Ein Dorf für die "serbische Seele" in Bosnien
Erst hat er sich serbisch-orthodox taufen lassen, nun macht sich der aus Sarajevo stammende Regisseur Emir Kusturica für ein hochpolitisches Architekturprojekt stark. In Bosnien lässt er ein Dorf zu Ehren des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Ivo Andric (1892-1975) bauen.
Ulrike Timm: Emir Kusturica ist ein Filmregisseur, der mit seinen wildbunten Filmen "Zeit der Zigeuner" oder "Schwarze Katze, weißer Kater" einmal sehr viele Fans hatte. Das ist schon eine gute Weile her, inzwischen ist es recht still um ihn geworden, was womöglich auch mit seinem politischen Weg zu tun: Emir Kusturica heißt nicht mehr Emir, sondern Nemanja, ist serbisch-orthodox getauft und ein so glühender Serbe, dass er etwa den als Kriegsverbrecher angeklagten Radovan Karadzic öffentlich verehrt.
Insofern wird ein neues Vorhaben von Emir Nemanja Kusturica auch mit äußerst gemischten Gefühlen beobachtet: Er baut zu Ehren des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Ivo Andric eine kleine Stadt in der Nähe der Brücke, nach der Andric seinen berühmtesten Roman benannt hat – "Die Brücke über die Drina". Andreas Meyer-Feist ist unser Kollege und Korrespondent für Südosteuropa. Herr Meyer-Feist, was genau soll da entstehen, wie soll das aussehen?
Andreas Meyer-Feist: Ja, eigentlich, wenn man sich die Pläne ansieht, sieht das ganz hübsch aus: alte Häuser, Türme, Brücken, sogar ein kleiner Hafen, keine Kaserne, darauf verweist der Erfinder oder Planer Kusturica immer wieder. Und das soll eigentlich erst mal als Kulisse dienen für die Verfilmung dieses Romans "Die Brücke über die Drina" des übrigens einzigen ehemals jugoslawischen Literaturnobelpreisträgers Ivo Andric.
Dazu braucht er Geld, auch die Unterstützung der Behörden, und wenn diese ganze Sache dann mal abgedreht ist fürs Fernsehen oder fürs Kino – auch das ist noch nicht klar –, dann soll da ein Touristenort entstehen. Also man will Hotels bauen, Cafés, Kinos und Leute anlocken, die dann natürlich auch zahlungskräftig sind und Geld in diese sehr unterentwickelte Region bringen. Also erst Filmkulisse für ein Andric-Werk, und dann Touristenattraktion.
Timm: Das Andric-Werk "Die Brücke über die Drina" spannt 400 Jahre Geschichte zusammen an diesem Ort, der Orient und Okzident verbindet. Sie müssten uns ein paar Worte sagen zu diesem Roman, damit man vielleicht auch versteht, warum das zwiespältig gesehen werden kann.
Meyer-Feist: Ivo Andric ist in Sarajevo geboren, also in Bosnien. Und er ist eigentlich jemand, der schon in der Kindheit beobachtet hat, und zwar an dieser steinernen Brücke in Visegrad, wo er gelebt hat, wo er seine Kindheit verbracht hat, wie Kulturen, wie Ethnien zusammenleben. Also serbisch-orthodoxe Bewohner, Juden, Leute, die dem Katholizismus angehören und so weiter und natürlich auch Muslime.
Das hat ihn begeistert, da hat er aber auch die Schattenseiten dieses nicht immer einfachen Zusammenlebens beschrieben, und zwar in einer bosnischen Trilogie, 1945. Dazu gehört "Die Brücke über die Drina", eben dieses Nebeneinander der Kulturen, und sozusagen beginnt das mit der osmanischen Zeit und reicht dann über viele Jahrhunderte bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs, also im Jahr, wo die Landkarte dort umgekrempelt wurde. Danach entstand ja auch das Königreich Jugoslawien, in dem diese Ethnien dann zusammenleben mussten. Das ist sozusagen das Generalthema, wie schwierig oder wie fröhlich kann auch das Zusammenleben der verschiedenen Ethnien und Kulturen auf engstem Raum sein.
Timm: Ivo Andric hat sich ja ausdrücklich auch als Jugoslawe verstanden und Sie haben uns eben beschrieben, wie in diesem Buch die Ethnien auch fröhlich zusammenleben. Insofern könnte man doch sagen: Prima, Kusturica setzt ihm ein Denkmal, ist selber in der Vergangenheit eher durch ultranationalistische Töne aufgefallen, findet wieder zurück! Oder wie denkt man sich das?
Meyer-Feist: Ja, das Problem ist, dass Kusturica sich natürlich sonnt im Schatten von Ivo Andric, dem Literaturpreisträger. Er teilt auch seine Ansichten, dass es eben gut ist, wenn die Ethnien nicht in eigenen Regionen getrennt leben, in eigenen Nationen, sondern dass es eben toll war, dass es dieses große Jugoslawien gab.
Also wie Andric sieht auch Kusturica nicht die inneren Probleme, die es ja von Anfang an gegeben hat, und Kusturica sagt auch immer wieder, dass er Jugoslawien nachtrauert, also jenem Gebilde, das Ivo Andric auch immer beschworen hat. Er war ja auch Diplomat, er hat sich politisch für Jugoslawien eingesetzt – sehr umstritten übrigens.
Und Kusturica, da kommt man eben auf eine ganz schwierige geschichtliche Entwicklung: Kusturica sagt auch, ein bisschen ärgert das die Bosniaken, die Muslime dort, dass eigentlich alle Menschen dieser Region Orthodoxe sind, Christen sind, und dass erst die osmanische Eroberung sozusagen diesen Teil Europas islamisiert hat. Und den Menschen blieb überhaupt gar nichts anderes übrig als sich zum Islam bekehren zu lassen, vom Christentum zum Islam bekehren zu lassen, um überleben zu können.
Daran erinnert Kusturica immer wieder. Und das ärgert natürlich die muslimischen Bosniaken enorm, sich da sagen lassen zu müssen, eigentlich seien sie Christen, aber wenn die Türken nicht gekommen wären, dann wäre alles anders, dann wären sie auch noch Christen. Also darin sehen eben die Bosniaken, die Muslime eine ganz gefährliche Entwicklung, da wurde ganz einfach sozusagen ein serbisches Weltbild ihnen aufoktroyiert. Und das wollen sich die Bosniaken nicht gefallen lassen, vor allem in Visegrad, eben dort, wo alle Kulturen zusammengekommen sind.
Timm: Das heißt, die haben richtig Angst, dass sich unter dem Mäntelchen einer Literaturverfilmung dann letztlich doch ein oberserbischer Geist einnisten könnte und dass der Autor, der Ivo Andric, auch dafür missbraucht wird?
Meyer-Feist: Man muss es, glaube ich, auch eher sehen mit der aktuellen politischen Entwicklung. Bosnien, also dort, wo dieses Dorf entstehen soll, ist ja ein multiethnischer Staat, ein ganz kompliziert aufgebauter Staat, der nach dem Bosnienkrieg eben in zwei Teile gespalten wurde, einem bosniakischen Teil und einem serbischen Teil.
Es gibt die serbische Teilrepublik, und die serbische Teilrepublik, die ist keineswegs immer auf der Linie des bosnischen Gesamtstaates. Und natürlich gibt es da Konflikte bis heute, die auf allen Ebenen ausgetragen werden, eben nicht nur auf der politischen, sondern eben gerade auf der kulturellen. Und dieser Streit, der eigentlich nicht sein müsste, weil es natürlich ein sehr finanzkräftiges und sehr erfolgreiches Projekt sein kann, wenn da mal Touristen kommen, das wird eben auch von beiden Seiten ein bisschen instrumentalisiert.
Aber man muss sagen, dass die bosnische Teilrepublik dagegen ist und die serbische Teilrepublik tatsächlich dieses Projekt unterstützen wird. Und man muss abwarten, wie sich das entwickelt, ob vielleicht auch nicht beide Seiten irgendwann einmal sagen, na ja, das bringt Geld in die Region, da kommen die Touristen, da haben wir Hotels, da können wir Einnahmen generieren, die ja jetzt fehlen. Darauf wird es wohl hinauslaufen.
Timm: Das "Radiofeuilleton" im Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit Andreas Meyer-Feist über ein etwas zwiespältiges Projekt des Regisseurs Emir Kusturica. Herr Meyer-Feist, das ist ja immer ein bisschen merkwürdiges Bild: Kusturica nach außen sehr, sehr kosmopolitisch, innerhalb des früheren Jugoslawien sehr proserbisch bis hin zur Verteidigung von Kriegsverbrecher Karadzic. Ist er eine Figur, ähnlich wie es Peter Handke war, der bei der Beerdigung des serbischen Kriegsverbrechers Milosevic die Grabrede hielt, oder hinkt so ein Vergleich komplett?
Meyer-Feist: Also dieser Vergleich hinkt bestimmt nicht. Kusturica ist ja, muss man sagen, er kommt aus Sarajevo, er ist eigentlich jemand, der mit den Serben gar nichts zu tun hat. Aber er ist konvertiert vor einigen Jahren zum serbisch-orthodoxen Glauben. Also er hat gesagt, er möchte Serbe sein, er hat sich auch immer wieder mit der serbischen Führung gemein gemacht, auch in schwierigen Zeiten in den 90er-Jahren. Und er hat ganz klar gesagt, dass er doch die bosniakische Seite als hauptverantwortlich sieht für dieses Auseinanderfallen des jugoslawischen Gesamtgebildes durch die Kriege in den 90er-Jahren.
Und wenn man sich überlegt, was er auch heute sagt zu seinem Projekt, dass dieses Projekt, dieses neue Dorf, die Seele des Landes ausdrücken wird, beleben wird, dann meint er sicherlich auch die serbische Seele. Und er sagt auch, dass er es satt hat, dass Visegrad, dass Bosnien nach dem Krieg auf dem Schafott der Geschichte landet. Es soll in Erinnerung bleiben, was dort geschehen ist, und vor allem, wie die Menschen auch im ehemaligen Jugoslawien dort friedlich zusammengelebt haben. Das ist etwas, was er immer sagt, und das ist etwas, was in Bosnien mit großem, großem Misstrauen begleitet wird.
Timm: Baubeginn soll am 28. Juni sein. Dieses Datum macht es nicht einfacher, oder?
Meyer-Feist: Nein, es ist nämlich doch für die Serben ein sehr interessanter Tag. An diesem Tag erinnert man an die Schlacht auf dem Amselfeld 1389 zwischen serbischen Fürsten und Bosniaken auf der einen Seite und den Osmanen auf der anderen Seite. Und obwohl ja Serben und Bosniaken zusammen gegen die Osmanen gekämpft haben, ist es vor allem von den Serben ein sehr wichtiger Feiertag und es ist auch ein Tag des heiligen Fürsten Lazar, der auf serbischer Seite auf dem Amselfeld gegen die Osmanen gekämpft hat, ein wichtiger Heiliger der serbisch-orthodoxen Kirche.
Und auch dieser Tag, der stärkt natürlich das Misstrauen auf bosniakischer Seite, weil man eben dort sagt: Das ist nun der letzte Beweis, dass damit nichts Gutes geschaffen werden kann, dass es nur darum geht, sozusagen diesen serbischen Hegemonialgedanken noch einmal in Erinnerung zu behalten und noch einmal Grenzen aufzuziehen, neu zu ziehen, wiederzubeleben, die eigentlich verschüttet gehören und nicht mehr wiederbelebt gehören.
Timm: Dieses Dorf, so viel steht jetzt schon fest, wird wohl das Politischste der Region sein. Gibt es eigentlich dort vor Ort Reaktionen dafür, dagegen, Demonstrationen dafür, dagegen?
Meyer-Feist: Ja, in Visegrad war es ja vorher so, dass, wenn man sich überlegt, wie war es vor dem Krieg, Frühjahr '92, zwei Drittel Muslime, ein Drittel Serben, dann die Eroberung der jugoslawischen Volksarmee, die Verbrechen durch Paramilizen, wo Tausende Menschen, Tausende Muslime erinnert wurden. Daran erinnert man sich natürlich noch in Visegrad.
Und das teilt natürlich auch die Bewohner. Die einen erinnern sich daran, welche Verbrechen dort geschehen sind in Visegrad. Und die anderen sagen, na ja, aber wir brauchen eine wirtschaftliche Perspektive für die ganze Region, und dieses Dorf könnte eine wirtschaftliche Perspektive sein, wenn wir hier dieses Dorf bauen, erst den Film drehen und dann den Tourismus entwickeln.
Und das traut man Kusturica auch zu, er hat das ja schon einmal gemacht. 2004 hat er den Film "Das Leben ist ein Wunder" gedreht, auch in so einer Kunstkulisse, ein Drehort bei Mokra Gora, noch auf serbischer Seite, aber ganz in der Nähe. Und diese Kulisse wurde dann auch ausgebaut zu einem Dorf in alter Bauweise und mit Hotels ausgestattet. Und das ist inzwischen auch eine Touristenattraktion, die tatsächlich Geld abwirft. Und da hoffen natürlich auch viele in Visegrad, dass es ähnlich sein könnte bei ihnen, wenn eben ein solcher Kulissenort Geld abwirft, Touristen anlockt und tatsächlich auch die Wirtschaft dieser doch sehr benachteiligten Region voranbringt.
Timm: Andreas Meyer-Feist, wenn die Häuser stehen, kommen wir darauf bestimmt noch mal zurück, ich danke Ihnen fürs Gespräch. Andreas Meyer-Feist war das, unser Korrespondent für Südosteuropa.
Insofern wird ein neues Vorhaben von Emir Nemanja Kusturica auch mit äußerst gemischten Gefühlen beobachtet: Er baut zu Ehren des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Ivo Andric eine kleine Stadt in der Nähe der Brücke, nach der Andric seinen berühmtesten Roman benannt hat – "Die Brücke über die Drina". Andreas Meyer-Feist ist unser Kollege und Korrespondent für Südosteuropa. Herr Meyer-Feist, was genau soll da entstehen, wie soll das aussehen?
Andreas Meyer-Feist: Ja, eigentlich, wenn man sich die Pläne ansieht, sieht das ganz hübsch aus: alte Häuser, Türme, Brücken, sogar ein kleiner Hafen, keine Kaserne, darauf verweist der Erfinder oder Planer Kusturica immer wieder. Und das soll eigentlich erst mal als Kulisse dienen für die Verfilmung dieses Romans "Die Brücke über die Drina" des übrigens einzigen ehemals jugoslawischen Literaturnobelpreisträgers Ivo Andric.
Dazu braucht er Geld, auch die Unterstützung der Behörden, und wenn diese ganze Sache dann mal abgedreht ist fürs Fernsehen oder fürs Kino – auch das ist noch nicht klar –, dann soll da ein Touristenort entstehen. Also man will Hotels bauen, Cafés, Kinos und Leute anlocken, die dann natürlich auch zahlungskräftig sind und Geld in diese sehr unterentwickelte Region bringen. Also erst Filmkulisse für ein Andric-Werk, und dann Touristenattraktion.
Timm: Das Andric-Werk "Die Brücke über die Drina" spannt 400 Jahre Geschichte zusammen an diesem Ort, der Orient und Okzident verbindet. Sie müssten uns ein paar Worte sagen zu diesem Roman, damit man vielleicht auch versteht, warum das zwiespältig gesehen werden kann.
Meyer-Feist: Ivo Andric ist in Sarajevo geboren, also in Bosnien. Und er ist eigentlich jemand, der schon in der Kindheit beobachtet hat, und zwar an dieser steinernen Brücke in Visegrad, wo er gelebt hat, wo er seine Kindheit verbracht hat, wie Kulturen, wie Ethnien zusammenleben. Also serbisch-orthodoxe Bewohner, Juden, Leute, die dem Katholizismus angehören und so weiter und natürlich auch Muslime.
Das hat ihn begeistert, da hat er aber auch die Schattenseiten dieses nicht immer einfachen Zusammenlebens beschrieben, und zwar in einer bosnischen Trilogie, 1945. Dazu gehört "Die Brücke über die Drina", eben dieses Nebeneinander der Kulturen, und sozusagen beginnt das mit der osmanischen Zeit und reicht dann über viele Jahrhunderte bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs, also im Jahr, wo die Landkarte dort umgekrempelt wurde. Danach entstand ja auch das Königreich Jugoslawien, in dem diese Ethnien dann zusammenleben mussten. Das ist sozusagen das Generalthema, wie schwierig oder wie fröhlich kann auch das Zusammenleben der verschiedenen Ethnien und Kulturen auf engstem Raum sein.
Timm: Ivo Andric hat sich ja ausdrücklich auch als Jugoslawe verstanden und Sie haben uns eben beschrieben, wie in diesem Buch die Ethnien auch fröhlich zusammenleben. Insofern könnte man doch sagen: Prima, Kusturica setzt ihm ein Denkmal, ist selber in der Vergangenheit eher durch ultranationalistische Töne aufgefallen, findet wieder zurück! Oder wie denkt man sich das?
Meyer-Feist: Ja, das Problem ist, dass Kusturica sich natürlich sonnt im Schatten von Ivo Andric, dem Literaturpreisträger. Er teilt auch seine Ansichten, dass es eben gut ist, wenn die Ethnien nicht in eigenen Regionen getrennt leben, in eigenen Nationen, sondern dass es eben toll war, dass es dieses große Jugoslawien gab.
Also wie Andric sieht auch Kusturica nicht die inneren Probleme, die es ja von Anfang an gegeben hat, und Kusturica sagt auch immer wieder, dass er Jugoslawien nachtrauert, also jenem Gebilde, das Ivo Andric auch immer beschworen hat. Er war ja auch Diplomat, er hat sich politisch für Jugoslawien eingesetzt – sehr umstritten übrigens.
Und Kusturica, da kommt man eben auf eine ganz schwierige geschichtliche Entwicklung: Kusturica sagt auch, ein bisschen ärgert das die Bosniaken, die Muslime dort, dass eigentlich alle Menschen dieser Region Orthodoxe sind, Christen sind, und dass erst die osmanische Eroberung sozusagen diesen Teil Europas islamisiert hat. Und den Menschen blieb überhaupt gar nichts anderes übrig als sich zum Islam bekehren zu lassen, vom Christentum zum Islam bekehren zu lassen, um überleben zu können.
Daran erinnert Kusturica immer wieder. Und das ärgert natürlich die muslimischen Bosniaken enorm, sich da sagen lassen zu müssen, eigentlich seien sie Christen, aber wenn die Türken nicht gekommen wären, dann wäre alles anders, dann wären sie auch noch Christen. Also darin sehen eben die Bosniaken, die Muslime eine ganz gefährliche Entwicklung, da wurde ganz einfach sozusagen ein serbisches Weltbild ihnen aufoktroyiert. Und das wollen sich die Bosniaken nicht gefallen lassen, vor allem in Visegrad, eben dort, wo alle Kulturen zusammengekommen sind.
Timm: Das heißt, die haben richtig Angst, dass sich unter dem Mäntelchen einer Literaturverfilmung dann letztlich doch ein oberserbischer Geist einnisten könnte und dass der Autor, der Ivo Andric, auch dafür missbraucht wird?
Meyer-Feist: Man muss es, glaube ich, auch eher sehen mit der aktuellen politischen Entwicklung. Bosnien, also dort, wo dieses Dorf entstehen soll, ist ja ein multiethnischer Staat, ein ganz kompliziert aufgebauter Staat, der nach dem Bosnienkrieg eben in zwei Teile gespalten wurde, einem bosniakischen Teil und einem serbischen Teil.
Es gibt die serbische Teilrepublik, und die serbische Teilrepublik, die ist keineswegs immer auf der Linie des bosnischen Gesamtstaates. Und natürlich gibt es da Konflikte bis heute, die auf allen Ebenen ausgetragen werden, eben nicht nur auf der politischen, sondern eben gerade auf der kulturellen. Und dieser Streit, der eigentlich nicht sein müsste, weil es natürlich ein sehr finanzkräftiges und sehr erfolgreiches Projekt sein kann, wenn da mal Touristen kommen, das wird eben auch von beiden Seiten ein bisschen instrumentalisiert.
Aber man muss sagen, dass die bosnische Teilrepublik dagegen ist und die serbische Teilrepublik tatsächlich dieses Projekt unterstützen wird. Und man muss abwarten, wie sich das entwickelt, ob vielleicht auch nicht beide Seiten irgendwann einmal sagen, na ja, das bringt Geld in die Region, da kommen die Touristen, da haben wir Hotels, da können wir Einnahmen generieren, die ja jetzt fehlen. Darauf wird es wohl hinauslaufen.
Timm: Das "Radiofeuilleton" im Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit Andreas Meyer-Feist über ein etwas zwiespältiges Projekt des Regisseurs Emir Kusturica. Herr Meyer-Feist, das ist ja immer ein bisschen merkwürdiges Bild: Kusturica nach außen sehr, sehr kosmopolitisch, innerhalb des früheren Jugoslawien sehr proserbisch bis hin zur Verteidigung von Kriegsverbrecher Karadzic. Ist er eine Figur, ähnlich wie es Peter Handke war, der bei der Beerdigung des serbischen Kriegsverbrechers Milosevic die Grabrede hielt, oder hinkt so ein Vergleich komplett?
Meyer-Feist: Also dieser Vergleich hinkt bestimmt nicht. Kusturica ist ja, muss man sagen, er kommt aus Sarajevo, er ist eigentlich jemand, der mit den Serben gar nichts zu tun hat. Aber er ist konvertiert vor einigen Jahren zum serbisch-orthodoxen Glauben. Also er hat gesagt, er möchte Serbe sein, er hat sich auch immer wieder mit der serbischen Führung gemein gemacht, auch in schwierigen Zeiten in den 90er-Jahren. Und er hat ganz klar gesagt, dass er doch die bosniakische Seite als hauptverantwortlich sieht für dieses Auseinanderfallen des jugoslawischen Gesamtgebildes durch die Kriege in den 90er-Jahren.
Und wenn man sich überlegt, was er auch heute sagt zu seinem Projekt, dass dieses Projekt, dieses neue Dorf, die Seele des Landes ausdrücken wird, beleben wird, dann meint er sicherlich auch die serbische Seele. Und er sagt auch, dass er es satt hat, dass Visegrad, dass Bosnien nach dem Krieg auf dem Schafott der Geschichte landet. Es soll in Erinnerung bleiben, was dort geschehen ist, und vor allem, wie die Menschen auch im ehemaligen Jugoslawien dort friedlich zusammengelebt haben. Das ist etwas, was er immer sagt, und das ist etwas, was in Bosnien mit großem, großem Misstrauen begleitet wird.
Timm: Baubeginn soll am 28. Juni sein. Dieses Datum macht es nicht einfacher, oder?
Meyer-Feist: Nein, es ist nämlich doch für die Serben ein sehr interessanter Tag. An diesem Tag erinnert man an die Schlacht auf dem Amselfeld 1389 zwischen serbischen Fürsten und Bosniaken auf der einen Seite und den Osmanen auf der anderen Seite. Und obwohl ja Serben und Bosniaken zusammen gegen die Osmanen gekämpft haben, ist es vor allem von den Serben ein sehr wichtiger Feiertag und es ist auch ein Tag des heiligen Fürsten Lazar, der auf serbischer Seite auf dem Amselfeld gegen die Osmanen gekämpft hat, ein wichtiger Heiliger der serbisch-orthodoxen Kirche.
Und auch dieser Tag, der stärkt natürlich das Misstrauen auf bosniakischer Seite, weil man eben dort sagt: Das ist nun der letzte Beweis, dass damit nichts Gutes geschaffen werden kann, dass es nur darum geht, sozusagen diesen serbischen Hegemonialgedanken noch einmal in Erinnerung zu behalten und noch einmal Grenzen aufzuziehen, neu zu ziehen, wiederzubeleben, die eigentlich verschüttet gehören und nicht mehr wiederbelebt gehören.
Timm: Dieses Dorf, so viel steht jetzt schon fest, wird wohl das Politischste der Region sein. Gibt es eigentlich dort vor Ort Reaktionen dafür, dagegen, Demonstrationen dafür, dagegen?
Meyer-Feist: Ja, in Visegrad war es ja vorher so, dass, wenn man sich überlegt, wie war es vor dem Krieg, Frühjahr '92, zwei Drittel Muslime, ein Drittel Serben, dann die Eroberung der jugoslawischen Volksarmee, die Verbrechen durch Paramilizen, wo Tausende Menschen, Tausende Muslime erinnert wurden. Daran erinnert man sich natürlich noch in Visegrad.
Und das teilt natürlich auch die Bewohner. Die einen erinnern sich daran, welche Verbrechen dort geschehen sind in Visegrad. Und die anderen sagen, na ja, aber wir brauchen eine wirtschaftliche Perspektive für die ganze Region, und dieses Dorf könnte eine wirtschaftliche Perspektive sein, wenn wir hier dieses Dorf bauen, erst den Film drehen und dann den Tourismus entwickeln.
Und das traut man Kusturica auch zu, er hat das ja schon einmal gemacht. 2004 hat er den Film "Das Leben ist ein Wunder" gedreht, auch in so einer Kunstkulisse, ein Drehort bei Mokra Gora, noch auf serbischer Seite, aber ganz in der Nähe. Und diese Kulisse wurde dann auch ausgebaut zu einem Dorf in alter Bauweise und mit Hotels ausgestattet. Und das ist inzwischen auch eine Touristenattraktion, die tatsächlich Geld abwirft. Und da hoffen natürlich auch viele in Visegrad, dass es ähnlich sein könnte bei ihnen, wenn eben ein solcher Kulissenort Geld abwirft, Touristen anlockt und tatsächlich auch die Wirtschaft dieser doch sehr benachteiligten Region voranbringt.
Timm: Andreas Meyer-Feist, wenn die Häuser stehen, kommen wir darauf bestimmt noch mal zurück, ich danke Ihnen fürs Gespräch. Andreas Meyer-Feist war das, unser Korrespondent für Südosteuropa.