Ein Familienkonzert
In seinem 900-Seiten-Roman "Harmonia Caelestis" spürt Peter Esterházy der Geschichte seiner adeligen Familie nach. Kritik und Publikum waren begeistert, als der Roman vor acht Jahren auf Deutsch erschien. Jetzt hat der wie Esterházy aus Ungarn stammende David Marton das hochironische Textspiel zur Grundlage für ein Musiktheater im Kasino des Wiener Burgtheaters gemacht.
Kaum ein Absatz, der im umfangreichen Buch Peter Esterházys über die Geschichte seiner berühmten adeligen Familie nicht mit "mein Vater" beginnt: "Mein Vater sagte einmal ...", "Meine Mutter, nein mein Vater ...", "mein Vater fuhr ..." Das Buch ist eine kunstvolle Addition von Familienanekdoten in immer wieder neuen stilistischen Anläufen voller Ironie und Witz, bei denen sich die Familienangehörigen manchmal auch mit ihren Ahnen, mit den Dienstherrn Joseph Haydns etwa, vermischen oder - spielerisch - die Kostüme fremder Personen, Lady Dis oder Bela Bartoks zum Beispiel, anzulegen suchen.
"Nummerierte Sätze aus dem Leben der Familie Esterházy" heißt der Untertitel. 201 Sätze auf 922 Seiten sind es geworden; und auch wenn suggeriert wird, mit dieser Sammlung von Anekdoten und Reflexionen exemplarisch die Geschichte einer Familie im 20. Jahrhundert vorzuführen, eine Bebilderung einer Biografie mit dramatischen Konflikten bietet "Harmonia Caelestis" nicht. Das Buch ist nach musikalischen Formprinzipien wie Wiederholung und Variation strukturiert.
David Morton nennt seine Bühnenfassung auch "Musiktheater" - und nur als Musikstück, als Familienkonzert überzeugt der Theaterabend. Esterházys "Harmonia Caelestis" ist nämlich keine Aufarbeitung oder Abrechnung mit einem Vater, wie man es sonst, insbesondere von der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts gewohnt ist, sondern im Gegensatz dazu - und das macht durchaus auch seine posthistorische Modernität aus - eine Art Verklärung eines sicherlich schrulligen, doch äußerst lebenslustigen Vaters im Kreise der Seinen, heimliche Bewunderung eines Vaters. Geschichte, Massenunruhen und Sozialismus, werden aus der Familienperspektive nur wie Rauschen, wie theatralisches Volksgemurmel, wie "Rhabarbar-Rharbarbar"-Sagen wahrgenommen.
Im marmorgetäfelten Casino am Schwarzenbergplatz hat Alissa Kolbusch ein opulentes Breitwandbühnenbild aufgebaut: ein großer Trödelladen mit vielen Stilsofas, verschiedenen Tasteninstrumenten, riesigen vollen Bücherregalen, aber auch Kartons aus denen beispielsweise ein altes Grammofon herausgeholt werden kann und vielem nostalgisch sozialistischem Plunder, dazu ein Vierstockbett und vier gläserne Boxen, in denen sich Waschkeller, Büro und eine Art Arbeitsstudio befinden.
Die musizierende Familie, die über den Charakter des Vaters in verschiedenen Variationen philosophiert, sich streitet und verträgt und dabei einen Querschnitt von Barockmusik bis zur modernen Trompetenimprovisation bietet, besteht aus einer Sängerin (die serbische Rocksängerin Yelena Kulic), einem Knabensopran (Johann Ebert), einem Trompeter (Paul Brody) und einem an den vielen Tasteninstrumenten beschäftigten Spieler (Jan Czakowskij) und der Kernfamilie: Barbara Stucky, Philip Hauss und in der Vaterrolle Peter Matic. Sie alle sind mit Inbrunst bei der Sache, bewundernswert jugendlich agil auch der altverdiente Burgschauspieler Matic. Der Gesang ist oft von Christoph Marthalerscher ernsthafter Zartheit, doch als Theatermusiker zeigt David Marton sogar bisweilen noch mehr als Marthaler: Einbeziehen von Alltagsgeräuschen, frappierende Instrumentierung, gekonnte unmerkliche Übergänge etwa von Mozarts Cherubino-Arie zum modernen Song, von einem Verdi-Ensemble in die Krachgeräusche eines Grammofons etc.
Das Publikum im Burgtheater, darunter auch Peter Esterházy selbst (auf der Bühne wurde er vor allem von Philipp Hauss gespielt), schien überaus angetan. Vergleicht man "Harmonia Caelestis" allerdings mit David Martons aufsehenerregenden klugen Bearbeitungen von Alban Bergs "Lulu" beziehungsweise "Wozzeck", dann erscheint im Gegensatz zu diesen radikalen reduzierten Umwandlungen das Esterházysche Familienkonzert nur wie ein gefälliges opulentes Konzertpotpourri, und ziemlich beliebig addiert.
Nicht ausgeklammert wird freilich - allerdings erst ganz am Ende des Zweistundenabends -, dass die historische Wirklichkeit Peter Esterházy einholte. Als er nach Fertigstellung des Romans Einsicht in die Akten Staatssicherheit nehmen wollte, weil er wissen wollte, wie sein Vater bespitzelt wurde, musste er feststellen, dass der Vater auf der anderen Seite, als Spion und Handlager der kommunistischen Regierung gearbeitet hatte. Dem Sohn war diese Seite des Vaters immer verborgen geblieben. Eine Dissonanz der "himmlischen Harmonie", die auf unheimliche Weise mit dem zunächst nur spielerisch gemeinten ersten Satz aus Esterházys Buch Ernst macht. "Es ist elend schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt"
"Nummerierte Sätze aus dem Leben der Familie Esterházy" heißt der Untertitel. 201 Sätze auf 922 Seiten sind es geworden; und auch wenn suggeriert wird, mit dieser Sammlung von Anekdoten und Reflexionen exemplarisch die Geschichte einer Familie im 20. Jahrhundert vorzuführen, eine Bebilderung einer Biografie mit dramatischen Konflikten bietet "Harmonia Caelestis" nicht. Das Buch ist nach musikalischen Formprinzipien wie Wiederholung und Variation strukturiert.
David Morton nennt seine Bühnenfassung auch "Musiktheater" - und nur als Musikstück, als Familienkonzert überzeugt der Theaterabend. Esterházys "Harmonia Caelestis" ist nämlich keine Aufarbeitung oder Abrechnung mit einem Vater, wie man es sonst, insbesondere von der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts gewohnt ist, sondern im Gegensatz dazu - und das macht durchaus auch seine posthistorische Modernität aus - eine Art Verklärung eines sicherlich schrulligen, doch äußerst lebenslustigen Vaters im Kreise der Seinen, heimliche Bewunderung eines Vaters. Geschichte, Massenunruhen und Sozialismus, werden aus der Familienperspektive nur wie Rauschen, wie theatralisches Volksgemurmel, wie "Rhabarbar-Rharbarbar"-Sagen wahrgenommen.
Im marmorgetäfelten Casino am Schwarzenbergplatz hat Alissa Kolbusch ein opulentes Breitwandbühnenbild aufgebaut: ein großer Trödelladen mit vielen Stilsofas, verschiedenen Tasteninstrumenten, riesigen vollen Bücherregalen, aber auch Kartons aus denen beispielsweise ein altes Grammofon herausgeholt werden kann und vielem nostalgisch sozialistischem Plunder, dazu ein Vierstockbett und vier gläserne Boxen, in denen sich Waschkeller, Büro und eine Art Arbeitsstudio befinden.
Die musizierende Familie, die über den Charakter des Vaters in verschiedenen Variationen philosophiert, sich streitet und verträgt und dabei einen Querschnitt von Barockmusik bis zur modernen Trompetenimprovisation bietet, besteht aus einer Sängerin (die serbische Rocksängerin Yelena Kulic), einem Knabensopran (Johann Ebert), einem Trompeter (Paul Brody) und einem an den vielen Tasteninstrumenten beschäftigten Spieler (Jan Czakowskij) und der Kernfamilie: Barbara Stucky, Philip Hauss und in der Vaterrolle Peter Matic. Sie alle sind mit Inbrunst bei der Sache, bewundernswert jugendlich agil auch der altverdiente Burgschauspieler Matic. Der Gesang ist oft von Christoph Marthalerscher ernsthafter Zartheit, doch als Theatermusiker zeigt David Marton sogar bisweilen noch mehr als Marthaler: Einbeziehen von Alltagsgeräuschen, frappierende Instrumentierung, gekonnte unmerkliche Übergänge etwa von Mozarts Cherubino-Arie zum modernen Song, von einem Verdi-Ensemble in die Krachgeräusche eines Grammofons etc.
Das Publikum im Burgtheater, darunter auch Peter Esterházy selbst (auf der Bühne wurde er vor allem von Philipp Hauss gespielt), schien überaus angetan. Vergleicht man "Harmonia Caelestis" allerdings mit David Martons aufsehenerregenden klugen Bearbeitungen von Alban Bergs "Lulu" beziehungsweise "Wozzeck", dann erscheint im Gegensatz zu diesen radikalen reduzierten Umwandlungen das Esterházysche Familienkonzert nur wie ein gefälliges opulentes Konzertpotpourri, und ziemlich beliebig addiert.
Nicht ausgeklammert wird freilich - allerdings erst ganz am Ende des Zweistundenabends -, dass die historische Wirklichkeit Peter Esterházy einholte. Als er nach Fertigstellung des Romans Einsicht in die Akten Staatssicherheit nehmen wollte, weil er wissen wollte, wie sein Vater bespitzelt wurde, musste er feststellen, dass der Vater auf der anderen Seite, als Spion und Handlager der kommunistischen Regierung gearbeitet hatte. Dem Sohn war diese Seite des Vaters immer verborgen geblieben. Eine Dissonanz der "himmlischen Harmonie", die auf unheimliche Weise mit dem zunächst nur spielerisch gemeinten ersten Satz aus Esterházys Buch Ernst macht. "Es ist elend schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt"