Ein bisschen Kapitalismuskritik

Rezensiert von Martin Tschechne · 09.06.2013
Macht Wohlstand wirklich glücklich? Der Wirtschaftspublizist Max A. Höfer, ehemals Leiter der unternehmerfreundlichen "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", ging dieser Frage nach - und ist skeptisch geworden. Sein Buch tut dennoch niemandem richtig weh.
Schuhe sind eine gefährliche Verlockung. Vielleicht war es der Moment vor dem Schuhregal, der aus Max A. Höfer einen vermeintlich anderen Menschen machte. Indoor- und Outdoor-Tennisschuhe habe er schon in seinem Schuhschrank versammelt gehabt, dazu Laufschuhe, Basketballschuhe, Freizeitschuhe, Sportschuhe – alles, worin man sich zielgruppengerecht bewegen kann. Und doch stand der Autor an diesem entscheidenden Punkt der Entwicklung seines konsumskeptischen Bewusstseins vor einem Regal der Sportartikel-Firma Nike und überlegte ernsthaft, ob er nicht auch noch ein Paar Cross-Country-Schuhe kaufen sollte.

Nun, er tat es nicht. Der Preis habe ihn abgeschreckt, gesteht der Wirtschafts-Publizist, der für Magazine wie "Capital" gearbeitet hat und bis zum Krisenjahr 2009 Geschäftsführer der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" war. Bemerkenswert ist daran zunächst zweierlei: Erstens, dass es der Preis war, der den sportlichen Schuhkäufer zögern ließ – und nicht die Sorge, ein Mittfünfziger in Cross-Country-Schuhen könnte ein bisschen, nun ja: übereifrig wirken. Wie einer, der sich von der Werbeindustrie und ihren Verheißungen ewiger Jugend gar zu leicht zum Narren machen lässt. Aber Erkenntnis braucht nun mal ihre Anlässe, um dann den Lauf des Denkens auf Trab zu bringen.

Zweitens lässt die Fallhöhe der Geschichte aufmerken: Die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" ist ein Denktank, finanziert von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie, der sich in seinen Kampagnen gegen alles wendet, was nach Regulierung oder Kontrolle einer freien Marktwirtschaft aussieht. Gegen eine Vermögenssteuer etwa oder gegen einen erhöhten Spitzensteuersatz für Reiche – mit dem Argument, der Staat nehme ohnehin schon genug Geld ein. Und eine Reform etwa der Bildungs- oder Sozialpolitik sei weniger eine Frage der Finanzen, als vielmehr eine ihrer klügeren Verwendung.

Das darf nun jeder sehen, wie er mag. Und die Wirtschaft bezahlt ja auch für die freundliche Argumentationshilfe. Aber wenn einer mit solchem Hintergrund die Glücksversprechen des Kapitalismus in Zweifel zieht – dann wäre das schon der klassische Fall einer Entwicklung vom Saulus zum Paulus. Eine Geschichte von biblischer Dimension. Und Höfer sagt: Genau so sei es gewesen.

"Ich steckte in einer echten Sinnkrise. Meine Sinnkrise hatte sogar einen wissenschaftlichen Namen: 'Easterlin-Paradoxon'. Richard Easterlin ist ein amerikanischer Ökonom, der 1974 festgestellt hatte, dass das Pro-Kopf-Einkommen zwar seit den 50er-Jahren stark gestiegen war, die Amerikaner seither jedoch mit ihrem Leben nicht zufriedener geworden waren. Easterlins Befund: Mehr Wohlstand macht die Menschen nur unbedeutend glücklicher."

Allerwelts-Weisheiten aus dem Regal für Ratgeber-Literatur
Nichts dagegen einzuwenden, dass einer zum Einstieg in eine Argumentation oder in die Geschichte einer persönlichen Erleuchtung noch einmal absichert, worüber alle sich einig sind: Geld allein macht nicht glücklich. Eine Enttäuschung allerdings – oder eine Strapaze für die Geduld des Lesers – ist es dann schon, wenn Höfer exakt 230 Seiten später als Erkenntnis seiner Reise durch die vordergründigen Verlockungen des Konsums und die Sachzwänge der Karrieresucht auch wieder nur Allerwelts-Weisheiten aus dem Regal für Ratgeber-Literatur zu bieten hat:

"Wir müssen uns entschleunigen. Der Steigerungswahn tut uns nicht gut. Das Ziel sollte sein, weniger zu arbeiten und zu konsumieren und dafür mehr Zeit für Muße und andere Glücksgüter zu haben."

"Erkenntnisse eines Geläuterten" verspricht das Buch in seinem Untertitel. Doch leider fehlt es – mal abgesehen vom Kopfschütteln vor dem Schuhregal – an überzeugenden Belegen für solche eine Umkehr. Höfer zitiert sich unermüdlich von Max Weber über Niall Ferguson zu Volker Kauder, Giovanni di Lorenzo und wieder zurück, lobt seinen frechen Einfallsreichtum aus der Zeit, als er noch Chef des wirtschaftsliberalen Denktanks war und weckt immer wieder den leisen Verdacht, sein Buch könnte vielleicht ein verkapptes Bewerbungsschreiben sein, um den Arbeitgeberverbänden einen zeitgemäß geföhnten Auftritt zu verschaffen.

"Das Grundeinkommen sollte nicht blind in den normalen Konsum fließen. Sinnvoll wäre stattdessen, die Krankenversicherung komplett aus Steuermitteln zu finanzieren. Gesundheit ist ein Glücksgut. Sich um die Kranken- und Pflegeversicherung finanziell nicht kümmern zu müssen, entlastet ungemein. Die Summe ist nicht übermäßig hoch, im Schnitt wären es 230 Euro pro Person, aber spürbar ist sie schon, und vor allem ist die Zweckbindung praktisch. Zudem ist sie – im Unterschied zum Grundeinkommen in Höhe von 1000 Euro – noch insgesamt finanzierbar. Man müsste lediglich das Geld abschöpfen, das in Steuerparadiese wie die Cayman Islands abfließt."

Unser Mann von der Marktwirtschafts-Initiative geht keine Risiken ein. Die Cayman Islands sind eh längst out. Wer seine Millionen immer noch dorthin verschiebt, der hat nun wirklich den allerletzten Zug verpasst.

Cover: "Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir glücklich sind?" von Max A. Höfer
Cover: "Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir glücklich sind?" von Max A. Höfer© Knaus Verlag
Höfer geht mit seinen Argumenten keine Risiken ein
Höfer beklagt also die längst allgemein als Irrsinn erkannte Steigerungslogik des Konsumismus und den Tugendterror einer alles kontrollierenden Arbeitswelt. Er beschuldigt die Idole seiner Jugend – Woodstock und The Who, "Jesus Christ Superstar" und Deep Purple –, sie hätten den Soundtrack zum kalifornischen Modell einer schrankenlosen Ausbeutung geschrieben. Und rennt lauter offene Türen ein. Skizziert einen Kapitalismus, der an sich selbst keine Freude mehr hat, und sorgt sich um den Schlaf der Spanier, die – noch so ein Klassiker – neuerdings keine mittägliche Siesta mehr halten dürfen, weil die reichen Länder des Nordens mit ihrer protestantischen Arbeitsmoral nun auch im Süden den Takt vorgeben.

"Wir müssen den Kampf um das gute Leben als einen Kulturkampf begreifen. Dabei geht es um so elementare Dinge wie den Schlaf. Wir sollten in diesem Punkt an der Seite der Spanier stehen. Lassen wir die Banken pleitegehen, sie sind es nicht wert, dafür noch härter zu arbeiten. Außerdem sind es die Finanzmärkte, die mit ihren überzogenen Renditeerwartungen die Steigerungsspirale antreiben. Der kleine Mann hat dabei, wir ahnen es, am wenigsten zu verlieren, die Banker und die reichen Investoren am meisten. Es wäre kein Weltuntergang, sondern ein Durchatmen."

Und so entspricht das Fazit des Buches der Argumentation, die zu ihm geführt hat. Irgendwie ist alles doof im real existierenden Kapitalismus: Wir konsumieren zu viel, schmeißen zu viel auf den Müll und schlafen zu wenig. Ökonomen haben einen Hang zu autistischem Denken, Ökologen haben sich zu Bußpredigern des Alltags emporgeschwungen. Die Regeln, nach denen große Konzerne zu funktionieren vorgeben, sind reine Heuchelei. Und sogar Manager nehmen sich aus Verzweiflung das Leben. Hallo, hier kommt Stoff für die Stammtische, und – so viel sei garantiert: Für jeden ist was dabei.

Max A. Höfer: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir glücklich sind? Erkenntnisse eines Geläuterten
Knaus Verlag, München 2013
256 Seiten, 19,99 Euro