"Ein ganz wunderbarer Ort zum Schreiben"

Marcus Roloff im Gespräch mit Frank Meyer |
Im Vordergrund seines Aufenthaltes stehe die Arbeit am neuen Gedichtband, so der 36-jährige Marcus Roloff im Gespräch. Anregungen holt er sich bei früheren Stipendiaten wie Sarah Kirsch, deren Bücher in der hauseigenen Bibliothek stehen.
Frank Meyer: Marcus Roloff ist zurzeit Stipendiat auf Schloss Wiepersdorf. In unserer Reihe "Deutschland, deine Stadtschreiber" wollen wir heute Marcus Roloff über das Leben an einem anderen Ort reden. Herr Roloff, das klang eben so in unserem Beitrag, als würden Sie da praktisch hingehören, an diesen Romantikerort Wiepersdorf – ist das denn tatsächlich so ein Traumort für Sie?

Marcus Roloff: Ja, das kann man schon so sagen, also es ist ein wahnsinnig – wie Kathrin Schmidt auch schon sagte – wahnsinnig von der außen, sonstigen Welt abgeschlossener Ort. Es empfängt einen hier natürlich sofort ein Riesenballast auch durchaus von Tradition, und man sich natürlich hier in irgendeiner Weise um sein eigenes Schreiben kümmern. Und am Anfang ist es wirklich so wahnsinnig klar und deutlich, dass man hier erst mal aufsaugen kann. Das lässt dann mit der Zeit nach. Aber ich halte das für einen ganz wunderbaren Ort zum Schreiben.

Meyer: Ballast an Tradition, sagen Sie, dazu gehört natürlich die Geschichte dieses Schlosses, der Romantiker Achim von Arnim hat da lange gelebt, seine Frau Bettina hat’s da nicht so gut ausgehalten, die hat sich lieber nach Berlin abgesetzt und hat dort geschrieben. Ist denn von dieser romantischen Tradition tatsächlich noch was spürbar heute in Wiepersdorf?

Roloff: Ja, quasi in Form eines Museums, und insofern ist das natürlich auch wieder so ein Zugriff, was macht man mit Vergangenheit, und man musealisiert sie eben. Und das ist natürlich extrem spürbar, weil zum Beispiel eben der Anbau des Malers Achim von Arnim-Bärwalde, sich ein Atelier hat bauen lassen am Nordflügel und in diesem ist jetzt eben das Museum aufgehoben. Insofern ist das schon wahnsinnig präsent.

Meyer: Dann muss es ja noch eine andere Vergangenheitsschicht geben, stelle ich mir jedenfalls vor. Es wurde schon ganz kurz nach dem Zweiten Weltkrieg 1946 entschieden, Schloss Wiepersdorf zu einem Dichterheim zu machen. Wir haben vorhin schon gehört, Sarah Kirsch und Peter Hacks waren dort in DDR-Zeiten, Anna Seghers und Arnold Zweig auch. Prägt die DDR-Geschichte denn diesen Ort noch?

Roloff: Na klar schwingt das immer mit, und ich hab mir auch sofort aus der Bibliothek Sarah Kirschs Band "Rückenwind" ausgeborgt, genauso wie Thomas Rosenlöchers Gedichtband "Am Wegrand steht Apollo". Man ist also sofort konfrontiert auch mit Texten, unabhängig von den Arnims, und insofern ist dieses Romantische natürlich auch verquickt mit all dem, was es noch gibt, und da muss man sich erst mal zurechtfinden.

Meyer: Was das Leben in Wiepersdorf noch ausmachen muss, habe ich mir sagen lassen, ist der Dorfkrug von Wiepersdorf. Es gibt einen Schriftsteller, Jürgen Becker, der einen Roman geschrieben hat aus der Geschichte der Trennung, in dem er gerade diesen Dorfkrug von Wiepersdorf eingehend beschrieben hat, er ist also auch in die Literatur schon eingegangen. Wie oft sind Sie denn so im Dorfkrug?

Roloff: Es gibt freitags einen sogenannten Stammtisch, da versammeln sich die Einwohner, in aller Regel männlichen Geschlechts, dort, und da war ich, hatte das Glück, mit Jürgen Becker direkt auch in Kontakt zu kommen und dort hinzugehen und wurde gewissermaßen auch gleich über ihn, der wirklich sehr oft dort war und einen ganz tollen, herzlichen Kontakt auch immer noch hält zu den Wirten und deren Angehörigen, und da bin ich letzten Endes nicht jeden Freitag, aber doch hin und wieder, in jedem Fall. So eine Art Tapetenwechsel wird einem vor allem im weiteren Verlauf des Stipendiums dann auch nötig.

Meyer: Und kommen Sie da mit den Einheimischen tatsächlich ins Gespräch im Dorfkrug?

Roloff: Absolut, absolut. Also gerade weil ich diesen Aufhänger hatte, diese wahnsinnig tolle Begegnung mit Jürgen Becker selbst, war ich gewissermaßen gleich: Ach so, und Sie sind auch jemand, der so was macht! - also Lyrik in meinem Fall. Und das war von Anfang klar. Das war Mitte Mai, das war gleich am Anfang meines Aufenthaltes, und ich bin da wirklich warm geworden, kann man fast sagen, mit ein paar Leuten natürlich, jetzt nicht in großem Stil, aber eben wirklich ein, zwei Leute, mit denen ich gerne rede, die sehr interessiert sind an dem, was ich tue. Und das ist interessant, wenn man versucht, das eben zu erklären: Ja, Gedichte, das ist ja dann sofort, also im klassischen Sinn ist es dann eben sofort klar, Gereimtes. Man denkt schnell an Heine und große Namen aus der Vergangenheit, und dann sagt man, ja, ich reime nicht, zum Beispiel. Das ist schwierig dann zu vermitteln im Einzelnen, aber in jedem Fall ist es ein Interesse, das mich sehr freut.

Meyer: Aber Sie versuchen das dann, Sie versuchen, den Einheimischen in Wiepersdorf zu erklären, wie moderne Lyrik funktioniert?

Roloff: Nein, das nicht, um Gottes Willen, das würde zu weit gehen, gar nicht im Sinne von Ignoranz, sondern wirklich im Sinne von das würde jetzt wirklich zu weit führen. Es geht dann schnell mit steigendem Bierpegel auch, und es gibt auch noch andere härtere Getränke dazu, werden auch gereicht, geht es schnell in Geschichten über, die Wiepersdorf betreffen, die die angrenzenden Dörfer betreffen. In solche Geschichten mündet so ein Abend eher als in Lyriktheorie.

Meyer: Deutschlandradio Kultur in unserer Reihe "Deutschland, deine Stadtschreiber" reden wir heute mit dem Lyriker Marcus Roloff über seinen Aufenthalt auf Schloss Wiepersdorf in Südbrandenburg. Marcus Roloff ist für drei Monate dort Stipendiat. Herr Roloff, viele Stadtschreiber, mit denen wir in unserer Reihe reden, die kommen allein an einen fremden Ort, eine fremde Stadt oder so ein Dorf wie Wiepersdorf. Jetzt ist bei Ihnen das Besondere, dass Sie da mit ungefähr zehn anderen Künstlern zusammenstecken in dieser Einöde auf dem Schloss. Entsteht denn daraus etwas, irgendeine Gemeinsamkeit, gemeinsame Gespräche, oder hockt da doch jeder zum größten Teil allein in seiner Künstlerkammer?

Roloff: Wie auch Kathrin Schmidt schon gesagt hatte, ich gehör dann doch zu denjenigen, die gerne die Gesellschaft suchen, insbesondere am Abend. Und es gibt wirklich tolle Begegnungen, eben nicht zuletzt Kathrin Schmidt selbst. Aber auch auf einen Stipendiaten muss ich wirklich hinweisen, weil es nämlich sehr produktiv geworden ist, das ist der Berliner Komponist Peter Köszeghy, der mich auf die Callot-Figuren aufmerksam gemacht hat, die es hier gibt.

Meyer: Was sind das für Figuren?

Roloff: Das geht auf Jacques Callot zurück, den französischen Stecher, also Kupferstecher, und Radierer. Diese Figuren sind dann 100 Jahre nach seinem Tod erst, also dann quasi Ende des 18. Jahrhunderts, zur Plastik geworden, und damit hat man gewissermaßen Herrenhäuser, Schlösser und so weiter geschmückt. Und das sind so etwas merkwürdige Figuren, die wirklich auch was Unheimliches haben. Und der Peter und ich, wir haben uns eben was überlegt dazu, ich hab Texte geschrieben und er hat es vertont. Wir haben es dann uraufgeführt hier auf dem Sommerfest, das war ein Solostück für Querflöte. Und wir wollen noch mehr draus machen, wir arbeiten weiter zusammen an dem Thema Dämonie, Gnome, die ne bestimmte Kraft haben, die man nicht genau zuordnen kann, und fantasieren uns da so ein bisschen was zurecht. Das ist sehr interessant.

Meyer: Und über diese Arbeit an diesen Callot-Figuren hinaus, was machen Sie da noch in diesen drei Monaten in Wiepersdorf? Entsteht da etwas, was Sie auch mitnehmen von dort?

Roloff: Unbedingt. Ich arbeite ganz konkret an meinem neuen Gedichtband, der, wenn alles klappen sollte, im Herbst nächsten Jahres erscheinen wird, und das ist Priorität. Daneben habe ich einen Wiepersdorf-Zyklus auch gemacht, von 20 Gedichten hab ich dann fünf gewissermaßen, wenn man so will, gelten lassen. Und insofern ganz klar: strenge Arbeit am Gedicht, viel Lektüre, reger Austausch mit den Stipendiaten. Es gibt hier auch ein Extrafach von Büchern mit Stipendiaten, und da habe ich mir auch das eine oder andere ausgeliehen. Insofern also wirklich eine tägliche Arbeit am Text, es hat immer mit Literatur zu tun, weil es gibt einfach auch nichts anderes. Es gibt hier natürlich einen Fernseher, aber das ist für mich ein Tabu zum Beispiel tagsüber. Gegen Abend komme ich dann gerne in geselligere Gefilde und auch Stimmungen. Insofern aber Arbeit am Text.

Meyer: Marcus Roloff, drei Monate Stipendiat auf Schloss Wiepersdorf in Südbrandenburg. Danke Ihnen für das Gespräch!

Roloff: Ich danke Ihnen!

Meyer: Und am nächsten Dienstag werden wir den nächsten Stadtschreiber in unserer Reihe befragen, das wird Patrick Findeis sein. Er ist Stipendiat im Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop, also an der Ostsee.
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