beispiel sehr schätze, die aber nicht zu den Lieblingswerkgruppen von Herrn Richter gehört.
Bürger: Der permanente Stilbruch ist ja im Grunde zu Gerhard Richters Stilprinzip geworden. Er hat mal gesagt, er verfolge keine Absichten, kein System, keine Richtung, er habe kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen. Was macht ihn also für die Kunstwelt so einzigartig?
Elger: Ja, dieses Schlagwort, was es schon seit den 70er-Jahren gibt, Stilbruch als Stilprinzip, das mag er eigentlich nicht, weil es so ein bisschen flott ist und ihm vielleicht auch nicht gerecht wird, weil natürlich trotz aller Stilbrüche und trotz aller unterschiedlichen stilistischen Ansätze, die es in seinem Werk gibt, da doch irgendwo der rote Faden ist, und dass es doch von unterschiedlichen Positionen her immer um das Gleiche geht, immer darum geht, sich auf unterschiedliche Weise ein Bild von der Welt zu machen und dies sowohl in der figurativen Malerei wie auch in der abstrakten Malerei. Und letztlich haben beide Werkgruppen, die so sehr antipodisch auf den ersten Blick scheint, doch sehr viel miteinander zu tun im Werk von Richter.
Bürger: Gerhard Richter tut sich sehr schwer, über seine Bilder zu sprechen. Er will sich weder selbst festlegen noch festlegen lassen. Das war schon in den 60er-Jahren so.
Gerhard Richter: Über Malerei zu reden, ist ja nicht nur sehr schwierig, sondern vielleicht sogar sinnlos, weil man immer nur das in Worte fassen kann, was in Worte zu fassen geht, was mit der Sprache möglich ist. Und damit hat ja eigentlich Malerei nichts zu tun, da gehört vielleicht auch diese stereotype Phase dazu: Was haben Sie sich dabei gedacht? Man kann sich nichts dabei denken, denn Malen ist ja eine andere Form des Denkens.
Bürger: Gerhard Richter 1965, da war er 33 Jahre alt. Wie sehen Sie das, Dietmar Elger, würde Richter das heute noch genau so sagen, über Malerei zu reden, ist sinnlos?
Elger: Ja, zumindest weicht er ja immer sehr aus. Auf der anderen Seite: Es gibt die Schriften von Gerhard Richter, Briefe, vor allen Dingen auch Interviews, ein Werk, was über 500 Seiten dick ist, also es gibt durchaus eine Menge von Äußerungen des Künstlers zu seinem Werk, zu seinem Leben – ganz sprachlos gegenüber seinem eigenen Werk ist er auch nicht.
Bürger: Hat diese anhaltende Verweigerung, sich auf einen Stil festlegen zu lassen, möglicherweise auch was mit seiner DDR-Vergangenheit zu tun, damit, dass er sich von keiner Ideologie, von nichts und niemandem vereinnahmen lassen will?
Elger: Also, diese Ideologieferne spielt sicherlich eine Rolle, und es ist ja auch nicht nur die DDR gewesen, sondern er hat vorher auch als Kind unter dem Nationalsozialismus gelebt, und er hat immer ein kritisches Verhältnis gehabt zu Ideologien. Er hat auch eine gewisse Ferne gehalten zu den studentischen Unruhen in den späten 60er-Jahren, zu solchen Utopien. Er hat dann auch die Ideologien kritisch dargestellt ja in seinem Oktober-Zyklus, wo er Bilder gemalt hat, die eben weder positiv noch negativ in eine Richtung deuten. Und diese Ambivalenz der Ideologien in seinem Oktoberzyklus thematisiert.
Bürger: Er hat ja an der Staatlichen Kunsthochschule in Dresden Wandmalerei studiert, auch Auftragsarbeiten erledigt, von denen die DDR-Kulturbehörden mindestens drei große Wandgemälde haben übermalen lassen, eines davon im Dresdner Hygienemuseum. Richter ist dann eben 1961 in den Westen geflohen, kam an die Kunstakademie in Düsseldorf, wo Leute waren wie Sigmar Polke und Günther Uecker, Jörg Immendorff, Joseph Beuys – die Abstrakten kämpften gegen die Gegenständlichen und umgekehrt –, wie hat er sich dazwischen positioniert?
Elger: Zusammen mit einigen Freunden. Sie haben Sie ja zum Teil schon genannt: Sigmar Polke, Konrad Lueg – das war eine Gruppe, die sich zusammengefunden hat und die aus der gegenseitigen Bestätigung die Kraft gefunden hat, eben mit gegenständlichen Motiven zu arbeiten. Denn das war nicht normal, das war gegen den Strom damals, aber gegenseitig haben sie sich halt bestärkt, dass sie das Richtige machen, dass sie diejenigen sind, die in die Zukunft der Kunst weisen. Dafür braucht man dann Partner, man braucht Freunde, die einem auch den Mut geben, und einen unterstützen und sagen, dass das, was man macht, der richtige Weg ist.
Bürger: Am heutigen 80. Geburtstag des Malers Gerhard Richter sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Leipziger Kunsthistoriker Dietmar Elger, einem der besten Kenner des Werkes Gerhard Richters. Ich habe es eingangs schon angedeutet: Richter musste 1961 bei seiner Flucht aus der DDR sein gesamtes Frühwerk zurücklassen, er wollte damit aber später auch nichts mehr zu tun haben und hat klar entschieden, dass die Bilder, die in der DDR entstanden sind, nicht mehr zu seinem Werk gehören. Wie ist das zu interpretieren?
Elger: Das ist eine deutliche Entscheidung für einen Neuanfang. Er hat es dadurch ja auch bestätigt, dass er seinen Bildern Nummern gegeben hat, und das Bild "Tisch" von 1962 trägt die Nummer Eins. Nun muss man auch sagen, dass das Werk aus der DDR einen ganz anderen Charakter hat, eine ganz andere Thematik hat, ein ganz anderes Konzept hat. Das passt so auch nicht zu seinem späteren Werk, das ist auch richtig, dass er das unterscheidet und dass er da einen Trennstrich gezogen hat. Es gibt trotzdem Autoren, die sich damit beschäftigen, da hat Herr Richter auch nichts dagegen. Wir haben hier Material zu diesem Werk, das kann man bei uns auch sehen, das ist auch okay alles. Nur man muss eben, glaube ich, die Proportion sehen und auch die Wertigkeiten sehen, und dann ist das alles völlig okay.
Bürger: Sie gehören ja zu den wenigen Menschen außerhalb der Familie, die Gerhard Richter in seinem Atelier besuchen dürfen und durften. Woran arbeitet er zurzeit?
Elger: Es gibt neue Werkgruppen, das sind die sogenannten Strips, und es sind auch immer noch die Hinter-Glas-Bilder, die er schon etwas früher begonnen hat. Die Strips sind große Streifenbilder, die er aus einem anderen abstrakten Bild generiert. Das heißt, er benutzt sein eigenes Bild als Fundus, um daraus neue Bilder entstehen zu lassen. Beispiele dieser Werke werden auch in Berlin zu sehen sein, sodass man sich dann dort einen genauen Eindruck schaffen kann, wie diese neuen Werke von ihm aussehen.
Bürger: Ja, ist das Malerei oder technisch bearbeitet?
Elger: Nein, das ist aus dem Computer ausgedruckt und im Computer manipuliertes Bildmaterial.
Bürger: In einem ersten Bericht habe ich gelesen, dass der Betrachter angesichts dieser Bilder anfing zu frieren, und Richter sagte, ihm ginge es ganz ähnlich.
Elger: Das kenne ich nicht. Es ist eher verwirrend, und es ist eher für die Augen schwierig, weil es so flirrt vor den Augen aufgrund dieser vielen farbigen, sehr dünnen Linien, die da aneinander liegen.
Bürger: Gerhard Richter betrachtet auch die Ausstellung seiner Werke immer äußerst kritisch. Im Kölner Museum Ludwig hat er ganz kaltes Licht verlangt – die Zuschauer sollten sich nicht wohlfühlen dort –, und über einem Saal seiner Bilder im Rahmen der großen MoMA-Schau, die vor ein paar Jahren in Berlin gezeigt wurde, da hat er gesagt, das sei zu spektakulär inszeniert, wie billiges Theater. Ist er denn diesmal mit der Retrospektive zu seinem 80. Geburtstag zufrieden?
Elger: In der Tate war er es, das hat ihm sehr gut gefallen. In Berlin werden wir das noch sehen, es ist ja noch nicht eröffnet. Herr Richter ist zurzeit in Berlin, baut da noch auf, ändert auch noch Kleinigkeiten – Herr Richter legt das ja immer sehr gut fest an Modellen, aber vor Ort gibt es dann immer noch Korrekturen, das macht er zurzeit –, und dann wird man sehen, wie es aussieht, und man wird auch hören, wie er damit dann zufrieden ist.
Bürger: Was wünschen Sie, Herr Elger, Gerhard Richter zu seinem heutigen 80. Geburtstag?
Elger: Ich wünsche ihm natürlich alles Gute, ich wünsche ihm, dass er noch weiterhin so intensiv arbeiten kann, wie er das jetzt tut, aber vor allen Dingen wünsche ich ihm auch mehr Zeit, noch zu malen, denn er hat sehr viel zu tun im Atelier, sehr viele Dinge – auch andere Dinge – zu tun durch Besucher und ähnliches, durch Projekte, und er kommt nicht so viel zum Malen, wie er sich selber das wünscht. Und dass dieser Wunsch in Erfüllung geht, das vor allem wünsche ich ihm.
Bürger: Der Kunsthistoriker Dietmar Elger, ein Kenner und Freund des Malers Gerhard Richter. Ich danke Ihnen herzlich fürs Gespräch!
Elger: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Gerhard Richter zum 80. Geburtstag - Ausstellungen in Berlin und Dresden würdigen das über fünf Jahrzehnte umfassende Werk des Malers