Ein exemplarischer Fall
Gerade ist der Briefwechsel zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann erschienen, nun gibt es zusätzlich ein "Handbuch" zum Leben und Werk des Schriftstellers. Es ist ein geradezu notwendiger Führer durch die inflationäre Celan-Forschung geworden, er fasst den schier unübersichtlichen Stand zum Thema zum ersten Mal sachlich und seriös zusammen.
Paul Celan war jahrzehntelang die Paradedisziplin der neueren Literaturwissenschaft, erst um die Jahrtausendwende scheint das langsam abzuebben. Celan fordert die Philologie vor allem deshalb heraus, weil er die größten Maßstabe beansprucht: Er ist "schwierig", als Hilfswort verwendet man fälschlicherweise gern das Wort "hermetisch".
Er scheint die Sprache selbst zu thematisieren und linguistische wie philosophische Fachinteressen zu befeuern. Am folgenreichsten war aber vor allem: sein Schicksal als Überlebender des Massenmords an den europäischen Juden und seine "Todesfuge" prädestinierten ihn als Lesebuchautor, als exemplarischen Fall.
Das "Celan-Handbuch" des Metzler-Verlag ist jetzt in mehrerer Hinsicht wohltuend. Es fasst den schier unübersichtlichen Forschungsstand zum Thema zum ersten Mal überhaupt sachlich und seriös zusammen. Das ist angesichts der Moden in der Wissenschaftssprache gar nicht so einfach: An Celan lässt sich paradigmatisch verfolgen, wie sich der Diskurs von den Siebzigerjahren (kritisch-adornitisch-gesellschaftstheoretisch) über die Achtziger (Lacancan und Derridada, das postmoderne Murmelspiel) bis in die Neunziger und die unmittelbare Jetztzeit (Medien, Klang und Sprachspiel) entwickelte.
Germanisten, die ganz selbstverständlich und materialistisch über die proletarische Literatur in der DDR arbeiteten, konnten nur wenige Jahre später eindringlich über das Drama des Signifikanten bei Celan sprechen: Celan markierte die Fallhöhe bei Anhörungen, Berufungen und Ideenproduktion des strebsamen Wissenschaftlers. Im "Handbuch" ist davon jetzt fast nur noch in historischen Abrissen etwas spürbar.
Es informiert über die aktuelle Materiallage - fast alles aus dem Nachlass ist mittlerweile frei verfügbar - und es liefert ungemein hilfreiche Zusammenfassungen über die Analysen der Texte Celans selbst, über seine Übersetzungen, über seine Briefwechsel und seine Stellung im literarischen Leben, zuvörderst natürlich über die "Goll-Äffäre", in der ihm perfide und haltlose Plagiatsvorwürfe gemacht wurden. Sämtliche Facetten seines Schaffens werden in knappen Essays behandelt, ohne dass ein überkandidelter aktueller Wissenschaftssound sich unangenehm in den Vordergrund drängen würde.
Natürlich merkt man hie und da die Zwänge, die der akademische Betrieb mit sich bringt. Einige Beiträger des Handbuchs - es sind die meisten der tonangebenden Celan-Philologen beteiligt - verweisen in den weiterführenden Literaturangaben vor allem auf ihre eigenen Werke, was nicht immer ganz den objektiven Tatbeständen entspricht.
Und mitunter gibt es auch erstaunlich falsche Einschätzungen. Wolfgang Emmerich, der die rororo-monographie zu Celan verfasst hat, gibt eine ausführliche Einlassung des Lyrikers Durs Grünbein über die Alternative Gottfried Benn-Ossip Mandelstam so wieder, dass Grünbein der "Benn-Linie" den "Vorzug" gebe. Wenn er den Text nur einigermaßen aufmerksam gelesen hätte, wäre ihm klar gewesen, dass Grünbein sich eindeutig an die Seite von Mandelstam stellt (mithin an die von Celan, der Mandelstam als seinen "Bruder" bezeichnete).
Emmerich ist da wohl auf die massive feuilletonistische Rezeption von Grünbein als "Bennschen Hirnhund" hereingefallen. Aber ansonsten halten sich die modischen Aussetzer in diesem Handbuch im Rahmen. Es ist ein geradezu notwendiger Führer durch die inflationäre Celan-Forschung, die durch die aktuelle Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Celan und Ingeborg Bachmann wohl noch einen zusätzlichen Schub erfahren wird. Liest man die Abrisse in diesem Handbuch, ist man gegen viele naheliegende Missverständnisse einigermaßen gefeit.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Markus May, Peter Goßens und Jürgen Lehmann (Hrsg.): Celan-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung
Verlag J.B. Metzler, Stuttgart und Weimar
399 Seiten, 48 Euro
Er scheint die Sprache selbst zu thematisieren und linguistische wie philosophische Fachinteressen zu befeuern. Am folgenreichsten war aber vor allem: sein Schicksal als Überlebender des Massenmords an den europäischen Juden und seine "Todesfuge" prädestinierten ihn als Lesebuchautor, als exemplarischen Fall.
Das "Celan-Handbuch" des Metzler-Verlag ist jetzt in mehrerer Hinsicht wohltuend. Es fasst den schier unübersichtlichen Forschungsstand zum Thema zum ersten Mal überhaupt sachlich und seriös zusammen. Das ist angesichts der Moden in der Wissenschaftssprache gar nicht so einfach: An Celan lässt sich paradigmatisch verfolgen, wie sich der Diskurs von den Siebzigerjahren (kritisch-adornitisch-gesellschaftstheoretisch) über die Achtziger (Lacancan und Derridada, das postmoderne Murmelspiel) bis in die Neunziger und die unmittelbare Jetztzeit (Medien, Klang und Sprachspiel) entwickelte.
Germanisten, die ganz selbstverständlich und materialistisch über die proletarische Literatur in der DDR arbeiteten, konnten nur wenige Jahre später eindringlich über das Drama des Signifikanten bei Celan sprechen: Celan markierte die Fallhöhe bei Anhörungen, Berufungen und Ideenproduktion des strebsamen Wissenschaftlers. Im "Handbuch" ist davon jetzt fast nur noch in historischen Abrissen etwas spürbar.
Es informiert über die aktuelle Materiallage - fast alles aus dem Nachlass ist mittlerweile frei verfügbar - und es liefert ungemein hilfreiche Zusammenfassungen über die Analysen der Texte Celans selbst, über seine Übersetzungen, über seine Briefwechsel und seine Stellung im literarischen Leben, zuvörderst natürlich über die "Goll-Äffäre", in der ihm perfide und haltlose Plagiatsvorwürfe gemacht wurden. Sämtliche Facetten seines Schaffens werden in knappen Essays behandelt, ohne dass ein überkandidelter aktueller Wissenschaftssound sich unangenehm in den Vordergrund drängen würde.
Natürlich merkt man hie und da die Zwänge, die der akademische Betrieb mit sich bringt. Einige Beiträger des Handbuchs - es sind die meisten der tonangebenden Celan-Philologen beteiligt - verweisen in den weiterführenden Literaturangaben vor allem auf ihre eigenen Werke, was nicht immer ganz den objektiven Tatbeständen entspricht.
Und mitunter gibt es auch erstaunlich falsche Einschätzungen. Wolfgang Emmerich, der die rororo-monographie zu Celan verfasst hat, gibt eine ausführliche Einlassung des Lyrikers Durs Grünbein über die Alternative Gottfried Benn-Ossip Mandelstam so wieder, dass Grünbein der "Benn-Linie" den "Vorzug" gebe. Wenn er den Text nur einigermaßen aufmerksam gelesen hätte, wäre ihm klar gewesen, dass Grünbein sich eindeutig an die Seite von Mandelstam stellt (mithin an die von Celan, der Mandelstam als seinen "Bruder" bezeichnete).
Emmerich ist da wohl auf die massive feuilletonistische Rezeption von Grünbein als "Bennschen Hirnhund" hereingefallen. Aber ansonsten halten sich die modischen Aussetzer in diesem Handbuch im Rahmen. Es ist ein geradezu notwendiger Führer durch die inflationäre Celan-Forschung, die durch die aktuelle Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Celan und Ingeborg Bachmann wohl noch einen zusätzlichen Schub erfahren wird. Liest man die Abrisse in diesem Handbuch, ist man gegen viele naheliegende Missverständnisse einigermaßen gefeit.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Markus May, Peter Goßens und Jürgen Lehmann (Hrsg.): Celan-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung
Verlag J.B. Metzler, Stuttgart und Weimar
399 Seiten, 48 Euro