Ein Gläschen in Ehren - Volksdroge Alkohol?

"Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren", dieser Spruch hat längst seine Harmlosigkeit verloren. Die Deutschen mischen im europäischen Vergleich in der Spitzengruppe der Trinker mit: Pro Kopf werden im Schnitt jährlich 10,6 Liter reiner Alkohol getrunken – Babys und Greise eingerechnet. Für viele ist der Genuss längst zur Sucht geworden.
Rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland sind alkoholabhängig, zehn Millionen Menschen sind suchtgefährdet. 74.000 Männer und Frauen sterben jedes Jahr vorzeitig an alkholbedingten Krankheiten. Der volkswirtschaftliche Schaden beläuft sich jährlich auf 22 Milliarden Euro.

"Wir sind eine trinkende Gesellschaft", sagt Jakob Hein. Der Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité in Berlin leitet die dortige Ambulante Suchtberatung. Seine besondere Sorge gilt den Jugendlichen, die vermehrt mit Alkoholvergiftungen eingeliefert werden. "Alkohol ist neben Zigaretten der am leichtesten verfügbare Suchtstoff. Besonders problematisch sind die sogenannten 'Flatrate-Partys', wo man zehn Euro zahlt und dann von 22 Uhr bis 0 Uhr frei trinken kann." Dieses 'Koma-Saufen' mache sich auch in der Notaufnahme der Charité bemerkbar. Heins Beobachtung wird auch durch aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes bestätigt: Die Zahl der Jugendlichen mit einer Alkoholvergiftung verdoppelte sich vom Jahr 2000 bis 2005 auf jährlich 19.400. Unter den Vollrausch-Patienten waren 3500 Kinder im Alter von 10 bis 15 Jahren.

"Die Gesellschaft hat eine hohe Verantwortung", mahnt der Suchtmediziner Hein, "es darf einfach nicht sein, dass ein Jugendlicher von einem Wirt 15 Tequila ausgeschenkt bekommt. Dass Jugendliche Erfahrungen mit Alkohol machen müssen, ist klar. Aber diese Einladung zum hemmungslosen Alkoholkonsum darf nicht sein. "

Jakob Hein setzt daher zum einen auf die Mithilfe der Medien. Er fordert aber auch die Politik auf, einzugreifen: "Man muss diese Flatrate-Partys verbieten. Das kann nicht unsere Auffassung sein, dass man sich für zehn Euro betrinken kann."

Hein ist aber realistisch genug, um gerade die Rolle der Politiker nicht zu überschätzen: "Wir sind seit 200 bis 300 Jahren eine trinkende Gesellschaft. Kein Politiker wird ein Gesetz erlassen, dass den Alkoholkonsum verbietet. Da muss man den Realitäten ins Auge blicken."

Anlässlich der diesjährigen bundesweiten Suchtwoche 2007 unter dem Titel "Alkohol Verantwortung setzt Grenzen" (vom 14.06 bis 18.06) wird auch Jakob Hein an Informationsveranstaltungen teilnehmen. Er plädiert dafür, besonders Jugendliche über die Gefahren des Alkohols und des frühen Konsums zu informieren. "Es gibt da keine Patentrezepte. Am besten fragt man die Jugendlichen, was sie wissen wollen. Viele brüsten sich noch immer damit, viel zu vertragen. Man muss ihnen deutlich sagen: Wer viel verträgt, läuft Gefahr, Alkoholiker zu werden."

Mit anderen Worten: Je jünger, desto größer ist die Gefahr in die Sucht zu rutschen. Seine Erfahrung aus der Suchtberatung: "Die meisten Patienten, die zu uns kommen, sind über 30. Erst dann fangen die Probleme der Abhängigkeit an. Jüngere registrieren nicht, dass sie abhängig sind, sie können die Symptome noch eher verdrängen."

"Ein Gläschen in Ehren – Volksdroge Alkohol?" – darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9:07 Uhr bis 11 Uhr mit dem Suchtmediziner Jakob Hein.
Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800/2254-2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen über die Suchtwoche 2007 im Internet unter: www.suchtwoche.de