Ein Bild von Insel und Küche
Henri Nannen ist ein würdiger Ratgeber: Eigentlich sollte man die Frage nach einem guten Urlaubsort und nach einem guten Arzt nicht beantworten. Man handelt sich nur Ärger ein. Mit dem guten Essen ist es noch schlimmer. Gehen Sie mit der EssTour nach Ostfriesland, nach Borkum, dann erübrigen sich alle Fragen.
Borkum, Wilhelm Bakker Strasse. Viermal der Name Akkermann auf den Klingelschildern vier Akkermänner von insgesamt 78 auf der Insel - die Hälfte der Ureinwohner heißt Akkermann. Borkum ist eine seltsame Welt. Hier an der Ecke ein Gartenzaun aus Walkinnladen - zerrissen, zerklüftet, ausgewaschen. An der Hauswand ein verblichenes Schild: Borkum ist anders. Zum ersten Mal eine Frau als Bürgermeisterin, direkt gewählt von den Insulanern – parteilos.
Mahlitz: "Ich kann mich in den Ratssitzungen eben halt mit der Äußerung, "Sehr geehrte Herren" begnügen, wobei ich natürlich hoffe, dass eben halt im Laufe der Zeit auch ein paar Damen dazukommen. "
Borkum ist anders: ein Physiotherapeut als Hobbyschäfer mit tierischen Gastarbeitern.
Müller: Ja, wir haben also drei holländische Gastarbeiter dabei, auch eine alte Rasse, die vom Aussterben bedroht ist, das sind drei fünf Monate alte kastrierte Ziegenböcke, die nicht nur zum Mähen da sind, sondern die sollen hier in der Landschaftspflege arbeiten und Ziegen verbeißen das, was Schafe nicht mehr beißen. "
Autor Borkum ist anders: eine Insel, aber keinen eigenen Fischfang.
Byl: "Weil es hier auf Borkum das Problem ist, dass wir hier keinen Schiffsausrüster haben, dass wir kein Eiswerk haben und hier auf der Insel der Sprit, also der Diesel, sehr, sehr teuer ist."
Borkum ist anders: nicht nur Fisch Alaska oder Schnitzel Hawaii.
Gerlach: "Wir verzichten möglichst auf Sahnesaucen und ich glaube, dass das sehr gut ankommt.
Lemke: "Wir haben versucht, etwas zu entschärfen, nicht so viel Sahne oder auch diesen ewigen Grünkohl, mal ein bisschen anders, ohne Haferbrei."
Eine seltsame Welt, dieses Borkum – 6000 Einwohner, viel Wind, Fahrradwege, eine Minieisenbahn. Und etwas ist doch nicht anders- das Kurorchester.
Sürken: "Borkum steht vor großen Strukturmaßnahmen, die sicherlich in der nahen Zukunft angegangen werden müssen."
Die erste gelungene Strukturmaßnahme: Entrümpelung der Küche.
Gerlach: "Herzlich willkommen, ich möchte mich kurz vorstellen… "
Müller: "... und Schafe sind die Rassen, die am meisten Strom brauchen. Strom an der Wolle, das merken die nicht – wir haben jetzt hier drei Sorten von Heidschnucken, der Großteil sind weiße, hornlose Heidschnucken, eine graue Heidschnucke haben wir dabei aus der Lüneburger Heide, die jeder kennt und eine weiß gehörnte Heidschnucke, das ist die seltenste Rasse. Die Weißen sind vom Aussterben bedroht, sind einfach von ihrer Art zu klein, zu wenig Lämmer."
Frage: "Warum bleibt ihr Hund jetzt eigentlich draußen?"
Müller: "Weil ich ihm nichts gesagt habe, der wartet jetzt, dass irgendwas kommt."
Also wartet Fips – heller, wacher Blick, gespitzte Ohren. Am Rande des Deichs, unten am Wasser, die Schnucken, wohlwollend begutachtet von Christoph Müller, eigentlich Physiotherapeut, gut ausgelastet auf einer Insel der Kuren.
Müller: "Ich hab also keine landwirtschaftliche Verbindung, von der Familie her oder sonst wo her. Es gibt bestimmt Träume, die man immer irgendwo vor sich her schiebt und ab einem gewissen Alter ist man dann so reif, dass man sich diese Träume dann auch irgendwo erfüllt, trotz vieler Leute, die einem das Gegenteil beweisen wollen und meinen, der hätte keine Ahnung – aber ab einem gewissen Punkt probiert man es aus und man sieht, es funktioniert. Ich habe es immer gesehen und wollte es immer machen, und irgendwann fängt man dann mal ganz klein an, mit drei, vier Tieren und dann merkt man, es ist doch viel mehr Arbeit, als ich dachte, aber wenn es einem Spaß macht, dann leist man sich immer mehr in die Materie ein, macht Lehrgänge und Verselbständigt sich das Ganze dann, kriegt Kontakte über die Landwirtschaftskammer und irgendwie kommt man doch so in einen Bereich hinein, den man vorher gar nicht kannte, bis man feststellt, ob es Spaß macht. Bei mir war es dann ganz genau so, das was ich immer gesucht habe, der Ausgleich zum Beruf, ja und seitdem wird es immer größer und ich muss eben aufpassen, dass ich von meiner Familie nicht die rote Karte kriege, weil der Zweitbetrieb die Freizeit zu sehr einschränkt."
Christoph Müller, Sympathieträger pur, passt ideal in die Landschaft hinterm Deich. Leicht gebräuntes Gesicht, hellwache Augen, kleiner Ring im Ohr. Herz und Seele im Einklang mit der Insel.
Müller: "Das ist sicher mehr Seele. Vom Kopf her gibt es sicher viele Gründe ans Festland zu gehen, von der Ausbildung her, vom Beruf, aber wenn man sich heute die wirtschaftliche Situation anguckt, ist es sicher heute einfacher auf Borkum zu überleben als auf dem Festland. Dem Tourismus, den wir hier haben, geht es sicherlich erheblich besser als in etlichen Gemeinden auf dem Festland und deswegen… es kommt beides zusammen aber letztendlich entscheidet doch bei uns Menschen, wenn es irgendwie geht, immer die Seele."
Sascha Gerlach, gebürtiger Insulaner, seit kurzem stolzer, junger Vater. Glück und Zufriedenheit. Borkum als Balsam.
Gerlach: "Ich ja nun mal hier geboren und es mag zwar sein, dass man viele Sachen nicht mehr so sieht, wie es ein Gast sehen würde oder vielleicht Gäste, die lange Jahre herkommen, weil es ja für mich meine Heimat und gewohnt ist, das steht ja außer Frage - aber wenn ich aufs Festland gehe und dann wieder zurück bin, dann merke ich doch jedes Mal wieder diese Besinnlichkeit und die Ruhe, die hier einerseits herrscht, es ist wenig Autoverkehr, man muss nicht an der Ampel stehen und warten, bis man über die Strasse kommt oder man geht in ein Geschäft rein und darf die Leute mit Namen begrüßen und vernünftig Hallo sagen und fühlt sich einfach nicht fremd und das ist natürlich schon eine Geborgenheit, die einem eine Stadt nicht geben kann. "
Diese Verbundenheit, diese Bodenständigkeit prägt auch seinen Kochstil – gelernt hat er in der Schweiz, einfach, vernünftig, Konzentration auf das Produkt. Kein Lockendrehen auf Küchenglatzen. Bodenhaftung ist für den Insulaner erste Kochpflicht.
Warten auf den Kabeljau – im Hafen von Borkum. Freizeitboote am Poller, Drahtrollen, Taue, wild durcheinander, Endstation der Inselbahn – der Katamaran Richtung Emden füllt sich, die Fähre vom Festland taucht am Horizont auf. Dort an Bord Fisch und Fischer. Der Kabeljau und Geerd Byl .
Frage: "Na, wie ist es? "
Byl: "Gut, soweit – danke schön – wir haben schöne Schollen dabei, wir haben Knurrhähne dabei, wir haben Kabeljau, Steinbutt, Seezungen, kleine Sandschollen und noch verschiedene andere Sachen – könne wir gleich mal alles in Ruhe, Schellfisch, ein paar Seewölfe, müssen wir mal gucken, weil die Kisten noch ein bisschen durcheinander sind, muss gleich noch ein bisschen vorsortiert werden. "
Szene eines absurden Theaters – eine Insel. Meer, Fischreichtum – aber keine eigene Fischerei mehr – auf Borkum ist also wieder mal alles anders.
Byl: "Ja, weil es hier auf Borkum das Problem ist, dass wir keinen Schiffausrüster haben, dass wir kein Eiswerk haben und hier auf der Insel der Sprit, also Diesel, Gasöl, sehr, sehr teuer ist und zumal, wir müssten hier auch noch mal Hafengebühr bezahlen und solche Sachen und dann ist es günstiger dann gleich zum Festland rüber zugehen, wo alles vor Ort ist, das Schiff liegen kann und sofort auch wieder ausgerüstet werden kann, das ist einfach besser. Zehn Jahre bin ich zur See gefahren, selbstständiger Fischer gewesen und dann einen Landbetrieb aufgemacht und eins geht nur, Vater wurde auch älter, konnte auch nicht mehr - wir hatten früher mal drei Schiffe. Ein bisschen Reusenfischerei noch, ein bisschen Stellnetz, ein paar kleinere Boote, Sportboote, die noch so ein bisschen Krabbenfang machen aber so im großen, das gibt es hier auf der Insel nicht mehr. "
Byl: "Der Nordsee-Kabeljau ist daher so hochwertig, weil er ein sehr schönes, festes Fleisch hat - sie sehen ja hier … es kommt wieder zurück, klare Augen, superklare Augen und hervorragende Kiemen, leuchtend rot. Schönes festes Fleisch - von mir und meiner Frau der Lieblingsfisch, ist also eine Delikatesse. Kabeljau ist selten geworden und teuer, also gerade Nordsee-Kabeljau ist sehr teuer geworden. Es wird auch demnächst sicher Fangbeschränkungen geben oder das es ganz aus sein wird – also Schonzeit. "
Eva Dorffmeister kümmert sich um den Wein im Swarten Evert, ist eine perfekte Gastgeberin. Elegant, freundlich, charmant. Das Restaurant ein Schmuckstück aus Backstein, antiken Möbeln, Bildern voller lebendiger Geschichte. Dorffmeister und Lemke sind Zufallsinsulaner. Zwei Bayern auf der westlichsten der ostfriesischen Inseln – ein absoluter Quotenrenner.
Dorffmeister: "Also swarte heißt schwarz und Evert ist ein holländischer Vorname. Der Herr, um den es da geht, ein gebürtiger Borkumer, hatte schwarze Haare, es gab mehrere Everts in der Familie und um die Herren auch zu unterscheiden, war er einfach der swarte Evert, sein Spitzname. "
Die beiden aus Bayern schaffen pures Vergnügen, setzen Maßstäbe in kulinarischer und ästhetischer Wüste.
Lemke: "Es war im ersten Moment schon ein bisschen Schock, als wir hier angekommen sind, alles gesehen haben, dann war es im ersten Moment schon ein bisschen: mmh, guckt man schon erst mal aber im Endeffekt hatten wir schon unsere eigene Vorstellung, was wir machen wollen und haben das eigentlich auch bis jetzt durchgezogen. Ich denke wir haben einfach unseren eigenen Stil, wir haben gar nicht darauf geachtet, was es hier gibt, was es so typisch ostfriesisch ist, sondern wir haben versucht es ein bisschen einfach zu entschärfen, nicht so viel Sahne und auch diesen ewigen Grünkohl, mal ein bisschen anders ohne Haferbrei, damit es einfach ein bisschen leichter wird und von den Portionen her auch ein bisschen kleiner gemacht, dass man sich auch mal ein bisschen durchschmecken kann, von der Vorspeise bis zum Dessert. Oft mit der Partnerin, da denkt man sich gemeinsam was aus oder man liest mal ein Buch oder man sieht zufällig mal eine Fernsehsendung und dadurch versucht man dann eigene Ideen so ein bisschen umzusetzen und mischt das alles so ein bisschen und dadurch kommt man einfach auf die Ideen oder manchmal passiert ein schönes Rezept, weil einfach was verunglückt ist in der Küche, man probiert es und dann ist es gar nicht so schlecht und dann arbeitet man noch ein bisschen dran und so passiert das manchmal. "
Borkum also ist anders. Im Letzten Jahr war die Kanzlerkandidatin hier – in einem Hotel mit Märchen- und Sagennamen. Angela Merkel übernachtet in der Suite "Wilhelmine Siefkes" – ostfriesische Märchenautorin. Im Kurhaus wird zur selben Zeit "Mister Germany" gewählt. Der Kanzler war in diem Jahr nicht hier. Das Zimmer "Störtebecker" bleibt leer. Im Kurhaus wird gerade "Miss Germany" gewählt. Borkum ist anders. Insulaner sprechen Ostfriesisch, die Akkermänner dominieren, Alles wirkt glücklich, keine Arbeitslose, schließlich hat Borkum ja den Fremdenverkehr. Der aber lässt die Insel schon mal links liegen, sehr zum Ärger der neuen starken Frau an der Inselspitze, Kristin Mahlitz, 38.
Mahlitz: "Die Chefin braucht frische Luft, das kann ich ihnen versprechen, vor allem durch diese großen Veränderungen kann es nicht schaden, wenn die Fenster weit geöffnet werden, über 30 Jahre war ja der Stadtdirektor Müller im Amt und ich möchte da jetzt ganz einfach frischen Wind reinbringen in die ganze Verwaltungsgeschichte und da kann ein bisschen frische Luft nicht schaden. Ich selber war während meiner letzten beruflichen Tätigkeit auch viel an der Ostseeküste unterwegs, wunderschön dort, es hat sich also dort enorm entwickelt, so dass man fast schon sagen müsste, man kann die Touristen verstehen, dass sie dorthin fahren. Ich sehe eine große Schwächen in dem Marketing nach außen, ich sehe große Schwächen in dem Gebiet, wie man sich der Presse gegenüber verhalten hat - also ich habe ganz einfach vor Ideen, die durchaus auch auf der Insel vorhanden sind und also Ideen, die von Borkum Urlaubern oder auch von Profis aus der Presse, von außen jetzt an mich herangetragen werden, da kann man also ganz enorm viel machen. "
Mahlitz: "Ich kann mich in den Ratssitzungen eben halt mit der Äußerung, "Sehr geehrte Herren" begnügen, wobei ich natürlich hoffe, dass eben halt im Laufe der Zeit auch ein paar Damen dazukommen. "
Borkum ist anders: ein Physiotherapeut als Hobbyschäfer mit tierischen Gastarbeitern.
Müller: Ja, wir haben also drei holländische Gastarbeiter dabei, auch eine alte Rasse, die vom Aussterben bedroht ist, das sind drei fünf Monate alte kastrierte Ziegenböcke, die nicht nur zum Mähen da sind, sondern die sollen hier in der Landschaftspflege arbeiten und Ziegen verbeißen das, was Schafe nicht mehr beißen. "
Autor Borkum ist anders: eine Insel, aber keinen eigenen Fischfang.
Byl: "Weil es hier auf Borkum das Problem ist, dass wir hier keinen Schiffsausrüster haben, dass wir kein Eiswerk haben und hier auf der Insel der Sprit, also der Diesel, sehr, sehr teuer ist."
Borkum ist anders: nicht nur Fisch Alaska oder Schnitzel Hawaii.
Gerlach: "Wir verzichten möglichst auf Sahnesaucen und ich glaube, dass das sehr gut ankommt.
Lemke: "Wir haben versucht, etwas zu entschärfen, nicht so viel Sahne oder auch diesen ewigen Grünkohl, mal ein bisschen anders, ohne Haferbrei."
Eine seltsame Welt, dieses Borkum – 6000 Einwohner, viel Wind, Fahrradwege, eine Minieisenbahn. Und etwas ist doch nicht anders- das Kurorchester.
Sürken: "Borkum steht vor großen Strukturmaßnahmen, die sicherlich in der nahen Zukunft angegangen werden müssen."
Die erste gelungene Strukturmaßnahme: Entrümpelung der Küche.
Gerlach: "Herzlich willkommen, ich möchte mich kurz vorstellen… "
Müller: "... und Schafe sind die Rassen, die am meisten Strom brauchen. Strom an der Wolle, das merken die nicht – wir haben jetzt hier drei Sorten von Heidschnucken, der Großteil sind weiße, hornlose Heidschnucken, eine graue Heidschnucke haben wir dabei aus der Lüneburger Heide, die jeder kennt und eine weiß gehörnte Heidschnucke, das ist die seltenste Rasse. Die Weißen sind vom Aussterben bedroht, sind einfach von ihrer Art zu klein, zu wenig Lämmer."
Frage: "Warum bleibt ihr Hund jetzt eigentlich draußen?"
Müller: "Weil ich ihm nichts gesagt habe, der wartet jetzt, dass irgendwas kommt."
Also wartet Fips – heller, wacher Blick, gespitzte Ohren. Am Rande des Deichs, unten am Wasser, die Schnucken, wohlwollend begutachtet von Christoph Müller, eigentlich Physiotherapeut, gut ausgelastet auf einer Insel der Kuren.
Müller: "Ich hab also keine landwirtschaftliche Verbindung, von der Familie her oder sonst wo her. Es gibt bestimmt Träume, die man immer irgendwo vor sich her schiebt und ab einem gewissen Alter ist man dann so reif, dass man sich diese Träume dann auch irgendwo erfüllt, trotz vieler Leute, die einem das Gegenteil beweisen wollen und meinen, der hätte keine Ahnung – aber ab einem gewissen Punkt probiert man es aus und man sieht, es funktioniert. Ich habe es immer gesehen und wollte es immer machen, und irgendwann fängt man dann mal ganz klein an, mit drei, vier Tieren und dann merkt man, es ist doch viel mehr Arbeit, als ich dachte, aber wenn es einem Spaß macht, dann leist man sich immer mehr in die Materie ein, macht Lehrgänge und Verselbständigt sich das Ganze dann, kriegt Kontakte über die Landwirtschaftskammer und irgendwie kommt man doch so in einen Bereich hinein, den man vorher gar nicht kannte, bis man feststellt, ob es Spaß macht. Bei mir war es dann ganz genau so, das was ich immer gesucht habe, der Ausgleich zum Beruf, ja und seitdem wird es immer größer und ich muss eben aufpassen, dass ich von meiner Familie nicht die rote Karte kriege, weil der Zweitbetrieb die Freizeit zu sehr einschränkt."
Christoph Müller, Sympathieträger pur, passt ideal in die Landschaft hinterm Deich. Leicht gebräuntes Gesicht, hellwache Augen, kleiner Ring im Ohr. Herz und Seele im Einklang mit der Insel.
Müller: "Das ist sicher mehr Seele. Vom Kopf her gibt es sicher viele Gründe ans Festland zu gehen, von der Ausbildung her, vom Beruf, aber wenn man sich heute die wirtschaftliche Situation anguckt, ist es sicher heute einfacher auf Borkum zu überleben als auf dem Festland. Dem Tourismus, den wir hier haben, geht es sicherlich erheblich besser als in etlichen Gemeinden auf dem Festland und deswegen… es kommt beides zusammen aber letztendlich entscheidet doch bei uns Menschen, wenn es irgendwie geht, immer die Seele."
Sascha Gerlach, gebürtiger Insulaner, seit kurzem stolzer, junger Vater. Glück und Zufriedenheit. Borkum als Balsam.
Gerlach: "Ich ja nun mal hier geboren und es mag zwar sein, dass man viele Sachen nicht mehr so sieht, wie es ein Gast sehen würde oder vielleicht Gäste, die lange Jahre herkommen, weil es ja für mich meine Heimat und gewohnt ist, das steht ja außer Frage - aber wenn ich aufs Festland gehe und dann wieder zurück bin, dann merke ich doch jedes Mal wieder diese Besinnlichkeit und die Ruhe, die hier einerseits herrscht, es ist wenig Autoverkehr, man muss nicht an der Ampel stehen und warten, bis man über die Strasse kommt oder man geht in ein Geschäft rein und darf die Leute mit Namen begrüßen und vernünftig Hallo sagen und fühlt sich einfach nicht fremd und das ist natürlich schon eine Geborgenheit, die einem eine Stadt nicht geben kann. "
Diese Verbundenheit, diese Bodenständigkeit prägt auch seinen Kochstil – gelernt hat er in der Schweiz, einfach, vernünftig, Konzentration auf das Produkt. Kein Lockendrehen auf Küchenglatzen. Bodenhaftung ist für den Insulaner erste Kochpflicht.
Warten auf den Kabeljau – im Hafen von Borkum. Freizeitboote am Poller, Drahtrollen, Taue, wild durcheinander, Endstation der Inselbahn – der Katamaran Richtung Emden füllt sich, die Fähre vom Festland taucht am Horizont auf. Dort an Bord Fisch und Fischer. Der Kabeljau und Geerd Byl .
Frage: "Na, wie ist es? "
Byl: "Gut, soweit – danke schön – wir haben schöne Schollen dabei, wir haben Knurrhähne dabei, wir haben Kabeljau, Steinbutt, Seezungen, kleine Sandschollen und noch verschiedene andere Sachen – könne wir gleich mal alles in Ruhe, Schellfisch, ein paar Seewölfe, müssen wir mal gucken, weil die Kisten noch ein bisschen durcheinander sind, muss gleich noch ein bisschen vorsortiert werden. "
Szene eines absurden Theaters – eine Insel. Meer, Fischreichtum – aber keine eigene Fischerei mehr – auf Borkum ist also wieder mal alles anders.
Byl: "Ja, weil es hier auf Borkum das Problem ist, dass wir keinen Schiffausrüster haben, dass wir kein Eiswerk haben und hier auf der Insel der Sprit, also Diesel, Gasöl, sehr, sehr teuer ist und zumal, wir müssten hier auch noch mal Hafengebühr bezahlen und solche Sachen und dann ist es günstiger dann gleich zum Festland rüber zugehen, wo alles vor Ort ist, das Schiff liegen kann und sofort auch wieder ausgerüstet werden kann, das ist einfach besser. Zehn Jahre bin ich zur See gefahren, selbstständiger Fischer gewesen und dann einen Landbetrieb aufgemacht und eins geht nur, Vater wurde auch älter, konnte auch nicht mehr - wir hatten früher mal drei Schiffe. Ein bisschen Reusenfischerei noch, ein bisschen Stellnetz, ein paar kleinere Boote, Sportboote, die noch so ein bisschen Krabbenfang machen aber so im großen, das gibt es hier auf der Insel nicht mehr. "
Byl: "Der Nordsee-Kabeljau ist daher so hochwertig, weil er ein sehr schönes, festes Fleisch hat - sie sehen ja hier … es kommt wieder zurück, klare Augen, superklare Augen und hervorragende Kiemen, leuchtend rot. Schönes festes Fleisch - von mir und meiner Frau der Lieblingsfisch, ist also eine Delikatesse. Kabeljau ist selten geworden und teuer, also gerade Nordsee-Kabeljau ist sehr teuer geworden. Es wird auch demnächst sicher Fangbeschränkungen geben oder das es ganz aus sein wird – also Schonzeit. "
Eva Dorffmeister kümmert sich um den Wein im Swarten Evert, ist eine perfekte Gastgeberin. Elegant, freundlich, charmant. Das Restaurant ein Schmuckstück aus Backstein, antiken Möbeln, Bildern voller lebendiger Geschichte. Dorffmeister und Lemke sind Zufallsinsulaner. Zwei Bayern auf der westlichsten der ostfriesischen Inseln – ein absoluter Quotenrenner.
Dorffmeister: "Also swarte heißt schwarz und Evert ist ein holländischer Vorname. Der Herr, um den es da geht, ein gebürtiger Borkumer, hatte schwarze Haare, es gab mehrere Everts in der Familie und um die Herren auch zu unterscheiden, war er einfach der swarte Evert, sein Spitzname. "
Die beiden aus Bayern schaffen pures Vergnügen, setzen Maßstäbe in kulinarischer und ästhetischer Wüste.
Lemke: "Es war im ersten Moment schon ein bisschen Schock, als wir hier angekommen sind, alles gesehen haben, dann war es im ersten Moment schon ein bisschen: mmh, guckt man schon erst mal aber im Endeffekt hatten wir schon unsere eigene Vorstellung, was wir machen wollen und haben das eigentlich auch bis jetzt durchgezogen. Ich denke wir haben einfach unseren eigenen Stil, wir haben gar nicht darauf geachtet, was es hier gibt, was es so typisch ostfriesisch ist, sondern wir haben versucht es ein bisschen einfach zu entschärfen, nicht so viel Sahne und auch diesen ewigen Grünkohl, mal ein bisschen anders ohne Haferbrei, damit es einfach ein bisschen leichter wird und von den Portionen her auch ein bisschen kleiner gemacht, dass man sich auch mal ein bisschen durchschmecken kann, von der Vorspeise bis zum Dessert. Oft mit der Partnerin, da denkt man sich gemeinsam was aus oder man liest mal ein Buch oder man sieht zufällig mal eine Fernsehsendung und dadurch versucht man dann eigene Ideen so ein bisschen umzusetzen und mischt das alles so ein bisschen und dadurch kommt man einfach auf die Ideen oder manchmal passiert ein schönes Rezept, weil einfach was verunglückt ist in der Küche, man probiert es und dann ist es gar nicht so schlecht und dann arbeitet man noch ein bisschen dran und so passiert das manchmal. "
Borkum also ist anders. Im Letzten Jahr war die Kanzlerkandidatin hier – in einem Hotel mit Märchen- und Sagennamen. Angela Merkel übernachtet in der Suite "Wilhelmine Siefkes" – ostfriesische Märchenautorin. Im Kurhaus wird zur selben Zeit "Mister Germany" gewählt. Der Kanzler war in diem Jahr nicht hier. Das Zimmer "Störtebecker" bleibt leer. Im Kurhaus wird gerade "Miss Germany" gewählt. Borkum ist anders. Insulaner sprechen Ostfriesisch, die Akkermänner dominieren, Alles wirkt glücklich, keine Arbeitslose, schließlich hat Borkum ja den Fremdenverkehr. Der aber lässt die Insel schon mal links liegen, sehr zum Ärger der neuen starken Frau an der Inselspitze, Kristin Mahlitz, 38.
Mahlitz: "Die Chefin braucht frische Luft, das kann ich ihnen versprechen, vor allem durch diese großen Veränderungen kann es nicht schaden, wenn die Fenster weit geöffnet werden, über 30 Jahre war ja der Stadtdirektor Müller im Amt und ich möchte da jetzt ganz einfach frischen Wind reinbringen in die ganze Verwaltungsgeschichte und da kann ein bisschen frische Luft nicht schaden. Ich selber war während meiner letzten beruflichen Tätigkeit auch viel an der Ostseeküste unterwegs, wunderschön dort, es hat sich also dort enorm entwickelt, so dass man fast schon sagen müsste, man kann die Touristen verstehen, dass sie dorthin fahren. Ich sehe eine große Schwächen in dem Marketing nach außen, ich sehe große Schwächen in dem Gebiet, wie man sich der Presse gegenüber verhalten hat - also ich habe ganz einfach vor Ideen, die durchaus auch auf der Insel vorhanden sind und also Ideen, die von Borkum Urlaubern oder auch von Profis aus der Presse, von außen jetzt an mich herangetragen werden, da kann man also ganz enorm viel machen. "