Ein Bild von einer Frau

Von Kathrin Hondl |
Der impressionistische Maler Edgar Degas ist vor allem für seine Bilder von Balletttänzerinnen und Pferderennen bekannt. Weniger Beachtung fanden bislang seine Akte. Einige von ihnen werden nun im Pariser Musée d'Orsay gezeigt.
Es war wirklich notwendig, sagt Kurator Xavier Rey, den Akten von Degas eine eigene Ausstellung zu widmen:

"Seine anderen Lieblingsthemen - Pferde, Tänzerinnen oder Genreszenen wurden schon umfassend gezeigt und erforscht. Aber die Akte sind in seinem Gesamtwerk sehr wichtig. Denn hier, mehr noch als in allen anderen Genres, entwickelt Degas seine Art der Darstellung. Er macht das mehr oder weniger im Verborgenen, denn schon zu Lebzeiten waren vor allem seine Pferde- und Tänzerinnenbilder gefragt."

Doch unter den Tutus der Balletttänzerinnen verbergen sich Körper, nackte Körper. Die Ausstellung im Musée d'Orsay zeigt Degas' Akte von den Anfängen in den 1850er-Jahren bis zum Spätwerk aus den Jahren kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Wie die meisten Künstler seiner Zeit beginnt Degas seine Karriere, indem er die alten Meister kopiert. Besonders die Renaissancekünstler haben es ihm angetan. Im Louvre und auf Italienreisen zeichnet er nackte Körper nach den Vorbildern von Michelangelo, Mantegna oder Boticelli.

Solche mehr oder minder "antiken Körper" finden sich dann auch auf einem historischen Gemälde wieder, wo sich nackte Mädchen und Jungen in herausfordernden Posen gegenüberstehen. "Spartanische Mädchen provozieren eine Gruppe von Knaben", heißt das Bild. Doch Degas, so scheint es, ging es da weniger um ein historisches Ereignis in der Antike als vielmehr um die Darstellung der nackten Körper. Noch offensichtlicher ist das bei einem anderen Gemälde: "Kriegsszene aus dem Mittelalter" aus dem Jahr 1865 mit mehreren nackten Frauen, gemalt in liegender, gebückter oder hockender Position.

"Dieses Bild ist die Matrix von Degas' Vorgehensweise beim Darstellen nackter Körper. Es ist sein letztes historisches Gemälde, das letzte Bild, das er beim offiziellen Kunstsalon präsentiert, noch als klassischer akademischer Maler also. Das mehr oder weniger im Mittelalter verortete Bild zeigt eine Allegorie der Gräueltaten, die an Frauen in Kriegszeiten begangen werden. Gleichzeitig ist aber die Art, wie die Frauenkörper in diesem Bild dargestellt werden, sehr avantgardistisch, sehr modern. Und diese Formen und Posen werden Degas künftige Aktbilder beeinflussen, wenn er die Frauen seiner Zeit in der Trivialität des Badezimmers malt."

Und tatsächlich ähneln die Frauenkörper der mittelalterlichen Kriegsszene bereits jenen, die Degas später immer wieder darstellen wird. Ob in Zeichnungen, Gemälden, Pastellen, Monotypien oder Plastiken - die nackten Frauen von Degas sind gesichtslos. Sie wenden sich ab oder verbergen ihr Gesicht hinter langen Haaren, und meistens malt er sie von hinten, konzentriert sich ganz auf den Körper.

"Vielleicht habe ich die Frauen zu sehr wie Tiere gesehen", hat Degas einmal rückblickend gesagt. Dieser viel zitierte Satz hat ihm den zweifelhaften Ruf eines Frauenhassers eingebracht. Aber er beschreibt wohl vielmehr den distanzierten Blick, mit dem Degas die weiblichen Körper in intimen Posen festhält. Beim Bücken nach der Seife im Waschzuber, beim aus der Badewanne Steigen oder beim Waschen des Rückens. Auf die Form und die Bewegung kommt es ihm an. "Das gleiche Sujet muss man zehn-, sogar hundertmal wiederholen", sagte Degas.

"Indem er immer wieder ein und dieselbe Pose ins Bild setzt, entwickelt er seine Technik, seine Kunst weiter. In der Zeichnung, der Malerei, als Skulptur oder Monotypie. Im Laufe der Zeit werden die Aktbilder immer bewegter, dynamischer, größer und auch schematischer. Denn am Ende erreicht er eine Synthese bei der Körperdarstellung, die der Avantgardekunst des 20. Jahrhunderts sehr nahe kommt."

Diese Entwicklung ist im Musée d'Orsay jetzt sehr anschaulich nachzuvollziehen. Immer radikaler wird Degas' Ästhetik - von kleinformatigen Monotypien von Frauen im Bordell über große Pastelle und Ölgemälde von Frauen im Bad bis hin zu den extrem vereinfachenden Formen und Farben auf dem ganz in Rot- und Orangetönen gehaltenen Bild mit dem Titel "Nach dem Bade" von 1896, wo der Körper der Frau nur noch schemenhaft das Bild dominiert.

Mit diesem Gemälde endet die Ausstellung. Daneben hängt ein Frauenakt vor rotem Hintergrund von Picasso, und es wird klar: Degas hat den Weg bereitet für die Avantgarden des 20. Jahrhunderts.