Ein General von produktiver Faulheit
Kurt von Hammerstein hat in der deutschen Reichwehr eine beispiellose Karriere hingelegt. Bereits 1930 ist er Chef der Heeresleitung, 1934 wird er jäh aus dem Dienst entlassen, weil er nicht mit Hitler sympathisierte. Hans Magnus Enzensberger verstrickt die Biografie dieses Militärs mit den Ereignissen deutscher Geschichte und kommentiert die Ereignisse in fiktiven posthumen Interviews mit Hammerstein.
Hans Magnus Enzensberger nennt sein neues Buch im Untertitel: "Eine deutsche Geschichte". Es handelt von einem deutschen General, dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein beeindruckender Aufstieg in die höchsten Kreise der deutschen Generalität gelingt. Der 1878 geborene Kurt von Hammerstein besucht 1907 die Kriegsakademie, wird 1913 Hauptmann im Generalstab, 1917 Major, 1920 Oberstleutnant, dann Oberst schließlich Generalmajor und kurze Zeit später Generalleutnant. 1930 hat er als Chef der Heeresleitung die höchste Stellung innerhalb der deutschen Armee inne. Das liest sich wie eine Bilderbuchkarriere, die allerdings am 31. Januar 1934 mit der Verabschiedung aus dem Dienst ein jähes Ende findet.
Enzensberger entwirft das Bild dieses Deutschen und schreibt auf der Grundlage seiner Biographie eine "deutsche Geschichte". Doch seine Perspektive ist nicht allein auf Hammerstein fokussiert. Enzensberger verfolgt ebenso minutiös das Leben der sieben Kinder des Generals und beschreibt ein deutsches Familienleben vor dem Hintergrund der Weimarer Republik und dem Aufstieg Hitlers. Hammersteins Biographie wird zum Ausgangspunkt für die Rekonstruktion von Geschichte. Insofern schreibt Enzensberger zugleich auch eine deutsche Geschichte.
Dieses Vernetzen von Biographie und Geschichte hat seinen Reiz, was an der Person von Kurt von Hammersteins liegt, dem nachgesagt wurde, dass er sich durch "produktive Faulheit" ausgezeichnet hätte. Selbst seine Gegner beschreiben ihn als äußerst klugen Militär, der nach der Machtergreifung Hitlers mit dem Gedanken gespielt hat, den Ausnahmezustand zu erklären, Hitler zu verhaften und sich dann mit der SPD zu einigen.
Hammerstein war alles andere als ein Sympathisant Hitlers. Als er am 31. Januar 1933 von einer Freundin um eine Beurteilung der politischen Lage gebeten wird, soll er gesagt haben: "Wir haben einen Kopfsprung in den Faschismus gemacht". Im gleichen Jahr äußert er sich gegenüber einem Kameraden: "98 Prozent des deutschen Volkes sind eben besoffen."
Bei Enzensbergers Buch, dem als Motto Hammersteins Maxime vorangestellt ist - "Angst ist keine Weltanschauung" - handelt es sich um keine Biographie im herkömmlichen Sinne, sondern um einen dokumentarischen Roman. Der Autor hat für dieses Buch Recherchearbeiten geleistet und Archive aufgesucht. Er wuchert mit historischen Fakten aus der Familien- und der deutschen Geschichte, die er in gekonnter Leichtigkeit arrangiert. Aber neben dem Material ist auch der Autor anwesend und meldet sich ausdrücklich zu Wort, wenn er sich als Fragender in posthum geführten fiktiven Interviews mit Hammerstein oder dessen Freund Schleicher zu erkennen gibt.
Darüber hinaus sind dem in einzelne Kapitel gegliederten Roman vom Autor geschriebene Glossen eingefügt. So gerät in der Präsentation einer verzweigten und sich gegenseitig durchdringenden Geschichte nichts durcheinander. Wenn Enzensberger sich als Autor zu Wort meldet, werden Ereignisse kommentiert und einer Wertung unterzogen. Lässt der Autor aber das Material und die Fakten sprechen, hält er sich als Wertender absichtsvoll zurück.
Enzensbergers Buch kommt erst allmählich in Schwung. Doch in Fahrt gekommen, überschlagen sich die Ereignisse: Biographien werden von den Zeitereignissen durcheinander gewirbelt und Familien auseinander gerissen. Enzensberger ist den Personen nahe, von denen sein Buch handelt. Aber er lässt auch die Geschichte nicht aus den Augen, die ihre dunklen Seiten gern verschweigt, was ihr dieser der Wahrheit verpflichtete Chronist nicht durchgehen lässt.
Rezensiert von Michael Opitz
Hans Magnus Enzensberger: Hammerstein oder der Eigensinn. Eine deutsche Geschichte.
Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2008
375 Seiten. 22,90 Euro.
Enzensberger entwirft das Bild dieses Deutschen und schreibt auf der Grundlage seiner Biographie eine "deutsche Geschichte". Doch seine Perspektive ist nicht allein auf Hammerstein fokussiert. Enzensberger verfolgt ebenso minutiös das Leben der sieben Kinder des Generals und beschreibt ein deutsches Familienleben vor dem Hintergrund der Weimarer Republik und dem Aufstieg Hitlers. Hammersteins Biographie wird zum Ausgangspunkt für die Rekonstruktion von Geschichte. Insofern schreibt Enzensberger zugleich auch eine deutsche Geschichte.
Dieses Vernetzen von Biographie und Geschichte hat seinen Reiz, was an der Person von Kurt von Hammersteins liegt, dem nachgesagt wurde, dass er sich durch "produktive Faulheit" ausgezeichnet hätte. Selbst seine Gegner beschreiben ihn als äußerst klugen Militär, der nach der Machtergreifung Hitlers mit dem Gedanken gespielt hat, den Ausnahmezustand zu erklären, Hitler zu verhaften und sich dann mit der SPD zu einigen.
Hammerstein war alles andere als ein Sympathisant Hitlers. Als er am 31. Januar 1933 von einer Freundin um eine Beurteilung der politischen Lage gebeten wird, soll er gesagt haben: "Wir haben einen Kopfsprung in den Faschismus gemacht". Im gleichen Jahr äußert er sich gegenüber einem Kameraden: "98 Prozent des deutschen Volkes sind eben besoffen."
Bei Enzensbergers Buch, dem als Motto Hammersteins Maxime vorangestellt ist - "Angst ist keine Weltanschauung" - handelt es sich um keine Biographie im herkömmlichen Sinne, sondern um einen dokumentarischen Roman. Der Autor hat für dieses Buch Recherchearbeiten geleistet und Archive aufgesucht. Er wuchert mit historischen Fakten aus der Familien- und der deutschen Geschichte, die er in gekonnter Leichtigkeit arrangiert. Aber neben dem Material ist auch der Autor anwesend und meldet sich ausdrücklich zu Wort, wenn er sich als Fragender in posthum geführten fiktiven Interviews mit Hammerstein oder dessen Freund Schleicher zu erkennen gibt.
Darüber hinaus sind dem in einzelne Kapitel gegliederten Roman vom Autor geschriebene Glossen eingefügt. So gerät in der Präsentation einer verzweigten und sich gegenseitig durchdringenden Geschichte nichts durcheinander. Wenn Enzensberger sich als Autor zu Wort meldet, werden Ereignisse kommentiert und einer Wertung unterzogen. Lässt der Autor aber das Material und die Fakten sprechen, hält er sich als Wertender absichtsvoll zurück.
Enzensbergers Buch kommt erst allmählich in Schwung. Doch in Fahrt gekommen, überschlagen sich die Ereignisse: Biographien werden von den Zeitereignissen durcheinander gewirbelt und Familien auseinander gerissen. Enzensberger ist den Personen nahe, von denen sein Buch handelt. Aber er lässt auch die Geschichte nicht aus den Augen, die ihre dunklen Seiten gern verschweigt, was ihr dieser der Wahrheit verpflichtete Chronist nicht durchgehen lässt.
Rezensiert von Michael Opitz
Hans Magnus Enzensberger: Hammerstein oder der Eigensinn. Eine deutsche Geschichte.
Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2008
375 Seiten. 22,90 Euro.