Ein erstes Kennenlernen mit Hebel

Johann Peter Hebel war ein bedeutender Moralist und Aufklärer. Franz Kafka, Elias Canetti, Walter Benjamin und Ernst Bloch lobten einst seine Werke. Der Wallstein Verlag hat bislang unbekannte Geschichten des allemannischen Mundartdichters in dem Band "Der Schuster Flink" vereint. An Hebels Meistererzählungen reichen sie nicht heran, aber zum ersten Kennenlernen des Autoren reichen sie aus.
Johann Peter Hebel (1760-1826) ist ein Erzähler von Format. Franz Kafka zählt "Das Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes" (1811) zu seinem Lieblingsbuch. Elias Canetti bezeugt Hebel seinen "Dank" und seine "Huldigung", weil sich ihm das "Schatzkästlein" wie kein anderes Buch "vollkommen und in jeder Einzelheit" eingeprägt hat. Walter Benjamin bezeichnet Hebel als einen "der größten Moralisten aller Zeiten" und Ernst Bloch spricht vom "unverhofften Wiedersehen aus dem Schatzkästlein" als der "schönsten Geschichte von der Welt".

Das Besondere an den Geschichten Hebels ist neben ihrer Moral, die der Aufklärer "unterhaltend" zu präsentieren versteht, der doppelte Boden, durch den sich seine Kurzprosa auszeichnet. Meisterlich ist an seiner Sprache die Mischung aus Mundart und dem Deutsch der Lutherbibel.

Kaum einer hat es verstanden, so die Zeit zu raffen und das Vergehen von fünf Jahrzehnten dem Leser so zu veranschaulichen, wie Hebel im "Unverhofften Wiedersehen". Der Chronist zählt auf, wie Lissabon untergegangen ist, Könige starben, Kriege endeten und Revolutionen begannen, um für den Leser spürbar werden zu lassen, wie viel Zeit vergangen ist, seit die Braut ihren Geliebten vermisst, den sie einst heiraten wollte, als sie jung war. Hebel hat in "Unverhofftes Wiedersehen", so Daniel Kehlmann im Vorwort zu "Der Schuster Flink", das Wort "unterdessen" so originär mit Bedeutung unterlegt, dass andere Autoren es nur noch als "Zitat" verwenden können.

Wer einmal Hebels erzählerischem Bann verfallen ist, wem die Geschichte des Tuttlingers aus Kannitverstan nicht aus dem Sinn geht, der hat mit Spannung die unbekannten Geschichten von Johann Peter Hebel erwartet, die im Wallstein Verlag angekündigt wurden. Um es vorweg zu sagen: Der Ertrag fällt, was den Umfang anbelangt, eher bescheiden aus. Bislang unbekannt sind von den Geschichten, die der Band vereint, "Deutsche Redlichkeit", "Die deutsche Fürstin" und "Der Schuster Flink".

Zwei weitere Geschichten, "Franziska" und "Herr Charles", stellt der Herausgeber Heinz Härtl in einer veränderten Textfassung vor. Dazu gesellt sich Ratgeberprosa aus dem Provinzial-Blatt der Badischen Markgrafschaft. Die zuletzt erwähnten Texte könnten von Hebel sein, aber seine Autorschaft lässt sich nicht "beweisen", wie der Entdecker und Herausgeber der Geschichten, Heinz Härtl, in seinem Nachwort bemerkt.

Die drei unbekannten Prosatexte haben einen Umfang von insgesamt 21 Druckseiten. Quantitativ ist das wenig und auch qualitativ reichen die neu entdeckten Miniaturen nicht an Hebels Meistererzählungen heran. Aber den Moralisten Hebel, den Aufklärer, kann man in diesen Geschichten durchaus kennenlernen. In "Deutsche Redlichkeit" will der König Sueno einen Edelmann beiseite schaffen lassen, weil ihm dessen ständiges Insistieren auf die Wahrheit lästig ist. Als er für den Plan seinen Schwiegervater, Kaiser Konrad, gewinnen will, erhält er von diesem eine Abfuhr. Der Kaiser spricht sich gegen die Hinterlist aus, mit der sein Schwiegersohn der Wahrheit auszuweichen gedenkt.

Hebels Geschichten ist etwas eingeschrieben, womit moderne Erzähler eher zurückhaltend umgehen: Rat. Es ist ein verlässlicher, auf das Recht und die Anständigkeit bauender Rat, der sich in seinen Texten findet. Auch wenn es antiquiert anmutet, was Hebel als Ideal vorschwebt, seine Erzählungen sollten von Zeit zu Zeit zur Hand genommen werden, denn er weiß das Vernünftige in nächster Nähe zum Einfachen zu platzieren.

Rezensiert von Michael Opitz

Johann Peter Hebel: Der Schuster Flink
Wallstein Verlag, Göttingen 2008
90 Seiten, 18,00 Euro