"Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen"

Von Hannelore Becker-Willhardt |
Max Herrmann war in Zeiten der Weimarer Republik ein bekannter Dichter, Dramatiker und Autor. 1933 floh der unter Hyposomie leidende Schriftsteller vor den Nazis ins Londoner Exil, wo er schnell in Vergessenheit geriet und 1941verstarb.
Das Berlin der 20er-Jahre. Eine Weltmetropole. Mit einer turbulenten Künstlerszene, mit literarischen Kabaretts und viel Tingeltangel.
Mittendrin der Dichter und Essayist Max Herrmann-Neisse. 1917 war er als freier Schriftsteller aus der schlesischen Provinzstadt Neisse nach Berlin gezogen. Dort gelang es dem 31-Jährigen schnell, in der literarischen Szene der Stadt bekannt zu werden – und sich mit allen Künstlern der Zeit dort anzufreunden.

Max Herrmann-Neisse traf sich mit Claire Waldoff, Liesl Karlstadt und Willi Schaeffers. Er hielt engen Kontakt zu Gottfried Benn, Else Lasker-Schüler, Kurt Hiller, Franz Jung und George Grosz. In den Clubs der Dadaisten und Expressionisten trug er seine Gedichte vor – und konnte bereits erste Gedichtbände und Theaterstücke veröffentlichen. Zusammen mit Alfred Kerr gehörte er zu den Rundfunkpionieren der "Schlesischen Funkstunde".
Herrmann-Neisse war Teil dieser Kultur-Szene – und dennoch wieder nicht, erklärt die Düsseldorfer Literaturwissenschaftlerin Prof. Sibylle Schönborn. 34

"Das kam daher, dass er behindert war. Er was kleinwüchsig und hatte einen Buckel. Und dieses körperliche Defizit hatte ihn zum Außenseiter gemacht."

Deswegen wird es ihm schwergefallen sein, sich zu einer der literarischen Gruppen wirklich zu bekennen.

"Er hat zwar den Club Dada mitbegründet, gleichzeitig war er mit seiner Lyrik kein Dadaist und hat sehr früh dann wieder den Ausstieg gewählt. Er hat expressionistische Gedichte geschrieben, aber er war mit Benn nicht einverstanden, der ja der ganz große Expressionist war und der eine sehr ambivalente Haltung zum Krieg eingenommen hat. Er hat auch die politischen Auseinandersetzungen, die es in den Künstlerkreisen gab, zu der Zeit: Also um die politische Literatur, Brecht und so weiter - all das gibt es ja in den 20er-Jahren - nicht mitgetragen."

Wenn er dann doch Position bezog, dann vehement gegen den Krieg und gegen den aufkommenden Faschismus. Und für all jene, die am Rande der Gesellschaft standen.

"Ich liebe Verbrechen, ich liebe Skandale,
ich liebe Huren und liebe Proleten,
ich liebe es, vor den Bauch zu treten,
so bin ich nu’ mal!..."


Mit seiner Behinderung ist Max Herrmann-Neisse immer sehr offensiv umgegangen. Dabei vertrat er eine Ästhetik des Hässlichen.
Er kannte keine Scheu, sich selbst auf der Bühne zu präsentieren: in Kabaretts und in eigenen Stücken.

"Ich liebe alles, was anderen fatal,
ich liebe Ehebrecher und Diebe,
ich liebe sogar die platonische Liebe -
ich bin anormal!"

Bereits 1920 hatte er eine kleine Rolle in dem Stummfilm "Von morgens bis Mitternacht". Sibylle Schönborn:

"Man kann es fast narzisstisch nennen. Dort spielt er einen Lust-Greis. Das ist so eine Spelunke, in der gespielt wird, in der natürlich auch Prostituierte anwesend sind und er sitzt dort mit einer Prostituierten auf dem Schoß, die ihm die Glatze krault."

Max Herrmann-Neisse, der Provokateur. Wichtig waren im auch die Themen ‘Behinderung und Sexualität’ sowie "Sexualität im Alter". Und seine Religiosität, - ein äußerst vielschichtiges Thema, das sein gesamtes Leben und Werk durchzieht.

"Martin Buber ist für ihn einer das ganz wichtigen Autoren der Zeit. Er rezensierte seine Schrift ‘Vom Geist des Judentums’ und macht das unter dem Titel: "Mehr lieben". Und er findet in Max Bubers Chassidismus eigentlich genau die Weltanschauung vorgeprägt, die seine eigene ist und bekennt sich zu diesem Judentum des Chassidismus und zu Martin Bubers Kulturzionismus und vertritt diese messianische Vorstellung von einem in Liebe gelebten Leben in einer Gemeinschaft von Menschen."

Im Februar 1933 dann der harte Bruch. Gleich nach dem Reichstagsbrand floh Herrmann-Neisse vor den Nazis ins Londoner Exil. Dort gründete er mit Lion Feuchtwanger und Ernst Toller den deutschen Exil-PEN-Club.
Die Nazis entzogen ihm die deutsche Staatsbürgerschaft und diskriminierten ihn als "undeutschen" Dichter und "mauschelnden Juden": Weil er in seinen frühen Romanen den schlesischen Dialekt eingebaut hatte, - den die Nazis irriger Weise als Jiddisch identifizierten.

Seine Exilerfahrungen verarbeitete Max Herrmann-Neisse in vielen Gedichten.

"Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen,
die Heimat klang in meiner Melodie,
ihr Leben war in meinem Lied zu lesen,
das mit ihr welkte und mit ihr gedieh..."

Am 8. April 1941 ist Max Herrmann-Neisse in London gestorben - und geriet schnell in Vergessenheit. Erst seit den 1980er-Jahren wird sein Werk wieder entdeckt.