Ein Dorf im Judenhass
1932 kam er zur Welt, bei Czernowitz in der Bukowina, in einer Familie assimilierter Juden. Als Kind erlebte Aharon Appelfeld die Schrecken der Deportationen, er hat den Holocaust knapp überlebt. Nach dem Krieg, in Israel, wurde Appelfeld Literatur-Professor und Schriftsteller.
Seine Texte kreisen um die immer gleichen Themen: um die Traumata der Überlebenden und die verschüttete Welt seiner Kindheit. Bei Rowohlt Berlin erschien nun ein Roman von 1992. "Katerina". Ein Stück Prosa von quälender Ausweglosigkeit, schlicht und bedrückend in allen Bestandteilen: Kulisse und Figur, Story und Mission.
Die Kulisse ist die Bukowina vor und nach 1900, damals zu Österreich-Ungarn gehörig, heute geteilt zwischen Rumänien und der Ukraine. Im Zentrum: ein ruthenisches (ukrainisches) Dorf, Sinnbild für Enge und Gewalt. Die Bewohner sind armselige Gestalten, doch eine Schicht im Land, so meinen sie, steht noch unter ihnen: die Juden. Welche Gefühle hegt die Mehrheit gegenüber der Minderheit? Abscheu. Ekel. Hass. Man verhöhnt und beschimpft die "Jesus-Mörder". Man jagt sie zum Zeitvertreib, Pogrome gehören zum Alltag.
Katerina, die Ich-Figur, ist anfangs eine junge Frau vom Land, die Mutter hart, der Vater ein Trinker. Katerina flieht in die Stadt, sie lebt zwischen Bettlern, im Bodensatz der Gesellschaft. Auch sie verabscheut die Juden – und wird ausgerechnet von Juden gerettet. Als Hausmädchen jüdischer Bürger erhält sie Zugang zur fremden Kultur, und bald ist Katerina fasziniert von Sprache und Tradition. Mehr noch: Sie bekommt einen Sohn von einem Juden, später möchte sie gar aufgenommen werden in den "geheimen Stamm". Die Juden sind plötzlich die Gebildeten, die Lebensklugen; in ihren Landsleuten erkennt Katerina Barbaren.
Die Geschichte nimmt ein böses Ende. Katerinas Dienstherrschaft fällt dem Pöbel zum Opfer, Sohn Benjamin wird von einem Raufbold totgeschlagen. Katerina ersticht den Mörder im Affekt und geht als Lebenslängliche ins Gefängnis. In den Wirren gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kommt sie frei, nach über 40 Jahren Haft. Ihre späte Zeit verlebt sie auf dem elterlichen Hof, in steter Zwiesprache mit toten jüdischen Weggefährten.
Die Mission des Romans wirkt vordergründig didaktisch. Und Hauptfigur Katerina, die die Mission transportiert, wirkt in ihrem philosemitischen Eifer unglaubwürdig. Doch es gibt eindrückliche, schockierende Bilder im Buch, Bilder und Szenen, die nach der Lektüre bleiben.
In einer Szene sehen wir Katerina als Häftling bei der Feldarbeit; noch herrscht Krieg, am Rübenacker fahren Güterzüge vorbei. Ihre Mitgefangenen, sagt Katerina, hätten sich diesen Zügen mit Freudengeschrei genähert: "Tod den Händlern, Tod den Juden!" Wenig später ist die Protagonistin frei, eine Bäuerin mit blauem Kopftuch nimmt sie im Fuhrwerk mit. Auf Katerina wirkt die Welt der Freiheit seltsam wüst und leer, sie fragt: "Und wo sind die Juden?" Die Bäuerin erwidert: "Man hat sie weggebracht." In ihrer Stimme ist weder Trauer noch Scham. Eine Bukowina ohne Juden? Katerina wird sich nicht daran gewöhnen. Und, nein, ihr Schöpfer Aharon Appelfeld kann es auch nicht.
Besprochen von Uwe Stolzmann
Aharon Appelfeld: Katerina
Roman
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Rowohlt Berlin, Berlin 2010
254 Seiten, 19,95 Euro
Die Kulisse ist die Bukowina vor und nach 1900, damals zu Österreich-Ungarn gehörig, heute geteilt zwischen Rumänien und der Ukraine. Im Zentrum: ein ruthenisches (ukrainisches) Dorf, Sinnbild für Enge und Gewalt. Die Bewohner sind armselige Gestalten, doch eine Schicht im Land, so meinen sie, steht noch unter ihnen: die Juden. Welche Gefühle hegt die Mehrheit gegenüber der Minderheit? Abscheu. Ekel. Hass. Man verhöhnt und beschimpft die "Jesus-Mörder". Man jagt sie zum Zeitvertreib, Pogrome gehören zum Alltag.
Katerina, die Ich-Figur, ist anfangs eine junge Frau vom Land, die Mutter hart, der Vater ein Trinker. Katerina flieht in die Stadt, sie lebt zwischen Bettlern, im Bodensatz der Gesellschaft. Auch sie verabscheut die Juden – und wird ausgerechnet von Juden gerettet. Als Hausmädchen jüdischer Bürger erhält sie Zugang zur fremden Kultur, und bald ist Katerina fasziniert von Sprache und Tradition. Mehr noch: Sie bekommt einen Sohn von einem Juden, später möchte sie gar aufgenommen werden in den "geheimen Stamm". Die Juden sind plötzlich die Gebildeten, die Lebensklugen; in ihren Landsleuten erkennt Katerina Barbaren.
Die Geschichte nimmt ein böses Ende. Katerinas Dienstherrschaft fällt dem Pöbel zum Opfer, Sohn Benjamin wird von einem Raufbold totgeschlagen. Katerina ersticht den Mörder im Affekt und geht als Lebenslängliche ins Gefängnis. In den Wirren gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kommt sie frei, nach über 40 Jahren Haft. Ihre späte Zeit verlebt sie auf dem elterlichen Hof, in steter Zwiesprache mit toten jüdischen Weggefährten.
Die Mission des Romans wirkt vordergründig didaktisch. Und Hauptfigur Katerina, die die Mission transportiert, wirkt in ihrem philosemitischen Eifer unglaubwürdig. Doch es gibt eindrückliche, schockierende Bilder im Buch, Bilder und Szenen, die nach der Lektüre bleiben.
In einer Szene sehen wir Katerina als Häftling bei der Feldarbeit; noch herrscht Krieg, am Rübenacker fahren Güterzüge vorbei. Ihre Mitgefangenen, sagt Katerina, hätten sich diesen Zügen mit Freudengeschrei genähert: "Tod den Händlern, Tod den Juden!" Wenig später ist die Protagonistin frei, eine Bäuerin mit blauem Kopftuch nimmt sie im Fuhrwerk mit. Auf Katerina wirkt die Welt der Freiheit seltsam wüst und leer, sie fragt: "Und wo sind die Juden?" Die Bäuerin erwidert: "Man hat sie weggebracht." In ihrer Stimme ist weder Trauer noch Scham. Eine Bukowina ohne Juden? Katerina wird sich nicht daran gewöhnen. Und, nein, ihr Schöpfer Aharon Appelfeld kann es auch nicht.
Besprochen von Uwe Stolzmann
Aharon Appelfeld: Katerina
Roman
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Rowohlt Berlin, Berlin 2010
254 Seiten, 19,95 Euro