Ein Blick zurück

Von Anette Schneider |
Das Essen Folkwang-Museum befindet sich im Wandel: Anfang des Jahres wurde der Chipperfield-Neubau eröffnet. Der Bau von 1960 wird noch restauriert, der das Ende des Zweiten Weltkrieges zerstörte Museum ersetzte. In dieser Phase des Neubeginns blickt nun die erste Sonderausstellung des neuen Hauses zurück.
Franz Marcs "Rote Pferde” - eine Leihgabe des Harvard Art Museums. / Ernst Ludwig Kirchners Gemälde der mondän gekleideten "Fünf Frauen auf der Straße” - eine Leihgabe aus Köln. / Die "Improvisation” von Kandinsky - angereist aus New York. / Eine Dorfszene in leuchtendem Rot von Marc Chagall - aus Philadelphia. / Ein Maskenstillleben von Emil Nolde - geliehen aus Kansas City.

Diese Kunstwerke gehörten einst zur Sammlung Folkwang - bis die Nationalsozialisten 1937 über 1400 Werke als "entartet” beschlagnahmten, verkauften, zerstörten. Schon die kurze Aufzählung verdeutlicht, welch einzigartige Sammlung das Haus damals besaß. Zu der noch Gemälde von van Gogh hinzukommen, von Gauguin, Cezanne, Munch, Heckel und Matisse, sowie Skulpturen von Rodin und Lehmbruck. 1932 nannte der aufgeklärte us-amerikanische Kunsthistoriker Paul Sachs das Folkwang-Museum deshalb "das schönste Museum der Welt”. Völlig zu Recht, erklärt Uwe Schneede, der das "schönste Museum” mit seiner Ausstellung wieder aufleben lässt:

"Einmal gab es kein anderes Museum, das so hohe Qualität an klassischer Moderne sowohl der Franzosen von Manet bis Cezanne, als auch von damals zeitgenössischer Kunst der deutschen Expressionisten bis hin in die Neue Sachlichkeit sogar noch, hatte. Das kann man ganz eindeutig so sagen, dass es kein anderes Museum auf der Welt gab, dass so hohe Qualität aus dieser Phase hatte. Das Zweite ist, dass damals schon etliche der außereuropäischen Objekte kombiniert wurden mit klassischer Moderne."


Karl Ernst Osthaus sammelte nämlich auch Kunst fremder Kulturen. Der Sohn aus großbürgerlichem Hause, - der das Folkwang 1902 in Hagen eröffnete, bis es nach seinem Tod 1921 nach Essen zog, wo sein Nachfolger Ernst Gosebruch die Sammlung weiter ausbaute, - erwarb systematisch altägyptische Grabbeilagen, chinesisches Porzellan, javanische Schattenspiel- und ozeanische Totem-Figuren. Kostbarkeiten, die nun erstmals seit 1933 wieder ausgestellt werden.

"Offenbar war es sein Bestreben, etwas wie ein Museum der Weltkulturen entstehen zu lassen. Das ist etwas sehr Bemerkenswertes deshalb, weil zu diesem Zeitpunkt - also um 1900 - ja allgemein noch der Kolonialismus herrschte, also die Untersdrückung auch und Ausbeutung der fremden Kulturen und Völker. Während er diese Kulturen in ihrer Eigenart ernst genommen hat, so ernst, wie die Klassische Moderne."

Fotografien von Albert Renger-Patzsch dokumentieren am Anfang der Ausstellung, wie damals Gemälde und Objekte fremder Kunst gleichrangig nebeneinander präsentiert wurden, und dass die moderne Museumsarchitektur Durchblicke in andere Räume eröffnete. Dies greift die aktuelle Ausstellungsarchitektur auf: Zwar gesteht die Präsentation jetzt jeder Kultur ihren eigenen Bereich zu, doch eröffnen großzügige Durchblicke und fehlende Wände erhellende Weitsichten und Querverweise.

Gleichzeitig kann der Besucher ohne vorgegebenen Weg flanieren: Von den Menschenbildern in der Malerei der Expressionisten zu den strengen japanischen Theatermasken, von Noldes gewaltigem, neun Tafeln umfassenden Altar in den abgedunkelten Bereich mit Grabreliefs und Beilagen aus Ägypten.

Möglich wurde die für ihre Zeit einzigartige Kunstsammlung, weil Osthaus nach einer Erbschaft kaufen konnte, was allein ihm wichtig erschien.

Uwe Schneede: "Es war ja so, dass damals die Museumsleute, wenn sie klassische Moderne gekauft haben, jedes Mal - sowohl vor dem 1. Weltkrieg, als auch noch zwischen den Weltkriegen - immer wieder in große Skandale geraten sind: Sie sind furchtbar beschimpft worden, es ist furchtbar polemisiert worden.

Und er hat sich die Freiheit genommen. Hat sich aufgrund seiner Mittel die Freiheit genommen und hat auch den freien Kopf gehabt, und hat auch gute Berater gehabt, um da ganz entschieden subjektiv vorzugehen, aber eben mit dem Bemühen insgesamt so etwas wie eine Art von Objektivität der Darstellung universeller Kunst herzustellen."

1933 war es damit vorbei: Sofort nach Machtantritt der Nationalsozialisten wurde Osthaus’ Nachfolger Ernst Gosebruch entlassen. Die klassische Moderne verschwand im Depot. Neuer Leiter des Museums wurde der Nationalsozialist Klaus Graf von Baudissin.

"Der dann Direktor des Folkwang war, und zugleich aber der Kommission angehörte, die überall in deutschen Museen die Werke der Moderne beschlagnahmten. Das heißt: Er hat in seinem eigenen Haus mit dieser Kommission die Werke seines eigenen Hauses beschlagnahmt. Eine völlig unglaubliche Situation, aber vielleicht auch charakteristisch für den damaligen nationalsozialistischen Geist.

Und dann sind die Werke eben zu einem ganz großen Teil von Händlern in alle Welt getragen worden, sie durften ja nicht in Deutschland gehandelt werden, sondern nur im Ausland, oder sind auf diese berühmte Auktion in Luzern 1939 gekommen, wie die "Roten Pferde” von Franz Marc. Und sind von dort aus dann überall in die Sammlungen der vereinigten Staaten und in Privatsammlungen gekommen."

Anders als die Beschlagnahmung privater Leihgaben gilt die von öffentlichem Besitz heute als rechtens, da die Nationalsozialisten vorher ein entsprechendes Gesetz erließen. Mehr als 1400 Werke plünderten sie damals, davon etwa 170 Gemälde. Ein Teil ist bis heute verschollen, darunter Arbeiten von Dix, Feininger, Kirchner und Meidner. 60 Gemälde sind nun zu sehen: 30 aus der Sammlung Folkwang, 30 als Leihgaben aus aller Welt. Zusammen mit der Kunst fremder Kulturen kann man die Sammlungsväter nur bewundern: Ihre Unvoreingenommenheit. Die Neugier auf Neues. Ihren Spürsinn und ihre Risikobereitschaft bei Ankäufen. Dinge, die dem neuen Haus Maßstäbe setzen für die künftige Arbeit.

Karl Graf von Baudissin übrigens, unter dessen tatkräftiger Anleitung das Haus den größten Teil seiner Sammlung - sowie sämtliche jüdischen Mitarbeiter und Kunstvereinsmitglieder - verlor, wusch 1945 seine Hände in Unschuld: Er gerierte sich als Helfer verfemter Künstler - und erhielt in einem "Entnazifizierungsprozess” eine Rehabilitierung erster Klasse.