"Ein bloßes Werkzeug zum Hass"

Rezensiert von Barbara Dobrick |
"Alle Diktaturen haben einen gemeinsamen Feind: das freie Wort", schreibt der iranische Schriftsteller Said. Als 17-Jähriger verließ er 1964 sein Heimatland. Weder unter dem Schah-Regime noch im Terrorstaat der Mullahs hätte er leben und arbeiten können. Im deutschen Exil ist Said eine wichtige Adresse für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller. 2000 bis 2002 war Said Präsident des deutschen PEN-Zentrums. "Ich und der Islam" heißt sein jüngstes Buch.
"Der Islam mag die Kraft und die Pflicht haben, den Menschen eine Würde zu verleihen, Wärme und Trost zu spenden, die islamische Revolution in Iran hat den Islam als eine politische Vision deklariert, doch diese Revolution und ihre Entwicklung haben den Beweis erbracht, dass der Islam keines der dringenden Probleme der Gesellschaft lösen kann. Fortan kann er nur aggressiv sein, ein bloßes Werkzeug zum Hass."

So steht es in dem neuen Buch des Exil-Iraners Said. 1947 in Teheran geboren, lebt er seit 40 Jahren in München. Der Iran, sein Herkunftsland beschäftigt ihn nach wie vor ebenso wie der Islam, von dem er sich kulturell, aber nicht religiös bestimmt fühlt.
"Eine religiöse Haltung braucht kein Gehäuse, und sie kann dem freiheitlichen Gedanken nie abträglich sein; sie ist das Hinterland, aus dem die Freiheit agiert."

Freiheit und Menschenwürde, Demokratisierungsprozesse in islamischen Ländern und die Rolle der Religionen sind zentrale Themen des schmalen Bandes mit ganz unterschiedlichen Textformen, u. a. Aufsätzen, Tagebuchnotizen und ein Gespräch mit dem Katholiken Hans Maier. Ob Said beschreibt, was in den knapp vier Stunden geschieht, in denen er in einer Münchner Behörde auf die Verlängerung seines Passes wartet, oder ob er sich an die Begegnung mit Mina erinnert, einer jungen Iranerin, die im deutschen Exil lebt wie er, Said nimmt seine Leser mit an Orte und in Empfindungswelten, wo weder persönliche Sicherheit und Würde gewährleistet sind noch die Möglichkeit einander verstehen zu können selbstverständlich ist.

Die Geschichte von Mina, der Said bei einer Lesung begegnete, und die ihn um ein Gespräch unter vier Augen bat, hat mich von allen Texten am stärksten beeindruckt, literarisch sowohl als inhaltlich. Said, als bekannter iranischer Regimekritiker immer in Gefahr auch in Deutschland und deshalb immer auf der Hut, verabredet sich mit Mina sicherheitshalber in einer Hotellobby. Aber Mina will ihm nur ihre Geschichte erzählen. Am Beginn der islamischen Kulturrevolution war Mina Studentin und glücklich verheiratet. Wie ihr Mann stand sie politisch links, war politisch aktiv. Eines Tages wurde Mina verhaftet. Sie wurde geschlagen und von zahlreichen Gardisten vergewaltigt. Ihr Mann konnte fliehen, und nach ihrer Haft schaffte es Mina auch, den Iran zu verlassen. In Deutschland trifft sie ihren Mann wieder. Und irgendwann erzählt sie ihm, was die Revolutionsgardisten mit ihr gemacht haben. Ihr Mann ohrfeigt sie und nennt sie eine Hure.

Said erzählt auch eine sehr schöne Geschichte aus seiner Kindheit, die Geschichte eines alten Mannes, der einen langen Fußmarsch machte, um Saids Familie zu besuchen. Unterwegs verkniff er sich das Rauchen. Seine Begründung lautete:

"Wenn ein Bauarbeiter mich rauchen sieht, sich eine Zigarette wünscht und sich nicht traut, darum zu bitten; wie antworte ich dann Gott im Jenseits?"

Said stellt dieser Haltung die staatlichen Gewalttäter gegenüber, die ebenfalls Gott im Munde führen:

"Der alte Mann, der uns besuchte, fürchtete seinen Gott und dessen Gerechtigkeit. der Scharfrichter ... bediente sich des Islam als Rechtfertigung seiner Taten. Damit entweihte er die Religion."

Wie ungeeignet, ja, schädlich Religion als Staatsideologie ist, damit beschäftigt sich Said auf ganz eigene Weise, nämlich indem er die Religion vor der Vereinnahmung, vor dem Missbrauch bewahren möchte. Er zitiert Rilkes Wort von den "großen, niemals werbenden Göttern" und schreibt:

"Auch das ist möglich, dass man den Gott als nicht werbend, als nicht missionarisch versteht, sondern als eine persönliche Haltung, als eine persönliche Stütze, um in der heutigen Gesellschaft, die absolut materialistisch ist, zurechtzukommen."

Die Freiheit des Wortes, Aufgabe, Ethos und Gefährdungen von Autoren – auch das ist ein wichtiges Thema des iranischen Exilschriftstellers Said. Saids Engagement ist existentiell und aller Unterstützung wert. Deshalb fällt es schwer zu sagen, dass die Qualität und Auswahl der Texte nicht durchgehend gelungen ist. Manche Tagebuchpassagen wirken banal, beispielsweise die, die gleich nach den Attentaten des 11. Septembers 2001 geschrieben wurden. Was als erste Reaktion damals interessant und bewegend gewesen sein mag, ist durch die Intensität und Dauer der Debatte heute allzu bekannt. Und dass sich auf nur 160 großzügig bedruckten Seiten etliche fast wörtliche Wiederholungen finden, ist auch bedauerlich.

Said: Ich und der Islam
Verlag C. H. Beck
165 Seiten, 14,90 Euro
Rezensiert von Barbara Dobrick