Ein deutscher Abt im Zen-Kloster

"Wenn du ganz stille sitzt, dann geschieht etwas"

Mönche während einer Zazen-Meditation in Japan.
Mönche während einer Zazen-Meditation in Japan. © imago / Ursula Gahwiler
Von Dorothea Brummerloh |
Zazen-Meditation, das bedeutet eins: still sitzen, stundenlang. Irgendwann kommen im Kopf jede Menge Dinge hoch. Das innere Gespräch beginne, erklärt Olaf Nölke. Der Deutsche leitet ein Zen-Kloster in Japan, heißt mit buddhistischen Namen nun Muhō.
Geweckt wird man im Kloster Antaiji früh, sehr früh, noch vor dem Sonnenaufgang. Und sanft geschieht es auch nicht grade.
Um viertel vor vier rennt Xavier über die Flure. Er ist heute der Jikijitsu und für den Tagesablauf verantwortlich. Seine trampelnden Schritte signalisieren jedem: In 15 Minuten beginnt in der Halle die Meditation, das sogenannte Zazen mit dem Gongschlag des Jikijitsu.

Ein deutscher Philosoph leitet ein Zen-Kloster in Japan

Die Meditierenden sitzen auf Kissen, manche auf richtigen Kissentürmchen. Der Lotussitz, eine kreuzbeinige Sitzposition empfiehlt sich nur Geübten. Zwei Stunden wird man so, unterbrochen nur vom Kinhin, einer 15-minütigen Gehmeditation, bewegungslos sitzen. Mit dem Gesicht zur Wand verharrt man ganz im Hier und Jetzt, erklärt Xavier, ein in Chile geborener Deutschlehrer.
"Wenn man ganz still ist, dann fühlt man sich anders. Wenn du dich ständig bewegst, dann achtest du nur: Oh, hier juckt es oder wie lange haben wir noch? Wenn du ganz stille sitzt und einatmest und ausatmest und lässt alles, dann geschieht etwas."
"Oft wird gesagt, Zazen bedeutet, man setzt sich aufs Kissen und lässt los und man genießt dann die Ruhe des Geistes. Was aber passiert ist, man genießt es dann für fünf Minuten, zehn Minuten einfach nur stillsitzen zu dürfen. Aber spätestens nach 15 Minuten geht es dann los im Kopf und alle möglichen Dinge kommen hoch. Dieses innere Gespräch beginnt", sagt Muhō.
Nicht nur das sei hart, sagt Murillo aus Brasilien, der seit einem Jahr in Antaiji Zen praktiziert.
"Du hast körperliche Schmerzen und dein Geist wird immer wieder abgelenkt. Jemand hat Zazen als einen Spiegel beschrieben, in dem man sich selbst sieht. Man kann sich davor nicht verstecken. Es ist nicht immer schön, aber man lernt auch viel über sich. Besonders während der Sesshin-Tage. In diesen Momenten frage ich mich schon: Was mache ich hier?"

Vom Verschwinden der Gedanken

Als "Sesshin-Tage" werden die ersten fünf Tage eines jeden Monats bezeichnet, an denen 15 Stunden täglich mit kleinen Unterbrechungen meditiert wird. Da kommt man schnell an seine Grenzen, sagt Markus aus Berlin, der ein paar Monate hier bleiben will.
"Dann hörst du morgens immer diese Trommel und wenn du die Trommel schon hörst, dann denkst du: Das kann nicht sein! Heute ist erst der dritte Tag, wie soll das jetzt weitergehen? Aber irgendwann merkst du auch: Okay, das geht. Ist ja komisch."
Beim Zazen widmet man seine ganze Aufmerksamkeit der Haltung, der Atmung und dem Auftauchen und Verschwinden der Gedanken, sagt Abt Muhō, der als Olaf Nölke in Deutschland geboren wurde. Nölke studierte Physik, Philosophie und Japanologie, ging während des Studiums für ein Jahr nach Japan. Sechs Monate davon verbrachte er im Kloster Antaiji, wo er später als buddhistischer Mönch ordiniert wurde. Vor 15 Jahren wurde Muhō vom seinem Lehrer als eigenständiger Zen-Meister anerkannt und übernahm nach dessen Tod das Kloster.
"Im Zazen versuchen wir, die Gedanken einfach so zu lassen, wie sie sind, so wie Vogelstimmen, wie Insekten und loszulassen. Und loslassen ist etwas, was man nicht machen kann. Der Trick ist, die Gedanken anzunehmen. Wenn man die Realität oder das Leiden oder sich selbst loslassen will, muss man gleichzeitig die Realität, das Leiden, sich selbst annehmen. Also, wenn ich etwas nicht annehmen will, wie es ist, dann wird es zum Problem für mich. Wenn ich es annehme, wie es ist, muss ich nichts damit machen, das heißt, in dem Moment ist es schon losgelassen."

Nicht dem Glück hinterherjagen

Heute seien die Menschen ständig auf der Suche nach irgendetwas: nach Geld, nach Liebe, nach Karriere, um glücklich zu sein. Doch was Glück bedeute – das wissen die meisten nicht. Sie wissen nur: Mir geht es schlecht. Ich bin nicht glücklich.
"Deshalb sage ich, echtes Glück bedeutet, dass man auch mal sein Unglück annehmen kann. Echte Erleuchtung bedeutet, aufzuhören, danach zu suchen, wie der Hund, der herumschnüffelt und nach der Bratwurst sucht", sagt Muhō. "Und deshalb wird im Zen manchmal gesagt: Vergiss die Erleuchtung. Natürlich ist Erleuchtung der Punkt, um den es geht im Buddhismus. Aber den Menschen das wie eine Karotte vor die Nase zu hängen, ist kontraproduktiv."
"Zen ist für mich einfach das Leben leben, in dem man nur achtet, dass man im jetzigen Moment ist. Sonst ist nichts wichtig", sagt Xavier. "Man könnte ja die ganze Zeit daran denken, was morgen passieren wird oder was gestern geschehen ist. Aber letztendlich sind wir nur jetzt und hier, und in dem man das erkennt, erlebt man auch Zen, das Gefühl hier zu sein, im Jetzt zu sein."

Bettelübungen, Feld- und Waldarbeit

Wer nach Antaiji kommt, muss es mit dem Zen ernst meinen - nicht nur, weil man 1800 Stunden im Jahr meditiert. Die Klosterbewohner, die Monate oder auch Jahre hier bleiben, bekommen keinen Lohn, müssen ihre Unkosten selbst tragen, für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen.
"Wir gehen auf Takuhatsu", erklärt Murillo. "Das wird auch als Bettelübung bezeichnet. Im Winter gehen wir in die großen Städte und betteln. So können wir unsere grundlegenden Kosten für die Versicherung und die persönlichen Dinge decken."
Völlig vergeistigt ist der Klosteralltag in Antaiji nicht: Das Zusammenleben in der Gruppe funktioniert nur, wenn alle mit anpacken: Feld- und Waldarbeit, Kochen und das Klo putzen – all das sei Teil der Zen-Praxis.
"Die Schriften erlösen uns nicht. Es ist auch nicht ein Buddha, der uns erlösen wird, sondern es ist die eigene Praxis, die eigene tägliche Übung. Also Praxis bedeutet, dass man in jeder Tätigkeit, die man ausübt, versucht, in dem Moment zu sein und von sich loszulassen."
In Antaiji reicht es nicht, auf einer inneren, spirituellen Suche zu sein, sagt Abt Muhō. Antaiji sei vor allem auch ein Ort für praktisch veranlagte Menschen.
"Ich habe die Verantwortung für das Holz. Wir fällen Bäume, denn wir brauchen Holz brauchen zum Heizen, zum Kochen, aber auch für den Boiler, in dem wir das Badewasser erhitzen."
Vor allem die Arbeit auf dem Feld sei hart, meint Markus. "Ich habe ja vorher nur vor dem Rechner gesesse. Und letztens habe er gelernt zu schlachten, erzählt Xavier. In Antaiji lebt man – entgegen gängiger Klischees – nicht vegetarisch. Die Wildtiere bekommt die Gemeinschaft von den Bauern und Jägern der Umgebung geschenkt. Sie zu verschmähen, würde sie erneut töten, sagt Muhō.
"Vegetarier haben oft eine sehr genaue Vorstellung, wie alle anderen auch essen sollten. Also diese Idee: Ich mach es richtig und wenn du es nicht so machst, dann machst du es falsch. Und das ist komplett konträr zum Buddhismus. Natürlich ist es gut, sich hauptsächlich von Gemüse zu ernähren. Aber was noch wichtiger ist, diese Idee loszulassen: Ich mach es richtig."

"Erleuchtung versteckt sich nicht hinter der nächsten Ecke"

In Antaiji werden keine spirituellen Praktiken oder Meditationstechniken angeboten. Stattdessen bietet Abt Muhō die 24 Stunden des Tages als Zen- Praxis.
"Erleuchtung versteckt sich nicht irgendwo hinter der nächsten Ecke, sondern in dem Moment, wo ich vor mir die Wand sehe, ich höre die Zikaden, ich höre die Vögel, ich spüre meinen Körper vom Scheitel bis zu den Füßen, ich spüre meinen Atem, spüre wie Gedanken kommen und wieder gehen – da manifestiert sich schon Erleuchtung."