"Ein Drittel aller Deutschen ist konfessionsfrei"
Der deutsche Staat priviligiert die beiden großen christlichen Kirchen, findet der Politiker Rolf Schwanitz. Er ist Mitbegründer einer laizistischen Gruppe in der SPD. Ihn stört vor allem die rechtliche Schlechterstellung kirchlicher Angestellter. Auch christliche Symbole in Schulen und Gerichtssälen sieht er kritisch.
Anne Françoise Weber: Eigentlich wollten sie einen Arbeitskreis gründen, aber die Parteispitze zeigte sich von der Idee bisher wenig angetan. So sind die Laizistinnen und Laizisten in der SPD bisher noch ein wenig offizieller Zusammenschluss, der sich für eine größere Distanz zwischen Staat und Kirchen einsetzen will. Gerade in diesen Advents- und Weihnachtstagen aber häufen sich doch die Begegnungen zwischen Politik und christlicher Religion. Ich habe vor der Sendung mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Rolf Schwanitz gesprochen und ihn gefragt, ob der Bundespräsident etwas falsch macht, wenn er am kommenden Samstag seine Weihnachtsansprache halten wird.
Rolf Schwanitz: Das kommt auf den Inhalt an, er macht da gar nichts falsch. Es geht hier nicht um einen Streit um Feiertage, das ist gar nicht das Thema, sondern es geht grundsätzlich um die Frage des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat.
Weber: Gut, aber das Verhältnis von Kirche und Staat ist natürlich stärker, wenn ein Bundespräsident zum höchsten christlichen Feiertag eine Ansprache hält, und nicht zum höchsten, weiß ich nicht, einen atheistischen Feiertag gibt es nicht, aber zum höchsten muslimischen Feiertag zum Beispiel gibt es keine Ansprache.
Schwanitz: Ja, aber das kritisiert niemand in unserem Land. Die Weihnachtszeit und die Feiertage, die gehören zum kulturellen Erbe. Und keiner fragt danach, wie viele Menschen gehen zu den jeweiligen Tagen in die Kirche oder nicht. Das kann nicht das Thema sein, sondern es muss die Frage gestellt werden: Hat der Staat insgesamt eine gleichberechtigte Position gegenüber allen Religionen und allen Weltanschauungen, Glaubensrichtungen inne, oder gibt es da eine Schieflage und müssen wir da was verändern. Ich glaube, wir müssen über dieses Thema kritisch reden.
Weber: Kritisch reden – Sie formulieren das alles in Fragen, aber im Grunde finden Sie schon, dass es diese Schieflage gibt, oder?
Schwanitz: Ja, natürlich gibt es die Schieflage. Wir haben mit den beiden großen Kirchen – obwohl wir eine Staatskirche haben in Deutschland und obwohl wir eigentlich eine Trennung zwischen Staat und Kirche nach Grundgesetz haben – doch in vielen Einzelfällen eine enge Verbandelung. Und die gehört aus meiner Sicht kritisch auf den Prüfstand, weil sich die Dinge natürlich in Deutschland verändert haben. Wir sind nicht mehr wie '49 eine Bürgergemeinschaft, die zu 97 Prozent aus Christen besteht, sondern rund ein Drittel aller Deutschen ist konfessionsfrei, auch die Vielfalt der Glaubensrichtungen in Deutschland nimmt zu, und deswegen werden durch diese Privilegierung der beiden großen Kirchen – was staatliches Tun und staatliches Handeln betrifft – natürlich neue Fragen aufgeworfen. Es entstehen neue Ungleichgewichte. Und deswegen muss über diesen Abstand zwischen Staat und Kirche geredet werden, und es müssen Veränderungen her.
Weber: Und die Veränderungen sollten in welche Richtung gehen Ihrer Meinung nach?
Schwanitz: Also ich finde drei Dinge ganz zentral und wichtig. Das eine betrifft - ja, schon seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts - aus dem Staat gekommene Zahlungen, die der Allgemeinheit obliegen, das sind die Dotationen, wo Bischofsgehälter quasi vom allgemeinen Steuerbürger bezahlt werden. Ich glaube, das ist von vorgestern und muss geändert werden. Da gibt es auch einen Verfassungsauftrag, der seit 90 Jahren unerfüllt ist.
Das Zweite, was mir sehr am Herzen liegt, ist die Schlechterstellung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Bereich. Wir haben dort Sonderrechte, dass das Mitbestimmungsrecht nicht gilt, wir haben dort Sonderrechte, was Tarifsituationen betrifft. Ich glaube, dass die Kirchen dieselben Tendenzschutzregelungen brauchen wie andere Bereiche auch, aber nicht mehr. Und dann gibt es natürlich viele, viele weitere Einzelfragen, wo der Staat ja eigentlich seine Neutralität zu Religions- und Glaubensgemeinschaften infrage stellt, wenn also beispielsweise Kreuze in öffentlichen Gebäuden hängen, wenn in Gerichtssälen oder in Schulen eine derartige Präsenz von einseitigen Glaubenssymbolen da ist – auch darüber muss geredet werden.
Weber: Nun ist aber doch die Frage, ob ein Gemeinwesen nicht so etwas wie Religion braucht, um seinen Zusammenhalt zu garantieren. Von Böckenförde gibt es dieses Zitat, dass der Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Was antworten Sie darauf?
Schwanitz: Mir geht es nicht um die Abschaffung der Religion oder der Religionsgemeinschaften. Das ist aus meiner Sicht gar nicht das Thema, sondern es geht um die Frage, ob der Staat Recht daran tut, einen ungleichen Abstand zu einzelnen Religionsgemeinschaften zu haben, und einzelne Religionsgemeinschaften in einer besonderen Art und Weise zu privilegieren. Da beginnt das Problem, und da beginnt übrigens auch Ausgrenzung.
Wenn wir also beispielsweise in der Integrationsdebatte Töne hören wie, jemand, der eben das christliche Menschenbild nicht präferiert, habe in Deutschland nichts zu suchen – dann entstehen damit natürlich neue Ausgrenzungen. Und deswegen müssen wir über das Kirche-und-Staat-Verhältnis in einem Deutschland reden, das sich glaubensseitig viel pluraler entwickelt hat, als es noch vor 50, 60 Jahren war.
Weber: Nun kann man aber diesen ungleichen Abstand auch in die andere Richtung angleichen. Man könnte sagen, man erkennt den Islam oder muslimische Gemeinschaften als Körperschaften öffentlichen Rechts an. Der Wissenschaftsrat hat die Empfehlung abgegeben, islamische Studien einzurichten und die Theologie an den Universitäten stärker einzubinden, weil da eben davon ausgegangen wird, es gibt dieses Bedürfnis nach Theologie auch im gesellschaftlichen Umfeld und auch an der Universität.
Schwanitz: Also rein rechtlich gäbe es natürlich die Möglichkeit, wobei nach meiner Überzeugung beim Islam allein schon aufgrund seiner heterogenen Struktur gar nicht die Möglichkeit faktisch besteht, eine solche Anerkennung zu bekommen. Ich habe auch in vielen Gesprächen eher den Eindruck gewonnen, dass die beiden großen Kirchen das mehr als ein theoretisches Thema ansehen und es eigentlich ganz in Ordnung finden, dass sie selbst nur Körperschaften des öffentlichen Rechts sind.
Nein, ich glaube, die Lösung wird so nicht darstellbar sein, die Lösung muss aus meiner Sicht eher in die andere Richtung gehen: in einem gleichen Abstand zwischen Staat und Religionsgemeinschaften. Religionsgemeinschaften und auch Religionsfreie müssen dieselbe Rangigkeit und dieselbe Wertschätzung in der Gesellschaft durch den Staat genießen, aber keine Privilegierung zu einer Seite.
Weber: Aber in Frankreich, das wird ja oft als Vorbild zitiert mit seinem strengen Laizismus, hat man den Eindruck, es gibt auch so eine Gegenbewegung, selbst von Staatspräsident Nicolas Sarkozy, dass er sich auf die Religionen zubewegt, dass er von einer positiven Laizität auf einmal spricht. Er hat als Innenminister einen Rat der Muslime ins Leben gerufen. Liegt die Wahrheit vielleicht irgendwo in der Mitte zwischen dem deutschen und dem französischen Modell?
Schwanitz: Also, das ist sicherlich eine besondere Diskussion in Frankreich. Ich glaube auch gar nicht, dass das französische Modell quasi herhalten kann für unsere deutsche Situation. Wir kommen aus einer ganz anderen geschichtlichen Tradition und auch verfassungsrechtlichen Tradition an der Stelle. Mein Ziel und meine Überlegungen münden nicht in einem französischen Modell, aber sie münden in einer Notwendigkeit eines stärkeren Abstandes zwischen Staat und Kirche in Deutschland, und damit natürlich auch einer stärkeren Gleichwertigkeit und Gleichwertschätzung des Staates gegenüber allen Religionsgemeinschaften und vor allen Dingen auch gegenüber den Konfessionsfreien, die mit einem Drittel ja eine ganz bedeutende Größe in unserem Land sind.
Weber: Wenn man sich nun aber die Parteispitze anschaut, Sigmar Gabriel hat gesagt, es sollte keinen Arbeitskreis geben, Herr Steinmeier lässt sich gern auf Kirchentagen blicken, Frau Nahles ist bekennende Katholikin. Sind Sie in der falschen Partei, haben Sie die falsche Parteispitze?
Schwanitz: Nein, überhaupt nicht, aber es zeigt natürlich, dass auch in der SPD dort ein großer Diskussions- und Klärungsbedarf besteht. Die SPD hat seit vielen Jahren ja wie selbstverständlich einen Arbeitskreis Christen, und ich finde, wenn ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland aus Konfessionsfreien besteht, die dieses Thema auch sehen, dann muss man einen solchen Arbeitskreis quasi auch auf Augenhöhe in der SPD auch aufbauen. Das wird die Partei nicht über Nacht verändern, gar keine Frage, und es wird da auch keine atheistische Partei aus der Sozialdemokratischen Partei, aber es hat die SPD immer stark gemacht, auf neue Entwicklungen zu reagieren, und deswegen gehört das Thema auch in diese, meine Partei.
Weber: Letzte Frage: Was ist jetzt Ihre erste Baustelle, die Andachten bei SPD-Parteitagen oder vielleicht doch gleich die Kirchensteuer, oder wo können Sie jetzt ansetzen, wie sehen Sie Ihren Schlachtplan?
Schwanitz: Also ich denke, wir werden in 2011 ja zweigleisig agieren. Wir werden natürlich als Arbeitskreis in Gründung dieses Projekt weiterbetreiben, in den Regionen werden wir uns auch stärken und stark machen, denn das Projekt ist ja nicht mit dem erstmaligen Ablehnen oder mit der Nichtzustimmung – eine Entscheidung gibt es ja eigentlich noch gar nicht – vom Tisch. Und wir werden uns zu Sachfragen konkret fassen, ich rechne damit, dass aus der Linksfraktion auch ein Gesetzentwurf zur Ablösung der Staatsdotationen kommt. Ich will, dass wir auch im Deutschen Bundestag über die Schlechterstellung der Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen reden. Das sind Themen, die müssen dann mit konkreten Gesetzgebungsprojekten und Anträgen auch im Parlament bearbeitet werden, und das sind vernünftige nächste Schritte.
Weber: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Schwanitz über Kirchen, Religionen, Staat und Parteien. Der von ihm mit initiierte Arbeitskreis in Gründung soll übrigens nicht mehr den Parteinamen der Sozialdemokraten in seiner Internetadresse verwenden. Statt wie anfangs unter www.spd-laizisten.de ist er deswegen unter www.laizistische-sozis.de zu finden.
Rolf Schwanitz: Das kommt auf den Inhalt an, er macht da gar nichts falsch. Es geht hier nicht um einen Streit um Feiertage, das ist gar nicht das Thema, sondern es geht grundsätzlich um die Frage des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat.
Weber: Gut, aber das Verhältnis von Kirche und Staat ist natürlich stärker, wenn ein Bundespräsident zum höchsten christlichen Feiertag eine Ansprache hält, und nicht zum höchsten, weiß ich nicht, einen atheistischen Feiertag gibt es nicht, aber zum höchsten muslimischen Feiertag zum Beispiel gibt es keine Ansprache.
Schwanitz: Ja, aber das kritisiert niemand in unserem Land. Die Weihnachtszeit und die Feiertage, die gehören zum kulturellen Erbe. Und keiner fragt danach, wie viele Menschen gehen zu den jeweiligen Tagen in die Kirche oder nicht. Das kann nicht das Thema sein, sondern es muss die Frage gestellt werden: Hat der Staat insgesamt eine gleichberechtigte Position gegenüber allen Religionen und allen Weltanschauungen, Glaubensrichtungen inne, oder gibt es da eine Schieflage und müssen wir da was verändern. Ich glaube, wir müssen über dieses Thema kritisch reden.
Weber: Kritisch reden – Sie formulieren das alles in Fragen, aber im Grunde finden Sie schon, dass es diese Schieflage gibt, oder?
Schwanitz: Ja, natürlich gibt es die Schieflage. Wir haben mit den beiden großen Kirchen – obwohl wir eine Staatskirche haben in Deutschland und obwohl wir eigentlich eine Trennung zwischen Staat und Kirche nach Grundgesetz haben – doch in vielen Einzelfällen eine enge Verbandelung. Und die gehört aus meiner Sicht kritisch auf den Prüfstand, weil sich die Dinge natürlich in Deutschland verändert haben. Wir sind nicht mehr wie '49 eine Bürgergemeinschaft, die zu 97 Prozent aus Christen besteht, sondern rund ein Drittel aller Deutschen ist konfessionsfrei, auch die Vielfalt der Glaubensrichtungen in Deutschland nimmt zu, und deswegen werden durch diese Privilegierung der beiden großen Kirchen – was staatliches Tun und staatliches Handeln betrifft – natürlich neue Fragen aufgeworfen. Es entstehen neue Ungleichgewichte. Und deswegen muss über diesen Abstand zwischen Staat und Kirche geredet werden, und es müssen Veränderungen her.
Weber: Und die Veränderungen sollten in welche Richtung gehen Ihrer Meinung nach?
Schwanitz: Also ich finde drei Dinge ganz zentral und wichtig. Das eine betrifft - ja, schon seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts - aus dem Staat gekommene Zahlungen, die der Allgemeinheit obliegen, das sind die Dotationen, wo Bischofsgehälter quasi vom allgemeinen Steuerbürger bezahlt werden. Ich glaube, das ist von vorgestern und muss geändert werden. Da gibt es auch einen Verfassungsauftrag, der seit 90 Jahren unerfüllt ist.
Das Zweite, was mir sehr am Herzen liegt, ist die Schlechterstellung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Bereich. Wir haben dort Sonderrechte, dass das Mitbestimmungsrecht nicht gilt, wir haben dort Sonderrechte, was Tarifsituationen betrifft. Ich glaube, dass die Kirchen dieselben Tendenzschutzregelungen brauchen wie andere Bereiche auch, aber nicht mehr. Und dann gibt es natürlich viele, viele weitere Einzelfragen, wo der Staat ja eigentlich seine Neutralität zu Religions- und Glaubensgemeinschaften infrage stellt, wenn also beispielsweise Kreuze in öffentlichen Gebäuden hängen, wenn in Gerichtssälen oder in Schulen eine derartige Präsenz von einseitigen Glaubenssymbolen da ist – auch darüber muss geredet werden.
Weber: Nun ist aber doch die Frage, ob ein Gemeinwesen nicht so etwas wie Religion braucht, um seinen Zusammenhalt zu garantieren. Von Böckenförde gibt es dieses Zitat, dass der Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Was antworten Sie darauf?
Schwanitz: Mir geht es nicht um die Abschaffung der Religion oder der Religionsgemeinschaften. Das ist aus meiner Sicht gar nicht das Thema, sondern es geht um die Frage, ob der Staat Recht daran tut, einen ungleichen Abstand zu einzelnen Religionsgemeinschaften zu haben, und einzelne Religionsgemeinschaften in einer besonderen Art und Weise zu privilegieren. Da beginnt das Problem, und da beginnt übrigens auch Ausgrenzung.
Wenn wir also beispielsweise in der Integrationsdebatte Töne hören wie, jemand, der eben das christliche Menschenbild nicht präferiert, habe in Deutschland nichts zu suchen – dann entstehen damit natürlich neue Ausgrenzungen. Und deswegen müssen wir über das Kirche-und-Staat-Verhältnis in einem Deutschland reden, das sich glaubensseitig viel pluraler entwickelt hat, als es noch vor 50, 60 Jahren war.
Weber: Nun kann man aber diesen ungleichen Abstand auch in die andere Richtung angleichen. Man könnte sagen, man erkennt den Islam oder muslimische Gemeinschaften als Körperschaften öffentlichen Rechts an. Der Wissenschaftsrat hat die Empfehlung abgegeben, islamische Studien einzurichten und die Theologie an den Universitäten stärker einzubinden, weil da eben davon ausgegangen wird, es gibt dieses Bedürfnis nach Theologie auch im gesellschaftlichen Umfeld und auch an der Universität.
Schwanitz: Also rein rechtlich gäbe es natürlich die Möglichkeit, wobei nach meiner Überzeugung beim Islam allein schon aufgrund seiner heterogenen Struktur gar nicht die Möglichkeit faktisch besteht, eine solche Anerkennung zu bekommen. Ich habe auch in vielen Gesprächen eher den Eindruck gewonnen, dass die beiden großen Kirchen das mehr als ein theoretisches Thema ansehen und es eigentlich ganz in Ordnung finden, dass sie selbst nur Körperschaften des öffentlichen Rechts sind.
Nein, ich glaube, die Lösung wird so nicht darstellbar sein, die Lösung muss aus meiner Sicht eher in die andere Richtung gehen: in einem gleichen Abstand zwischen Staat und Religionsgemeinschaften. Religionsgemeinschaften und auch Religionsfreie müssen dieselbe Rangigkeit und dieselbe Wertschätzung in der Gesellschaft durch den Staat genießen, aber keine Privilegierung zu einer Seite.
Weber: Aber in Frankreich, das wird ja oft als Vorbild zitiert mit seinem strengen Laizismus, hat man den Eindruck, es gibt auch so eine Gegenbewegung, selbst von Staatspräsident Nicolas Sarkozy, dass er sich auf die Religionen zubewegt, dass er von einer positiven Laizität auf einmal spricht. Er hat als Innenminister einen Rat der Muslime ins Leben gerufen. Liegt die Wahrheit vielleicht irgendwo in der Mitte zwischen dem deutschen und dem französischen Modell?
Schwanitz: Also, das ist sicherlich eine besondere Diskussion in Frankreich. Ich glaube auch gar nicht, dass das französische Modell quasi herhalten kann für unsere deutsche Situation. Wir kommen aus einer ganz anderen geschichtlichen Tradition und auch verfassungsrechtlichen Tradition an der Stelle. Mein Ziel und meine Überlegungen münden nicht in einem französischen Modell, aber sie münden in einer Notwendigkeit eines stärkeren Abstandes zwischen Staat und Kirche in Deutschland, und damit natürlich auch einer stärkeren Gleichwertigkeit und Gleichwertschätzung des Staates gegenüber allen Religionsgemeinschaften und vor allen Dingen auch gegenüber den Konfessionsfreien, die mit einem Drittel ja eine ganz bedeutende Größe in unserem Land sind.
Weber: Wenn man sich nun aber die Parteispitze anschaut, Sigmar Gabriel hat gesagt, es sollte keinen Arbeitskreis geben, Herr Steinmeier lässt sich gern auf Kirchentagen blicken, Frau Nahles ist bekennende Katholikin. Sind Sie in der falschen Partei, haben Sie die falsche Parteispitze?
Schwanitz: Nein, überhaupt nicht, aber es zeigt natürlich, dass auch in der SPD dort ein großer Diskussions- und Klärungsbedarf besteht. Die SPD hat seit vielen Jahren ja wie selbstverständlich einen Arbeitskreis Christen, und ich finde, wenn ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland aus Konfessionsfreien besteht, die dieses Thema auch sehen, dann muss man einen solchen Arbeitskreis quasi auch auf Augenhöhe in der SPD auch aufbauen. Das wird die Partei nicht über Nacht verändern, gar keine Frage, und es wird da auch keine atheistische Partei aus der Sozialdemokratischen Partei, aber es hat die SPD immer stark gemacht, auf neue Entwicklungen zu reagieren, und deswegen gehört das Thema auch in diese, meine Partei.
Weber: Letzte Frage: Was ist jetzt Ihre erste Baustelle, die Andachten bei SPD-Parteitagen oder vielleicht doch gleich die Kirchensteuer, oder wo können Sie jetzt ansetzen, wie sehen Sie Ihren Schlachtplan?
Schwanitz: Also ich denke, wir werden in 2011 ja zweigleisig agieren. Wir werden natürlich als Arbeitskreis in Gründung dieses Projekt weiterbetreiben, in den Regionen werden wir uns auch stärken und stark machen, denn das Projekt ist ja nicht mit dem erstmaligen Ablehnen oder mit der Nichtzustimmung – eine Entscheidung gibt es ja eigentlich noch gar nicht – vom Tisch. Und wir werden uns zu Sachfragen konkret fassen, ich rechne damit, dass aus der Linksfraktion auch ein Gesetzentwurf zur Ablösung der Staatsdotationen kommt. Ich will, dass wir auch im Deutschen Bundestag über die Schlechterstellung der Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen reden. Das sind Themen, die müssen dann mit konkreten Gesetzgebungsprojekten und Anträgen auch im Parlament bearbeitet werden, und das sind vernünftige nächste Schritte.
Weber: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Schwanitz über Kirchen, Religionen, Staat und Parteien. Der von ihm mit initiierte Arbeitskreis in Gründung soll übrigens nicht mehr den Parteinamen der Sozialdemokraten in seiner Internetadresse verwenden. Statt wie anfangs unter www.spd-laizisten.de ist er deswegen unter www.laizistische-sozis.de zu finden.