Ein "exzentrisches Genie"
Aby Warburg stammte aus einer wohlhabenden Hamburger Bankiersfamilie. Doch anstatt die im Familienbesitz befindliche Bank zu übernehmen, entschied er sich für die Kunst- und Kulturwissenschaft. Karen Michels zeichnet das spannungsreiche Leben Warburgs nach und beschreibt auf dieser Grundlage das Werden seiner einzigartigen Forschungsbibliothek.
"Ich bin eigentlich ein Narr”, schreibt der 1866 als Sohn jüdischer Eltern geborene Kunst- und Kulturhistoriker Aby Warburg, "dass ich nicht mehr darauf bestehe, dass der Kapitalismus auch Denkarbeit auf breitester, nur ihm möglicher Basis, leisten kann." Aby Warburg ist in dieser Bemerkung besonders selbstkritisch und kritisch gegenüber der Gesellschaft, weil gerade er in seinen kunstwissenschaftlichen Studien, die sich mit der florentinischen Renaissancekunst beschäftigen, Urkunden, Rechnungen und Briefe auswertet, um herauszufinden, warum und nach welchen Vorgaben Kunstwerke in Auftrag gegeben und finanziert wurden. Warburg, eine Instanz innerhalb der Kunst- und Kulturwissenschaft, ist durch seine unkonventionellen Forschungswege bekannt geworden.
Wer sich mit den Ideen des ältesten Sohnes einer jüdischen Bankiersfamilie vertraut machen will, der ist mit der als Einführung in sein Werk zu verstehenden Studie von Karen Michels gut beraten. In 13 Kapiteln zeichnet die Autorin auf der Grundlage von Warburgs Biographie die Physiognomie eines Intellektuellen nach, der früh Erfahrungen mit dem Antisemitismus machte. Wer allerdings Ernst H. Gombrichs 1970 zunächst auf Englisch erschienene sehr viel umfangreichere und detailliertere Biographie "Aby Warburg. Eine intellektuelle Biografie" kennt, und die profunden Deutungen von Warburgs Werk in guter Erinnerung hat, der wird bei Michels nichts grundsätzlich Neues finden.
Warburg, der sich konsequent für die Grenzerweiterung der Kunstwissenschaften eingesetzt hat, greift in seiner Dissertation (1892) zur Deutung von Botticellis Bild "Die Geburt der Venus" (1486) auf Texte der antiken und der Renaissance-Literatur zurück. Insbesondere durch das Studium von Polizians Texten erhält er Hinweise, was es mit dem "bewegten Beiwerk" – den flatternden Haaren und bewegten Gewändern – auf sich hat, das sich auf Botticellis Bild findet. Warburg konnte durch die Deutung des "bewegten Beiwerks" nachweisen, dass in der Malerei des Quattrocento antike Traditionen weiterleben.
Der Aufnahme antiker Tradition in der Kunst galt Warburgs zentrale wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Um diesen Nachweis erbringen zu können, baute er seine legendär gewordene Bibliothek auf. Als 13-Jähriger soll er seinem ein Jahr jüngeren Bruder das Erbe der im Familiebesitz befindlichen Bank für das Versprechen übertragen haben, dass künftig jedes von ihm gewünschte Buch angeschafft wird. Max Warburg sprach später vom "teuersten Blankoscheck", den er je ausgestellt hat. Diese Vereinbarung versetzte Aby Warburg in die Lage, seine "Trüffelschweindienste" zu leisten, wie er das Ausgraben von wissenschaftlich unbeachteten Details verstand. Bis zu seinem Tod 1929 wurden seine Buchwünsche, ohne dass es Widerspruch gab, angeschafft. Die Familie verstand die Geldzuwendungen für den Bibliotheksaufbau als geistigen Beitrag zur kulturellen Bildung der Gesellschaft. "Andere reiche Familien haben einen Rennstall", argumentierte Warburg, "ihr habt meine Bibliothek – und das ist mehr; denn wer materielle Güter häuft, darf und muß auch etwas für die Entwicklung des Geistes tun." Warburg schuf durch den Verzicht auf sein Erbe Voraussetzungen für "Denkarbeit", und sein Bruder, der durch den Verzicht begünstigt wurde, fragte nicht nach dem finanziellen Gewinn der geistigen Arbeit, die er mit den Geldzuwendungen unterstützte. Die "Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg" (K B W), die 1933 einen Bestand von 60.000 Exemplaren aufwies, kam nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten nach London.
Die von Karen Michels vorgelegte Biographie macht mit den wichtigsten Daten eines Intellektuellen vertraut. Knapp werden die Studien und wissenschaftlichen Begriffe beschrieben, durch die sich Warburg einen Namen gemacht hat. Wer dieses "exzentrische Genie" kennen lernen will, dem ist diese verständlich geschriebene biographische Skizze zu empfehlen, die einen ersten Einblick in sein Denken vermittelt. Dadurch könnte sie zum Ausgangspunkt für eine weitergehende Beschäftigung mit einem faszinierenden Denker werden, dessen Schriften seit 1998 im Akademie Verlag in einer Werkausgabe erscheinen.
Rezensiert von Michael Opitz
Karen Michels: Aby Warburg. Im Bannkreis der Ideen
Herausgegeben von Christian Olearius
Verlag C.H.Beck. München 2007
127 Seiten, 19,90 Euro
Wer sich mit den Ideen des ältesten Sohnes einer jüdischen Bankiersfamilie vertraut machen will, der ist mit der als Einführung in sein Werk zu verstehenden Studie von Karen Michels gut beraten. In 13 Kapiteln zeichnet die Autorin auf der Grundlage von Warburgs Biographie die Physiognomie eines Intellektuellen nach, der früh Erfahrungen mit dem Antisemitismus machte. Wer allerdings Ernst H. Gombrichs 1970 zunächst auf Englisch erschienene sehr viel umfangreichere und detailliertere Biographie "Aby Warburg. Eine intellektuelle Biografie" kennt, und die profunden Deutungen von Warburgs Werk in guter Erinnerung hat, der wird bei Michels nichts grundsätzlich Neues finden.
Warburg, der sich konsequent für die Grenzerweiterung der Kunstwissenschaften eingesetzt hat, greift in seiner Dissertation (1892) zur Deutung von Botticellis Bild "Die Geburt der Venus" (1486) auf Texte der antiken und der Renaissance-Literatur zurück. Insbesondere durch das Studium von Polizians Texten erhält er Hinweise, was es mit dem "bewegten Beiwerk" – den flatternden Haaren und bewegten Gewändern – auf sich hat, das sich auf Botticellis Bild findet. Warburg konnte durch die Deutung des "bewegten Beiwerks" nachweisen, dass in der Malerei des Quattrocento antike Traditionen weiterleben.
Der Aufnahme antiker Tradition in der Kunst galt Warburgs zentrale wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Um diesen Nachweis erbringen zu können, baute er seine legendär gewordene Bibliothek auf. Als 13-Jähriger soll er seinem ein Jahr jüngeren Bruder das Erbe der im Familiebesitz befindlichen Bank für das Versprechen übertragen haben, dass künftig jedes von ihm gewünschte Buch angeschafft wird. Max Warburg sprach später vom "teuersten Blankoscheck", den er je ausgestellt hat. Diese Vereinbarung versetzte Aby Warburg in die Lage, seine "Trüffelschweindienste" zu leisten, wie er das Ausgraben von wissenschaftlich unbeachteten Details verstand. Bis zu seinem Tod 1929 wurden seine Buchwünsche, ohne dass es Widerspruch gab, angeschafft. Die Familie verstand die Geldzuwendungen für den Bibliotheksaufbau als geistigen Beitrag zur kulturellen Bildung der Gesellschaft. "Andere reiche Familien haben einen Rennstall", argumentierte Warburg, "ihr habt meine Bibliothek – und das ist mehr; denn wer materielle Güter häuft, darf und muß auch etwas für die Entwicklung des Geistes tun." Warburg schuf durch den Verzicht auf sein Erbe Voraussetzungen für "Denkarbeit", und sein Bruder, der durch den Verzicht begünstigt wurde, fragte nicht nach dem finanziellen Gewinn der geistigen Arbeit, die er mit den Geldzuwendungen unterstützte. Die "Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg" (K B W), die 1933 einen Bestand von 60.000 Exemplaren aufwies, kam nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten nach London.
Die von Karen Michels vorgelegte Biographie macht mit den wichtigsten Daten eines Intellektuellen vertraut. Knapp werden die Studien und wissenschaftlichen Begriffe beschrieben, durch die sich Warburg einen Namen gemacht hat. Wer dieses "exzentrische Genie" kennen lernen will, dem ist diese verständlich geschriebene biographische Skizze zu empfehlen, die einen ersten Einblick in sein Denken vermittelt. Dadurch könnte sie zum Ausgangspunkt für eine weitergehende Beschäftigung mit einem faszinierenden Denker werden, dessen Schriften seit 1998 im Akademie Verlag in einer Werkausgabe erscheinen.
Rezensiert von Michael Opitz
Karen Michels: Aby Warburg. Im Bannkreis der Ideen
Herausgegeben von Christian Olearius
Verlag C.H.Beck. München 2007
127 Seiten, 19,90 Euro