Ein ganz besonderer Saft
Seit Menschengedenken wird dem menschlichen Blut eine besondere Rolle beigemessen. Es gilt als Symbol für Leben und Tod. Der Band "Mythen des Blutes" nähert sich dem Thema aus religiöser, medizinischer, kulturwissenschaftlicher und juristischer Perspektive.
Es ist eine Tatsache, dass der menschliche Körper je nach Alter und Geschlecht über vier bis sechs Liter Blut verfügt. Mit diesem Basiswissen ausgerüstet, beginnt jenseits des Biologieunterrichts das eigentliche Problem. Warum gibt es verschiedene Blutgruppen? Welcher Defekt verbirgt sich hinter dem Krankheitsbild Leukämie? Oder diskreter gefragt: Treibt das Blut die Schamröte ins Gesicht? Ob das Blut als Kardinalsaft, Körperpolizei oder Transportmittel bezeichnet wird, spätestens seit Goethes "Faust" weiß man: Blut ist "ein ganz besonderer Saft".
Das Buch "Mythen des Blutes" widmet sich dieser Problematik in beeindruckender Weise, indem es das Blut als zentrales Thema in den Wissenschaften, Religionen, Literaturen und Künsten aller Kulturen begreift. In sehr anschaulicher Weise wird der Versuch unternommen, sich dem Thema aus medizinischer, religiöser, juristischer, literarischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive zu nähern.
Geht es in "Religion und Opfer" um die Bedeutung des Blutes in den drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam, so zeigt sich, dass die Inszenierung des Opfers stark von der Symbolik des Blutes abhängt. Begriffe wie Opferblut, Blutsbande, Blutschande und Blutrache werden in ihrer Entstehung, aber auch als Problem gegenwärtiger Rechtssprechung diskutiert. Dass sich die verschiedenen Perspektiven dabei berühren, wird am Beispiel der Medea-Figur deutlich, die ganz im "Zeichen des Blutes" steht. Im griechischen Mythos als heilkundige Frau verehrt, ist Medea seit Euripides’ Drama "Medeia" (431 v.u.Z.) als Kindsmörderin Symbol der blutrünstigen Täterin. Medea als Opfer oder Täterin zu sehen, entfacht einen spannenden Disput zwischen der Rechtssprechung, der Religion, der Kultur und den Gender Studies. Sie wird zur "Deckfigur in Diskursen", "in denen es um Reinheit und Unreinheit des Blutes" geht. Dieser Ansatz wird in den Beiträgen zu "Genealogie und Geschlecht" sowie in "Blut und Gemeinschaft" weitergeführt und mündet in der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus, Holocaust und der RAF in höchst aktuelle Bezüge.
Schließlich wird im Kapitel "Mythos und Medizin" William Harveys’ kongeniale Entdeckung des Blutkreislaufes im frühen 17. Jahrhundert vorgestellt, die als "Geburtsstunde einer modernen Physiologie" gilt. Das erwähnte Basiswissen aus dem Biologieunterricht wird dabei erheblich erweitert. Dass bei einem Exkurs in die Geschichte der Bakteriologie das Blut als ganz besonderer Saft allerdings seine Bedeutung verliert und zur bloßen "Trägersubstanz" wird, betrübt ein wenig. Der Blutkreislauf wird aus dieser Sicht zum Kriegsschauplatz, wo des Dichters Wort zu verstummen droht. Wohltuend deshalb die im Schlusskapitel "Virtuelles Blut" angestrengten Überlegungen von "Blut und Tinte" sowie "Blut und Dekonstruktion", in denen noch einmal die mythischen Eigenschaften des Blutes resümierend aufgerufen werden. Ein sehr empfehlenswertes Buch, das durch gut verständliche Darstellungen den interessierten Leser überzeugt.
Rezensiert von Carola Wiemers
Christina von Braun, Christoph Wulf (Hg.): "Mythen des Blutes"
Campus Verlag 2007
369 Seiten, 39,90 Euro
Das Buch "Mythen des Blutes" widmet sich dieser Problematik in beeindruckender Weise, indem es das Blut als zentrales Thema in den Wissenschaften, Religionen, Literaturen und Künsten aller Kulturen begreift. In sehr anschaulicher Weise wird der Versuch unternommen, sich dem Thema aus medizinischer, religiöser, juristischer, literarischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive zu nähern.
Geht es in "Religion und Opfer" um die Bedeutung des Blutes in den drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam, so zeigt sich, dass die Inszenierung des Opfers stark von der Symbolik des Blutes abhängt. Begriffe wie Opferblut, Blutsbande, Blutschande und Blutrache werden in ihrer Entstehung, aber auch als Problem gegenwärtiger Rechtssprechung diskutiert. Dass sich die verschiedenen Perspektiven dabei berühren, wird am Beispiel der Medea-Figur deutlich, die ganz im "Zeichen des Blutes" steht. Im griechischen Mythos als heilkundige Frau verehrt, ist Medea seit Euripides’ Drama "Medeia" (431 v.u.Z.) als Kindsmörderin Symbol der blutrünstigen Täterin. Medea als Opfer oder Täterin zu sehen, entfacht einen spannenden Disput zwischen der Rechtssprechung, der Religion, der Kultur und den Gender Studies. Sie wird zur "Deckfigur in Diskursen", "in denen es um Reinheit und Unreinheit des Blutes" geht. Dieser Ansatz wird in den Beiträgen zu "Genealogie und Geschlecht" sowie in "Blut und Gemeinschaft" weitergeführt und mündet in der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus, Holocaust und der RAF in höchst aktuelle Bezüge.
Schließlich wird im Kapitel "Mythos und Medizin" William Harveys’ kongeniale Entdeckung des Blutkreislaufes im frühen 17. Jahrhundert vorgestellt, die als "Geburtsstunde einer modernen Physiologie" gilt. Das erwähnte Basiswissen aus dem Biologieunterricht wird dabei erheblich erweitert. Dass bei einem Exkurs in die Geschichte der Bakteriologie das Blut als ganz besonderer Saft allerdings seine Bedeutung verliert und zur bloßen "Trägersubstanz" wird, betrübt ein wenig. Der Blutkreislauf wird aus dieser Sicht zum Kriegsschauplatz, wo des Dichters Wort zu verstummen droht. Wohltuend deshalb die im Schlusskapitel "Virtuelles Blut" angestrengten Überlegungen von "Blut und Tinte" sowie "Blut und Dekonstruktion", in denen noch einmal die mythischen Eigenschaften des Blutes resümierend aufgerufen werden. Ein sehr empfehlenswertes Buch, das durch gut verständliche Darstellungen den interessierten Leser überzeugt.
Rezensiert von Carola Wiemers
Christina von Braun, Christoph Wulf (Hg.): "Mythen des Blutes"
Campus Verlag 2007
369 Seiten, 39,90 Euro