Ein Buch über den Hass

Rezensiert von Richard Schroetter |
Folgt man dem französischen Publizisten André Glucksmann, ist der Hass die Ursache für die meisten internationalen Konflikte und die im Namen der Politik weltweit begangenen Verbrechen. Ohne ihn gäbe es keine Selbstmordattentate, weder Krieg noch Massaker, meint Glucksmann.
Um deutliche Worte ist der französische Publizist und Talk-Show-Philosoph André Glucksmann nie verlegen. Er hat es immer wieder verstanden, sich in die Schlagzeilen zu bringen, - nicht zuletzt mit seinem mutigen Eintreten gegen "den schmutzigen Krieg in Tschetschenien", den er nicht müde wird, anzuprangern. Auch in seinem gerade erschienenen Buch über den Hass hat er diesem geschundenen Land ein Kapitel gewidmet. Doch das ist nur eine von vielen Wunden, die der Hass geschlagen hat.

" Grenzenloser Hass geht um die Welt: mal glühend und schonungslos, mal schleichend und kalt. Hartnäckig und verbohrt richtet er in privaten Beziehungen und im öffentlichen Leben Zerstörungen an ... Eine unglaubliche Zerstörungswut vernichtet eine Familie, die ein Leben lang durch Arbeit und Gefühle eng verbunden war. Fassungslos erlebt eine Stadt, die Hilfe beim Wiederaufbau erhielt, das Aufflammen neuer Gewalt ..."

Folgt man André Glucksmann, ist der Hass die Ursache für die meisten internationalen Konflikte und die im Namen der Politik weltweit begangenen Verbrechen. Ohne ihn gäbe es keinen Fanatismus, keine Selbstmordattentate, weder Krieg noch Massaker.

" Der Hass entsteht weder durch Zufall noch durch Irrtum. Es handelt sich um zerstörerischen Rachedurst. Er betrifft uns hautnah, er liegt nicht hinter uns, sondern ist in uns und umgibt uns. Er ist subversiv, radikal verneinend, er steht am Anfang jeden Lebens.. Ein Leser von Aischylos und Seneca kann die tödliche Absicht der menschlichen Bomben nicht unterschätzen. Er hat die Stimme der von Jason verlassenen Medea gehört, hat gesehen, wie sie wuterfüllt ihre eigenen Kinder hinrichtet."

Medea tötet ihre Kinder, um sich an Iason, der sie verstieß, zu rächen, um ihn, den übermächtigen König, vor aller Öffentlichkeit zu verhöhnen. Die alttestamentarische Vergeltungslehre von "Auge um Auge, Zahn um Zahn", die eine gestörtes Gleichgewicht wiederherstellen soll, ist für Glucksmann jedoch inakzeptabel.

" Selbst wenn es den naiven Schreiberlingen mißfällt, die Alchimie Medeas verwandelt Böses nicht in Gutes, sondern ein Nichts in ein anderes noch trostloseres Nichts."

Statt Dialektik vertritt Glucksmann einen Dualismus von Gut und Böse. Beispielhaft für das Böse ist der moderne Terrorismus. Ihn charakterisiert eine …

" …von langer Hand geplante Aggression gegen Zivilisten, die unvorbereitet und schutzlos sind. Ob die Geiselnehmer und Mörder Unschuldiger eine Uniform tragen oder nicht, ob sie Messer oder Bajonette usw. benutzen oder nicht, tut nichts zur Sache. Wenn sie sich auf höhere Ideale berufen, ändert das ebenfalls nichts. Was allein zählt, ist die erwiesene und in die Tat umgesetzte Absicht, Menschen wahllos auszulöschen. "

Vertieft man sich in Glucksmanns Buch, so stellt man bald fest, dass der Hass für ihn nur der Brückenkopf zu seinen alten Lieblingsthemen ist. So finden wir hier noch einmal seine Polemik gegen den, wie er meint, fatalen Antiamerikanismus des linken politischen Spektrums in Deutschland und Frankreich. Vehement befürwortet er das Recht auf Einmischung, das die Bush-Regierung im Irak-Krieg praktizierte.

" Denn man mag es drehen und wenden, wie man will, die USA sind und bleiben eine Demokratie. Sogar die vorbildlichste aller Demokratien. Die einzige, die, soviel ich weiß, mitten im Krieg, nicht die Veröffentlichung der von Soldaten begangenen Verbrechen verhindert hat. .. Sicher ist Amerika nicht von Engeln besiedelt, aber es bleibt der Hort der Menschenrechte, weil es, mehr als jedes andere Land der Erde, über die Mittel verfügt, die Verletzung der Menschenrechte ans Licht zu bringen und sie damit zu beenden. An den Menschenrechten läßt sich unsere Fähigkeit ermessen, der Unmenschlichkeit, dem Bösen zu widerstehen, uns und dem Teufel die Stirn zu bieten, den wir in uns tragen."

Den Irakkrieg legitimiert er mit dem Recht der Völker vom Despotismus befreit zu werden.

" Es hat den Vorrang gegenüber dem herkömmlichen Recht auf Anerkennung der Staatsgrenzen und dem jahrhundertealten Prinzip staatlicher Souveränität. "

An solchen Stellen hätte man von dem berüchtigten Meisterdenker doch eine Einlassung gewünscht wie er diese grundlegende Frage im Rahmen der modernen Staatslehren verhandelt. Die zentralen staatstheoretischen Texte von Hobbes bis Karl Popper lässt er jedoch einfach außer Acht. Tautologisch beruft sich Glucksmann lieber auf den "SelbstHass” als allgemeinen Erklärungsansatz.

Zum besseren Verständnis der gegenwärtigen internationalen Konflikte trägt sein Buch nur wenig bei, es vertieft eher den Graben. Der conditio humana, die Glucksmann mit plakativen Worten beschwört, ist so nicht gedient. Statt glaubhafte Antworten erhalten wir wilde Hypothesen und Pauschalverurteilungen, die allenfalls zum Anheizen nächtlicher Fernsehdiskussionen taugen, wie etwa, wenn er vom "grünen Faschismus" vom "antiamerikanischen Europa" oder der "Autonomie des Bösen" spricht. Es wird viel argumentiert, aber nur wenig bewiesen. Wir spotten keinesfalls über die "Schönen Seelen", zu denen Glucksmann sich zählt, die:

" …Solschenizyn, Sacharow, Havel, Massud, die Boat people, die Belagerten von Dubrovnik und von Sarajewo, die Vertriebenen des Kosovo, die Massakrierten von Algerien, all jene "Machtlosen" unterstützt haben, auf die die Realisten nicht einen Nagel wetteten. "

Aber als scharfsinnigen Analytiker und Beobachter des Hasses bringt er uns leider nicht weiter.

André Glucksmann: Hass. Die Rückkehr einer elementaren Gewalt. Aus dem Französischen von Bernd Wilczek und Ulla Varchim. Nagel und Kimche 2005