Ein Ex-Trader erzählt

Acht Typen, die alles kaputt gemacht haben

Protest hinter Richard Fuld (CEO Lehman Brothers Holdings) anlässlich einer Anhörung im Oktober 2008 zur Insolvenz von Lehman Brothers in Washington D.C.
Protest hinter Richard Fuld (CEO Lehman Brothers Holdings) anlässlich einer Anhörung im Oktober 2008 zur Insolvenz von Lehman Brothers in Washington D.C. © imago/UPI Photo
Von Thomas Reintjes |
Die Lehman Brothers-Pleite vor zehn Jahren war für die US-Wirtschaft ein Schock. Rund 25.000 Mitarbeiter sorgten damals bei der Bank für Gewinne, sagt der ehemalige Lehman-Trader Larry McDonald. Milliarden, die dann von einigen wenigen einfach verzockt wurden.
Ein paar Schritte vom Times Square in Manhattan, an der 42. Straße steht eines von vielen neuen Hochhäusern mit Luxuswohnungen. Ganz oben, im 50. Stock, wohnt Larry McDonald. Der frühere Angestellte von Lehman Brothers hat die Finanzkrise also offenbar gut überstanden. Trotzdem hat die Pleite von Lehman Brothers am 15. September 2008 sein Leben verändert. Ob er sich noch an diesen Tag erinnern kann, frage ich ihn.
"Natürlich!"
Das Interview führen wir im Club seines Wohn-Wolkenkratzers. Obwohl es draußen brüllend heiß ist, sitzen wir in dem klimatisierten Raum vor einem dekorativ flackernden Kaminfeuer. Weiter hinten im Raum spielen ein paar andere Bewohner Billard. Larry McDonald arbeitete ab 2004 bei Lehman Brothers.
"Ich war auf dem Handelsparkett. Da, wo dir die Kugeln um den Kopf fliegen. Also, ich war nicht im oberen Management."
Larry McDonald behauptet von sich, dass er dort einer der Trader war, die am beständigsten Gewinne erwirtschaftet haben. 96 Millionen Dollar Plus soll er gemacht haben, bevor er einige Monate vor dem Crash die kollabierende Firma verließ.

Job machen und Kopf einziehen oder beides verlieren

"Einige meiner Chefs hatten den CEO Richard Fuld und das Management gewarnt. Sie wollten, dass wir uns aus Subprime zurückziehen. Aber einer nach dem anderen wurden sie zum Schweigen gebracht. Bei Lehman hast du entweder deinen Job gemacht und deinen Kopf eingezogen, oder du hast beides verloren. Und an der Wall Street brauchst du Unterstützer. Wenn dein Management-Team sich auflöst oder gefeuert wird, stehst du nicht besonders gut da."
Subprime bedeutet übersetzt zweitklassig. An der Wall Street werden so faule Hypotheken bezeichnet. Hauskredite, zu denen Banken die Immobilienbesitzer verleitet hatten, obwohl diese sich die Hypotheken eigentlich gar nicht leisten konnten.
Larry McDonald gehört denen, die die Probleme haben kommen sehen, aber er stieß auf taube Ohren. Nur vier Jahre war er bei Lehman, aber hatte wie so viele andere eine große Loyalität zu der Firma entwickelt. Alle hätten dort an einem Strang gezogen erzählt er. Fast alle.
"Lehman Brothers waren 24.982 Leute, die Gewinn gemacht haben, und acht Typen, die alles verloren haben."
Das Problem sieht er allein an der Spitze des Unternehmens. In Larry McDonald brodelt es im Sommer 2008 so sehr, dass er ein Buch über das Missmanagement bei Lehman Brothers schreiben will – Monate bevor die Bank endgültig am Ende ist. Er sucht sich einen Co-Autor und wartet dann, bis es soweit ist.


Am 10. September 2008 bietet sich Lehman Brothers selbst zum Kauf an. Doch es bleiben nur wenige Tage Zeit – es ist zu spät. Auch die Regierung springt nicht ein. Sie hatte zuvor schon drei Großbanken gerettet. Mehr will man den Steuerzahlern nicht zumuten. Am 15. September 2008 meldet Lehman Brothers Insolvenz an.
Zwei Tage später trifft McDonald seinen Co-Autor Patrick Robinson in London. Als sein Flugzeug in New York abhebt, guckt Larry aus dem Fenster:
"Ich guckte runter und da war Times Square. Und da war das Grün und Weiß von Lehman Brothers. Da habe ich mir gesagt, auf in den Kampf. Damit meine ich den Kampf gegen die Bad Guys, um die Wahrheit dessen, was sich bei Lehman abgespielt hat, ans Licht zu bringen."
Ein Mitarbeiter eines Börsenhändlers schlägt am 15. September 2008 an der New Yorker Börse an der Wall Street die Hände vor das Gesicht.
Ein Mitarbeiter eines Börsenhändlers am 15. September 2008 an der New Yorker Börse an der Wall Street.© picture alliance/dpa/Foto: epa Foley
Das Buch ("A Colossal Failure of Common Sense") wird ein Bestseller. Bis heute wurde es in zwölf Sprachen übersetzt und 600.000 Mal verkauft. Larry McDonald reist damit um die Welt und hält mehr als Hundert Reden. Darin verdammt er das System Wall Street nicht pauschal, sondern nur das kopflose Handeln an der Spitze von Banken, Regierung und Zentralbanken.

Die meisten Trader seien gute Menschen, sagt Larry McDonald.
"Es waren sehr talentierte Leute. Jetzt sind sie verteilt an der Wall Street in Banken und Versicherungen. Aber während der Finanzkrise wurde sie alle über einen Kamm geschoren."

Risiken verstehen und vorhersehen

Trotz des immer noch ramponierten Rufs kehrt Larry McDonald, nachdem die akute Phase der Finanzkrise vorbei ist, 2011 auch selbst an die Wall Street zurück. Er verdient jetzt gewissermaßen an der Angst vor der nächsten Krise, indem er im Auftrag der französischen Bank Société Générale Risiken identifiziert.
"Die letzten acht oder neun Jahre meines Lebens habe ich der Aufgabe gewidmet, meinen Kunden zu helfen, Risiken zu verstehen und die nächste Lehman-Situation zu vermeiden. Das Problem ist, dass die Leute bei Bullen-Märkten die Bären-Märkte immer schnell vergessen. Aber ich will wirklich diese Vernichtung von Vermögen, die 2008 so viele Familien betroffen hat, nicht noch einmal haben."
Er analysiert vor allem politische Risiken. Hat neben Donald Trumps Strafzöllen gegen China auch den Aufstieg von Populisten in Mexiko, Brasilien, Italien und anderen Ländern im Fokus. Auch die AFD und den Zwist zwischen CDU und CSU in Deutschland beobachtet er genau.
Besonders kritisch sieht er die amerikanische Fed und die Europäische Zentralbank. Die seien gerade wieder dabei, ein ähnliches Spekulationsklima zu schaffen wie 2008, warnt Larry McDonald.
Er scheint zehn Jahre nach Lehman nicht nur aufrichtig besorgt, sondern immer noch wütend über das, was damals geschehen ist, auch wenn er behauptet, darüber hinweg zu sein.
Das alles ist besonders dann wieder präsent, wenn er in Manhattan am alten Lehman-Gebäude vorbei kommt, an dem jetzt das Logo einer anderen Bank hängt.

Hören Sie hier einen weiteren Beitrag zur Lehman-Pleite von Caspar Dohmen.
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