Ein geplatzter Rocksommernachtstraum
Vier junge Leute aus Kalifornien haben sich zu einer Musikband zusammengetan. Doch der große Erfolg bleibt aus - bis ein Dämon am Telefon als inspirierende Kraft auftritt. Der US-Auto Jonathan Lethem hat sich mit "Du liebst mich, du liebst mich nicht" an das schwierige Feld der Popliteratur gewagt. Doch die Liebe zur Musik reicht für einen guten Roman nicht aus.
Die Verfasser ambitionierter E-Literatur werden seit Jahrzehnten von einer längst nicht mehr heimlichen Liebe zur populären Kultur und insbesondere zur Rockmusik in ihren diversen Spielarten umgetrieben. Als "neue Archivisten" mit frischem Blick auf den produktorientierten Alltag operieren die "Popautoren" dabei durchaus erfolgreich. Weniger glücklich jedoch, wenn sie selbst mit ihren Mitteln "rocken" wollen.
Mit anderen Worten: den ultimativen Band-Roman gibt es bisher trotz vielfacher Bemühungen nicht. Auch Jonathan Lethems neues Buch, das von einer Indierockband aus Los Angeles handelt, bleibt hinter dieser Erwartung zurück. Es ist ein prinzipielles Problem: Der Enthusiasmus und die Leidenschaft, die in der Rockmusik explosiv wirksam sind, haben wenig mit Sprache zu tun (nur schlechte Popkritiker beginnen ihre Texte mit ausführlichen Analysen der Songtexte). Und auch das Posing, die Kultur der Coolness und des Angesagten, die zum Drumherum des Musikbetriebs und der Selbstdarstellung von Bands gehören, kommen in Form von Romanbeschreibungen meist eher verkrampft und peinlich daher.
Vor diesem Hintergrund muss man immerhin zugestehen, dass sich Lethem – seit den Großromanen "Motherless Brooklyn" und "Die Festung der Einsamkeit" wird der 1964 geborene New Yorker zu den vordersten Talenten der amerikanischen Gegenwartsliteratur gezählt – tapfer geschlagen hat mit seinem Roman über die "Monster Eyes", die anfangs noch gar nicht so heißen. Eine Band ist ein sehr labiler sozialer Mikrokosmos, und hier, nicht bei mühsamen sprachlichen Umsetzungen von Gitarrenriffs, gibt es einen ergiebigen Ansatzpunkt für den Roman. Lethems Beschreibung der "Monster Eyes" zeigt den Glücksfall, wenn sich vier Menschen zu einer Formation verbinden, die mehr ist als eine Ansammlung von Musikern: ein charismatisch-musikalisches Ereignis.
Der Roman erzählt von vier schlaksigen Fast-Dreißigern, die sexy aussehen, es sonst aber nicht weit gebracht haben. Bedwin, das introvertiert-autistische Genie an der Gitarre, vergisst meistens das Essen. Sänger Matthew ist Tierpfleger im Zoo, ein später Junge mit psychischen Problemen, der in der Mitte des Romans ein Känguru entführt und im heimischen Badezimmer beherbergt. Schlagzeugerin Denise ist in jeder Hinsicht fürs Handfeste zuständig – mit ihrer bemutternden Art hält sie die problematischen Gestalten der Gruppe zusammen, ihr Geld verdient sie im Sex-Shop.
Hauptfigur Lucinda, die Bassistin und (dem Bassistenklischee entsprechend) ein überaus sinnlicher Mensch, jobbt bei einer Nörgel-Hotline. Es ist das Konzeptkunst-Projekt eines Freundes: alles Fake. Und doch bekommt Lucinda hier eines nachts einen Mann ans Telefon, der erschreckend echt wirkt. Seine "Nörgeleien" gehen über private Malaisen hinaus, sie haben etwas Dunkles, Abgründiges, offerieren Einblicke in erotische Obsessionen. Und sie sind sehr pointiert formuliert – später erfahren wir, dass der Mann berufsmäßiger "Sprücheklopfer" ist. Bald schreibt Lucinda hektisch mit. Aus dem Material, das ihr der "Nörgler" zuliefert, formt sie Texte, die wiederum dem Songschreiber Bedwin einen kreativen Schub verleihen. Plötzlich funkt es, plötzlich geht es heftig voran mit der zuvor stagnierenden Band. Ein erster Auftritt genügt, und sie wird als "das kommende große Ding" gehandelt.
Aber der Traum einer Rocksommernacht zerplatzt. Die überraschende, enthusiasmierende kreative Hochphase bricht wieder in sich zusammen. Der anonyme "Nögler", der inspirierende Dämon aus dem Telefon, wird immer realer, immer aufdringlicher. Zunächst wird er Lucindas Geliebter, dann fordert er – nicht zu Unrecht – seine Ansprüche am sich abzeichnenden Banderfolg ein, will als fünfter Mann an den Keyboards Platz nehmen. Das Band-Geflecht in seiner Fragilität, der Glückfall eines künstlerischen Prozesses und die Auflösung im Urheberrechsstreit – dies alles schildert Lethem eindrucksvoll, auch wenn einige Kapitel kaum über geläufige Probenraum-Reporte und Musikbusiness-Kolportage hinausreichen. Man ahnt, warum es unter tausend Bands nur eine schafft und die sich meist mitten im Erfolg auflöst.
"Du liebst mich, du liebst mich nicht", lautet der deutsche Titel des Romans. Er macht deutlich, was das Buch nebenbei auch sein will: eine heutige Version von Shakespeares "Sommernachtstraum", eine muntere Beziehungskomödie unter problematischen Menschen, bei der es zu ebenso leidenschaftlichen wie komischen Paarbildungen kommt. Man trennt sich und versöhnt sich, knabbert aneinander und verliert doch bald wieder den Appetit. Wie es sich für eine Komödie gehört, ist das Ende halbwegs "happy". Ohne den Beistand der Elfen- und Göttersphäre wirkt das Ganze allerdings ein wenig fade, wie eine Vorabendserie aus hippen kalifornischen Kulturkreisen. Hier bleibt Lethem unter seinen Möglichkeiten.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Jonathan Lethem: Du liebst mich, du liebst mich nicht
Roman
Aus dem Amerikanischen von Michael Zöllner
Tropen Verlag, Berlin 2007
250 Seiten, 19,80 Euro
Mit anderen Worten: den ultimativen Band-Roman gibt es bisher trotz vielfacher Bemühungen nicht. Auch Jonathan Lethems neues Buch, das von einer Indierockband aus Los Angeles handelt, bleibt hinter dieser Erwartung zurück. Es ist ein prinzipielles Problem: Der Enthusiasmus und die Leidenschaft, die in der Rockmusik explosiv wirksam sind, haben wenig mit Sprache zu tun (nur schlechte Popkritiker beginnen ihre Texte mit ausführlichen Analysen der Songtexte). Und auch das Posing, die Kultur der Coolness und des Angesagten, die zum Drumherum des Musikbetriebs und der Selbstdarstellung von Bands gehören, kommen in Form von Romanbeschreibungen meist eher verkrampft und peinlich daher.
Vor diesem Hintergrund muss man immerhin zugestehen, dass sich Lethem – seit den Großromanen "Motherless Brooklyn" und "Die Festung der Einsamkeit" wird der 1964 geborene New Yorker zu den vordersten Talenten der amerikanischen Gegenwartsliteratur gezählt – tapfer geschlagen hat mit seinem Roman über die "Monster Eyes", die anfangs noch gar nicht so heißen. Eine Band ist ein sehr labiler sozialer Mikrokosmos, und hier, nicht bei mühsamen sprachlichen Umsetzungen von Gitarrenriffs, gibt es einen ergiebigen Ansatzpunkt für den Roman. Lethems Beschreibung der "Monster Eyes" zeigt den Glücksfall, wenn sich vier Menschen zu einer Formation verbinden, die mehr ist als eine Ansammlung von Musikern: ein charismatisch-musikalisches Ereignis.
Der Roman erzählt von vier schlaksigen Fast-Dreißigern, die sexy aussehen, es sonst aber nicht weit gebracht haben. Bedwin, das introvertiert-autistische Genie an der Gitarre, vergisst meistens das Essen. Sänger Matthew ist Tierpfleger im Zoo, ein später Junge mit psychischen Problemen, der in der Mitte des Romans ein Känguru entführt und im heimischen Badezimmer beherbergt. Schlagzeugerin Denise ist in jeder Hinsicht fürs Handfeste zuständig – mit ihrer bemutternden Art hält sie die problematischen Gestalten der Gruppe zusammen, ihr Geld verdient sie im Sex-Shop.
Hauptfigur Lucinda, die Bassistin und (dem Bassistenklischee entsprechend) ein überaus sinnlicher Mensch, jobbt bei einer Nörgel-Hotline. Es ist das Konzeptkunst-Projekt eines Freundes: alles Fake. Und doch bekommt Lucinda hier eines nachts einen Mann ans Telefon, der erschreckend echt wirkt. Seine "Nörgeleien" gehen über private Malaisen hinaus, sie haben etwas Dunkles, Abgründiges, offerieren Einblicke in erotische Obsessionen. Und sie sind sehr pointiert formuliert – später erfahren wir, dass der Mann berufsmäßiger "Sprücheklopfer" ist. Bald schreibt Lucinda hektisch mit. Aus dem Material, das ihr der "Nörgler" zuliefert, formt sie Texte, die wiederum dem Songschreiber Bedwin einen kreativen Schub verleihen. Plötzlich funkt es, plötzlich geht es heftig voran mit der zuvor stagnierenden Band. Ein erster Auftritt genügt, und sie wird als "das kommende große Ding" gehandelt.
Aber der Traum einer Rocksommernacht zerplatzt. Die überraschende, enthusiasmierende kreative Hochphase bricht wieder in sich zusammen. Der anonyme "Nögler", der inspirierende Dämon aus dem Telefon, wird immer realer, immer aufdringlicher. Zunächst wird er Lucindas Geliebter, dann fordert er – nicht zu Unrecht – seine Ansprüche am sich abzeichnenden Banderfolg ein, will als fünfter Mann an den Keyboards Platz nehmen. Das Band-Geflecht in seiner Fragilität, der Glückfall eines künstlerischen Prozesses und die Auflösung im Urheberrechsstreit – dies alles schildert Lethem eindrucksvoll, auch wenn einige Kapitel kaum über geläufige Probenraum-Reporte und Musikbusiness-Kolportage hinausreichen. Man ahnt, warum es unter tausend Bands nur eine schafft und die sich meist mitten im Erfolg auflöst.
"Du liebst mich, du liebst mich nicht", lautet der deutsche Titel des Romans. Er macht deutlich, was das Buch nebenbei auch sein will: eine heutige Version von Shakespeares "Sommernachtstraum", eine muntere Beziehungskomödie unter problematischen Menschen, bei der es zu ebenso leidenschaftlichen wie komischen Paarbildungen kommt. Man trennt sich und versöhnt sich, knabbert aneinander und verliert doch bald wieder den Appetit. Wie es sich für eine Komödie gehört, ist das Ende halbwegs "happy". Ohne den Beistand der Elfen- und Göttersphäre wirkt das Ganze allerdings ein wenig fade, wie eine Vorabendserie aus hippen kalifornischen Kulturkreisen. Hier bleibt Lethem unter seinen Möglichkeiten.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Jonathan Lethem: Du liebst mich, du liebst mich nicht
Roman
Aus dem Amerikanischen von Michael Zöllner
Tropen Verlag, Berlin 2007
250 Seiten, 19,80 Euro