"Ein gewisses paranoides Element"

Thomas Greven im Gespräch mit Dieter Kassel |
Staatsskepsis und Angst vor dem Anderen seien traditionell Elemente der politischen Kultur in den USA, sagt der Berliner Politikwissenschaftler Thomas Greven. Insofern seien die Republikaner die "amerikanischere" der beiden großen Parteien.
Dieter Kassel: Am kommenden Dienstag, dem 2. November, werden in den USA alle Abgeordneten des Repräsentantenhauses und außerdem auch noch 37 der 100 Senatoren neu gewählt. In mehr als der Hälfte der 50 Bundesstaaten stehen außerdem auch die Gouverneure zur Wahl. Und alle Prognosen von wirklich allen Seiten in den USA sagen voraus, dass die republikanische Partei die Wahlen gewinnen wird, der Höhenflug von Barack Obama und seinen Demokraten ist vorbei. Warum aber sagen so viele Amerikaner nicht mehr "yes, we can" sondern eher "no, we don’t want that"?

Darüber reden wir jetzt mit dem Politikwissenschaftler Thomas Greven von der Freien Universität Berlin. Er ist unter anderem auch Autor des Buches "Die Republikaner. Anatomie einer amerikanischen Partei". Wir reden aber aus organisatorischen Gründen jetzt mit ihm in Mali, da ist er nämlich zurzeit. Schönen guten Tag, Herr Greven!

Thomas Greven: Ja, guten Tag!

Kassel: Wenn wir mal den Umfragen glauben, dann ist es ja relativ sicher, dass die Republikaner die Wahlen gewinnen werden am 2. November, aber mit was für einem Ergebnis, mit was für einem Sieg rechnen Sie denn konkret?

Greven: Ich denke, die Republikaner haben ganz gute Chancen, das Repräsentantenhaus zurückzugewinnen. Im Senat haben die Demokraten eine Chance, die Mehrheit zu behalten, allerdings laufen sie da auch Gefahr, Sitze zu verlieren, und damit sind sie weiter entfernt von der sogenannten "Filibuster-proof"-Mehrheit, also mit der sie Blockadeversuche der Republikaner überwinden können.

Kassel: Nun sind Denkzettel, wenn wir das mal so nennen wollen, bei den Kongresswahlen, Denkzettel für amtierende Präsidenten ja eigentlich nicht ungewöhnlich. Bill Clinton hat das 1994 hart erlebt, aber auf der anderen Seite George W. Bush 2006 auch. Ist also das, was voraussichtlich am 2. November passieren wird, ein relativ normaler Vorgang, auch aus Sicht des Präsidenten?

Greven: Einerseits ja, obwohl der große Rückschlag für amtierende Präsidenten meistens bei den zweiten Zwischenwahlen passiert. Ich glaube aber, dass nur zum Teil eine Normalität hier zu sehen ist, und zu einem anderen Teil durchaus etwas Originäres passiert: Es brodelt ja in der amerikanischen Gesellschaft. Wer geglaubt hat, dass mit dem Wahlsieg von Obama die in den Bush-Jahren deutlich zu spürende Spaltung in der amerikanischen Gesellschaft überwunden wäre, der hatte sich getäuscht, denn die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft hat eher zugenommen und ist sehr viel intensiver und brachialer auch im sprachlichen Ausdruck geworden und im Auftreten der Menschen auf den Straßen.

Kassel: Werden denn die Amerikaner, die vor zwei Jahren dafür gesorgt haben, dass Barack Obama Präsident geworden ist mit ihren Stimmen, werden die denn bei den Kongresswahlen jetzt einfach nicht mehr wählen gehen, oder wählen die nicht mehr die Demokraten?

Greven: Das große Dilemma der demokratischen Partei ist, dass die (…)-fähigkeit von Obama als Person nicht auf die Partei als Ganzes übertragen werden kann, zum einen, weil die Begeisterung und gerade bei jungen Leuten etwas mit der Person Obamas zu tun hatte, und zum anderen aber, weil gerade die Linken auch enttäuscht sind, enttäuscht sind von den Demokraten, auch von Obama enttäuscht sind.

Und das heißt in der Tat, dass viele dieser stark mobilisierten Menschen nun zu Hause bleiben werden, sie werden eher nicht republikanisch wählen. Republikanisch wählen dann vielleicht Demokraten am anderen Ende des Spektrums, denn das ist das andere Dilemma der Demokraten: Die Linken sind enttäuscht und werden möglicherweise zu Hause bleiben, und die Rechten, die konservativen Demokraten, die haben Angst davor, ihre Ämter zu verlieren, und deren Wähler werden möglicherweise zum Teil republikanisch wählen.

Kassel: Die Republikaner werfen ja den Demokraten im Allgemeinen und auch Barack Obama im Besonderen vor, sie seien unamerikanisch. Das, was da in der Amtszeit jetzt passiert sei in den letzten knapp zwei Jahren, das sei unamerikanisches Verhalten. Glauben das die Wähler offenbar auch?

Greven: Was hier zusammenkommt, sind mehrere Tendenzen. Also dass den Demokraten vorgeworfen wird, unamerikanisch zu sein, das ist auch letztlich nichts Neues. Sie sind die Partei der Sezession gewesen, also sie haben den Bürgerkrieg verursacht, und seitdem haben sie eigentlich immer wieder in unterschiedlichen Formen mit diesem Vorwurf zu tun, Verräter zu sein oder nicht amerikanisch zu sein. Weil sie eben auch die Partei sind, die dann in den 1930er-Jahren quasi sozialdemokratisch Politik gemacht hat, auch die Partei waren, die für Minderheitenrechte eingetreten sind, haben sie sich immer wieder diesen Vorwurf eingefangen. Das heißt, das ist als Bodensatz in der amerikanischen politischen Kultur immer schon da. Auch ist immer da ein libertäres Element, also dies staatsskeptische, regierungsskeptische Element.

Und dazu kommt jetzt das, was man bei den Tea-Party-Anhängern deutlich sieht, ein gewisses paranoides Element, also eine übersteigerte Angst vor allem, was irgendwie europäisch ist oder anders ist. Das kommt hier zusammen, und dann hat man auch noch einen Schwarzen im Weißen Haus, was dann auch noch ein rassistisches Element dem Ganzen hinzufügt. Also insofern sind Republikaner die amerikanischere der beiden Parteien, aber es hat auch viel damit zu tun, dass die Demokraten oft einfach auch nicht mutig genug sind, um tatsächlich eine Politik zu machen, die dann auch die Bürger in den Genuss staatlicher Leistungen kommen lässt und dadurch dann eine Basis schafft, auf der man tatsächlich auch eine Wahlentscheidung treffen kann, die etwas abseits dieser ideologischen und kulturellen Debatten liegt, sondern die tatsächlich etwas mit konkreten Regierungsprogrammen, konkreten Maßnahmen zu tun hat.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Thomas Greven, er ist Politikwissenschaftler, und wir sprechen mit ihm über das voraussichtliche Ergebnis der Kongresswahlen in den USA am nächsten Dienstag und was es bedeutet für das Land und vor allen Dingen auch für seinen Präsidenten Barack Obama. Erklären Sie mir mal was, Herr Greven, dazu sind Wissenschaftler ja da, dass sie einem zumindest manchmal was erklären können: Ich habe im Vorfeld dieser Wahlen einen Fernsehbericht gesehen, da sah man einen Amerikaner, einen weißen Amerikaner, der kaum noch Zähne hatte, der arbeitslos war seit Langem und der zu diesen Millionen gehörte, die keinerlei Krankenversicherung haben in den Vereinigten Staaten.

Und der wurde nun gefragt nach dem Gesundheitssystem in den USA und was er denn davon halte, dass Barack Obama nun eine Krankenversicherung einführt für alle. Und dieser Mensch, der nun klassischerweise eigentlich sehr dankbar sein sollte, sagte, das fände er fürchterlich, das sei Kommunismus. Können Sie mir so eine Einstellung erklären?

Greven: Ja, ganz einfach ist das nicht, aber es hat eben mit diesem grundsätzlichen libertären Element der amerikanischen politischen Kultur zu tun und des zögerlichen Beginns der Obama-Präsidentschaft. Also meine These ist, dass es im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise zwar kein Mandat für Obama gab, jetzt sozialdemokratische Politik zu machen, aber ein Möglichkeitsfenster. Und hätte die Obama-Regierung die Gesundheitsreform mit dem Schwung des Wahlsieges schnell verabschiedet, dann hätte möglicherweise auch dieser ältere Herr im Jahr 2010 anders gedacht, weil er dann schon gesehen hätte, wie denn so etwas vielleicht funktionieren kann.

Das ist nicht so, dass die Amerikaner, auch diese libertären, staatsskeptischen Amerikaner gar keine Regierungsprogramme mögen. Sie mögen manchmal Regierungsprogramme, ohne richtig zu wissen, dass es Regierungsprogramme sind. Es gibt dieses berühmte Zitat "Take your government hands off my medicare", also lass deine Regierungsfinger von meiner Krankenversicherung für Rentner, das ist aber ein staatliches Programm.

Und da liegt sozusagen das Dilemma begraben. Wenn die Menschen keine Chance haben zu sehen, dass der Staat, dass die Regierung funktionieren kann für sie, zu ihren Gunsten, dann bleiben sie in dieser Staatsskepsis verhaftet, die dann von den politischen Gegnern natürlich auch noch mobilisiert wird. Das ist das, was die Republikaner, was die Tea Partys erfolgreich geschafft haben, aufspringend auf diesen Bodensatz amerikanischer politischer Kultur und mithilfe der vielen konservativen Demokraten, die die Politik der Obama-Regierung eben auch nicht mittragen wollten.

Kassel: Nach dem 2. November werden weltweit viele diese Frage stellen, ich stelle sie jetzt schon mal: Glauben Sie denn, dass in zwei Jahren, wenn Barack Obama mehr als jetzt darauf angewiesen ist, dass sein "Yes, we can" wieder ernst genommen wird, dass in zwei Jahren die Stimmung anders ist, oder eindeutiger gefragt, rechnen Sie mit einer zweiten Amtszeit?

Greven: Ja, ich rechne mit einer zweiten Amtszeit insofern: Obama hat eine wirklich bemerkenswerte Fähigkeit der Mobilisierung, und die Menschen, die jetzt sich vielleicht nicht mobilisieren lassen werden für die demokratischen Abgeordneten und Senatoren, werden sich wieder mobilisieren lassen, und das möglicherweise insbesondere dann, wenn die republikanische Partei in der Tat eines oder sogar beide Häuser des Kongresses übernimmt, denn dann wird man ja sehen, was man auch in den 90er-Jahren dann gesehen hat: wie denn die Alternative aussehen würde. An die Linken adressiert heißt es: Wählt doch bitte die Demokraten, denn die Alternative kann ja nur viel schlimmer sein. Es gibt ja nur die beiden im amerikanischen politischen System, also "the lesser of two evils" ist das Motto, und das wird dann auch 2012 möglicherweise wieder im Zentrum stehen, wenn ja dann im Raum steht, möglicherweise nicht nur einen republikanischen Kongress, sondern auch noch einen republikanischen Präsidenten zu haben. Und ich denke schon, dass Obama da als Sieger hervorgehen wird.

Kassel: Der Politikwissenschaftler Thomas Greven über die bevorstehenden Kongresswahlen in den USA, am Dienstag finden sie statt, wir werden natürlich in unserem Programm Sie aktuell darüber informieren und auch vorher noch weitere Gespräche zu diesem Thema führen. Thomas Greven ist zurzeit übrigens in Mali, das erklärt die etwas schlechte Leitungsqualität. Wir haben das Gespräch mit ihm deshalb auch vorher aufgezeichnet.
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