Ein Frischer unter Greisen
Ingo Gerlach trägt Jeans, Turnschuhe und Nerd-Brille. Auf der Straße würde ihn wohl niemand für einen Opern-Dramaturg halten. Sein Job: Er will die Komische Oper in Berlin für ein junges Publikum attraktiv machen.
57 Jahre – so alt ist der Opernbesucher heutzutage im Durchschnitt, wie die Gesellschaft für Konsumforschung herausgefunden hat. In den 80er- und 90er-Jahren war er noch um zehn Jahre jünger. Damit droht das Klassikpublikum langfristig zu vergreisen, gar auszusterben, wenn die Opernhäuser das Interesse nicht auch bei jungen Zuschauern wecken. Der Komischen Oper Berlin scheint das zu gelingen. Auch weil sie auf Nachwuchstalente setzt: Ingo Gerlach ist mit 35 Jahren der jüngste Dramaturg am Haus:
"Auf einer Orest-Probe hat mich jemand gefragt, ich sei doch für 'nen Dramaturgen noch ganz schön jung. Was natürlich erst mal so 'ne Merkwürdigkeit auch des Bildes des Dramaturgen spiegelt."
Nein, wie ein Dramaturg sieht Ingo Gerlach wahrlich nicht aus. Eher wie ein Student mit Nebenjob als Bühnenarbeiter: Dunkelbrauner Lockenkopf, Nerd-Brille, blaue Jeans, weinrote Adidas-Turnschuhe. So kommt er eher wie fünfundzwanzig als wie fünfunddreißig rüber. Doch der erste Eindruck trügt.
"Ganz entscheidend ist, dass man früh anfängt, Menschen in die Oper einzuladen und ihnen zu zeigen: Das, was wir hier machen, ist nichts für ein Spezialistenpublikum sondern, dass es für jeden verständlich ist. Weil natürlich es schon schön wäre, wenn man im Zuschauerraum Leute seines Alters sehen würde und nicht immer nur diesen großen Generationssprung da: das berühmte 'Weiße Meer'."
Als Dramaturg verantwortet er die neueste Inszenierung der Komischen Oper: Salome. Schweigend sitzt er neben dem Regisseur und beäugt die Proben einer großen Tanzszene mit vielen Statisten. Stimmen die Abläufe? Steht jeder an der richtigen Stelle? Doch das ist nur ein kleiner Teil seines Berufs: Seit 2005 gestaltet er maßgeblich den Spielplan, wählt mit Chefdramaturg Werner Hintze die Stücke aus, lädt Regisseure ein, schreibt die Programmhefte.
"In so einer Broschüre vom Arbeitsamt stand das drin, was man mit Musikwissenschaft machen kann, und ich dachte: Das klingt interessant. Also, ich muss dazu sagen; mein Onkel hat Theaterwissenschaft studiert. Vielleicht ist da so ein bisschen durchaus auch 'ne theatralische, musische Linie in der Familie vorgegeben. Aber das war tatsächlich eher ein Konstruktionsglücksgriff möchte ich sagen."
Ein "Konstruktionsglückgriff": Nahe Aachen wächst Ingo Gerlach mit einem kleineren Bruder auf. Der Vater Berufssoldat, die Mutter Buchhändlerin. In Aachen und Berlin studiert er Musik und Literatur, hat beinahe unverschämtes Glück: Gleich die erste Bewerbung klappt. Da war er dreißig.
Als Dramaturg an der Komischen Oper reizt ihn die Verbindung von Kreativität und Wissenschaft. Ein sympathischer Typ, mit dem man gern ein Bier trinken würde. Der kühne Rebell, der die Oper mit Skandalen revolutionieren will, ist er nicht – eher der kühle Kopf.
"Also, ich glaub', es gibt kein Patentrezept, wie man jetzt von heute auf morgen 'ne ganze Generation in so ein Opernhaus reinkriegt."
Welches Stück ein Kassenschlager wird, könne niemand vorhersehen. Die Komische Oper setzt vor allem auf moderne Inszenierungen und auf Verständlichkeit: Alle Opern, Operetten, Singspiele und Musikdramen werden auf Deutsch gesungen. Jeder Zuschauer kann den Text zusätzlich auf Deutsch und Englisch verfolgen. Nach der Sommerpause sogar auf Türkisch und Französisch. Möglich machen dies Displays in den Stuhllehnen.
So hat das kleinste der drei Opernhäuser Berlins viele Erstbesucher, die noch dazu mit durchschnittlich 45 Jahren deutlich jünger sind als der "normale" Opernbesucher mit im Schnitt 57 Jahren. Doch für Ingo Gerlach muss ein Opernabend mehr bieten als nur Konzert im Kostüm. Er meint,
"... dass man natürlich immer nach so einem Moment der Authentizität sucht. Dass man eben dieser dicken Primadonna die 16-jährige Prinzessin Salome beispielsweise nicht abnimmt."
Eine Opernsängerin könne mit 45 eben nicht mehr überzeugend eine 16-Jährige spielen. Genauso wenig authentisch findet er bombastische Inszenierungen, denen es an Inhalt mangelt.
"Ich glaube, dass dieses Ganze, diese Melange aus Szene, aus Musik, aus Bühnenbild, aus Text, aus Licht – das muss natürlich in allen Bereichen nicht gefällig sein, aber gut gemacht sein."
Daran versucht sich die Komische Oper auch im Musikdrama "Salome" von Richard Strauss. Die biblische Geschichte um die Prinzessin Salome und ihren lüsternen Stiefvater Herodes ist ein historischer Stoff in modernem Gewand: ein Bühnenbild, das aussieht wie ein mit Edding dahin gekritzelter Comic; Kostüme, die ohne jeglichen orientalistischen Prunk auskommen. Wochenlange Proben mit Arbeitstagen bis in die Nacht liegen hinter Ingo Gerlach.
"Ich glaube schon, dass es ganz wichtig ist, dass man da acht gibt. Weil natürlich der Beruf schon dazu tendiert, dass man das mit Haut und Haaren macht."
Privat hört er daher gern mal was anderes als Oper.
"Wenn ich hier aus dem Haus gehe und mir die Kopfhörer aufsetze, ist da nicht noch mal Salome drauf, sondern vielleicht eher Matthew Herbert oder so was. Ich höre viel Jazz, ich mag sehr gerne Hip-Hop. Das ist so postmodern halt, alles mal so ein bisschen."
Mit seiner Freundin und seiner 15 Monate alten Tochter lebt er in Prenzlauer Berg. Dann hat die Oper Sendepause. Dass die Gattung aber auch in Zukunft ihren Stellenwert haben wird, da ist sich der Mann mit dem sympathischen Lächeln ganz sicher:
"Die Verbindung von Musik und Theater, von Text und Gesang, von Bühnenbild und dieser ganze Zauberkasten, den es da gibt – den wird es immer geben."
Mehr zum Thema: www.komische-oper-berlin.de
"Auf einer Orest-Probe hat mich jemand gefragt, ich sei doch für 'nen Dramaturgen noch ganz schön jung. Was natürlich erst mal so 'ne Merkwürdigkeit auch des Bildes des Dramaturgen spiegelt."
Nein, wie ein Dramaturg sieht Ingo Gerlach wahrlich nicht aus. Eher wie ein Student mit Nebenjob als Bühnenarbeiter: Dunkelbrauner Lockenkopf, Nerd-Brille, blaue Jeans, weinrote Adidas-Turnschuhe. So kommt er eher wie fünfundzwanzig als wie fünfunddreißig rüber. Doch der erste Eindruck trügt.
"Ganz entscheidend ist, dass man früh anfängt, Menschen in die Oper einzuladen und ihnen zu zeigen: Das, was wir hier machen, ist nichts für ein Spezialistenpublikum sondern, dass es für jeden verständlich ist. Weil natürlich es schon schön wäre, wenn man im Zuschauerraum Leute seines Alters sehen würde und nicht immer nur diesen großen Generationssprung da: das berühmte 'Weiße Meer'."
Als Dramaturg verantwortet er die neueste Inszenierung der Komischen Oper: Salome. Schweigend sitzt er neben dem Regisseur und beäugt die Proben einer großen Tanzszene mit vielen Statisten. Stimmen die Abläufe? Steht jeder an der richtigen Stelle? Doch das ist nur ein kleiner Teil seines Berufs: Seit 2005 gestaltet er maßgeblich den Spielplan, wählt mit Chefdramaturg Werner Hintze die Stücke aus, lädt Regisseure ein, schreibt die Programmhefte.
"In so einer Broschüre vom Arbeitsamt stand das drin, was man mit Musikwissenschaft machen kann, und ich dachte: Das klingt interessant. Also, ich muss dazu sagen; mein Onkel hat Theaterwissenschaft studiert. Vielleicht ist da so ein bisschen durchaus auch 'ne theatralische, musische Linie in der Familie vorgegeben. Aber das war tatsächlich eher ein Konstruktionsglücksgriff möchte ich sagen."
Ein "Konstruktionsglückgriff": Nahe Aachen wächst Ingo Gerlach mit einem kleineren Bruder auf. Der Vater Berufssoldat, die Mutter Buchhändlerin. In Aachen und Berlin studiert er Musik und Literatur, hat beinahe unverschämtes Glück: Gleich die erste Bewerbung klappt. Da war er dreißig.
Als Dramaturg an der Komischen Oper reizt ihn die Verbindung von Kreativität und Wissenschaft. Ein sympathischer Typ, mit dem man gern ein Bier trinken würde. Der kühne Rebell, der die Oper mit Skandalen revolutionieren will, ist er nicht – eher der kühle Kopf.
"Also, ich glaub', es gibt kein Patentrezept, wie man jetzt von heute auf morgen 'ne ganze Generation in so ein Opernhaus reinkriegt."
Welches Stück ein Kassenschlager wird, könne niemand vorhersehen. Die Komische Oper setzt vor allem auf moderne Inszenierungen und auf Verständlichkeit: Alle Opern, Operetten, Singspiele und Musikdramen werden auf Deutsch gesungen. Jeder Zuschauer kann den Text zusätzlich auf Deutsch und Englisch verfolgen. Nach der Sommerpause sogar auf Türkisch und Französisch. Möglich machen dies Displays in den Stuhllehnen.
So hat das kleinste der drei Opernhäuser Berlins viele Erstbesucher, die noch dazu mit durchschnittlich 45 Jahren deutlich jünger sind als der "normale" Opernbesucher mit im Schnitt 57 Jahren. Doch für Ingo Gerlach muss ein Opernabend mehr bieten als nur Konzert im Kostüm. Er meint,
"... dass man natürlich immer nach so einem Moment der Authentizität sucht. Dass man eben dieser dicken Primadonna die 16-jährige Prinzessin Salome beispielsweise nicht abnimmt."
Eine Opernsängerin könne mit 45 eben nicht mehr überzeugend eine 16-Jährige spielen. Genauso wenig authentisch findet er bombastische Inszenierungen, denen es an Inhalt mangelt.
"Ich glaube, dass dieses Ganze, diese Melange aus Szene, aus Musik, aus Bühnenbild, aus Text, aus Licht – das muss natürlich in allen Bereichen nicht gefällig sein, aber gut gemacht sein."
Daran versucht sich die Komische Oper auch im Musikdrama "Salome" von Richard Strauss. Die biblische Geschichte um die Prinzessin Salome und ihren lüsternen Stiefvater Herodes ist ein historischer Stoff in modernem Gewand: ein Bühnenbild, das aussieht wie ein mit Edding dahin gekritzelter Comic; Kostüme, die ohne jeglichen orientalistischen Prunk auskommen. Wochenlange Proben mit Arbeitstagen bis in die Nacht liegen hinter Ingo Gerlach.
"Ich glaube schon, dass es ganz wichtig ist, dass man da acht gibt. Weil natürlich der Beruf schon dazu tendiert, dass man das mit Haut und Haaren macht."
Privat hört er daher gern mal was anderes als Oper.
"Wenn ich hier aus dem Haus gehe und mir die Kopfhörer aufsetze, ist da nicht noch mal Salome drauf, sondern vielleicht eher Matthew Herbert oder so was. Ich höre viel Jazz, ich mag sehr gerne Hip-Hop. Das ist so postmodern halt, alles mal so ein bisschen."
Mit seiner Freundin und seiner 15 Monate alten Tochter lebt er in Prenzlauer Berg. Dann hat die Oper Sendepause. Dass die Gattung aber auch in Zukunft ihren Stellenwert haben wird, da ist sich der Mann mit dem sympathischen Lächeln ganz sicher:
"Die Verbindung von Musik und Theater, von Text und Gesang, von Bühnenbild und dieser ganze Zauberkasten, den es da gibt – den wird es immer geben."
Mehr zum Thema: www.komische-oper-berlin.de