Ein echtes Lebenselixier

Von Udo Pollmer |
Der Mensch kann selbst kein Vitamin C bilden. Deshalb müssen wir es über die Nahrung zu uns nehmen. Das unterscheidet uns von den meisten anderen Säugetieren. Nun scheint auch dieses bewährte Dogma zu wanken.
Warum eigentlich kann der Mensch kein Vitamin C herstellen, wo es doch so wichtig für ihn ist? Genaugenommen fehlt uns ja nur ein ganz kleiner Schritt in der Synthese, nur ein einziges Enzym, das offenbar im Laufe der Evolution verloren ging. Die Folgen waren dramatisch. So manch eine Schiffsbesatzung erkrankte früher auf langen Seereisen an Skorbut und manch ein Matrose verstarb daran.

Ernährungsberater vermuten, der Mensch habe sich über Millionen von Jahren tagtäglich so reichlich mit Vitamin-C-haltigem Obst versorgt, dass er auf eine Eigensynthese verzichten konnte. Aber nicht nur der Homo sapiens, sondern auch der größte Teil der Tierwelt ist nicht in der Lage, das Vitamin selbst zu bilden, wie Insekten oder Fische. Daneben haben auch allerlei Fledermäuse, Vögel und Affen ihre Vitaminsynthese an den Nagel bzw. den nächstbesten Ast gehängt.

Insofern befindet sich der Mensch in guter Gesellschaft. Meist wird er ja mit dem Meerschweinchen auf eine Stufe gestellt. Ihm wird ebenfalls eine Vitamin C-Synthese abgesprochen. Doch das stimmt so nicht. Bereits vor einem Vierteljahrhundert wurde an der Karlsuniversität in Bratislava gezeigt, dass einige Meerschweinchen sehr wohl ihren Bedarf an dem Vitamin selbst produzieren.

Warum bitte verzichtet ein Teil der Meerschweine auf die Eigensynthese eines doch so wichtigen Stoffes? Wenn er lebenswichtig ist, kann das nur heißen, dass der Verzicht darauf unter gewissen Umständen genauso lebenswichtig ist. Die mit Abstand größte Gefahr für Leib und Leben sind in freier Wildbahn Parasiten. Parasiten fordern mehr Opfer als Bakterien oder Viren. Und für viele Parasiten ist Vitamin C ein echtes Lebenselixier.

Deshalb haben viele Meerschweinchen diese Fähigkeit verloren. Was heißt hier verloren? Gene gehen ja nicht einfach so flöten. Aber im Falle eines Befalls mit gewissen Parasiten ist es von Vorteil, wenn der Körper die winzigen Biester nicht noch extra mit Vitaminen bei Laune hält. Auch beim Menschen gibt es solche vermeintlichen Fehler im Programm, sogenannte Erbdefekte. Dazu gehört die Sichelzellanämie. Sie schützt vor der Malaria. Übrigens: Bei einer Malaria-Erkrankung senkt der Körper die Verfügbarkeit von Vitamin C - denn auch die Malariaparasiten lieben das Vitamin, können es aber nicht selbst bilden.

Ob es auch Menschen gibt, die Vitamin C im eigenen Körper herstellen können, ist unbekannt, einfach deshalb, weil diese zentrale Frage nie untersucht wurde. Allerdings gab es immer deutliche Hinweise darauf. Und genau dazu gibt es jetzt eine erstaunliche Entdeckung, die allerdings kaum Echo in den Medien fand: Vitamin C wird auch von der menschlichen Darmflora erzeugt. So das Resultat einer breit angelegten internationalen Studie mit deutscher Beteiligung.

Dabei kam noch etwas Interessantes heraus: Nicht einmal die Bazillen im Darm sind zufällig verteilt, sondern folgen klar definierten Mustern. Es gibt also nicht nur verschiedene Stoffwechseltypen sondern auch Darmfloratypen. Aber nur ganz bestimmte Typen sind in der Lage, Vitamin C zu bilden. Allein dieses harmlose Beispiel zeigt die Absurdität von pauschalen Ernährungsempfehlungen – umso mehr als auch ein Mangel an sogenannten lebenswichtigen Stoffen von erheblichem gesundheitlichem Vorteil sein kann. Diese Unterschiede von Mensch zu Mensch spiegeln sich nicht zuletzt auch in den ganz unterschiedlichen kulinarischen Vorlieben unserer Hörer wider. Mahlzeit!

Literatur
Arumugam M et al: Enterotypes of the human gut microbiome. Nature 2011; 473: 174-180
Nishikimi M, Yagi K: Molecular basis for the deficiency in humans of gulonolactone oxidase, a key enzyme for ascorbic acid biosynthesis. American Journal of Clinical Nutrition 1991; 54: 1203S-1208S
Cummings M: Can some people synthesize ascorbic acid? American Journal of Clinical Nutrition 1981; 34: 297-298
Chatterjee IB: Evolution and the biosynthesis of ascorbic acid. Science 1973; 182: 1271-1272
Wong WK et al: Comparison of protein-free defined media, and effect of L-cysteine and ascorbic acid supplementation on viability of axenic Entamoeba histolytica. Parasitology Research 2011; 108: 425-430
Rajan TV et al: Ascorbic acid is a requirement for the morphogenesis of the human filarial parasite Brugia malayi. Journal of Parasitology 2003; 89: 868.870
Zloch Z, Ginter E: Experimentally proved biosynthsis of vitamin C in a guinea pig. Naturwissenschaften 1984; 71: 533-534
Müller S, Kappes B: Vitamin and co-factor biosynthesis pathways in Plasmodium and other apicomplexan parasites. Trends in Parasitology 2007; 23: 112-121