"Ein Festival für neue Bands"

Von Martin Risel · 08.09.2013
Bei der Berlin Music Week hat die (Musik-)Welt wieder auf die deutsche Hauptstadt geschaut. Künstlerischer Höhepunkt war – neben dem außergewöhnlichen Rahmenprogramm aus Street Art und Slam Poetry der Auftritt von Björk.
Julia Gudzent: "Das ist ein Festival für neue Bands, der normale Festivalbesucher kennt da wahrscheinlich sehr wenig. Es ist aber der heiße Scheiß von morgen."

Und davon gab’s tatsächlich jede Menge beim von Julia Gudzent gut kuratierten Showcase-Festival. Neben Chloe Howl aus London noch weitere Stars von morgen, Jahrgang 1993 und jünger. Um gute neue Künstler muss man sich also nicht sorgen.

Und um deren Sorgen, mit Musik auch irgendwann wieder Geld verdienen zu können, auch darum ging’s beim Kongressteil der Berlin Music Week. Einer der Referenten: Tim Renner, einst Chef der größten Plattenfirma, seit seinem Ausstieg so was wie Kronzeuge der Anklage gegen die alte Musikindustrie und Teil der neuen.

Tim Renner: "Zum einen ist es DIY, also Do it yourself - wirklich Künstler anzusprechen und ihnen Wege zu zeigen, wie das Musikgeschäft zukünftig funktionieren könnte. Und auf der anderen Seite sind es eigentlich gerade die kleinen Labels, die kleinen Strukturen, die der Verband VUT, also der unabhängigen Tonträgerhersteller betreut. Denn das Kleinteilige ist ja genau das, wo wir auch stark sind."

Wandel der Branche
Denn gerade in Berlin kann man den Wandel der Branche sehen: Große Plattenfirmen verlieren an Bedeutung; Startups, kleine Kreative werden zu global playern. Die Indies präsentieren sich als Marktmacht, näher dran am Künstler, und mit dem Verständnis, Musik als Kunstform zu sehen, nicht nur als Produkt zur Vermarktung.

Neu etabliert - als Alternative zum chartsdominierten Echo - werden die Indie Awards: Ein Preis für Großartigkeit, nicht für Verkaufszahlen. Und die wachsen wieder, aber nur durch digitale Angebote wie Streaming oder bezahlte downloads.

Womit wir bei der leidigen Diskussion zum Urheberrecht wären. Da gilt inzwischen das Motto: Weg mit den Gräben zwischen Netznutzern und Urhebern, Dialog statt Konfrontation.

Etwas im Schatten der Kritik gegen die Gema steht der zweite große Urheberrechts-Verwalter, die GVL. Deren Geschäftsführer ist Guido Evers:

"Das, was wir tun, ist nicht so viel anders als das, was die Gema auch tut. Wir sind auch auf unserem Feld ein Monopolist. Transparenz, also das ist 'ne Frage, wie definiere ich Transparenz.

Ich kann guten Gewissens sagen: Alles, was wir tun, ist sehr öffentlich. Ich glaube, das Problem ist eher ein kommunikatives und eines der der Komplexität. Was wir tun, ist kompliziert, das Urheberrecht selber ist kompliziert, unsere Verteilungspläne und alles …"

Digitalisierung ist Demokratisierung
Und vor allem hängen Gema und GVL – genau wie andere Player der alten Musikindustrie - der technischen Entwicklung hinterher. Und so bekommen die herkömmlichen Verwertungsgesellschaften Konkurrenz: Weltweit von eigenen Systemen der Indies, aber auch aus der Netzgemeinde. Maik Michalke arbeitet an dem Creative Commons-gestützten C3S:

"Die Schritte, um Verwertungsgesellschaft zu werden, sind, dass man erst mal 'ne Rechtsform braucht. Die Gema ist als wirtschaftlicher Verein organisiert.
Und wir haben uns entschieden, eine europäische Genossenschaft zu gründen - vor allem aus demokratischen Gründen. Und erst dann kann man den Antrag stellen."

Denn: Digitalisierung ist Demokratisierung. Das wird auf vielen Ebenen deutlich. Der Musiker, der Musiknutzer hat die Macht. Und wer beiden guten Service bietet, der kann als Musik-Firma auch wieder Geld machen. In Berlin tun das längst viele kleine Firmen. Die Stadt quillt über vor Künstlern, vor Kreativen an den Schnittstellen zu angrenzenden Bereichen.

"Stop!", ruft da einer mitten in diesen Hauptstadt-Hype hinein. Einer, der die Musik- und Club-Szene seit Jahrzehnten gestaltet: Dimitri Hegemann vom Tresor-Club fordert auf zum Know-how-Transfer in die Provinz.

Dimitri Hegemann: "Wir haben ja einen Überschuss an kreativen Kräften. Das ist das Potenzial der Stadt, dass wir eigentlich kleinen Städten erklären können, wie sie auch gegen den demografischen Wandel vorgehen können, gegen die Abwanderung. Indem sie die junge Intelligenz halten. Indem sie sagen: Hier ist das Angebot, macht was!"

Im brandenburgischen Schwedt versucht er den Dialog zwischen jungen Kreativen und piefiger Verwaltung. Und findet das spannender als eine Berlin Music Week, die sich inzwischen wieder sehr professionell und schick aufpoliert, als hätte man vom Dahinsiechen der Popkomm nicht gelernt. Tatsächlich: Es gibt wieder Firmen-Empfänge, sogar mit Champagner.

"Ich weiß auch gar nicht, wer das hier alles bezahlt"
Dimitri Hegemann: "Ich weiß auch gar nicht, wer das hier alles bezahlt, also ich bin überrascht. Ich kämpfe jeden Tag ums Überleben im Kraftwerk. Gut ist, dass man spricht miteinander, dass man Leute einlädt. Aber ich zweifle so’n bisschen dran, dass es was bringt letztendlich, also was Nachhaltiges."

Und Zweifel kommen auch auf beim Groß-Event der Berlin Music Week, dem Berlin Festival auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof. Künstlerischer Höhepunkt - neben dem außergewöhnlichen Rahmenprogramm aus Street Art und Slam Poetry: Der Auftritt von Björk. Trauriger Höhepunkt: die Pet Shop Boys.

Aber: Auch diese Kommerzialisierung des Festivals wird gespiegelt in der Demokratisierung durch Digitalisierung: Noch während des Konzertes sind auf der Twitter Wall Besucher-Kommentare zu lesen wie: "Verarsche" oder "die CD der Pet Shop Boys springt".

Und so steht die Berlin Music Week nicht nur in der Wahrnehmung von Tim Renner…

"… zwischen: Ich will in den Mainstream rein, und ich bin underground. Und in der Mitte, da ist niemand."