Ein Gespräch mit Prof. Micha Brumlik

"Eine Aussage gegen das Judentum"

Die sogenannte "Gumbertusbibel" ist am 28.04.2014 im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg in der Ausstellung "Die Gumbertusbibel. Goldene Bilderpracht der Romanik" zu sehen.
Die "Gumbertusbibel" mit altem und neuem Testament und reich bebildert im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. © picture-alliance / dpa / Daniel Karmann
Moderation Philipp Gessler |
Der evangelische Theologe Notger Slenczka sorgt mit einer Erklärung für Aufregung: Das Alte Testament sei für Christen nicht als heilig anzusehen. Der Historiker und Theologe Micha Brumlik warnt: Diese These entstammt einem antijudaistischen Christentum.
Philipp Gessler: Die Bibel, so haben es Christen seit bald 2.000 Jahren gelernt, besteht aus dem Neuen Testament, also vor allem aus den Evangelien, die die Geschichte Jesu erzählen, und dem Alten Testament, also den heiligen Schriften des Judentums. Altes und Neues Testament gehören zusammen. Gott, so sagt es der Glaube, hat den Christen in beiden Büchersammlungen Heilsnotwendiges mitgeteilt.
Der evangelische Theologe Notger Slenczka, ein Professor an der renommierten Humboldt-Universität in Berlin, erklärt nun: Kanonisch, das heißt, für Christen als heilig anzusehen, sei das Alte Testament am Ende nicht. Es sei eher wie die Apokryphen, also die Texte, die das frühe Christentum nicht in die Bibel aufgenommen hat, sagen wir es klarer, verworfen hat. Theologie-Professor Slenczka wird heftig von seinen Theologen-Kollegen wegen dieser These kritisiert – Nazi-Vergleiche fliegen durch den Raum, von antijudaistischen, also judenfeindlichen Anklängen ist die Rede.
Mit Micha Brumlik habe ich über den Fall Slenczka gesprochen. Der jüdische Intellektuelle war Professor an der Universität Frankfurt und hat sich zuletzt vor fünf Jahren in einem Buch mit der Entstehung des Christentums aus dem Judentum beschäftigt – also mit der Zeit, in der man erkannte, dass für Christen das Neue Testament nicht ohne das Alte denkbar ist. Meine erste Frage an Prof. Brumlik war: Wer als Professor der evangelischen Theologie das Alte Testament als apokryph betrachtet – wie nahe ist der eigentlich dem christlichen Antijudaismus?
Micha Brumlik: Nun, die Person, über die wir sprechen, Professor Slenczka, kann glaubwürdig widerlegen, ein klassischer Antijudaist zu sein. Weder bezweifelt er die Gültigkeit der Verheißungen an die Juden, noch vertritt er eine sogenannte Substitutionslehre, wonach die Kirche Israel abgelöst habe. Und auch die Meinung, dass die Juden in irgendeiner Weise die Gottesmörder seien, das liegt ihm völlig fern. Er spricht aber davon, dass das Alte Testament die Schrift einer partikularen Stammesreligion sei, und dass das moderne christliche Bewusstsein, wie er es versteht, damit nur fremdeln könne. Und wenn er auf dieser Basis vorschlägt, das Alte Testament aus dem christlichen Kanon zu entfernen, ist das natürlich auch eine Aussage gegen das Judentum, denn das Judentum ist ja nicht nur die Religion des Alten Testaments, aber eben doch auch.
Parallelen zu Theologen in der NS-Zeit
Gessler: Steht denn Professor Slenczka mit diesen Thesen in der antijüdischen Tradition des frühen Christentums?
Brumlik: Das frühe Christentum war überhaupt nicht antijüdisch. Es wird neuerdings wieder diskutiert, ob das nicht selbst alles jüdische Gruppen gewesen sind. Und Rabbiner Leo Baeck war sogar der Meinung, dass die Evangelien also Glaubensschriften des Judentums sind. Es steht aber in einer Tradition des neuzeitlichen Christentums. Um die Namen jetzt zu nennen, wären Schleiermacher, Adolf von Harnack und Rudolf Bultmann, die alle haben übrigens im zweiten Jahrhundert nun einen Vorläufer, einen Mann namens Markion, der dann auch aus der Kirche verstoßen wurde, weil er als einzige Schrift des Christentums nur einige Paulus-Briefe und das Lukas-Evangelium gelten lassen wollte.
Gessler: Aber es gibt trotzdem diese Gegnerschaft in den frühen Jahrzehnten zwischen den jüdischen oder israelitischen Gemeinden und den neuen christlichen Gemeinden?
Brumlik: Unbestritten. Aber ob diese neuen christlichen Gemeinden tatsächlich nur aus bekehrten Heiden zusammengesetzt waren oder ob da nicht auch viele Juden dabei gewesen sind, die eben der Meinung waren, dass Jesus der Messias ist, ist religionshistorisch völlig offen, wenn ich das richtig sehe.
Gessler: Sehen Sie denn tatsächlich in diesem Fall Slenczka, bei diesem Theologen, gar Parallelen zu den öffentlich geförderten Bestrebungen mancher Theologen in der NS-Zeit, die jüdische Seite des Christentums zu tilgen?
Brumlik: Diese Parallelen gibt es leider, und Notger Slenczka wusste, warum er den bedeutendsten unter ihnen, einen Göttinger Philosophie- und Theologiehistoriker namens Emannuel Hirsch, verschwiegen hat. Denn der hat sogar 1935/36 eine eigene Publikation über die Schwierigkeit geschrieben für Christenmenschen, sich aufs Alte Testament zu beziehen, und dass das eigentlich nicht mehr ginge.
Gessler: Nach so vielen Jahrzehnten der jüdisch-christlichen Zusammenarbeit und der zunehmenden Erkenntnis der jüdischen Identität Jesu in der christlichen Theologie – waren Sie überrascht, dass eine solche Theologie wie die von Professor Slenczka noch einmal auftauchen kann?
Brumlik: Ehrlich gesagt, ja. Und ich bin mir im Moment einfach nicht schlüssig, ob das die Meinung eines Einzelgängers ist oder ob es da vielleicht auch unter Theologiestudenten oder sogar in Gemeinden eine entsprechende Stimmung gibt. Das würde mich interessieren. Repräsentiert er etwas oder spricht er wirklich nur für sich selbst allein? Ich könnte mir vorstellen, dass es insbesondere unter den systematischen Theologen eine Strömung gibt, die mit Bezug auf den liberalen Theologen aus Berlin, Schleiermacher, so eine Richtung verfechten. Aber das wird auszumachen sein.
Slenczka ist mit seinen Thesen eine Ausnahme
Gessler: Wenn man die Thesen von Professor Slenczka sehr wohlwollend interpretiert, könnte man sie ja auch so deuten, man sollte als christlicher Theologe nicht versuchen, das Alte Testament nur als Vorläufer des Neuen Testaments zu interpretieren, also das Judentum praktisch eingemeinden. So gesehen wäre das sogar eine ausgesprochen projüdische Herangehensweise an das Alte Testament, oder?
Brumlik: Ja, das beteuert Professor Slenczka in einer für ihn persönlich glaubwürdigen Weise. Ich darf darauf hinweisen, dass es in der evangelischen Theologie genau entgegengesetzte Positionen gibt, etwa von Frank Crüsemann aus Bielefeld, der die These vertritt, dass das Alte Testament der Wahrheitsraum des Neuen sei, und zwar einfach deswegen, weil man keine einzige Zeile Neues Testament versteht, wenn man das Alte Testament nicht kennt. Oder Klaus Wengst, der ja der Meinung ist, die Hauptfunktion Jesu sei gewesen, die Völker in den Bund Gottes mit Israel hineinzunehmen. Also da gibt es einen weiten Interpretationsspielraum.
Gessler: Wenn man sich den Fall Slenczka anschaut, wie virulent ist denn eigentlich der Antijudaismus in den Volkskirchen immer noch? Und ist das Christentum eigentlich ohne den Antijudaismus überhaupt zu haben?
Brumlik: Das glaube ich doch. Ich habe ja eben zwei Theologen genannt, könnte auch katholische Theologen nennen wie Johann-Baptist Metz. Was nach 1945 stattgefunden hat, das war ein Umdenken der Art, dass die christlichen Kirchen verstanden haben, dass der Holocaust nicht nur eine Katastrophe für sechs Millionen Juden gewesen ist, sondern auch eine Katastrophe für ein über Jahrhunderte antijudaistisches Christentum.
Gessler: Das heißt, Sie würden Herrn Slenczka schon als eine Ausnahme betrachten?
Brumlik: Also von denen, die bisher in dieser Frage seit Rudolf Bultmann, also seit 50, 60 Jahren ihre Stimme erhoben haben, ist er bis jetzt die Ausnahme. Die weitere Diskussion wird zeigen, wer und welche Gruppen ihn und seine Ansichten womöglich verteidigen oder sich ihnen beigesellen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema