"Ein bisschen Erpressung tut dort tatsächlich Not"
Die EU hat gegen Ungarn ein Verfahren wegen Verletzung der europäischen Verträge eingeleitet. Und das zu Recht, meint Jacques Schuster von der Zeitung "Die Welt". Wenn Regierungschef Orban Brüssel um Geld bitte, müsse er zunächst "liefern".
Jan-Christoph Kitzler: Man könnte jeder Zeitung in diesen Monaten noch locker einen Europateil beifügen, so sehr bestimmen die europäische Krise und die Versuche, sie in den Griff zu bekommen, die Berichterstattung. Und diese Krise, das sind nicht die einzigen Probleme, die Europa hat. Darüber will ich jetzt sprechen mit Jacques Schuster, er ist Kommentator bei der Zeitung "Die Welt". Schönen guten Morgen!
Jacques Schuster: Guten Morgen!
Kitzler: Ungarn ist ja auch so eine Baustelle Europas inzwischen. Viktor Orbán und seine Regierung haben Reformen auf den Weg gebracht, die möglicherweise den europäischen Verträgen widersprechen. Da wird die Presse an die Leine gelegt, die Kompetenzen der Zentralbank und der obersten Richter werden eingeschränkt. Die Kommission der EU hat gestern jedenfalls ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Denken Sie, das wird Viktor Orbán beeindrucken?
Schuster: Na ja, ich glaube, es wird ihn mehr beeindrucken als die massiven Proteste in Budapest auf der Straße oder unsere bescheidenen Kommentare, weil dieser Mann versteht offensichtlich tatsächlich ja nur die Werkzeuge der Macht zu erkennen. Und die Vorwürfe, die die Europäer oder die europäische Kommission jetzt in Form dieser Briefe nach Brüssel senden, die sind ja tatsächlich auch Besorgnis erregend. Dass Ungarn das einzige Land in der EU sein soll, dessen Zentralbank nicht mehr unabhängig ist, geht einfach nicht, und von daher muss, glaube ich, auch gedroht werden.
Kitzler: "Geldnot und Gefügigkeit", das ist die Überschrift eines Artikels bei Ihnen auf Seite sechs in der heutigen "Welt". Heißt das am Ende, man kann Ungarn wahrscheinlich nicht überzeugen, sondern nur erpressen?
Schuster: Nein. Ich glaube, in dem Fall, um salopp zu sprechen, ein bisschen Erpressung tut dort tatsächlich Not, weil eines ist ja ganz klar: Seitdem Orbán gewählt wurde – und zwar mit einem riesigen Erfolg, das darf man ja nicht vergessen, Zweidrittelmehrheit im Parlament -, seitdem er gewählt wurde, hat Europa, hat die Kommission, aber auch die einzelnen Regierungen gesagt, dieses und jenes ist zumindest fragwürdig. Orbán hat immer gesagt, er lässt über alles mit sich reden, aber am Ende hat sich nichts verändert. Nun ist Ungarn ja in einer massiven Wirtschaftskrise, im Grunde fast so wie Griechenland. Das spüren wir bloß nicht so, weil die eben noch nicht in der Euro-Zone sind. Aber es braucht Geld. Es braucht Geld und wendet sich an Brüssel, und ich finde, da hat auch Brüssel gutes Recht zu sagen, also ihr müsst auch da und dort liefern und dann geben wir dieses und jenes Geld.
Kitzler: Für heute hat sich Viktor Orbán ja quasi selbst eingeladen, er will sich vor dem Europaparlament den Fragen der Abgeordneten stellen. Ist das nicht schon ein Zeichen dafür, dass er einlenkt, oder spricht das nur für diese Haudegen-Mentalität, er geht keinem Kampf aus dem Weg?
Schuster: Ich glaube, das ist so eine Form von Zuckerbrot und Peitsche. Wie gesagt, auf der einen Seite sagt er immer wieder, ja, ich lasse über alles mit mir reden, aber am Ende verändert sich doch nichts. Eine Sache ist aber tatsächlich auch für den Europagedanken ganz gut: Orbán ist tatsächlich der erste europäische Regierungschef, der sich in dieser Frage dann an das Parlament wendet, also das Parlament im Grunde, vielleicht auch paradoxerweise in diesem Falle, aber das Parlament, das Europäische Parlament aufwertet, wie es noch kein anderer Regierungschef getan hat – in einer Krise wohl gemerkt. Das ist, glaube ich, schon was wert. Dennoch denke ich mir, dass der Haudegen, wie Sie es so schön genannt haben, letztlich nicht weichen wird, da müssen andere Instrumente her.
Kitzler: Sie haben ja heute nicht nur die europäischen Sorgenfalten ins Blatt gebracht, sondern auch eine schöne Geschichte über Europa drin. "Am dänischen Wesen könnte die EU genesen", heißt es auf Seite sieben. Warum ist Dänemark, das ja gerade die Ratspräsidentschaft inne hat, denn so ein Musterland?
Schuster: Na gut, auf der einen Seite und auf der anderen Seite. Ich bin da auch etwas skeptischer, weil ich meine, die Dänen sind natürlich ähnlich wie die Engländer zwar Mitglied, aber auch nicht wirklich mit dem Herzen dabei, mehrheitlich gesehen. Aber dennoch: Dänemark ist ein diszipliniertes Mitglied, ist auch eines, das im Rahmen seiner Verträge oder unserer Verträge alles für Europa tut. Die Regierungschefin ist gerade ganz neu und hoch ambitioniert und führt den Laden auch. Die Ungarn, die ja davor die Präsidentschaft inne hatten, haben da sehr wenig getan. Und von daher ist in einer solchen Krisensituation sozusagen so ein diszipliniertes urzentraleuropäisches Land schon ganz wichtig als Präsidentschaft.
Kitzler: Zum Schluss noch kurz zu einer spannenden Personalie. Martin Schulz, der bisherige Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, ist gestern für die kommenden zweieinhalb Jahre gewählt worden zum Präsidenten des Parlaments. Der ist ja kein großer Diplomat, sondern eher ein Freund deutlicher Worte. Meinen Sie, er kann die neue Rolle ausfüllen?
Schuster: Ich glaube, das wird bei ihm schon fast automatisch zutreffen, denn in der Badewanne, wo er sitzt sozusagen, ist kein Wasser mehr. Er ist ja ein großer Berserker, das kann durchaus von Vorteil sein. Freilich fehlt ihm die Diplomatie, da muss man natürlich ein bisschen aufpassen. Insgesamt müsste man wirklich mal, vielleicht jetzt in Form von Artikeln und Kommentaren, darauf hinweisen, dass es eigentlich nicht geht, dass die großen Fraktionen des Europäischen Parlaments praktisch immer kungeln und der Parlamentspräsident gar nicht mehr wirklich gewählt wird. Aber wenn Schulz jetzt sozusagen die Rechte des Parlaments nach außen hin stärkt, mag das wirklich sehr gut sein.
Kitzler: Der Stoff geht uns nicht aus. – Das war Jacques Schuster, Kommentator bei der Zeitung "Die Welt". Haben Sie vielen Dank dafür.
Schuster: Danke auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Schuster: Na ja, ich glaube, es wird ihn mehr beeindrucken als die massiven Proteste in Budapest auf der Straße oder unsere bescheidenen Kommentare, weil dieser Mann versteht offensichtlich tatsächlich ja nur die Werkzeuge der Macht zu erkennen. Und die Vorwürfe, die die Europäer oder die europäische Kommission jetzt in Form dieser Briefe nach Brüssel senden, die sind ja tatsächlich auch Besorgnis erregend. Dass Ungarn das einzige Land in der EU sein soll, dessen Zentralbank nicht mehr unabhängig ist, geht einfach nicht, und von daher muss, glaube ich, auch gedroht werden.
Kitzler: "Geldnot und Gefügigkeit", das ist die Überschrift eines Artikels bei Ihnen auf Seite sechs in der heutigen "Welt". Heißt das am Ende, man kann Ungarn wahrscheinlich nicht überzeugen, sondern nur erpressen?
Schuster: Nein. Ich glaube, in dem Fall, um salopp zu sprechen, ein bisschen Erpressung tut dort tatsächlich Not, weil eines ist ja ganz klar: Seitdem Orbán gewählt wurde – und zwar mit einem riesigen Erfolg, das darf man ja nicht vergessen, Zweidrittelmehrheit im Parlament -, seitdem er gewählt wurde, hat Europa, hat die Kommission, aber auch die einzelnen Regierungen gesagt, dieses und jenes ist zumindest fragwürdig. Orbán hat immer gesagt, er lässt über alles mit sich reden, aber am Ende hat sich nichts verändert. Nun ist Ungarn ja in einer massiven Wirtschaftskrise, im Grunde fast so wie Griechenland. Das spüren wir bloß nicht so, weil die eben noch nicht in der Euro-Zone sind. Aber es braucht Geld. Es braucht Geld und wendet sich an Brüssel, und ich finde, da hat auch Brüssel gutes Recht zu sagen, also ihr müsst auch da und dort liefern und dann geben wir dieses und jenes Geld.
Kitzler: Für heute hat sich Viktor Orbán ja quasi selbst eingeladen, er will sich vor dem Europaparlament den Fragen der Abgeordneten stellen. Ist das nicht schon ein Zeichen dafür, dass er einlenkt, oder spricht das nur für diese Haudegen-Mentalität, er geht keinem Kampf aus dem Weg?
Schuster: Ich glaube, das ist so eine Form von Zuckerbrot und Peitsche. Wie gesagt, auf der einen Seite sagt er immer wieder, ja, ich lasse über alles mit mir reden, aber am Ende verändert sich doch nichts. Eine Sache ist aber tatsächlich auch für den Europagedanken ganz gut: Orbán ist tatsächlich der erste europäische Regierungschef, der sich in dieser Frage dann an das Parlament wendet, also das Parlament im Grunde, vielleicht auch paradoxerweise in diesem Falle, aber das Parlament, das Europäische Parlament aufwertet, wie es noch kein anderer Regierungschef getan hat – in einer Krise wohl gemerkt. Das ist, glaube ich, schon was wert. Dennoch denke ich mir, dass der Haudegen, wie Sie es so schön genannt haben, letztlich nicht weichen wird, da müssen andere Instrumente her.
Kitzler: Sie haben ja heute nicht nur die europäischen Sorgenfalten ins Blatt gebracht, sondern auch eine schöne Geschichte über Europa drin. "Am dänischen Wesen könnte die EU genesen", heißt es auf Seite sieben. Warum ist Dänemark, das ja gerade die Ratspräsidentschaft inne hat, denn so ein Musterland?
Schuster: Na gut, auf der einen Seite und auf der anderen Seite. Ich bin da auch etwas skeptischer, weil ich meine, die Dänen sind natürlich ähnlich wie die Engländer zwar Mitglied, aber auch nicht wirklich mit dem Herzen dabei, mehrheitlich gesehen. Aber dennoch: Dänemark ist ein diszipliniertes Mitglied, ist auch eines, das im Rahmen seiner Verträge oder unserer Verträge alles für Europa tut. Die Regierungschefin ist gerade ganz neu und hoch ambitioniert und führt den Laden auch. Die Ungarn, die ja davor die Präsidentschaft inne hatten, haben da sehr wenig getan. Und von daher ist in einer solchen Krisensituation sozusagen so ein diszipliniertes urzentraleuropäisches Land schon ganz wichtig als Präsidentschaft.
Kitzler: Zum Schluss noch kurz zu einer spannenden Personalie. Martin Schulz, der bisherige Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, ist gestern für die kommenden zweieinhalb Jahre gewählt worden zum Präsidenten des Parlaments. Der ist ja kein großer Diplomat, sondern eher ein Freund deutlicher Worte. Meinen Sie, er kann die neue Rolle ausfüllen?
Schuster: Ich glaube, das wird bei ihm schon fast automatisch zutreffen, denn in der Badewanne, wo er sitzt sozusagen, ist kein Wasser mehr. Er ist ja ein großer Berserker, das kann durchaus von Vorteil sein. Freilich fehlt ihm die Diplomatie, da muss man natürlich ein bisschen aufpassen. Insgesamt müsste man wirklich mal, vielleicht jetzt in Form von Artikeln und Kommentaren, darauf hinweisen, dass es eigentlich nicht geht, dass die großen Fraktionen des Europäischen Parlaments praktisch immer kungeln und der Parlamentspräsident gar nicht mehr wirklich gewählt wird. Aber wenn Schulz jetzt sozusagen die Rechte des Parlaments nach außen hin stärkt, mag das wirklich sehr gut sein.
Kitzler: Der Stoff geht uns nicht aus. – Das war Jacques Schuster, Kommentator bei der Zeitung "Die Welt". Haben Sie vielen Dank dafür.
Schuster: Danke auch.
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