"Ein fast ängstlicher wirkender Mensch"
Christian Stückl leitet die Passionsspiele in Oberammergau und hat Joseph Ratzinger in seiner Zeit als Kardinal mehrmals getroffen. Er beschreibt ihn als zurückhaltend, ruhig und menschenscheu. Als Papst sei er zuletzt in vielen Bereichen überfordert gewesen.
Frank Meyer: Der Theaterregisseur Christian Stückl hat mit Kardinal Josef Ratzinger beim Mittagessen zusammengesessen und vor Kurzem hat er einen der möglichen Nachfolger des Papstes besucht, den New Yorker Kardinal Timothy Dolan. Christian Stückl hat überhaupt eine sehr enge Verbindung zu allem Katholischen, seit mehr als 25 Jahren leitet er die Passionsspiele in Oberammergau. Seit gut zehn Jahren ist er der Intendant des Münchner Volkstheaters. Seien Sie willkommen im Radiofeuilleton, Herr Stückl!
Christian Stückl: Grüß Gott!
Meyer: Wie ging Ihnen das denn gestern, als Sie die Nachricht vom Rücktritt des Papstes bekommen haben? Manche haben ja an einen Karnevalsscherz geglaubt.
Stückl: Ja, ich war sehr überrascht, ich war mitten in der Probe, und plötzlich hat einer der Schauspieler so nebenbei auf Spiegel.de mitgekriegt, dass der Papst zurückgetreten ist. Da war ich sehr überrascht, weil irgendwie kennt man so einen Vorgang gar nicht, man hat so was noch nie erlebt und man dachte gar nicht, dass es so was gibt, im ersten Augenblick glaubt man es gar nicht.
Meyer: Ja, der letzte Fall ist ja 700 Jahre her, das hat man nicht mehr so in Erinnerung.
Stückl: Wohl kaum …
Meyer: Herr Stückl, Sie haben ja den Papst, ich habe es schon angesprochen, aus der Nähe erlebt, da war er noch Kardinal, 1990 und 2000 hat er die Passionsspiele in Oberammergau besucht. Danach waren Sie mit ihm Mittag essen – wie haben Sie ihn damals erlebt?
Stückl: Ja, was – also, ich habe ihn etwa drei-, viermal getroffen, hab mich mit ihm unterhalten, und man hat eigentlich immer gemerkt, dass Kardinal Ratzinger ein extrem menschenscheuer Mensch war. Also, man hat fast am Tisch das Gefühl gehabt, wenn er nicht völlig umgeben ist von Menschen, die aus der Kirche kommen, dass er fast Berührungsängste hat. Und er saß ja meistens mit seinem Bruder, der das totale Gegenteil war, Georg Ratzinger, der offen war, der Witze gemacht hat am Tisch, und der war eigentlich ein sehr zurückhaltender, sehr ruhiger und fast ängstlicher wirkender Mensch.
Meyer: Sie haben ihn dann noch mal, oder haben mitbekommen, dass er eine Inszenierung von Ihnen, den "Jedermann" in Salzburg besucht hat. Kann man davon jetzt schließen, "Jedermann" und Passionsspiele, dass er ein besonders theaterbegeisterter Mann war als Kardinal?
Stückl: Ja, sagen wir mal so, er hatte ja sehr früh, schon in den 80er-Jahren, wo ich noch als Kind mit dabei war, großes Interesse, da war er ja in München Kardinal. Er war einfach durch sein Amt als Kardinal schon mit den Passionsspielen beschäftigt. Er hat damals auch das erste Mal mit Professor Pesch einen theologischen Beirat, also einen theologischen Aufpasser eigentlich nach Oberammergau geschickt, der das Passionsspiel begutachten sollte, dass das von kirchlicher Seite alles in Ordnung ist. Er hat dann ziemlich großes Interesse am Passionsspiel entwickelt. Er war ‘80, ‘84, ‘90, 2000 eigentlich immer dagewesen, hat es immer angeschaut, hat immer auch den Kontakt danach gesucht und hat also versucht, mit denen, die damit beschäftigt waren, auch ins Gespräch zu kommen. Und dass er in Salzburg den "Jedermann" angeschaut hat, das war ein richtiger Zufall. Wir sind zufällig auf ihn getroffen damals, und er hat gesagt, den würde er gern nach Rom einladen. Dazu ist es leider nicht gekommen, aber man hat schon das Gefühl gehabt, er hat am Theater Interesse, aber natürlich auch in einem bestimmten Umfeld und in einem bestimmten Bereich, also nämlich da, wo es sich mit christlichen Themen beschäftigt.
Meyer: Und wenn Sie sagen, er hat da eine Art Aufpasser nach Oberammergau geschickt, wie hat der denn eingegriffen?
Stückl: Ja, es gab seit den 50er-Jahren eine große Auseinandersetzung um das Passionsspiel, dass das Passionsspiel antijüdische Züge hat, und diese sind – in den 70er-Jahren hat der damalige Kardinal Döpfner aus München Oberammergau sehr stark kritisiert und hat gesagt, ihr geht nicht mit dem Zweiten Vatikanum, nicht mit den Erkenntnissen des Zweiten Vatikanums um und hat uns damals eigentlich den kirchlichen Segen entzogen. Und die Oberammergauer wollten diesen kirchlichen Segen wieder zurückhaben, und Kardinal Ratzinger hat dann gesagt, dann müsst ihr aber auch einen Theologen zulassen, der den Text bearbeitet, der am Text mitschreibt.
Und beim ersten Mal war das sehr, sehr schwierig. Also wie ich das erste Mal – ich bin mit 25 Jahren zum Passionsspielleiter gewählt worden und ich habe die Auseinandersetzung sehr schwierig gefunden, weil natürlich da schon ein Theologe am Werk war, der gesagt hat, wir müssen uns auch schützen vor zu vielen Eingriffen von jüdischer Seite. Später dann, unter dem theologischen Berater Ludwig Mödl habe ich da richtiges Glück gehabt, und der hat wirklich also sehr konstruktiv mitgearbeitet. Also Kardinal Ratzinger und Kardinal Ritter haben eigentlich immer in die Hände der Theologen gelegt und haben sich selber aber ganz wenig ins Spiel eingemischt.
Meyer: Sie haben vorhin Ihre Begegnung mit Kardinal Ratzinger so beschrieben, dass er Ihnen besonders menschenscheu vorkam. Dann muss Sie eigentlich die Wahl dieses menschenscheuen Mannes zum Papst doch ziemlich überrascht haben, denn da gehört ja der Kontakt des Menschen doch zum Berufsbild.
Stückl: Also ich war total überrascht, ich weiß den Tag noch: Wir hatten hier im Volkstheater unsere Festivaleröffnung von "Radikal jung" und ich bin dann ins Treppenhaus gegangen und hab "habemus papam" gesagt. Und nachdem ich den Namen gesagt habe, war absolute Stille im Raum, es war, glaube ich, eine große Überraschung für alle, dass Ratzinger gewählt worden ist. Was mich aber noch viel mehr überrascht hat, war damals der Umstand, wie die Presse reagiert hat. Also plötzlich haben alle geglaubt, der Ratzinger wird sich verändern, Ratzinger wird ein ganz neuer Mensch – also, man hat irgendwie in der Presse und von allen Journalisten geredet – die haben alle darüber geredet, dass er plötzlich auftaut, dass er plötzlich anders wird, dass er plötzlich weltoffener wird. Das hat man dann ja auch noch bis zum Weltjugendtag in Köln damals geglaubt, aber ich hab mir immer gedacht, nein, der Mann ist 75 oder 78 Jahre, der wird sich nicht mehr verändern. Das, was Kardinal Ratzinger ist, das wird er auch als Papst sein. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mensch, der 78 Jahre lang eigentlich nur im engsten Kreise der Kirche gearbeitet hat, der ja ganz wenig seelsorgerische Arbeit gemacht hat, dass der plötzlich ganz offen wird und dass er plötzlich irgendwie ein ganz anderer Mensch werden kann. Also das habe ich mir nicht vorstellen können und ich war da sehr überrascht, wie die Presse und die Journalisten damals reagiert haben.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Theatermacher und Experten für alles Katholische Christian Stückl, Leiter der Passionsspiele in Oberammergau und Intendant des Münchner Volkstheaters. Herr Stückl, zum angekündigten Rücktritt des Papstes gibt es ja jetzt viel Respekt, was diesen Schritt selbst angeht, aber es kommt auch wieder viel Kritik an seiner Rolle als Kirchenoberhaupt zutage. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner hat dazu gesagt, es habe ihn immer verletzt, wie abschätzig, ja hämisch in Deutschland über den Papst gesprochen wurde. Was halten Sie denn, eben auch als Katholik, von der Kritik an Papst Benedikt XVI.?
Stückl: Ich war letztes Frühjahr in Rom und habe dort einen Theologen getroffen, der am Heiligen Stuhl arbeitet, und der hat geschildert, was für eine schwierige Aufgabe das ist. Also, dass er eigentlich ein riesiges Schiff führen muss, über das er gar keinen richtigen Überblick haben kann. Also natürlich haben wir uns alle, und ich bin jetzt Jahrgang ‘61, also ich bin letztlich doch ein bisschen geprägt vom Zweiten Vatikanum, vom Aufbruch, der da passiert ist, und man war dann natürlich eigentlich schon in den letzten Jahren von Johannes Paul II. manchmal so in dem Gefühl, was passiert denn in der Kirche, wie bringt der Papst die Kirche nach vorne.
Und natürlich hat man in jedem Papst auch die Hoffnung, dass er die Kirche nach vorne bringt, und da muss man sagen, da war er, in vielen Bereichen war er einfach wahrscheinlich zu zaghaft oder vielleicht auch ist das ja der letzte Schritt, dass er jetzt sagt, er tritt zurück, weil nicht nur aus gesundheitlichen Gründen, sondern weil er sich von dieser Aufgabe in diesem Alter auch überfordert sieht. Und ich glaube, dass er in vielen Bereichen überfordert war. Er ist sicherlich ein Mensch, der theologisch sehr viel weiß, der in der Materie aufgehen kann, aber auf der anderen Seite doch ein Mensch, der an vielen Punkten, wo es schwierig wurde, also wenn es um den Kindesmissbrauch ging oder in der Frage mit der Piusbruderschaft ja dann manchmal sehr zaghaft und manchmal hat man das Gefühl gehabt, fast schlecht beraten war. Also ich habe das Gefühl, die Hoffnung, die da stand am Anfang, dass da ein Papst kommt, der uns nach vorne bringt, die hat er nicht erfüllt, und deswegen hat man natürlich auch in vielen Punkten Kritik geübt an ihm.
Meyer: Herr Stückl, einer der Nachfolgekandidaten, die derzeit gehandelt werden, das ist der New Yorker Kardinal Timothy Dolan, der hat auch schon die Passionsspiele in Oberammergau besucht, und Sie selbst waren vor drei, vier Monaten in New York und haben ihn dort gesprochen. Wäre Timothy Dolan denn ein Papst, wie Sie ihn sich wünschen würden?
Stückl: Ich muss sagen, ich hab Timothy Dolan in Oberammergau kennengelernt. Ich bin dann im letzten März nach New York geflogen und habe dort einen Rabbiner vom American Jewish Committee getroffen, und mit dem gemeinsam sind wir dann zu Kardinal Dolan in die Messe gegangen. Wir haben uns hinterher unterhalten, das war ein sehr umgänglicher Mensch, man hatte irgendwie so das Gefühl, der ist im Gegensatz zu Ratzinger ein sehr, ja, der weiß, wie man mit den Medien umgeht, wenn der in seiner Kirche steht, dann hat man das Gefühl, der erreicht die Leute, die da unten sitzen. Aber letztlich, von seiner ganzen innerkirchlichen Auseinandersetzung, wo es ihn hintreibt, kann ich den Kardinal Dolan eigentlich nicht wirklich bewerten.
Also ich glaube, alle Spekulationen sind da jetzt sowieso verfrüht, weil so ein Konklave bringt immer ganz große Überraschungen hervor. Ich hoffe einfach, dass ein Kirchenmann kommt, der kapiert, dass, ohne dem Zeitgeist nachzurennen, davor hat ja die Kirche immer die größte Angst, dass man dem Zeitgeist nachrennt – man muss ja nicht dem Zeitgeist nachrennen, aber man muss irgendwie die Botschaft ins Heute bringen, man muss irgendwie die Geschichten ins Heute bringen, man muss irgendwie wieder an die Leute herankommen. Gerade in Europa, wo immer weniger Leute in die Kirche gehen, muss die Kirche irgendwie einen Aufbruch hinbringen, und da erhoffe ich mir, dass da eine starke Persönlichkeit nach vorne kommt. Und wer das sein wird, weiß ich noch nicht.
Meyer: Dann reden wir vielleicht nach dem Konklave, Herr Stückl. Für heute danke ich Ihnen sehr. Das war Christian Stückl, der Leiter der Passionsspiele Oberammergau und Intendant des Münchner Volkstheaters. Ganz herzlichen Dank!
Stückl: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Christian Stückl: Grüß Gott!
Meyer: Wie ging Ihnen das denn gestern, als Sie die Nachricht vom Rücktritt des Papstes bekommen haben? Manche haben ja an einen Karnevalsscherz geglaubt.
Stückl: Ja, ich war sehr überrascht, ich war mitten in der Probe, und plötzlich hat einer der Schauspieler so nebenbei auf Spiegel.de mitgekriegt, dass der Papst zurückgetreten ist. Da war ich sehr überrascht, weil irgendwie kennt man so einen Vorgang gar nicht, man hat so was noch nie erlebt und man dachte gar nicht, dass es so was gibt, im ersten Augenblick glaubt man es gar nicht.
Meyer: Ja, der letzte Fall ist ja 700 Jahre her, das hat man nicht mehr so in Erinnerung.
Stückl: Wohl kaum …
Meyer: Herr Stückl, Sie haben ja den Papst, ich habe es schon angesprochen, aus der Nähe erlebt, da war er noch Kardinal, 1990 und 2000 hat er die Passionsspiele in Oberammergau besucht. Danach waren Sie mit ihm Mittag essen – wie haben Sie ihn damals erlebt?
Stückl: Ja, was – also, ich habe ihn etwa drei-, viermal getroffen, hab mich mit ihm unterhalten, und man hat eigentlich immer gemerkt, dass Kardinal Ratzinger ein extrem menschenscheuer Mensch war. Also, man hat fast am Tisch das Gefühl gehabt, wenn er nicht völlig umgeben ist von Menschen, die aus der Kirche kommen, dass er fast Berührungsängste hat. Und er saß ja meistens mit seinem Bruder, der das totale Gegenteil war, Georg Ratzinger, der offen war, der Witze gemacht hat am Tisch, und der war eigentlich ein sehr zurückhaltender, sehr ruhiger und fast ängstlicher wirkender Mensch.
Meyer: Sie haben ihn dann noch mal, oder haben mitbekommen, dass er eine Inszenierung von Ihnen, den "Jedermann" in Salzburg besucht hat. Kann man davon jetzt schließen, "Jedermann" und Passionsspiele, dass er ein besonders theaterbegeisterter Mann war als Kardinal?
Stückl: Ja, sagen wir mal so, er hatte ja sehr früh, schon in den 80er-Jahren, wo ich noch als Kind mit dabei war, großes Interesse, da war er ja in München Kardinal. Er war einfach durch sein Amt als Kardinal schon mit den Passionsspielen beschäftigt. Er hat damals auch das erste Mal mit Professor Pesch einen theologischen Beirat, also einen theologischen Aufpasser eigentlich nach Oberammergau geschickt, der das Passionsspiel begutachten sollte, dass das von kirchlicher Seite alles in Ordnung ist. Er hat dann ziemlich großes Interesse am Passionsspiel entwickelt. Er war ‘80, ‘84, ‘90, 2000 eigentlich immer dagewesen, hat es immer angeschaut, hat immer auch den Kontakt danach gesucht und hat also versucht, mit denen, die damit beschäftigt waren, auch ins Gespräch zu kommen. Und dass er in Salzburg den "Jedermann" angeschaut hat, das war ein richtiger Zufall. Wir sind zufällig auf ihn getroffen damals, und er hat gesagt, den würde er gern nach Rom einladen. Dazu ist es leider nicht gekommen, aber man hat schon das Gefühl gehabt, er hat am Theater Interesse, aber natürlich auch in einem bestimmten Umfeld und in einem bestimmten Bereich, also nämlich da, wo es sich mit christlichen Themen beschäftigt.
Meyer: Und wenn Sie sagen, er hat da eine Art Aufpasser nach Oberammergau geschickt, wie hat der denn eingegriffen?
Stückl: Ja, es gab seit den 50er-Jahren eine große Auseinandersetzung um das Passionsspiel, dass das Passionsspiel antijüdische Züge hat, und diese sind – in den 70er-Jahren hat der damalige Kardinal Döpfner aus München Oberammergau sehr stark kritisiert und hat gesagt, ihr geht nicht mit dem Zweiten Vatikanum, nicht mit den Erkenntnissen des Zweiten Vatikanums um und hat uns damals eigentlich den kirchlichen Segen entzogen. Und die Oberammergauer wollten diesen kirchlichen Segen wieder zurückhaben, und Kardinal Ratzinger hat dann gesagt, dann müsst ihr aber auch einen Theologen zulassen, der den Text bearbeitet, der am Text mitschreibt.
Und beim ersten Mal war das sehr, sehr schwierig. Also wie ich das erste Mal – ich bin mit 25 Jahren zum Passionsspielleiter gewählt worden und ich habe die Auseinandersetzung sehr schwierig gefunden, weil natürlich da schon ein Theologe am Werk war, der gesagt hat, wir müssen uns auch schützen vor zu vielen Eingriffen von jüdischer Seite. Später dann, unter dem theologischen Berater Ludwig Mödl habe ich da richtiges Glück gehabt, und der hat wirklich also sehr konstruktiv mitgearbeitet. Also Kardinal Ratzinger und Kardinal Ritter haben eigentlich immer in die Hände der Theologen gelegt und haben sich selber aber ganz wenig ins Spiel eingemischt.
Meyer: Sie haben vorhin Ihre Begegnung mit Kardinal Ratzinger so beschrieben, dass er Ihnen besonders menschenscheu vorkam. Dann muss Sie eigentlich die Wahl dieses menschenscheuen Mannes zum Papst doch ziemlich überrascht haben, denn da gehört ja der Kontakt des Menschen doch zum Berufsbild.
Stückl: Also ich war total überrascht, ich weiß den Tag noch: Wir hatten hier im Volkstheater unsere Festivaleröffnung von "Radikal jung" und ich bin dann ins Treppenhaus gegangen und hab "habemus papam" gesagt. Und nachdem ich den Namen gesagt habe, war absolute Stille im Raum, es war, glaube ich, eine große Überraschung für alle, dass Ratzinger gewählt worden ist. Was mich aber noch viel mehr überrascht hat, war damals der Umstand, wie die Presse reagiert hat. Also plötzlich haben alle geglaubt, der Ratzinger wird sich verändern, Ratzinger wird ein ganz neuer Mensch – also, man hat irgendwie in der Presse und von allen Journalisten geredet – die haben alle darüber geredet, dass er plötzlich auftaut, dass er plötzlich anders wird, dass er plötzlich weltoffener wird. Das hat man dann ja auch noch bis zum Weltjugendtag in Köln damals geglaubt, aber ich hab mir immer gedacht, nein, der Mann ist 75 oder 78 Jahre, der wird sich nicht mehr verändern. Das, was Kardinal Ratzinger ist, das wird er auch als Papst sein. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mensch, der 78 Jahre lang eigentlich nur im engsten Kreise der Kirche gearbeitet hat, der ja ganz wenig seelsorgerische Arbeit gemacht hat, dass der plötzlich ganz offen wird und dass er plötzlich irgendwie ein ganz anderer Mensch werden kann. Also das habe ich mir nicht vorstellen können und ich war da sehr überrascht, wie die Presse und die Journalisten damals reagiert haben.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Theatermacher und Experten für alles Katholische Christian Stückl, Leiter der Passionsspiele in Oberammergau und Intendant des Münchner Volkstheaters. Herr Stückl, zum angekündigten Rücktritt des Papstes gibt es ja jetzt viel Respekt, was diesen Schritt selbst angeht, aber es kommt auch wieder viel Kritik an seiner Rolle als Kirchenoberhaupt zutage. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner hat dazu gesagt, es habe ihn immer verletzt, wie abschätzig, ja hämisch in Deutschland über den Papst gesprochen wurde. Was halten Sie denn, eben auch als Katholik, von der Kritik an Papst Benedikt XVI.?
Stückl: Ich war letztes Frühjahr in Rom und habe dort einen Theologen getroffen, der am Heiligen Stuhl arbeitet, und der hat geschildert, was für eine schwierige Aufgabe das ist. Also, dass er eigentlich ein riesiges Schiff führen muss, über das er gar keinen richtigen Überblick haben kann. Also natürlich haben wir uns alle, und ich bin jetzt Jahrgang ‘61, also ich bin letztlich doch ein bisschen geprägt vom Zweiten Vatikanum, vom Aufbruch, der da passiert ist, und man war dann natürlich eigentlich schon in den letzten Jahren von Johannes Paul II. manchmal so in dem Gefühl, was passiert denn in der Kirche, wie bringt der Papst die Kirche nach vorne.
Und natürlich hat man in jedem Papst auch die Hoffnung, dass er die Kirche nach vorne bringt, und da muss man sagen, da war er, in vielen Bereichen war er einfach wahrscheinlich zu zaghaft oder vielleicht auch ist das ja der letzte Schritt, dass er jetzt sagt, er tritt zurück, weil nicht nur aus gesundheitlichen Gründen, sondern weil er sich von dieser Aufgabe in diesem Alter auch überfordert sieht. Und ich glaube, dass er in vielen Bereichen überfordert war. Er ist sicherlich ein Mensch, der theologisch sehr viel weiß, der in der Materie aufgehen kann, aber auf der anderen Seite doch ein Mensch, der an vielen Punkten, wo es schwierig wurde, also wenn es um den Kindesmissbrauch ging oder in der Frage mit der Piusbruderschaft ja dann manchmal sehr zaghaft und manchmal hat man das Gefühl gehabt, fast schlecht beraten war. Also ich habe das Gefühl, die Hoffnung, die da stand am Anfang, dass da ein Papst kommt, der uns nach vorne bringt, die hat er nicht erfüllt, und deswegen hat man natürlich auch in vielen Punkten Kritik geübt an ihm.
Meyer: Herr Stückl, einer der Nachfolgekandidaten, die derzeit gehandelt werden, das ist der New Yorker Kardinal Timothy Dolan, der hat auch schon die Passionsspiele in Oberammergau besucht, und Sie selbst waren vor drei, vier Monaten in New York und haben ihn dort gesprochen. Wäre Timothy Dolan denn ein Papst, wie Sie ihn sich wünschen würden?
Stückl: Ich muss sagen, ich hab Timothy Dolan in Oberammergau kennengelernt. Ich bin dann im letzten März nach New York geflogen und habe dort einen Rabbiner vom American Jewish Committee getroffen, und mit dem gemeinsam sind wir dann zu Kardinal Dolan in die Messe gegangen. Wir haben uns hinterher unterhalten, das war ein sehr umgänglicher Mensch, man hatte irgendwie so das Gefühl, der ist im Gegensatz zu Ratzinger ein sehr, ja, der weiß, wie man mit den Medien umgeht, wenn der in seiner Kirche steht, dann hat man das Gefühl, der erreicht die Leute, die da unten sitzen. Aber letztlich, von seiner ganzen innerkirchlichen Auseinandersetzung, wo es ihn hintreibt, kann ich den Kardinal Dolan eigentlich nicht wirklich bewerten.
Also ich glaube, alle Spekulationen sind da jetzt sowieso verfrüht, weil so ein Konklave bringt immer ganz große Überraschungen hervor. Ich hoffe einfach, dass ein Kirchenmann kommt, der kapiert, dass, ohne dem Zeitgeist nachzurennen, davor hat ja die Kirche immer die größte Angst, dass man dem Zeitgeist nachrennt – man muss ja nicht dem Zeitgeist nachrennen, aber man muss irgendwie die Botschaft ins Heute bringen, man muss irgendwie die Geschichten ins Heute bringen, man muss irgendwie wieder an die Leute herankommen. Gerade in Europa, wo immer weniger Leute in die Kirche gehen, muss die Kirche irgendwie einen Aufbruch hinbringen, und da erhoffe ich mir, dass da eine starke Persönlichkeit nach vorne kommt. Und wer das sein wird, weiß ich noch nicht.
Meyer: Dann reden wir vielleicht nach dem Konklave, Herr Stückl. Für heute danke ich Ihnen sehr. Das war Christian Stückl, der Leiter der Passionsspiele Oberammergau und Intendant des Münchner Volkstheaters. Ganz herzlichen Dank!
Stückl: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.