Bedroht, schutzlos, unerwünscht
Die meisten Afrikaner fliehen nicht über das Mittelmeer nach Europa. Sie suchen Schutz auf ihrem Kontinent - finden ihn aber nicht. Deutschlandradio-Autorin Leonie March eine Flüchtlingsfamilie in Südafrika begleitet, die fremdenfeindliche Übergriffe erlitten hat.
Ihre Hände zittern noch immer. Sichtlich nervös schließt Coco Bishogo Ruvinga die Tür zu ihrem kleinen Friseursalon auf.
"Ich erinnere mich noch an den Tag der Wiedereröffnung. Eine Kundin und meine Angestellten warteten hier vor der Tür auf mich. Als ich aufschloss sagte die Kundin: "Seht mal, sie zittert ja immer noch." Wir haben sie nur angeschaut. Dann sagte sie kein Wort mehr."
Die Kongolesin öffnet die Tür und geht ein paar Schritte in ihren winzigen Salon. Sie ist eine elegante Erscheinung, groß und schlank, mit ebenmäßiger dunkler Haut. Ihr Mann, Riphin Kasai Ruvinga, folgt ihr auf den Fersen. Trotz seiner kräftigen Statur wirkt er unsicher. Immer ein Auge auf den Bürgersteig und die belebte Straße. Von hier aus hat ein fremdenfeindlicher Mob Ende März ihren Laden gestürmt.
"Ich kann nicht behaupten, dass wir uns wohl fühlen. Wir sind zwar zurück, aber viele Leute in der Gegend wünschen sich noch immer, dass wir von hier verschwinden. Wir können uns also nicht sicher fühlen. Aber wir können uns auch nicht ewig verängstigt verstecken. Wir müssen versuchen unser Geschäft wieder ans Laufen zu bringen. Die Kunden kehren langsam zurück. Und wir hoffen einfach, dass alles gut geht."
Sie fühlten sich fast heimisch - dann wurden sie attackiert
Seit 13 Jahren leben die Ruvingas in Südafrika. Als ankerkannte Flüchtlinge aus dem Kongo. Sie haben sich hier kennengelernt, eine Familie gegründet und sich mit dem Friseursalon eine bescheidene Existenz aufgebaut. Fast fühlen sie sich heimisch. Doch dann, Ende März 2015, gehören sie zu den ersten, die angegriffen werden. Junge Südafrikaner machen regelrecht Jagd auf Einwanderer, plündern die Geschäfte, bedrohen die Flüchtlinge mit Waffen und Macheten. Coco und Riphin sind plötzlich unerwünschte Fremde.
Mitte April, knapp zwei Wochen nach dem Beginn des Pogroms, findet sich das Paar im Auffanglager für die Opfer fremdenfeindlicher Gewalt in Isipingo wieder, einem heruntergekommenen Viertel im Süden der Hafenstadt Durban. Eilig haben die Stadtverwaltung und Hilfsorganisationen Zeltlager wie dieses errichtet. Nicht nur in Durban sondern auch in Johannesburg. Auf den Straßen schwelt der Fremdenhass weiter. Noch immer werden Ausländer auf offener Straße angegriffen und sogar umgebracht. Zehntausende Menschen suchen in den Lagern Zuflucht.
Coco sitzt zwischen den Habseligkeiten, die sie in der Eile retten konnte. Ein paar Taschen, die sie am Rand des riesigen Zelts aufgestapelt hat. Dünne Matratzen liegen dicht an dicht auf dem Boden. Dutzende Frauen und Kinder leben hier auf engstem Raum zusammen. Einige sind vor Bürgerkriegen oder politischer Verfolgung geflohen: Aus dem Kongo, Burundi oder Somalia. Andere vor der Armut, aus Simbabwe, Malawi und Mosambik. Einige sind Flüchtlinge, andere Arbeitsmigranten, manche auch illegal im Land. Alle sind traumatisiert, entsetzt von der Gewalt, die sie erlebt haben. Die Augen in Cocos hübschem Gesicht sind leer, ihr dunkler Teint wirkt fahl.
"Ich habe in meinem kleinen Frisörsalon gearbeitet, als wir angegriffen wurden. Ich weiß nicht mehr, wie viele Männer es waren, aber sie waren bewaffnet. Einige kannte ich sogar. Sie schrien: 'Haut ab in Eure Heimat. Sonst bringen wir Euch um.' Dann haben sie unsere Läden geplündert. Die Leute auf der Straße haben einfach zugesehen. Keiner hat uns geholfen. Am Tag darauf kam der Mob auch zu unseren Wohnungen. Die Polizei musste uns rausholen. Alles was wir besitzen ist nun hier. Wir müssen wieder bei null anfangen."
Und das nicht zum ersten Mal. Als junge Frau ist Coco aus ihrer Heimat geflüchtet, dem Nordosten des Kongo. Sie erzählt von einer langen kraftraubenden Odyssee über Tansania, Malawi und Mosambik bis nach Südafrika. All diese Erinnerungen kommen jetzt wieder hoch.
"Zuerst war Mobutu an der Macht, dann gab es eine Revolution und er wurde gestürzt. Bei den Kämpfen wurde mein Vater getötet. Ich musste mit meinen Geschwistern um unser Leben rennen. Als wir hier ankamen, hatte ich keine Gelegenheit, zur Schule zu gehen. Als Älteste musste ich dafür sorgen, dass wir über die Runden kommen. Meine Schwester und mein kleiner Bruder gingen stattdessen zur Schule. Heute geht es ihnen gut. Meine Schwester studiert sogar in Deutschland. Ich habe hier eine Familie gegründet. Aber jetzt habe ich Angst, dass meine beiden Töchter dasselbe durchmachen müssen wie ich. Denn es ist ja ziemlich eindeutig, dass es für uns hier in Südafrika keine Zukunft gibt."
Das Vertrauen in Mandelas vermeintlich sichere Regenbogennation, ist mit einem Schlag zerbrochen. Coco hatte sich in der multikulturellen und vergleichsweise wohlhabenden Demokratie ein besseres Leben versprochen. Sie und ihr Mann gehören zu den rund 65.000 anerkannten Flüchtlingen in Südafrika. Die liberale Verfassung schützt Minderheiten, die in anderen Ländern des Kontinents verfolgt werden. Flüchtlinge dürfen sich frei im Land bewegen, arbeiten und haben Anspruch auf Sozialleistungen. Das klingt gut. Doch die Realität sieht anders aus. Coco nestelt an ihrer Tasche herum und holt einen abgewetzten bordeauxroten Ausweis heraus.
"Ich habe zwar offizielle Papiere, aber das hilft mir überhaupt nichts. Ich bin in der gleichen Situation wie alle anderen. Die Leute verstehen einfach nicht, was der Flüchtlingsstatus bedeutet. Normale Einwanderer können jederzeit zurück nach Hause. Wir können das nicht. In unserer Heimat wird immer noch gekämpft. Wir wären dort nicht sicher. Aber hier sind wir es auch nicht."
Sechs Wochen später, mittlerweile ist es Ende Mai. Coco und ihr Mann Riphin Ruvinga versuchen wieder an ihren normalen Alltag anzuknüpfen. Im Auto sind sie unterwegs zu ihrem Friseursalon. Öffentliche Verkehrsmittel sind ihnen zu unsicher. Denn in den Minibustaxis sind fremdenfeindliche Beleidigungen und Drohungen bis zu tätlichen Angriffen noch immer an der Tagesordnung.
"Fremdenfeindlichkeit reicht bis ins Parlament"
Von der Stadtautobahn nimmt der 41-Jährige die Ausfahrt nach Isipingo. Die Strecke führt an dem Sportplatz vorbei, auf dem vor kurzem noch das Aufnahmelager stand. Jetzt ist davon nichts mehr zu sehen. Die Zelte sind verschwunden. Die Behörden haben sie von heute auf morgen einfach abgebaut. Offiziell aus Kosten- und Sicherheitsgründen. Aber auch um das unangenehme Kapitel der rassistischen Überfälle endlich abzuschließen. Vogelstraußpolitik. Die ohnehin schlanke 35-Jährige ist mager geworden und wirkt abgekämpft.
"Sie haben die Zelte abgerissen, obwohl noch Leute im Camp gelebt haben. Sie mussten auf einmal mit ihren Kindern im Freien übernachten. Für uns war das keine Option, denn unsere beiden Töchter waren damals krank und es war sehr kalt."
In unserer Not haben wir den Pastor unserer Gemeinde angerufen, erzählt Riphin weiter, als die Stimme seiner Frau versagt. Der Pastor hat ihnen geholfen, ein Dach über dem Kopf zu finden.
"Es war krass, als sie das Camp geschlossen haben. Für viele war es viel zu früh. Aber die Regierung wollte uns offenbar dazu zwingen, wieder in die Viertel zurückzukehren, aus denen wir geflohen waren. Obwohl sie keinen Plan für die Reintegration hatte. Wir hatten Glück, dass wir woanders eine Wohnung gefunden haben. Wir kommen nur zum Arbeiten zurück hierher. Viele der Flüchtlinge mussten weiter in ein anderes Camp ziehen."
Es ist ein harscher Umgang mit schutzbedürftigen Minderheiten. Wer sich weigerte zurückzugehen, wurde sogar vorübergehend festgenommen - wegen Störung der öffentlichen Ruhe. Von der südafrikanischen Regierung erwartet Riphin keine Hilfe mehr.
"Das Problem der Fremdenfeindlichkeit reicht bis ins Parlament. Selbst Abgeordnete haben gesagt, dass sie uns Ausländer leid sind. Politiker, die trotzdem weiterhin im Amt sind. Es sind also nicht nur Kriminelle, die die Gewalt schüren. Oder die armen Menschen am Rand der Bevölkerung. Es sind mächtige, studierte Leute."
Es hat viel zu lange gedauert, bis die Regierung überhaupt eingegriffen hat. Erst als der internationale Druck zu groß wurde und sich das Problem nicht mehr kleinreden ließ. Die Armee hat für Ruhe gesorgt. Präsident Zuma hat die Gewalt verurteilt. Für die Opfer ist das jedoch nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Denn geändert hat sich so gut wie nichts. Dutzende Familien leben bis heute in provisorischen Unterkünften. Andere Einwanderer aus Malawi, Simbabwe und Mosambik haben Südafrika freiwillig den Rücken gekehrt. Migranten ohne Papiere wurden abgeschoben. Die Polizei führt seit den Attacken verstärkt Razzien durch. Trotz scharfer Kritik von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen. Sie klagen seit Jahren über eine zunehmende Abschottung Südafrikas nach europäischem Vorbild und langwierige Asylverfahren. Nahezu eine Viertelmillion Anträge liegt noch unbearbeitet bei den chronisch überforderten Behörden. Auch Coco hat Freunde, die teils jahrelang auf ihre Papiere warten müssen.
"Wir sind seit 2002 hier. In der Zeit lief es noch ganz gut. Aber seit 2004 werden Anträge entweder zurückgewiesen oder gar nicht bearbeitet. Deshalb haben viele keine gültigen Papiere. Ihnen droht die Abschiebung, selbst wenn sie ein Recht auf den Flüchtlingsstatus oder ein Arbeitsvisum hätten. Außerdem sind viele Beamte in den Einwanderungsbehörden korrupt. Ohne Schmiergeld passiert gar nichts. Freunde von uns haben eine Daueraufenthaltsgenehmigung beantragt. Das hat statt einem, vier Jahre gedauert. Papiere sind hier also ein Riesenproblem."
Das Paar biegt in eine belebte Seitenstraße ein und parkt das Auto. Jetzt sind es nur noch ein paar Schritte bis zu ihrem Friseursalon. Trotzdem wirken die beiden angespannt. Coco hat ihre Handtasche unter ihrem Arm festgeklemmt. Riphin weicht nicht von ihrer Seite. Gar nicht so einfach, denn auf dem Bürgersteig herrscht ziemliches Gedränge. Straßenhändler haben hier ihre Stände aufgebaut. Sie verkaufen Obst und Gemüse, Haushaltswaren, Second-Hand-Kleidung und Handys. Aus überfüllten Minisbustaxis quellen immer mehr Leute auf die Straße. In Vierteln wie diesen wohnen viele Afrikaner aus anderen Ländern des Kontinents. Denn Aufnahmelager für Flüchtlinge gibt es in Südafrika nicht. Und so konkurrieren diese mittellosen Ausländer hier mit den verarmten Einheimischen um billigen Wohnraum und Jobs. Ein übler Nährboden für gewaltsame Konflikte.
Vor einer Kneipe hängen betrunkene Männer herum. "Makwerekwere" murmelt einer von ihnen. Ein verächtlicher Ausdruck für Ausländer aus anderen afrikanischen Staaten. Coco und ihr Mann verziehen keine Miene. Sie hören fast jeden Tag Beleidigungen. Auf der Straße, beim Einkaufen, sogar auf Ämtern, in Schulen und Krankenhäusern.
"Als ich vor kurzem im Krankenhaus war, habe ich eine Frau gesehen, die bitterlich weinte. "Ich will sterben", sagte sie. "Die Leute hier behandeln mich schlecht. Die Krankenschwestern schreien mich an, weil ich ihre Sprache nicht verstehen kann." Diese Frau ist erst vor kurzem aus dem Kongo geflüchtet und spricht noch kein Zulu. Ich weiß genau, was sie durchmacht. Ich habe ihr geraten, die Schwestern einfach zu ignorieren. Aber das ist natürlich nicht so leicht. Es zeigt, dass die fremdenfeindliche Stimmung weiter gärt. Sogar im Krankenhaus."
Die Augen stur geradeausgerichtet, geht sie weiter neben ihrem Mann. Außenstehenden würden die beiden im Straßenbild nicht weiter auffallen. Doch Südafrikaner sehen direkt, dass wir nicht von hier stammen, bemerkt Coco nach ein paar Schritten.
"We look different with these people. Some of us are dark and strong. So I think they know us by the structure. And how to dress. The style."
Eine etwas dunklere Hautfarbe. Ein kräftigerer Körperbau. Eine andere Art sich zu kleiden, erklärt die Kongolesin. Sie ist vielleicht etwas größer und schlanker als die Durchschnittssüdafrikanerin. Sie kleidet sich lässig-elegant. Schmale schwarze Hose, ein leicht transparentes gestreiftes Shirt, Sandalen. Kein Outfit, das vollkommen aus dem Rahmen fällt. Und Cocos Hautfarbe ist auch nicht dunkler, als die der Einheimischen. Doch die rassistische Vergangenheit hat die Südafrikaner für kleinste Unterschiede sensibilisiert. Weiß, schwarz, farbig – das waren die Kategorien der Apartheid. Sie bestimmten darüber, wer wo leben durfte und ob jemand Bürgerrechte hatte oder nicht. Viele Freiheitskämpfer gingen damals ins Exil. Heute scheinen sie vergessen zu haben, dass sie damals in unseren Ländern als Flüchtlinge willkommen waren, meint Riphin bitter.
Nach dem alltäglichen Spießrutenlauf erreichen die beiden endlich ihren Friseursalon. Über dem Eingang hängt ein Schild mit der Aufschrift: "Coco Hair Salon". Er war einmal ihr ganzer Stolz. Fotos zeigen die verschiedenen Frisuren: Wallende Extensions, geflochtene Zöpfchen, blondierte Kurzhaarperücken. Der Laden ist winzig, ein schmaler Raum von höchstens 20 Quadratmetern. An der Rückwand ein kleines Waschbecken und ein Regal mit Handtüchern, Shampoos und allerlei Haarpflegemitteln. Links an der Wand hängen Poster und Haarteile. Rechts stehen drei abgewetzte Drehstühle vor mehreren Spiegeln. Einer hat einen langen Riss. Riphin hat ihn provisorisch mit durchsichtigem Klebeband repariert.
"Es ist nicht alles zu Bruch gegangen oder geklaut worden. Ein paar Stühle haben sie uns gelassen. Aber alle Geräte, wie die Föne und die Trockenhaube, mussten wir neu anschaffen. Wir haben sie jetzt erst mal billig auf dem Flohmarkt gekauft. Sie funktionieren zwar nicht optimal, aber es reicht, bis wir wieder auf Beine kommen. Dann kaufen wir eine neue Ausstattung."
Die Angestellte und die erste Kundin trudeln ein. Coco bemüht sich sichtlich um eine entspannte Atmosphäre. Sie scherzt und unterhält sich mit den beiden Südafrikanerinnen, während sie die alten Extensions mit einer Rasierklinge vom Kopf der Kundin entfernt. Das Friseurhandwerk hat sie von ihrer Mutter gelernt.
Eine Strähne nach der anderen landet auf dem gekachelten Boden. Cocos Mann sitzt währenddessen neben dem Waschbecken und vertieft sich in die Buchhaltung. Bald beginnt der nächste Monat und er weiß noch nicht, wie sie die Ladenmiete bezahlen sollen. 6000 Rand, umgerechnet stolze 450 Euro, sind es im Monat. Ohne Strom und Wasser. Ein Wucherpreis.
"Die Miete ist zweifellos zu hoch. Selbst nach den Angriffen hatte der Vermieter kein Mitleid mit uns. Dabei ist er selbst Ausländer. Er stammt aus Indien, aber er hat hellere Haut. Deshalb war er vor den Pogromen sicher. Zielscheibe waren nur wir dunkelhäutigen Afrikaner. Wir mussten wochenlang schließen, während er weiterarbeiten konnte. Doch als er mich zum ersten Mal wiedersah sagte er nur: "Du schuldest mir noch Miete. Wenn Du nicht zahlen kannst, fliegt Ihr raus." Er hatte alles bis auf den letzten Cent aufgeschrieben. Diese Schulden stottern wir bis heute Stück für Stück ab, bis alles bezahlt ist."
Riphin zuckt mit den Schultern. Mit Solidarität rechnet er schon lange nicht mehr. Aufstehen, weitermachen, überleben. Was anderes bleibt uns nicht übrig, fügt er hinzu und vertieft sich wieder in seine Zahlenkolonnen.
Einen Monat später. Mitte Juni. Draußen, nur ein paar Meter von Cocos Friseursalon, steht ein Grüppchen Frauen an einer Kreuzung. "Wie wäre es mit einer neuen Frisur?" fragen sie die Passantinnen. Die meisten gehen weiter. Nur eine wirft einen kurzen Blick auf die abgegriffene Werbetafel mit Fotos der verschiedenen Frisuren und die Preisliste. Frustriert setzt sich Ntokozo Ndlovu auf einen Plastikstuhl. Die 22-Jährige Südafrikanerin macht schon seit ein paar Jahren Werbung für die Friseure in dem Viertel. Die meisten von ihnen sind Ausländer
Die Ausländer ziehen Neid auf sich
Keine Ahnung aus welchem Land mein Arbeitgeber stammt, sagt Ntokozo schulterzuckend. Irgendwo aus Afrika. Das interessiert sie nicht besonders. Die meisten Läden im Viertel sind in der Hand von Ausländern, wie Coco und Riphin Ruvinga. Das schürt Neid unter den Einheimischen.
"Sie bezahlen uns schlecht. Wir sollten mehr Geld bekommen, wenn wir ihnen mehr Kunden bringen. Aber es bleibt bei Peanuts: Um die 20 Euro verdienen wir hier pro Woche. Dafür stehen wir tagaus tagein bei jedem Wetter auf der Straße. Selbst wenn es regnet. Und trotzdem reicht das Geld hinten und vorne nicht, um unsere Familien zu ernähren. Aber wir haben keine Alternative. Hier in Isipingo verdient niemand besonders viel. Es gibt einfach keine besseren Jobs. Jeder versucht irgendwie über die Runden zu kommen."
Ntokozos Kolleginnen nicken bestätigend.
Die Ausländer sind schuld, sagt eine Passantin. Gemeinsam mit ihrer Freundin redet sich die dicke Frau in Rage.
"Cause people say, they steal our jobs. And they don't pay tax. And our businesses are closing down because of them. Because they sell cheap stuff. Many people like us. South Africans. Ja, they don't want them because they sell illegal stuff. They sell drugs. They do many crazy things. They make women sell their bodies."
Ein Grüppchen Passanten ist neugierig stehengeblieben. Einige nicken mit dem Kopf. Sie teilen diese geballte Ladung Vorurteile: Ausländer nehmen Südafrikanern die Jobs weg, sie vermiesen den Einheimischen die Geschäfte, weil sie ihre Waren billiger anbieten. Sie sind kriminell, verkaufen Drogen und drängen Frauen in die Prostitution. Pauschalurteile, die auf die allermeisten Einwanderer nicht zutreffen. Viele kommen aus Ländern, in denen es keine Sozialhilfe gibt wie in Südafrika, sie sind es gewohnt sich aus dem Nichts eine Existenz aufzubauen. Die meisten unterstützen ihre Familien in der Heimat, müssen also irgendwie Geld verdienen. Einige akzeptieren deshalb niedrigere Löhne, andere arbeiten einfach hart – aus beiden Gründen sind sie bei südafrikanischen Arbeitgebern beliebt. Wer kann, macht sich selbstständig, Landsleute kooperieren in der Fremde miteinander. So wie somalische Kioskbesitzer, die gemeinsam eine Bestellung aufgeben um einen Mengenrabatt zu bekommen. So können sie ihre Waren auch den Kunden etwas günstiger anbieten.
Diese Einzelheiten aber interessieren die beiden dicken Freundinnen nicht. Angespornt von der Zustimmung der Passanten setzen sie ihre Hasstirade fort.
"Als Südafrikaner kann ich nicht einfach in die USA oder ein anderes Land gehen und dort tun und lassen, was mir gefällt. Und das noch dazu ohne Papiere. Aber diese illegalen Einwanderer denken, sie könnten einfach unser Land übernehmen. Ihre Frauen haben viele Kinder. Für die bekommen sie auch noch Kindergeld vom Staat. Das gibt es selbst in ihrer Heimat nicht."
Die fremdenfeindliche Stimmung gärt weiter. Die exzessive Gewalt im März und April hat allerdings auch die beiden Südafrikanerinnen erschreckt. Sie haben zugesehen, als ein wütender Mob auf dieser Straße Ausländer mit Macheten angegriffen und ihre Läden geplündert hat. Auch Cocos Friseursalon.
"People were angry. They were so angry like baboons in the jungle. We were outside, looking. 'Cause we were so shocked. We couldn't do anything anyway. Even the cops couldn't do anything."
Sogar die Polizei war machtlos, sagt die Südafrikanerin. Andere meinen, dass die Beamten bewusst ein Auge zudrücken. Einige haben sich an den Plünderungen beteiligt. Davon gibt es sogar Videoaufnahmen. Aber Konsequenzen hatte das nicht.
Die beiden Freundinnen gehen weiter. Vorbei an Cocos Friseursalon. Ntokozo Ndlovu hat sich etwas von der Gruppe entfernt und konzentriert sich auf ihre Arbeit, spricht Passantinnen an, wirbt Kundinnen. Ich bin selbst schon angefeindet worden, weil ich für einen Ausländer arbeite, erzählt die junge Mutter nachdenklich.
"Wir können nicht nur die Ausländer für all diese Probleme verantwortlich machen. Unsere Regierung trägt eine Mitschuld. Wenn es genug Arbeit und Essen für alle gäbe, dann hätten wir diese sozialen Probleme gar nicht. Außerdem lässt die Regierung es zu, dass die Ausländer in unser Land kommen und mit uns um die wenigen Jobs konkurrieren. Die Regierung muss endlich etwas gegen die hohe Arbeitslosigkeit unternehmen. Viele von uns können sich eine gute Bildung nicht leisten. Auch das muss sich ändern."
Ntokozo Ndlovu verabschiedet sich. Sie will es an einer anderen Straßenecke versuchen. Vielleicht hat sie dort mehr Erfolg bei den Kundinnen. In Cocos Friseursalon scheint das Geschäft mittlerweile wieder gut zu laufen. Alle drei Stühle sind besetzt. Während Coco und ihre Angestellte mit aufwändigen Frisuren beschäftigt sind, wäscht Riphin einer jungen Kundin die Haare.
"It is my wife who teaches me. I was watching and realized that it is better to try myself too. So now I am trying."
Seine Frau hat ihm ein paar Handgriffe beigebracht. Jetzt packt der 41-Jährige ganz selbstverständlich im Salon mit an. Früher hat er nebenbei auch Gelegenheitsjobs übernommen. Aber seit den Angriffen bleibt er lieber bei seiner Frau. Eigentlich wollte Riphin Politikwissenschaftler werden, studierte an der Universität von Goma, doch dann sollte er zwangsrekrutiert werden. Er flüchtet damals über viertausend Kilometer bis nach Durban. Hier habe ich zuerst unter Brücken geschlafen, erzählt er. Von dort habe ich mich langsam hochgearbeitet.
"Wenn man bei null anfängt, dann muss man wissen, wie man Geld spart. Vielleicht sind es am Anfang nur ein paar Rand. Dann immer etwas mehr. Viele Südafrikaner nehmen mir nicht ab, dass ich einmal bei null angefangen habe. Sie werfen mir vor, unter dem Tresen vielleicht noch illegal etwas anderes zu verkaufen. Sie sagen: Du kommst nicht von hier, aber jetzt hast Du ein Geschäft und ein Auto. Sie können sich nicht vorstellen, wie ich das geschafft habe. Die einen geben all ihr Geld am Wochenende aus, die anderen leben von Sozialleistungen. Uns ist beides fremd. Wir schicken regelmäßig Geld in die Heimat. Ich will meiner Familie hier ein besseres Leben aufbauen. Also sparen wir, wo es nur geht. So einfach ist das."
Routiniert verteilt Riphin die Spülung auf den Haaren der Kundin, lässt sie ein paar Minuten einwirken und spült sie dann wieder aus. Sechs Tage in der Woche arbeitet er hier gemeinsam mit seiner Frau. Wie viele Flüchtlingsfamilien halten die beiden fest zusammen und schuften gemeinsam fast bis zum Umfallen. Nur sonntags gönnen sie sich einen freien Tag.
Es ist Ende Juli. Ein Sonntag. Die beiden Töchter von Coco und Riphin Ruvinga spielen im Wohnzimmer. Coco bereitet in der Küchenzeile das Mittagsessen vor. Riphin kehrt gerade von einem langen Spaziergang zurück. Nur so bekomme ich den Kopf frei, sagt er schnaufend und lässt sich auf das Sofa plumpsen.
Zwischen weißen und indisch stämmigen Südafrikanern fühlen sie sich wohl
Vier Monate nach dem Ausbruch der fremdenfeindlichen Gewalt ist so etwas wie Alltag eingekehrt. Die Familie ist in eine neue, möblierte Wohnung gezogen. Zwei Zimmer, Küche, Bad. Etwa eine Viertelstunde Fahrtzeit vom Salon entfernt, aber gefühlt in einer anderen Welt: Die Gegend wirkt friedlich mit ihren gepflegten Vorgärten, hohen Mauern und schattigen Bäumen.
"We are safe here. We are happy here. It's safe. No black people. They are far a little bit. They don't reach this place."
Wir fühlen uns wohl, sagt Coco lächelnd. Hier sind wir sicher. Denn es gibt hier keine Schwarzen. In diesem Mittelklassevorort wohnen überwiegend weiße und indisch stämmige Südafrikaner. Zum ersten Mal seit Monaten kann die Flüchtlingsfamilie aus dem Kongo etwas aufatmen. Auf dem Wohnzimmerschrank haben sie Familienfotos aufgestellt. Sie gehören zu den wenigen persönlichen Dingen, die ihnen geblieben sind. Sie zeigen Coco und Riphin bei ihrer Hochzeit. Ein stolzes, schönes Paar. Strahlende Eltern mit ihren Kindern. Erinnerungen an eine bessere Zeit.
"Vor den Attacken haben wir uns eigentlich heimisch gefühlt. Wir haben uns hier etwas aufgebaut, ein Geschäft eröffnet. Wir haben uns hier kennengelernt, unsere Kinder sind hier geboren worden und gehen hier zur Schule. Aber die fremdenfeindliche Gewalt hat uns gezeigt, dass wir hier auch nach 13 Jahren noch immer Ausländer sind. Wir gehören hier nicht hin."
Coco kommt aus der Küche und setzt sich neben ihren Mann aufs Sofa. Eine Weile schauen die Eltern ihren Töchtern schweigend beim Spielen zu. Dann platzt es aus ihr heraus.
"Keinem wird es gelingen, die Mentalität und die Herzen der Einheimischen zu ändern. Man kann sie nicht zwingen, andere Afrikaner zu mögen. Sobald sich also eine andere Möglichkeit bietet, werden wir Südafrika verlassen. Hier sehen wir weder für uns noch für unsere Kinder eine Zukunft."
Leonie March: "Die Brutalität hat mich bis ins Mark erschüttert. Menschen wurden auf offener Straße angegriffen, mit Messern und Macheten. Und das in der Stadt, in der ich lebe, in Durban. Es ist nicht die erste Welle der fremdenfeindlichen Gewalt in Südafrika. Opfer waren wieder einmal Afrikaner aus anderen Ländern des Kontinents."